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Durchlieferung


Durchlieferung – Definition, rechtliche Grundlagen und Anwendungsbereiche

Die Durchlieferung ist ein vielschichtiger Rechtsbegriff, der vorzugsweise im Energierecht, insbesondere im Zusammenhang mit dem Gas- und Stromhandel sowie der Versorgungswirtschaft, eine wesentliche Rolle spielt. Der Begriff beschreibt die physische und rechtliche Weiterleitung von Energie (Strom oder Gas) durch das Netz eines Netzbetreibers oder Transportunternehmens, ohne dass der Weiterleitungsnetzbetreiber selbst Eigentum oder Verfügungsgewalt an der Energie erwirbt. Im engeren Sinn bezeichnet “Durchlieferung” häufig den Vorgang, in dem Energie über das Netz eines Dritten transportiert wird, um den eigentlichen Endabnehmer zu erreichen. Im Folgenden werden Struktur, Rechtsgrundlagen, Anwendungsfelder und Besonderheiten der Durchlieferung ausführlich dargestellt.


1. Begriff und Systematik der Durchlieferung

1.1. Grundlegende Definition

Die Durchlieferung beschreibt das rechtliche und tatsächliche Befördern von Energie (Strom, Gas, Wärme) durch ein Netz unter Beibehaltung der Lieferbeziehung zwischen dem ursprünglichen Lieferanten und dem Endkunden. Der Netzbetreiber agiert hierbei lediglich als technischer Dienstleister und wird selbst nicht Vertragspartner bezüglich der Energielieferung.

1.2. Abgrenzung zu verwandten Begriffen

Die Durchlieferung ist von der Einspeisung, dem Bilanzkreismanagement und dem Weiterverkauf abzugrenzen. Während beim Weiterverkauf der Netzbetreiber oder ein Zwischenhändler Eigentum an der Energie erwirbt und sie weiterveräußert, bleibt bei der Durchlieferung das ursprüngliche Vertragsverhältnis intakt: Eigentum und Besitz an der Energie verbleiben beim Lieferanten oder gehen direkt auf den Endkunden über.


2. Rechtliche Grundlagen der Durchlieferung

2.1. Durchlieferung im Energierecht

Das Konzept der Durchlieferung ist im deutschen und europäischen Energierecht kodifiziert. Zu den maßgeblichen Rechtsquellen zählen:

  • Energiewirtschaftsgesetz (EnWG): In § 20 EnWG wird die Durchleitungspflicht geregelt, die dem Netzbetreiber die Durchlieferung fremder Energie über sein Netz vorschreibt.
  • Gasnetzzugangsverordnung (GasNZV) und Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV): Diese Verordnungen konkretisieren die technischen und rechtlichen Bedingungen für den Netzzugang und damit auch für Durchlieferungen.
  • Europäische Richtlinien (z.B. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2019/944/EU): Harmonisieren den Netzzugang und die Durchleitungspflichten auf EU-Ebene.

2.2. Verträge und rechtliche Beziehungen

Im Rahmen der Durchlieferung bestehen üblicherweise folgende Vertragsverhältnisse:

  • Lieferanten-Endkunden-Vertrag: Der Lieferant vereinbart mit dem Endkunden die Lieferung der Energie.
  • Netznutzungsvertrag: Der Lieferant bzw. der Kunde schließt mit dem Netzbetreiber einen Vertrag zur Nutzung des Netzes (Netznutzungsvertrag). Der Netzbetreiber verpflichtet sich, die Energie durch sein Netz zu transportieren (physischer Transport).

Der Netzbetreiber wird nicht Partei des energiewirtschaftlichen Liefervertrages. Die rechtlichen Beziehungen werden meist durch sogenannte „Lieferantenrahmenverträge” geregelt.


3. Anwendungsbereiche der Durchlieferung

3.1. Strommarkt und Gashandel

Die Durchlieferung spielt insbesondere dort eine entscheidende Rolle, wo Lieferanten und Kunden nicht unmittelbar an ein und demselben Netz angeschlossen sind. Dies ist im liberalisierten Strom- und Gasmarkt die Regel. Die physische Lieferung wird von mehreren Netzbetreibern koordiniert, rechtlich bleibt der Lieferant der einzige Vertragspartner des Kunden.

