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Wirtschaftsgenossenschaften


Begriff und Rechtliche Grundlagen der Wirtschaftsgenossenschaften

Eine Wirtschaftsgenossenschaft ist eine rechtsfähige Gesellschaft mit nicht geschlossener Mitgliederzahl, die den Zweck verfolgt, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs zu fördern (§ 1 Genossenschaftsgesetz, GenG). Sie gehört zu den Körperschaften des Privatrechts und nimmt eine Zwischenstellung zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften ein. Zentraler Aspekt der Wirtschaftsgenossenschaft ist das Prinzip der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung ihrer Mitglieder.

Historische Entwicklung

Wirtschaftsgenossenschaften entwickelten sich im 19. Jahrhundert als Antwort auf wirtschaftliche Benachteiligungen, insbesondere im handwerklichen, landwirtschaftlichen und kleinindustriellen Bereich. Sie sind eng mit der Idee der Solidarität, Eigenverantwortung und gegenseitigen Unterstützung verbunden und haben bis heute ihre Bedeutung als stabile Unternehmensform in vielen Wirtschaftssektoren beibehalten.


Gründung und Erwerb der Rechtsfähigkeit

Gründungsvoraussetzungen und Satzung

Für die Gründung einer Wirtschaftsgenossenschaft sind mindestens drei Gründungsmitglieder erforderlich (§ 4 GenG). Die Gründung erfolgt durch den Abschluss einer Satzung, die klare Angaben zu Firma, Sitz, Zweck, Regelungen zur Kapitalbeteiligung, Eintritt und Austritt der Mitglieder, Organe und deren Zuständigkeiten sowie das Geschäftsjahr enthalten muss (§ 6 GenG). Die Satzung bildet das Fundament der Organisation und internen ordnungsgemäßen Verwaltung.

Genossenschaftsregister und Eintragung

Die Eintragung der Wirtschaftsgenossenschaft in das Genossenschaftsregister ist konstitutiv für deren Rechtsfähigkeit (§ 11 GenG). Bis zur Eintragung handelt es sich lediglich um eine Vorgründungsgesellschaft. Das Registergericht prüft gesetzliche und satzungsmäßige Voraussetzungen.


Mitglieder und Mitgliedschaftsverhältnisse

Rechte und Pflichten der Mitglieder

Das Mitgliedschaftsverhältnis ist durch die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft der Mitglieder geprägt. Mitglieder haben das Recht auf Teilnahme an der Generalversammlung, auf Auskunft und Einsicht in wesentliche Angelegenheiten und auf Beteiligung am Überschuss. Pflichten bestehen u. a. in der Zahlung der Geschäftsanteile und der Bindung an die satzungsmäßigen Bestimmungen.

Eintritt, Austritt und Ausschluss von Mitgliedern

Die Mitgliedschaft kann durch Beitritt erworben werden, wobei die Voraussetzungen und das Verfahren in der Satzung geregelt sind. Das Austrittsrecht ist im GenG besonders geschützt (§ 65 GenG), der Austritt kann grundsätzlich mit einer Frist von zwei Jahren zum Schluss eines Geschäftsjahres erklärt werden, sofern die Satzung keine kürzeren Fristen vorsieht. Der Ausschluss eines Mitglieds ist nur aus wichtigem Grund möglich und bedarf eines förmlichen Verfahrens.


Organe der Wirtschaftsgenossenschaft

Generalversammlung

Die Generalversammlung ist das höchste Organ und trifft grundlegende Entscheidungen (z. B. Satzungsänderung, Wahl der Mitglieder anderer Organe, Feststellung des Jahresabschlusses). Die Stimmrechte sind in der Regel nach dem Prinzip „ein Mitglied – eine Stimme“ ausgestaltet, unabhängig von der Höhe der Kapitalbeteiligung (§ 43 Abs. 3 GenG).

Vorstand

Der Vorstand führt die Geschäfte der Genossenschaft eigenverantwortlich und tritt im Außenverhältnis als gesetzlicher Vertreter auf (§ 24 GenG). Die Vertretungsbefugnisse und Verantwortlichkeiten des Vorstands werden durch Gesetz und Satzung bestimmt.

Aufsichtsrat

Genossenschaften mit in der Regel mehr als zwanzig Mitgliedern müssen einen Aufsichtsrat bilden, der die Geschäftsführung des Vorstands überwacht (§ 9 GenG). Er unterstützt die Kontrolle und Transparenz der Unternehmensführung.


Kapital, Finanzierung und Haftung

Geschäftsanteile und Rücklagenbildung

Die Finanzierung der Wirtschaftsgenossenschaft erfolgt durch die Einlagen der Mitglieder in Form von Geschäftsanteilen. Darüber hinaus können Genossenschaften Rücklagen bilden, um die Haftung der Mitglieder zu begrenzen und die Liquidität zu sichern (§ 39 GenG).

