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Warenkaufrichtlinie


Begriff und Bedeutung der Warenkaufrichtlinie

Die Warenkaufrichtlinie (offiziell „Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs“) stellt einen zentralen Rechtsakt im europäischen Kaufrecht dar. Ihr Ziel ist es, einheitliche Mindestanforderungen für den Erwerb von Waren durch Verbraucher innerhalb der Europäischen Union zu gewährleisten und so den digitalen Binnenmarkt sowie den Verbraucherschutz zu stärken. Die Warenkaufrichtlinie löst die Richtlinie 1999/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf und Garantien ab und modernisiert das europäische Kaufrecht, insbesondere mit Blick auf den Onlinehandel und digitale Elemente von Waren.

Anwendungsbereich der Warenkaufrichtlinie

Sachlicher Anwendungsbereich

Die Richtlinie ist auf Verträge über den Kauf von Waren zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher anwendbar. Sie betrifft sowohl klassische körperliche Waren als auch solche mit digitalen Elementen, etwa „smarte“ Produkte wie vernetzte Haushaltsgeräte, wenn deren Funktionsfähigkeit ohne digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen nicht möglich ist.

Ausnahmen vom Anwendungsbereich

Ausgenommen sind unter anderem:

  • Verkäufe von Waren durch Privatpersonen (Nicht-Unternehmer)
  • Erwerb gebrauchter oder versteigerter Ware im Rahmen staatlicher Zwangsvollstreckung
  • Verträge über die Lieferung von Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme in nicht festgelegtem Volumen oder Menge
  • Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen ohne Bezug zu einer Ware

Persönlicher Anwendungsbereich

Adressaten der Warenkaufrichtlinie sind auf der einen Seite Verbraucher (natürliche Personen, die zu Zwecken handeln, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch selbständigen beruflichen Tätigkeit zuzurechnen sind) und auf der anderen Seite Unternehmer (natürliche oder juristische Personen, die im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit handeln).

Wesentliche Rechtsinhalte der Warenkaufrichtlinie

Sachmängelhaftung und Mängelbegriff

Die Warenkaufrichtlinie führt ein europäisches, einheitliches Mängelrecht ein. Eine Ware entspricht dem Vertrag, wenn sie den subjektiven Anforderungen (vertragsgemäße Beschaffenheit), den objektiven Anforderungen (übliche Beschaffenheit und Eignung), den Montageanforderungen sowie den Anforderungen an die Lieferung mit digitalen Elementen genügt.

Subjektive Anforderungen

Hierzu zählen etwa die vereinbarte Qualität, die Menge, die Verpackung sowie etwaige besonders zugesicherte Eigenschaften. Die Erwartungen des Verbrauchers gemäß Vertragstext oder Produktinformationen sind maßgeblich.

Objektive Anforderungen

Die Ware muss sich für die gewöhnlichen Zwecke eignen, eine übliche Beschaffenheit aufweisen und der Beschreibung, dem Muster oder dem Modell entsprechen.

Anforderungen an digitale Elemente

Bei Waren mit digitalen Elementen (z. B. Software in einem Smart-TV) müssen auch Updates und Sicherheitsfunktionen für eine bestimmte Zeit zur Verfügung gestellt werden.

Rechte des Käufers bei Mängeln

Bei Vorliegen eines Sachmangels innerhalb der Gewährleistungsfrist stehen dem Verbraucher insbesondere folgende Rechte zu:

  • Nacherfüllung (Nachbesserung oder Ersatzlieferung)
  • Preisminderung
  • Rücktritt vom Vertrag

Die Rangfolge sieht zunächst die Nacherfüllung vor, bevor Preisminderung oder Rücktritt verlangt werden kann. Daneben kann unter Umständen auch Schadenersatz gefordert werden.

Beweislastumkehr

Die Warenkaufrichtlinie legt europaweit fest: Tritt der Mangel innerhalb eines Jahres nach Gefahrübergang auf, so wird vermutet, dass der Mangel zum Zeitpunkt der Lieferung bereits bestand. In mehreren Mitgliedsstaaten (so auch nach Umsetzung ins deutsche Recht) wurde diese Frist auf zwei Jahre verlängert.

Fristen und Verjährung

Die Mindestgewährleistungsfrist beträgt zwei Jahre ab Übergabe der Ware. Nationale Regelungen können längere Fristen vorsehen. Bei gebrauchten Waren kann die Frist auf ein Jahr verkürzt werden, allerdings erstreckt sich diese Verkürzung nicht auf digitale Elemente, wenn deren dauerhafte Funktionsfähigkeit vereinbart wurde.