3.2. Besonderheiten bei grenzüberschreitender Durchleitung

Bei internationalen Energielieferungen ist die Durchlieferung (Transit) durch das Hoheitsgebiet anderer Staaten von Bedeutung. Hier gelten zusätzliche völker- und europarechtliche Vorschriften zur Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Netzzugangs.


4. Rechtliche Besonderheiten und Fragestellungen

4.1. Haftung und Verantwortlichkeiten

Der Netzbetreiber haftet für die sichere und zuverlässige Durchleitung der Energie gemäß den gesetzlichen Vorgaben. Die Haftungsverteilung zwischen Lieferant, Netzbetreiber und Kunde ist in den Netznutzungsbedingungen und Lieferantenrahmenverträgen geregelt.

4.2. Entgeltregelung und Kosten

Für die Durchlieferung erhebt der Netzbetreiber Netzentgelte, die durch die Bundesnetzagentur oder entsprechende Landesregulierungsbehörden reguliert werden. Diese Entgelte sind Bestandteil der Gesamtkosten der Energielieferkette und unterliegen spezifischen Vorgaben betreffend Transparenz, Angemessenheit und Diskriminierungsfreiheit.

4.3. Drittzugang und Regulierungsfragen

Die Durchlieferung setzt einen diskriminierungsfreien Netzzugang (Third Party Access, TPA) voraus. Netzbetreiber müssen nach den gesetzlichen Vorgaben Energie fremder Lieferanten zu gleichen Bedingungen wie für eigene Zwecke durch ihr Netz befördern. Ein Verstoß gegen diese Vorgaben kann regulatorisch sanktioniert werden.


5. Abgrenzungen und verwandte Rechtsbegriffe

5.1. Durchleitung versus Durchlieferung

Obwohl die Begriffe oft synonym verwendet werden, bezeichnet die Durchleitung eher den physischen Vorgang des Transports von Energie durch das Netz, während die Durchlieferung zusätzlich die rechtlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten in den Fokus nimmt.

5.2. Bilanzkreismanagement

Im Kontext der Durchlieferung ist das Bilanzkreismanagement von Bedeutung. Der Lieferant muss sicherstellen, dass eingespeiste und entnommene Energiemengen ausgeglichen sind. Netzbetreiber kontrollieren die Einhaltung dieser Ausgleichsmechanismen.


6. Bedeutung in anderen Rechtsgebieten

6.1. Im Transport- und Logistikrecht

Auch außerhalb des Energierechts kann die Durchlieferung im Warenverkehr (insbesondere Transit von Gütern über fremdes Staatsgebiet) relevant sein. Hier gelten jedoch spezifische völkerrechtliche und handelsrechtliche Bestimmungen.


7. Zusammenfassung

Die Durchlieferung ist ein zentraler Begriff des Energierechts und bezeichnet die rechtlich und technisch organisierte Weiterleitung von Energie durch das Netz eines Dritten, wobei Eigentum und Vertragstreue zwischen Lieferant und Endabnehmer erhalten bleiben. Zahlreiche gesetzliche Bestimmungen, insbesondere EnWG und Netzzugangsverordnungen, regeln die rechtlichen Voraussetzungen und Verpflichtungen rund um die Durchlieferung. Sie ist für einen funktionsfähigen, wettbewerbsorientierten Energiemarkt ebenso unerlässlich wie für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit und eines diskriminierungsfreien Netzzugangs.

Weiterführende Themen: Netznutzung, Durchleitung, Bilanzkreis, Regulierung der Energiewirtschaft, Netzentgelt, Lieferantenrahmenvertrag.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Anforderungen müssen für eine Durchlieferung nach deutschem Energierecht erfüllt sein?