Haftung

Für Verbindlichkeiten der Genossenschaft haftet in erster Linie das Gesellschaftsvermögen. Eine Nachschusspflicht der Mitglieder kann die Satzung vorsehen, ist jedoch auf eine bestimmte Höhe begrenzt (§ 105 GenG). Persönliche Haftung der Mitglieder tritt grundsätzlich nicht ein.


Rechnungslegung, Prüfungspflicht und Transparenz

Wirtschaftsgenossenschaften sind zur Erstellung eines Jahresabschlusses verpflichtet (§ 33 GenG). Zusätzlich unterliegen sie einer besonderen Pflicht zur regelmäßigen Prüfung durch genossenschaftliche Prüfungsverbände (§ 53 GenG). Die Prüfungsberichte sind von essentieller Bedeutung für die Sicherstellung von Transparenz und Nachhaltigkeit.


Steuerliche Behandlung

Wirtschaftsgenossenschaften sind als eigenständige Körperschaften einkommensteuerpflichtig (Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer), wobei bestimmte Förderleistungen an Mitglieder unter bestimmten Bedingungen steuerlich begünstigt sein können. Genossenschaften können zudem Vorsteuerabzug und Umsatzsteuerpflicht unterliegen.


Auflösung und Liquidation

Die Auflösung einer Wirtschaftsgenossenschaft kann durch Beschluss der Generalversammlung, durch Zeitablauf, durch den Eintritt eines satzungsgemäßen Auflösungsgrundes oder durch gerichtliche Entscheidung erfolgen (§§ 77 ff. GenG). Nach Auflösung erfolgt die Liquidation, bei der das verbleibende Vermögen nach Ausgleich aller Verbindlichkeiten an die Mitglieder verteilt wird, sofern die Satzung keine abweichende Regelung trifft.


Arten und Bedeutung von Wirtschaftsgenossenschaften

Zu den bekanntesten Formen zählen landwirtschaftliche Genossenschaften, Konsumgenossenschaften, Wohnungsgenossenschaften sowie Genossenschaftsbanken und Kreditgenossenschaften. Wirtschaftsgenossenschaften fördern insbesondere regionale Wirtschaftskreise und stärken die wirtschaftliche Unabhängigkeit ihrer Mitglieder.


Fazit

Die Wirtschaftsgenossenschaft stellt eine flexible und solidarische Rechtsform dar, die insbesondere dem Schutz und der Förderung der Mitgliederinteressen dient. Ihre spezifischen rechtlichen Rahmenbedingungen nach dem Genossenschaftsgesetz, die eigenverantwortliche Selbstverwaltung und die besondere Prüfungspflicht sichern nachhaltiges Wirtschaften und Transparenz.


Quellenhinweis: Dieser Artikel orientiert sich an den gesetzlichen Vorgaben des deutschen Genossenschaftsgesetzes (GenG) sowie weiterführenden wirtschaftsrechtlichen Kommentierungen.

Häufig gestellte Fragen

Wer haftet bei einer Wirtschaftsgenossenschaft für Verbindlichkeiten der Genossenschaft?

Die Haftung in einer Wirtschaftsgenossenschaft ist grundsätzlich auf das Vermögen der Genossenschaft beschränkt. Das bedeutet, dass die Genossenschaft als juristische Person selbst für ihre Verbindlichkeiten einsteht. Die Mitglieder haften in der Regel nicht persönlich mit ihrem Privatvermögen, sondern allenfalls mit ihren Geschäftsanteilen oder Nachschusspflichten, sofern dies in der Satzung ausdrücklich geregelt ist (§ 17 GenG). Fehlt eine solche Regelung, ist die Nachschusspflicht grundsätzlich ausgeschlossen. Im Insolvenzfall wird das Genossenschaftsvermögen verwertet und Gläubiger können nur darauf zugreifen. Eine persönliche Haftung der Mitglieder tritt nur ausnahmsweise ein, etwa bei Missbrauch der Rechtsform oder grober Pflichtverletzung von Organmitgliedern.

Wie erfolgt die Gründung einer Wirtschaftsgenossenschaft rechtlich?

Die Gründung einer Wirtschaftsgenossenschaft unterliegt den strengen Voraussetzungen des Genossenschaftsgesetzes (GenG). Es sind mindestens drei Gründungsmitglieder notwendig (§ 4 GenG). Die Satzung muss schriftlich erstellt werden und bestimmte Pflichtangaben enthalten (§ 6 GenG), unter anderem Name und Sitz der Genossenschaft, den Gegenstand des Unternehmens, Regelungen zu den Geschäftsanteilen und zur Generalversammlung. Nach der Gründung muss die Genossenschaft in das Genossenschaftsregister beim zuständigen Amtsgericht eingetragen werden (§ 11 GenG), wobei sämtliche Gründungsunterlagen sowie Nachweise über die Bestellung der Organe einzureichen sind. Zudem ist der Prüfungsverband vor der Eintragung mit einer Gründungsprüfung zu beteiligen (§ 11 Abs. 2 GenG), um Mängel bei der Gründung frühzeitig zu erkennen.

Welche Organe sind für die Leitung und Kontrolle einer Genossenschaft gesetzlich vorgeschrieben?

