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protestatio facto contraria


Begriff und Definition der protestatio facto contraria

Unter der protestatio facto contraria versteht man einen im römischen sowie im heutigen deutschen Recht verankerten Grundsatz, der besagt, dass eine tatsächliche Handlung (factum) nicht durch eine entgegenstehende Erklärung (protestatio) in ihrem rechtlichen Charakter abgeändert werden kann. Aus dem lateinischen übersetzt bedeutet das Sprichwort „ein Widerspruch durch einen gegenteiligen Akt“. Häufig übersetzt man die Wendung mit „Der Widerspruch durch das tatsächliche Tun gilt nicht“.

Die protestatio facto contraria steht im Zusammenhang mit der Auslegung von Rechtsgeschäften und Verhaltensweisen, insbesondere dort, wo eine bestimmte Handlung objektiv einen bestimmten Rechtsfolgen-Tatbestand erfüllt, dies aber subjektiv durch eine gegenteilige Erklärung verhindert werden soll.


Historische Entwicklung

Ursprung im römischen Recht

Die protestatio facto contraria hat ihre Wurzeln im klassischen römischen Recht. Dort galt das Prinzip, dass die tatsächliche Ausführung einer Handlung der weitergehenden rechtlichen Wirkung nicht entgegensteht, selbst wenn zuvor oder gleichzeitig eine anderslautende Erklärung abgegeben worden ist. Beispielsweise konnte ein bestimmtes Verhalten (z.B. Übereignung) nicht durch eine Protestation ihrer rechtlichen Wirkung beraubt werden.

Rezeption im deutschen Recht

Mit der Rezeption des römischen Rechts fand der Grundsatz Eingang in das deutsche Rechtsdenken und wurde auch in der Pandektenwissenschaft und im BGB verankert. Der Gedanke, dass Handlungen nicht durch widersprechende Nebenabreden oder Erklärungen in ihrem Kern umgedeutet oder entkräftet werden können, hat dabei bis heute Bestand.


Rechtsdogmatische Bedeutung

Abgrenzung zur falsa demonstratio

Im Unterschied zur falsa demonstratio non nocet (eine falsche Bezeichnung schadet nicht, wenn beide Parteien dasselbe wollen), kommt bei der protestatio facto contraria dem tatsächlichen Tun Vorrang zu, selbst wenn die begleitende Erklärung entgegensteht. Während bei der falsa demonstratio auf den übereinstimmenden Parteiwillen abgestellt wird, maß man bei der protestatio facto contraria dem objektiven Geschehensablauf entscheidende Bedeutung bei.

Bedeutung im Bürgerlichen Recht

Im deutschen Zivilrecht spielt die protestatio facto contraria insbesondere bei der Auslegung von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) und im Kontext des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) eine erhebliche Rolle. Wird zum Beispiel eine Kündigung ausgesprochen, gleichzeitig aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kündigung nicht gewollt ist, so wird der Tatbestand der Kündigung durch das tatsächliche Verhalten verwirklicht, unabhängig von der protestierenden Erklärung.


Anwendung und Rechtsprechung

Praktische Anwendungsfälle

Beispiel: Übergabe und Übereignung

Wenn jemand einem anderen eine bewegliche Sache übergibt und in der gleichzeitigen Erklärung äußert, dass keine Eigentumsübertragung stattfinden solle, so ist die Übergabe als Realakt maßgeblich für die Eigentumsübertragung (§ 929 BGB). Die gegenteilige Protestation bleibt wirkungslos, wenn sie nur einseitig erfolgt und keine Einigung (Einigung und Übergabe erforderlich für Eigentumsübertragung) vorliegt.

Beispiel: Gesellschaftsrecht und Handelsrecht

Auch im Gesellschaftsrecht kann die protestatio facto contraria auftreten, etwa wenn ein Gesellschafter an Gesellschaftsversammlungen nicht teilnehmen will, aber dennoch teilnimmt und seine Rechte ausübt. Sein Handeln als Teilnahme hat rechtliche Bindungswirkung, auch wenn er dies ausdrücklich bestreitet.

