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Verbrechen gegen die Menschlichkeit


Begriff und Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnen schwerwiegende menschenrechtsverletzende Straftaten, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung unter Mitwissen oder Billigung einer staatlichen oder organisierenden Autorität begangen werden. Der Begriff ist völkerrechtlich definiert und umfasst sowohl die Tatbestände als auch die Strukturmerkmale der Handlungen sowie deren Kontext.

Die Formulierung und Kodifizierung von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ fand erstmals in den Nürnberger Prozessen nach Ende des Zweiten Weltkriegs Eingang in das internationale Strafrecht. Seither ist die Definition vielfach präzisiert und erweitert worden, insbesondere durch internationale Abkommen und Statuten internationaler Gerichte.

Historische Entwicklung

Erste Kodifizierung: Nürnberger Prozesse

Die erste ausdrückliche Kodifizierung erfolgte 1945 durch das Londoner Statut des Internationalen Militärgerichtshofs, welches die gerichtliche Verfolgung nationalsozialistischer Gräueltaten ermöglichte und als Grundlage für die Nürnberger Prozesse diente. Das Statut führte Verbrechen gegen die Menschlichkeit als eigenständigen Straftatbestand ein und unterschied diesen erstmals vom Völkermord und von Kriegsverbrechen.

Weiterentwicklung im Völkerrecht

Mit der Etablierung internationaler Ad-hoc-Strafgerichtshöfe wie dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und für Ruanda (ICTR) wurde die Definition angepasst und erweitert. Die umfangreichste und derzeit maßgebliche Definition enthält das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), das 1998 verabschiedet wurde.

Rechtliche Grundlagen

Völkerrechtliche Kodifizierung

Das grundlegende Regelwerk für die Definition und Strafbarkeit bildet das Römische Statut des IStGH. Artikel 7 des Statuts definiert Verbrechen gegen die Menschlichkeit als eine Vielzahl von vorsätzlichen Akten, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung unter Mitwissen des Täters erfolgen. Zu den Taten zählen unter anderem Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder erzwungene Umsiedlung, Folter, Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Verfolgung aus politischen, rassistischen, nationalen, ethnischen, kulturellen, religiösen oder geschlechtsbezogenen Gründen, das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen sowie Apartheid.

Das Statut stellt klar, dass für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit kein Kriegszustand oder bewaffneter Konflikt erforderlich ist. Die Taten können auch in Friedenszeiten verwirklicht werden.

Tatbestandliche Merkmale

Angriffsbegriff

Ein zentraler Bestandteil ist der „ausgedehnte oder systematische Angriff gegen eine Zivilbevölkerung“. Darunter versteht man eine Vielzahl von Gewalttaten, die einem bestimmten Plan oder einer Politik folgen und nicht lediglich zusammenhanglose Einzeltaten darstellen.

Kontextmerkmal

Weiterhin muss ein Kontextbezug bestehen: Die Taten müssen Teil der gezielten Ausrichtung gegen Zivilpersonen und im Wissen um diesen Zusammenhang geschehen. Spontane oder zufällige Delikte erfüllen das Tatbestandsmerkmal demnach nicht.

Strafbare Handlungen

Das IStGH-Statut listet ein nicht abschließendes Verzeichnis strafbarer Akte auf, unter anderem:

  • Mord
  • Ausrottung
  • Versklavung
  • Verschleppung, Deportation
  • Haft und andere schwerwiegende Freiheitsberaubung
  • Folter
  • Vergewaltigung und sexuelle Gewalt
  • Verfolgung aufgrund gruppenbezogener Merkmale
  • Zwangssterilisationen
  • Apartheid
  • Andere unmenschliche Handlungen vergleichbarer Schwere

Nationale Umsetzungen

Die Unterzeichnerstaaten des Römischen Statuts sind verpflichtet, die Strafbarkeit solcher Taten auch in ihren nationalen Rechtssystemen zu verankern und die strafrechtliche Verfolgung sicherzustellen. In Deutschland geschieht dies insbesondere durch das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), das die völkerrechtlichen Tatbestände in das nationale Strafrecht integriert.

Abgrenzung zu anderen Tatbeständen

Unterschied zum Völkermord

Obwohl sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord in Teilen überschneiden, bestehen wesentliche Unterschiede: Der Tatbestand des Völkermordes erfordert eine spezifische Absicht zur Zerstörung einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe als solcher (sog. Gruppenbezug). Verbrechen gegen die Menschlichkeit hingegen setzen keinen derart gruppenbezogenen Vernichtungswillen voraus, sondern richten sich allgemein gegen eine Zivilbevölkerung.