Im deutschen Energierecht unterliegt die Durchlieferung, also der Transport von Energie (meist Strom oder Gas) durch das Netz eines Dritten für einen Letztverbraucher, einer Vielzahl von gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben. Zentrale Grundlage ist das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), insbesondere die Vorschriften zur Netzdurchleitung (§§ 20 ff. EnWG), die die diskriminierungsfreie Nutzung der Netze durch Dritte garantieren (sog. Netzzugang). Für eine rechtmäßige Durchlieferung muss zunächst ein Netznutzungsvertrag zwischen dem Netznutzer (oft ein Lieferant) und dem Netzbetreiber abgeschlossen werden. Darüber hinaus müssen die technischen Anschlussbedingungen (TAB) und die im jeweiligen Netzgebiet geltenden Durchleitungsentgelte, welche durch die Bundesnetzagentur überwacht werden, eingehalten werden. Die Menge und Qualität der durchgeleiteten Energie müssen messtechnisch präzise festgestellt (Messstellenbetriebsgesetz – MsbG) und entsprechend abgerechnet werden. Zudem wird die Einhaltung der Vorschriften zum Datenschutz und zur Datensicherheit nach DSGVO und EnWG gefordert. Schließlich müssen bei grenzüberschreitender Durchlieferung ergänzend die Vorschriften der sog. REMIT-Verordnung (EU Nr. 1227/2011) berücksichtigt werden.

Welche vertraglichen Beziehungen bestehen bei einer Durchlieferung und wer sind die beteiligten Parteien?

Bei einer Durchlieferung bestehen grundsätzlich mindestens zwei relevante Vertragsverhältnisse: Zum einen der Energieversorgungsvertrag zwischen dem Lieferanten und dem Kunden (Letztverbraucher), zum anderen der Netznutzungsvertrag zwischen dem Lieferanten oder Kunde und dem Netzbetreiber. Hinzukommen kann ein Bilanzkreisvertrag zwischen dem Bilanzkreisverantwortlichen und dem Übertragungsnetzbetreiber zur Sicherung der Energiemengen-Bilanzierung und Ausgleichsenergie. In vielen Konstellationen nimmt ein Messstellenbetreiber zusätzlich eine eigenständige, durch gesetzliche Pflichten (MsbG) geregelte Rolle ein. Im Falle von Weiterleitungen über mehrere Netzebenen oder -betreiber (z. B. von Vor- zu Nachnetzbetreibern) können weitere Verträge wie sog. Lieferantenrahmenverträge oder Netzkopplungsverträge erforderlich sein. Rechtlich entscheidend ist, dass die jeweiligen Vertragspflichten und gegenseitigen Rechte klar abgegrenzt werden, insbesondere im Hinblick auf Netznutzungsentgelte, Störungsmanagement und Haftungsfragen.

Welche Haftungsregelungen gelten bei Störungen oder Unterbrechungen während der Durchlieferung?

Die Haftung bei Störungen oder Unterbrechungen im Rahmen einer Durchlieferung richtet sich zunächst nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln des Schuldrechts (insbesondere §§ 280 ff. BGB), unterliegt jedoch speziellen Vorschriften des Energiewirtschaftsrechts und der jeweiligen Netznutzungs- beziehungsweise Einspeisungsverträge. Der Netzbetreiber haftet grundsätzlich für Schäden, die aus einer Unterbrechung der Durchleitung resultieren, sofern diese nicht auf höherer Gewalt oder unvermeidbaren Umständen beruhen (§ 18 EnWG i.V.m. § 6 NAV/NDAV). Viele Netznutzungsverträge enthalten Haftungsbeschränkungen, die jedoch den Vorgaben des AGB-Rechts (§§ 305 ff. BGB) und den zwingenden Verbraucherschutzregeln nicht widersprechen dürfen. Bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten des Netzbetreibers sind Haftungsbeschränkungen in aller Regel unwirksam. Darüber hinaus differenziert das EnWG zur Höhe des Schadensersatzes zwischen typischen und atypischen Schäden sowie nach dem Grad des Verschuldens.

Wie wird der Netzzugang bei Durchlieferungen rechtlich gewährleistet?