Beispiel: Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht kann die protestatio facto contraria Bedeutung gewinnen, wenn ein Arbeitnehmer eine neue Tätigkeit aufnimmt, jedoch schriftlich beteuert, dies nicht als Vertragsänderung gelten lassen zu wollen. Das tatsächliche Verhalten (die Arbeitsaufnahme) kann gleichwohl als konkludente Annahme der neuen Vertragsbedingungen gewertet werden.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH)

Mehrere Entscheidungen des Bundesgerichtshofes bestätigen, dass eine rechtserhebliche Handlung nicht durch die gleichzeitige Protestation ihrer Wirkung entkleidet werden kann (vgl. etwa BGH, Urt. v. 09. 01. 1992 – IX ZR 92/91).


Bedeutung in der Rechtswissenschaft

Systematische Einordnung

Die protestatio facto contraria ist ein tragendes Auslegungsinstrument in der Lehre von den Rechtsgeschäften. Sie dient der Rechtssicherheit, indem sie verhindert, dass Parteien durch widersprüchliches Verhalten die Folgen von Realakten beliebig abändern können.

Kritik und aktuelle Diskussion

Zeitweise wurde diskutiert, ob die protestatio facto contraria zu rigoros angewendet werde und dadurch berechtigte Schutzinteressen Einzelner beeinträchtigt werden. Insbesondere im Verbraucherrecht und bei Schutzvorschriften für schwächere Marktteilnehmer wird die klare Anwendbarkeit eingeschränkt diskutiert.


Zusammenfassende Bewertung

Die protestatio facto contraria ist ein zentrales Prinzip im Recht der Rechtsgeschäfte und insbesondere bei der Auslegung widersprüchlicher Handlungen etabliert. Sie gewährleistet, dass Tatsachenhandlungen nicht durch einseitige Protestation ihre objektive rechtliche Wirkung verlieren. Damit fördert sie Rechtssicherheit und Verlässlichkeit im Rechtsverkehr und schützt vor dem Missbrauch widersprüchlichen Verhaltens. Einschränkungen finden sich dort, wo zwingende Schutzvorschriften oder gesetzliche Wertungen dem entgegenstehen.


Literaturhinweise

  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, §§ 133, 157 BGB
  • Canaris, Die protestatio facto contraria im modernen Privatrecht, JZ 1989, 15ff.
  • Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, 13. Auflage, München 2014
  • BGH NJW 1992, 1085

Schlagwörter: protestatio facto contraria, widersprüchliches Verhalten, Realakt, Rechtsgeschäft, römisches Recht, Auslegung, Willenserklärung, Zivilrecht, Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht, Eigentumsübertragung

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Folgen kann eine protestatio facto contraria für die Wirksamkeit einer Willenserklärung haben?

Die protestatio facto contraria, also der erklärungswidrige Vorbehalt bei Vornahme eines Rechtsgeschäfts, hat im deutschen Zivilrecht spezifische Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Willenserklärungen. Gemäß § 116 Satz 1 BGB bleibt eine Willenserklärung wirksam, auch wenn der Erklärende insgeheim einen Vorbehalt hinsichtlich des von ihm Geäußerten hat. Äußert der Erklärende diesen Vorbehalt jedoch ausdrücklich – also legt er dar, dass die Erklärung nicht gelten soll, obwohl die Handlung eine Zustimmigkeit vermuten lässt – spricht man von einer protestatio facto contraria. Diese wird grundsätzlich als unbeachtlich angesehen, das heißt, dass der objektiv erklärte Wille maßgeblich ist und der geäußerte Vorbehalt unbeachtlich bleibt. Die rechtliche Folge ist, dass die Willenserklärung regelmäßig trotzdem wirksam ist, es sei denn, der Empfänger hat ausnahmsweise Kenntnis vom Vorbehalt und durfte nicht auf den Fortbestand der Erklärung vertrauen.

In welchen Fällen kann eine protestatio facto contraria vom Empfänger dennoch berücksichtigt werden?

Obwohl die protestatio facto contraria im Regelfall unbeachtlich bleibt, erkennt die Rechtsprechung und Literatur einige Ausnahmen an. Maßgeblich ist hierbei der Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB: Erkennt oder muss der Erklärungsempfänger aufgrund der Umstände annehmen, dass die vom Erklärenden mitgeteilte Einschränkung ernst gemeint ist, kann der Vorbehalt ausnahmsweise Bedeutung gewinnen. Beispielsweise kann dies im Fall langjähriger Sonderabsprachen, besonderer Branchenusancen oder bei ständigen Geschäftsbeziehungen relevant werden. Entscheidend ist, ob der Empfänger aufgrund der äußeren Umstände vernünftigerweise von einer Wirksamkeit der Erklärung ausgehen durfte.