Unterschied zu Kriegsverbrechen

Kriegsverbrechen setzen einen bewaffneten Konflikt voraus und werden meist gegen Kombattanten oder bestimmte Personengruppen begangen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit können hingegen auch in Friedenszeiten erfolgen und richten sich gegen die Zivilbevölkerung.

Strafverfolgung und Sanktionierung

Internationale Strafgerichtsbarkeit

Die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit kann auf Ebene des Internationalen Strafgerichtshofs sowie zuvor durch Ad-hoc-Strafgerichte erfolgen. Das Römische Statut räumt dem IStGH die explizite Zuständigkeit ein, sofern nationale Gerichte nicht bereit oder fähig sind, solche Straftaten zu verfolgen.

Nationale Strafverfolgung

Staaten sind verpflichtet, nach dem Weltrechtsprinzip, Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig vom Tatort oder der Staatsangehörigkeit der Täter zu verfolgen. Deutsche Strafverfolgungsbehörden können beispielsweise nach dem Völkerstrafgesetzbuch tätig werden.

Verjährung

Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterliegen regelmäßig keiner Verjährung. Zahlreiche internationale Abkommen und nationale Gesetze, darunter das deutsche VStGB, stellen dies ausdrücklich klar.

Bedeutung und gesellschaftliche Relevanz

Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehören zu den schwerwiegendsten Straftaten im internationalen Recht. Sie verfolgen das Ziel, Menschengruppen gezielt zu schädigen oder zu eliminieren und untergraben grundlegende Prinzipien der Menschlichkeit und des friedlichen Zusammenlebens. Ihre systematische Ahndung und Prävention sind zentrale Anliegen der internationalen Staatengemeinschaft und ein Eckpfeiler des modernen Völkerstrafrechts.

Literatur und Rechtsquellen

  • Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH)
  • Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) – Deutschland
  • Statut des Internationalen Militärgerichtshofs (Nürnberger Statut)
  • Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY)
  • Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (ICTR)

Verbrechen gegen die Menschlichkeit nehmen im internationalen Recht eine zentrale Rolle ein. Ihre Definition, Verfolgung und Sanktionierung tragen maßgeblich zum Schutz der Menschenrechte und zur Förderung rechtsstaatlicher und humanitärer Mindeststandards weltweit bei.

Häufig gestellte Fragen

Welche Strafen können bei einer Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhängt werden?

Die Strafen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind im nationalen Recht und im Völkerstrafrecht festgelegt. Auf internationaler Ebene sieht zum Beispiel das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Artikel 77 als Hauptstrafe eine zeitlich befristete Freiheitsstrafe von bis zu 30 Jahren oder, in besonders schweren Fällen, eine lebenslange Freiheitsstrafe vor. Darüber hinaus können zusätzliche Strafen wie Geldstrafen oder der Verfall von Vermögenswerten verhängt werden. Innerhalb vieler Nationalstaaten richten sich die Strafen oftmals nach den allgemeinen Strafrahmen für besonders schwere Straftaten; es können jedoch spezielle Bestimmungen für völkerrechtliche Verbrechen existieren, die deutlich härtere Strafrahmen vorsehen. Entscheidend für die Strafzumessung sind insbesondere der Umfang und die Schwere der Tat sowie die individuelle Verantwortlichkeit des/der Angeklagten. Internationale Gerichte berücksichtigen dabei auch strafmildernde oder -verschärfende Umstände, wie Geständnisse, Reue oder die besondere Grausamkeit einzelner Tatbeiträge.

Wer ist für die Strafverfolgung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuständig?

Für die Strafverfolgung kommen sowohl internationale als auch nationale Gerichte in Betracht. Die Hauptverantwortung liegt grundsätzlich bei den nationalen Justizbehörden des jeweiligen Tatortstaates oder des Staates, dessen Staatsbürger Täter oder Opfer sind. Besteht jedoch keine Möglichkeit einer effektiven Verfolgung auf nationaler Ebene, kann der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) nach dem Grundsatz der Komplementarität tätig werden. Zusätzlich können nach Völkerrecht Ad-hoc-Tribunale (wie der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, ICTY, oder für Ruanda, ICTR) spezifisch für bestimmte Konflikte eingerichtet werden. Daneben existiert das Prinzip der universellen Jurisdiktion, wonach auch dritte Staaten unabhängig vom Tatort und von der Staatsangehörigkeit der Beteiligten in bestimmten Fällen Verfolgung anstreben dürfen, sofern das nationale Recht dies vorsieht.

