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Benutzer, informierter

Benutzer, informierter – Begriff und rechtliche Einordnung

Der „informierte Benutzer“ ist eine rechtliche Bezugsfigur im Designschutz. Er dient dazu, die Gestaltung eines Produkts aus einer bestimmten, normierten Perspektive zu bewerten. Dieser Maßstab kommt vor allem im europäischen Designschutz zum Einsatz, sowohl auf nationaler Ebene als auch im unionsweiten Designsystem. Der informierte Benutzer befindet sich zwischen zwei anderen Maßstäben: Er ist aufmerksamer und kenntnisreicher als ein durchschnittlicher Verbraucher, jedoch weniger technisch versiert als eine fachkundige Entwicklungs- oder Gestaltungs­person. Er verfügt über praktische Erfahrung mit dem betreffenden Produkttyp und ein Grundwissen über gängige Formen- und Gestaltungsmerkmale in diesem Bereich.

Abgrenzung zu anderen Maßstäben

Unterschied zum durchschnittlichen Verbraucher

Der durchschnittliche Verbraucher steht im Mittelpunkt vieler Fragen der Kennzeichen- und Werbewahrnehmung. Er nimmt Produkte in erster Linie aus Konsumentensicht wahr. Demgegenüber richtet der informierte Benutzer stärkere Aufmerksamkeit auf die Gestaltung, kennt typische Formensprache und ist mit dem einschlägigen Gestaltungsumfeld vertraut.

Unterschied zur fachkundigen Entwicklungs- oder Gestaltungs­person

Die fachkundige Person dient als Maßstab in technisch geprägten Schutzrechten. Sie verfügt über vertiefte Fachkenntnisse und analysiert Lösungen mit technischem Fokus. Der informierte Benutzer besitzt dieses vertiefte technische Wissen nicht. Seine Betrachtung ist ästhetisch und nutzungsbezogen: Er erkennt Gestaltungsmerkmale, ohne sie technisch zu zerlegen oder zu konstruieren.

Wahrnehmung und Kenntnisse des informierten Benutzers

Kenntnisstand

Der informierte Benutzer kennt das einschlägige Produktangebot, typische Gestaltungsvarianten und die Gestaltungsfreiheit im betreffenden Sektor. Er weiß, welche Merkmale Gestaltungsfreiheit prägen und welche durch technische Funktion, Normen oder Nutzungsanforderungen vorgegeben sind.

Aufmerksamkeitsgrad

Seine Aufmerksamkeit ist erhöht: Er achtet auf das Zusammenspiel von Linienführung, Proportionen, Konturen, Oberflächen, Farben und Ornamentik. Einzelheiten werden nicht isoliert, sondern im Gesamteindruck wahrgenommen.

Situationen der Wahrnehmung

Maßgeblich ist die Wahrnehmung in üblichen Nutzungssituationen, also unter den Umständen, in denen ein Nutzer dem Produkt typischerweise begegnet. Bei komplexen Erzeugnissen spielt die Sichtbarkeit der Merkmale während des normalen Gebrauchs eine Rolle.

Einsatzbereiche im Designschutz

Eigenart (individueller Charakter)

Ob ein Design schutzfähig ist, hängt unter anderem davon ab, ob es beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck hervorruft als frühere Gestaltungen. Je enger die Gestaltungsfreiheit, desto geringere Unterschiede können ausreichen, um einen anderen Gesamteindruck zu bewirken.

Schutzumfang und Verletzungsprüfung

Bei der Frage, ob ein anderes Erscheinungsbild den Schutzbereich eines Designs verletzt, wird geprüft, ob beide Gestaltungen auf den informierten Benutzer denselben Gesamteindruck machen. Dabei werden übereinstimmende und abweichende Merkmale gegeneinander abgewogen.

Neuheit

Die Neuheit eines Designs ist eine eigenständige Voraussetzung. Der Maßstab des informierten Benutzers bezieht sich primär auf den Gesamteindruck und die Eigenart, nicht auf die bloße zeitliche Vorwegnahme.

Beurteilungskriterien im Einzelnen

Gesamteindruck

Entscheidend ist der Gesamteindruck des Designs, nicht die addierte Summe einzelner Details. Prägende Merkmale haben besonderes Gewicht, während nebensächliche Details weniger ins Gewicht fallen.

Gestaltungsfreiheit

Der Gestaltungsspielraum wird durch funktionale Erfordernisse, Branchengepflogenheiten und Nutzererwartungen beeinflusst. Ist der Spielraum groß, müssen stärkere Abweichungen vorliegen, um einen anderen Gesamteindruck zu erzeugen. Ist er klein, genügen mitunter geringere Unterschiede.