Der Zugang zu den Energieversorgungsnetzen für Durchlieferungen ist gemäß § 20 EnWG ein sogenannter Kontrahierungszwang: Netzbetreiber sind verpflichtet, jedem Netznutzer zu diskriminierungsfreien Bedingungen Zugang zu gewähren, soweit die Durchleitung technisch und betrieblich möglich ist. Der Zugang muss zu angemessenen, transparenten und diskriminierungsfreien Bedingungen erfolgen, die von der Bundesnetzagentur im Rahmen der Anreizregulierung sowie durch Rahmenbedingungen wie die Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV) und Gasnetzzugangsverordnung (GasNZV) überprüft und vorgegeben werden. Ablehnungen eines Netzzugangs müssen vom Netzbetreiber ausdrücklich und schriftlich mit Angabe der Gründe erfolgen. Liegt ein Missbrauch aufgrund ungerechtfertigter Zugangsverweigerung vor, stehen den Betroffenen Rechtsbehelfsmöglichkeiten (z.B. Kartellbeschwerde nach § 31 EnWG) offen.

Welche Rolle spielt die Bundesnetzagentur bei Durchlieferungen?

Die Bundesnetzagentur (BNetzA) nimmt eine zentrale Regulierungs- und Überwachungsfunktion im Bereich der Durchlieferung wahr. Sie genehmigt die Netzentgelte, kontrolliert deren Einhaltung und reguliert damit die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Netzzugangs. Zudem ist sie Schieds- und Beschwerdeinstanz bei Streitigkeiten über den Zugang zu den Netzen oder bei Meinungsverschiedenheiten über die Ausgestaltung von Netznutzungsverträgen (§ 65 EnWG). Die Bundesnetzagentur ist ferner zuständig für die Überwachung der Entflechtungsvorschriften (§§ 6 ff. EnWG), der energiewirtschaftlichen Transparenzanforderungen sowie der Einhaltung des Diskriminierungsverbots gegenüber verschiedenen Marktteilnehmern. In ihrer Rolle kann die Agentur verbindliche Entscheidungen treffen und bei Gesetzesverstößen Bußgelder verhängen.

Welche datenschutzrechtlichen Vorgaben gelten im Rahmen der Durchlieferung?

Im Rahmen der Durchlieferung unterliegen alle beteiligten Parteien den datenschutzrechtlichen Bestimmungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie den spezialgesetzlichen Regelungen des EnWG (§§ 21b, 21c, 21d EnWG). Besonders schützenswert sind die im Rahmen des Messstellenbetriebs erhobenen persönlichen Verbrauchsdaten sowie andere kundenbezogene Informationen. Die Verarbeitung, Speicherung und Weitergabe dieser Daten muss den Prinzipien der Datenminimierung, Zweckbindung und Integrität sowie Vertraulichkeit genügen. Technische und organisatorische Maßnahmen zur Datensicherheit sind verpflichtend. Verstöße gegen die datenschutzrechtlichen Vorgaben können sowohl zivil- als auch bußgeldrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, sodass besondere Sorgfalt in der Vertragsgestaltung und dem praktischen Datenumgang geboten ist.

Welche rechtlichen Besonderheiten bestehen bei grenzüberschreitenden Durchlieferungen von Energie?

Bei grenzüberschreitenden Durchlieferungen greifen neben nationalen Vorschriften zahlreiche europäische Regelungen, insbesondere Verordnung (EG) Nr. 714/2009 und Nr. 715/2009, sowie die REMIT-Verordnung (EU Nr. 1227/2011), die insbesondere Transparenz- und Meldepflichten sowie Regelungen zum Handelsverhalten auf Interkonnektoren enthält. Technische Standards, Strom- oder Gasflusskapazitäten, Engpassmanagement und die Koordinierung zwischen nationalen Übertragungsnetzbetreibern werden ebenfalls unionsrechtlich geregelt. Die Marktteilnehmer sind verpflichtet, sämtliche grenzüberschreitenden Transaktionen der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) zu melden. Grenzüberschreitende Streitigkeiten werden auf Basis bilateraler Verträge und gegebenenfalls durch die EU-Kommission oder den EuGH beurteilt. Besondere Beachtung ist zudem etwaigen Zoll- oder steuerrechtlichen Vorschriften zu schenken, die beim Transithandeln eine Rolle spielen können.