Welche Rolle spielt der Befehlshaber in der Verantwortlichkeit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit?

Kommandeure und andere militärische oder zivile Befehlshaber können nach dem völkergewohnheitsrechtlichen Prinzip der Befehlsverantwortlichkeit (command responsibility) strafrechtlich zum Beispiel dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie entweder aktiv die Planung, Anordnung oder Durchführung der Tat befehligt haben oder aber tatenlos geblieben sind, obwohl sie von den Verbrechen Kenntnis hatten oder hätten haben müssen und es unterließen, einschreitende Maßnahmen zu ergreifen oder die Täter zu bestrafen. Insbesondere das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs regelt diese Verantwortlichkeit ausdrücklich in Artikel 28. Es sind sowohl direkte als auch indirekte Beteiligungsformen strafbar, so dass leitende Personen, die ihre Aufsichtspflichten verletzen, unter Umständen ebenso streng wie unmittelbare Täter belangt werden können.

Wie unterscheiden sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit von Kriegsverbrechen im Strafrecht?

Obwohl beide Deliktkategorien im Völkerstrafrecht geregelt sind, unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und ihres Schutzgutes. Verbrechen gegen die Menschlichkeit setzen kein bewaffnetes Konfliktgeschehen voraus; sie können auch in Friedenszeiten begangen werden, sofern sie Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung sind. Kriegsverbrechen dagegen erfordern stets das Vorliegen eines internationalen oder nicht-internationalen bewaffneten Konflikts und betreffen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, insbesondere die Genfer Konventionen. Auch der Täterkreis, das konkrete Unrecht und der Zusammenhang mit politischer Systematik oder staatlicher Planung unterscheiden sich. Beide Tatbestände können jedoch überschneidend verwirklicht werden, zum Beispiel bei systematischer Folter an Zivilisten im Rahmen eines Konflikts.

Ist eine Verjährung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit möglich?

Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterliegen gemäß Artikel 29 des Römischen Statuts sowie nach den meisten nationalen Regelungen keiner Verjährung. Das bedeutet, dass ein Strafverfahren und eine Bestrafung auch viele Jahre oder Jahrzehnte nach Tatbegehung noch möglich bleiben. Diese Regelung soll den besonderen Unrechtsgehalt und die häufig lückenhafte Strafverfolgung infolge politischer Umstände oder Dysfunktion nationaler Justizsysteme berücksichtigen. Die fehlende Verjährung entspricht zudem internationalen Gepflogenheiten und ist Ausdruck der umfassenden Schutzwürdigkeit der davon betroffenen Rechtsgüter.

Können auch nicht-staatliche Akteure wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden?

Ja, der Täterkreis umfasst sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Akteure. Voraussetzung ist lediglich, dass die Taten im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung im Sinne des zugrundeliegenden Völkerstrafrechts erfolgen. Insbesondere können Mitglieder bewaffneter Gruppen, Milizen, privater Sicherheitsunternehmen oder staatsähnlicher Organisationen in gleicher Weise wie staatliche Vertreter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Relevant ist dabei, dass der zugrundeliegende Angriff eine organisatorische Struktur und eine bestimmte Zielrichtung gegen die Zivilbevölkerung aufweist, was auch bei nicht-staatlichen Tätern erfüllt sein kann.

Welche Rechte haben Opfer im Rahmen strafrechtlicher Aufarbeitung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit?

Opfer genießen im internationalen und in vielen nationalen Verfahren umfassende Rechte. Dazu zählen insbesondere das Recht auf Beteiligung am Gerichtsverfahren als Nebenkläger oder Zeugen, das Recht auf rechtliches Gehör und Aussagen sowie auf Schutz vor Retraumatisierung und erneuter Gefährdung. Häufig besteht zudem ein Anspruch auf Information über den Fortgang des Verfahrens. Internationale Strafgerichte sichern die psychosoziale Betreuung, Maßnahmen zum Opferschutz und gegebenenfalls Entschädigungsleistungen zu. Im Kontext des IStGH existieren besondere Opferfonds, die der Wiedergutmachung und Unterstützung Betroffener dienen. Zugleich können Opfer, soweit nationalrechtlich vorgesehen, im Wege des Adhäsionsverfahrens zivilrechtliche Ansprüche geltend machen.