Sichtbarkeit der Merkmale

Berücksichtigt werden diejenigen Merkmale, die im normalen Gebrauch sichtbar sind. Verdeckt liegende oder nur bei Montage und Wartung wahrnehmbare Details sind regelmäßig weniger relevant.

Vergleichsmaßstab

Die Designs werden aus der Erinnerung und nicht zwingend im direkten Nebeneinander betrachtet. Der informierte Benutzer erinnert sich an prägende Gestaltungszüge und vergleicht sie als Gesamtheit.

Produktbereiche und Anwendungsfeld

Physische Erzeugnisse

Der Maßstab gilt für eine breite Palette von Produkten, etwa Möbel, Haushaltsgeräte, Fahrzeuge, Verpackungen oder Beleuchtungskörper.

Digitale Erscheinungsbilder

Auch grafische Benutzeroberflächen, Symbole und Bildschirmelemente können unter den Maßstab fallen, sofern sie als Erscheinungsbilder eines Erzeugnisses erfasst sind.

Beweis und Darlegung in Verfahren

Rolle von Unterlagen und Anschauungsmitteln

In Verfahren werden häufig Abbildungen, Zeichnungen, Muster und Produktbelege herangezogen, um die Sicht des informierten Benutzers anschaulich zu machen. Die Darstellung muss die prägenden Merkmale und den Gesamteindruck erkennen lassen.

Hilfsmittel zur Wahrnehmungsdarstellung

Zur Verdeutlichung werden mitunter Befragungen, Marktübersichten oder Branchenübersichten verwendet. Sie dienen dazu, das Gestaltungsumfeld und die Wahrnehmungssituation des informierten Benutzers zu veranschaulichen.

Bedeutung in der Praxis

Abwägung zwischen Freiheit und Nähe

Die Beurteilung bewegt sich regelmäßig im Spannungsfeld zwischen vorhandener Gestaltungsfreiheit und Nähe der Gestaltungen. Eine systematische Betrachtung des Erscheinungsbildes und seines prägenden Kerns ist dabei zentral.

Symmetrie von Schutz und Grenzen

Der Maßstab wirkt spiegelbildlich: Was die Eigenart begründet, bestimmt häufig auch die Reichweite des Schutzes. Umgekehrt begrenzen vorbekannte Gestaltungen den Schutzumfang in Bereichen, in denen sie den Gesamteindruck bereits prägen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet „informierter Benutzer“ im Designschutz?

Es handelt sich um eine normierte Vergleichsperson, die Produkte eines bestimmten Sektors kennt, deren Gestaltungsmerkmale einordnen kann und mit erhöhter Aufmerksamkeit den Gesamteindruck einer Gestaltung wahrnimmt. Dieser Maßstab dient dazu, Eigenart und Schutzumfang zu beurteilen.

Wodurch unterscheidet sich der informierte Benutzer vom durchschnittlichen Verbraucher?

Der durchschnittliche Verbraucher betrachtet Produkte in erster Linie aus Konsumentensicht. Der informierte Benutzer ist mit der Formensprache und dem Gestaltungsumfeld vertraut und achtet stärker auf prägende Designelemente.

Welche Rolle spielt der informierte Benutzer bei der Prüfung einer Designverletzung?

Bei der Verletzungsprüfung wird gefragt, ob das angegriffene Produkt auf den informierten Benutzer denselben Gesamteindruck macht wie das geschützte Design. Maßgeblich ist die Wirkung der prägenden Merkmale im Vergleich.

Hat der Gestaltungsspielraum Einfluss auf die Beurteilung?

Ja. Ist der Spielraum weit, sind größere Abweichungen nötig, um einen anderen Gesamteindruck zu vermitteln. Ist der Spielraum eng, können bereits kleinere Unterschiede den Gesamteindruck verändern.

Gilt der Maßstab auch für digitale Benutzeroberflächen und Symbole?

Der Maßstab kann auch auf digitale Erscheinungsbilder angewendet werden, soweit diese als schutzfähige Erscheinungen eines Erzeugnisses erfasst sind. Der informierte Benutzer nimmt dabei typische Gestaltungsmerkmale digitaler Oberflächen wahr.

Spielt die tatsächliche Benutzung oder Kaufentscheidung eine Rolle?

Maßgeblich ist die Wahrnehmungssituation eines Nutzers im normalen Gebrauch oder bei der Begegnung mit dem Produkt. Die Beurteilung orientiert sich am visuellen Gesamteindruck und nicht an individuellen Kaufmotiven.

Ist der informierte Benutzer eine reale Person?

Nein. Es handelt sich um eine rechtliche Fiktion. Sie dient als einheitlicher Maßstab, um Gestaltungen verlässlich vergleichen zu können.