Wie wird die protestatio facto contraria von der verdeckten und der offenen Dissens unterschieden?

Die protestatio facto contraria unterscheidet sich sowohl vom verdeckten als auch vom offenen Dissens. Beim offenen Dissens (§ 154 BGB) ist bei Vertragsschluss ein Punkt noch offen oder unklar, was beiden Parteien bewusst ist. Beim verdeckten Dissens hingegen liegt ein Einigungsmangel vor, der zumindest einer Partei nicht bewusst ist. Die protestatio facto contraria liegt hingegen dann vor, wenn der Erklärende eine Willenserklärung abgibt, aber ausdrücklich klarstellt, diese solle in Wahrheit keine oder eine andere rechtliche Wirkung entfalten. Im Gegensatz zu den Dissens-Fällen wird hier jedoch in aller Regel nach dem objektiven Empfängerhorizont entschieden. Ist der Erklärungsempfänger nicht über den Vorbehalt informiert oder kannte diesen nicht, bleibt die Erklärung wirksam.

Kann die protestatio facto contraria in Arbeits- oder Mietverträgen wirksam vereinbart werden?

In Dauerschuldverhältnissen wie Arbeits- oder Mietverträgen kann eine protestatio facto contraria theoretisch auftreten, etwa wenn eine Partei eine Handlung vornimmt, jedoch ausdrücklich einen rechtlichen Vorbehalt anzeigt. Auch hier gilt das Prinzip, dass der erklärte Wille nach außen und nicht das innerlich oder ausdrücklich Vorbehaltene zählt. Jedoch können kollektiv- oder individualrechtliche Sonderregelungen greifen, wenn der Empfänger mit dem Vorbehalt rechnen musste oder die Parteien besondere Abreden getroffen haben. Demnach können protestatio facto contraria in diesen Vertragsarten im Regelfall nicht zur Unwirksamkeit einer Erklärung führen, sofern keine besonderen Umstände vorliegen.

Unterliegt die protestatio facto contraria einer besonderen Anfechtbarkeit?

Die protestatio facto contraria selbst begründet prinzipiell keinen besonderen Anfechtungsgrund. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer kollidierenden Willensäußerung und Mentalreservation. Eingeschränkt kann jedoch unter den allgemeinen Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB eine Anfechtung möglich sein, etwa bei arglistiger Täuschung, Irrtum oder Drohung, sofern die formellen Voraussetzungen erfüllt sind. Die bloße Tatsache, dass ein Vorbehalt erklärt wurde, reicht jedoch regelmäßig nicht aus, um eine Anfechtung zu begründen. Nur wenn der Erklärungsempfänger den Vorbehalt kennt oder kennen musste, kommen Ausnahmen in Betracht.

Kann eine protestatio facto contraria zu Schadensersatzansprüchen führen?

Im Einzelfall kann die protestatio facto contraria Schadensersatzansprüche auslösen, insbesondere im Rahmen des § 122 BGB, wenn eine Willenserklärung wirksam ist, aber später angefochten wird. Der Erklärungsempfänger kann dann Ersatz für das negative Interesse verlangen. Kommt es im Zusammenhang mit einer protestatio facto contraria zur Täuschung oder einem anderen deliktischen Verhalten, können Schadensersatzansprüche auch nach den §§ 823 ff. BGB bestehen. Die Schwelle für ein deliktisches Verhalten ist jedoch hoch angesetzt; in der Regel bleibt die Rechtsfolge auf die Beachtlichkeit oder Unbeachtlichkeit des Vorbehalts beschränkt.

Welche Rolle spielt die protestatio facto contraria im internationalen Privatrecht?

Im internationalen Privatrecht kann der Umgang mit Vorbehalten und protestatio facto contraria abweichend geregelt sein. Bei grenzüberschreitenden Verträgen ist das anwendbare Recht nach den einschlägigen Kollisionsnormen (z. B. Rom I-VO) zu bestimmen, welches wiederum eigene Regeln zur Auslegung von Willenserklärungen und Vorbehalten enthalten kann. Die Prinzipien des deutschen Rechts – insbesondere die Beachtlichkeit der Erklärung nach außen – werden jedoch häufig international anerkannt. Dennoch ist im Einzelfall zu prüfen, welches nationale Recht Anwendung findet und ob dieses gegebenenfalls abweichende Lösungsansätze für ausdrücklich erklärte Vorbehalte vorsieht.