Wirtschaftsgenossenschaften verfügen in der Regel über drei gesetzlich vorgeschriebene Organe: den Vorstand, den Aufsichtsrat und die Generalversammlung. Der Vorstand ist für die Geschäftsführung und Vertretung der Genossenschaft nach außen zuständig (§ 24 GenG). Er besteht aus mindestens zwei Personen, sofern in der Satzung nichts anderes bestimmt ist. Der Aufsichtsrat überwacht die Geschäftsführung des Vorstands (§ 9 und § 29 GenG) und wird von der Generalversammlung gewählt. Auch hier kann in kleinen Genossenschaften unter 20 Mitgliedern auf den Aufsichtsrat verzichtet werden, dann übernimmt die Generalversammlung Kontrollfunktionen (§ 9 Abs. 2 GenG). Die Generalversammlung ist das oberste Organ der Genossenschaft und trifft grundlegende Entscheidungen, zum Beispiel über Satzungsänderungen, Ausschüttungen oder die Entlastung des Vorstands (§ 43 GenG).

Unterliegen Wirtschaftsgenossenschaften der Pflicht zur Mitgliedschaft in einem Prüfungsverband?

Ja, nach § 63a GenG besteht für jede Genossenschaft die Pflicht, einem Prüfungsverband anzugehören. Der Prüfungsverband übernimmt regelmäßige Prüfungen der wirtschaftlichen Verhältnisse und Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung der Genossenschaft (§ 53 GenG). Dies dient dem Schutz der Mitglieder und Gläubiger und stellt sicher, dass die Genossenschaft verantwortungsvoll und gesetzeskonform geführt wird. Die Prüfungen sind insbesondere hinsichtlich der Kreditfähigkeit, Liquidität und der ordnungsgemäßen Mittelverwendung von zentraler Bedeutung. Eine Genossenschaft, die keinem anerkannten Prüfungsverband angehört, kann nicht in das Genossenschaftsregister eingetragen werden oder es droht ggf. die Löschung (§ 80 Abs. 2 GenG).

Wie kann ein Mitglied aus einer Genossenschaft rechtlich wirksam austreten?

Der Austritt eines Mitglieds aus einer Wirtschaftsgenossenschaft ist im Genossenschaftsgesetz geregelt (§ 65 GenG). Er erfolgt in der Regel durch eine schriftliche Austrittserklärung gegenüber dem Vorstand. Die Satzung kann Fristen und Termine für den Austritt regeln, wobei die Kündigungsfrist mindestens zwei Jahre und höchstens fünf Jahre betragen darf. Der Ausgeschiedene hat einen Anspruch auf Auszahlung seines Auseinandersetzungsguthabens, das gemäß der letzten festgestellten Bilanz ermittelt wird (§ 73 GenG). Ansprüche aufgrund von Geschäftsanteilen werden von der Genossenschaft in der Regel innerhalb von sechs Monaten nach Feststellung der Bilanz erfüllt, sofern die Satzung nichts anderes vorsieht.

Welche Rechte und Pflichten haben Mitglieder einer Wirtschaftsgenossenschaft aus rechtlicher Sicht?

Mitglieder einer Wirtschaftsgenossenschaft haben nach dem Genossenschaftsgesetz vielfältige Rechte: Dazu zählen u.a. das Stimmrecht in der Generalversammlung (§ 43 GenG, grundsätzlich besteht das Prinzip „ein Mitglied – eine Stimme“), das Recht auf Auskunft und Einsichtnahme, Teilnahmerechte an den von der Genossenschaft angebotenen wirtschaftlichen Leistungen sowie Vermögensrechte, insbesondere auf Auszahlung von Überschüssen gemäß Satzung. Zu den Pflichten zählen die Leistung der übernommenen Geschäftsanteile, die Treuepflicht gegenüber der Genossenschaft sowie ggf. Nachschusspflichten, sofern diese in der Satzung vereinbart wurden. Darüber hinaus sind Mitglieder verpflichtet, die Satzung und Beschlüsse der Organe zu beachten (§ 16 GenG).

Welche Voraussetzungen müssen für die Aufnahme neuer Mitglieder rechtlich erfüllt sein?

Die Aufnahme neuer Mitglieder in eine Wirtschaftsgenossenschaft ist im Genossenschaftsgesetz geregelt (§ 15 und 16 GenG). Die Mitgliedschaft wird durch eine schriftliche Beitrittserklärung und deren Annahme durch die Genossenschaft begründet. Über die Aufnahme entscheidet der Vorstand, sofern die Satzung keine andere Regelung trifft. Die Satzung kann bestimmte Aufnahmevoraussetzungen, zum Beispiel die Leistung eines Geschäftsanteils oder die Erfüllung fachlicher oder wirtschaftlicher Kriterien, vorschreiben. Wird eine Aufnahme abgelehnt, hat der Bewerber in der Regel keinen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Mitgliedschaft, es sei denn, die Ablehnung verstößt gegen gesetzliche oder satzungsmäßige Diskriminierungsverbote.