Umsetzung in nationales Recht

Umsetzung in Deutschland

In Deutschland erfolgte die Umsetzung der Warenkaufrichtlinie vor allem durch Anpassungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), insbesondere in §§ 434 ff. BGB. Die erheblichen Änderungen traten zum 1. Januar 2022 in Kraft. Zentrale Neuerungen sind der erweiterte Mängelbegriff, Regelungen zu Waren mit digitalen Elementen und die Verlängerung der Beweislastumkehr.

Umsetzung in anderen EU-Mitgliedstaaten

Auch andere Mitgliedstaaten passten ihr nationales Recht entsprechend an, wobei sie in bestimmten Punkten über die Richtlinie hinausgehen können („Goldplating“), jedoch nicht hinter deren Schutzniveau zurückbleiben dürfen.

Bedeutung und Auswirkungen der Warenkaufrichtlinie

Die Warenkaufrichtlinie fördert die Harmonisierung des EU-Kaufrechts und verbessert den Schutz des Verbrauchers im Binnenmarkt. Sie erleichtert den innereuropäischen Handel und stärkt das Vertrauen in den grenzüberschreitenden Onlinehandel. Hersteller und Händler sind verpflichtet, sich frühzeitig mit den erhöhten Anforderungen an Produktinformationen, Mängelbehebung und insbesondere an die digitale Infrastruktur auseinandersetzen.

Verhältnis zu anderen Rechtsakten

Verhältnis zur Digitale-Inhalte-Richtlinie

Neben der Warenkaufrichtlinie existiert die Digitale-Inhalte-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/770), die ausschließlich Verträge über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen ohne Zusammenhang mit einer Ware regelt. Bei gemischten Verträgen (Waren mit digitalen Elementen) hat die Warenkaufrichtlinie grundsätzlich Vorrang.

Verhältnis zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG

Die frühere Verbrauchsgüterkaufrichtlinie wurde durch die Warenkaufrichtlinie abgelöst und inhaltlich wesentlich modernisiert und erweitert.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Richtlinie (EU) 2019/771, Amtsblatt der Europäischen Union L 136, 22.5.2019, S. 28-50
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), §§ 434 ff.
  • Digitale-Inhalte-Richtlinie (EU) 2019/770

Weblinks


Hinweis: Dieser Artikel bietet eine umfassende rechtliche Beschreibung der Warenkaufrichtlinie und erläutert sämtliche praxisrelevanten Aspekte für Rechtsanwendende, Verbraucher sowie Unternehmen im europäischen und deutschen Rechtsraum.

Häufig gestellte Fragen

Wie wirkt sich die Warenkaufrichtlinie auf die Gewährleistungsfristen beim Kaufvertrag aus?

Die Warenkaufrichtlinie (EU-Richtlinie 2019/771) verpflichtet die Mitgliedstaaten der EU, bestimmte Mindeststandards hinsichtlich der Gewährleistung bei Warenkäufen einzuhalten. Konkret sieht die Richtlinie vor, dass die gesetzliche Mängelhaftung für Verbraucher mindestens zwei Jahre ab Ablieferung der Ware zu gelten hat. Innerhalb dieser Frist haftet der Verkäufer für sogenannte Sachmängel, also Abweichungen der Ware von der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit. Die Mitgliedstaaten dürfen zwar eine längere Frist vorsehen, jedoch keinesfalls eine kürzere. In Deutschland wurde dies durch eine Anpassung der Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 434 ff. BGB) umgesetzt. Die Frist gilt unabhängig davon, ob der Mangel bereits bei Gefahrübergang vorlag, wobei innerhalb der ersten zwölf Monate die sogenannte Beweislastumkehr greift – in diesem Zeitraum wird vermutet, dass ein Mangel, der sich zeigt, bereits bei Übergabe vorhanden war, es sei denn, dies ist mit der Art der Ware oder des Mangels unvereinbar. Die Richtlinie regelt abschließend, dass abweichende Vereinbarungen zu Lasten des Verbrauchers unwirksam sind.

Welche Rechte haben Verbraucher bei einem Mangel nach der Warenkaufrichtlinie?

Im Falle eines Mangels stehen Verbrauchern aufgrund der Warenkaufrichtlinie verschiedene Rechte zu: Zunächst hat der Verbraucher das Recht auf Nacherfüllung, die entweder durch Nachbesserung (Reparatur) oder Ersatzlieferung (Austausch der mangelhaften Ware gegen eine neue) erfolgen kann. Der Verkäufer kann eine der beiden Optionen verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Scheitert die Nacherfüllung oder erfolgt sie nicht in angemessener Zeit, kann der Verbraucher den Kaufpreis mindern oder vom Vertrag zurücktreten. Zusätzlich kann unter bestimmten Umständen Schadensersatz verlangt werden. Die Richtlinie legt explizit fest, dass die Ausübung dieser Rechte keine Kosten für den Verbraucher verursachen darf. Darüber hinaus regelt die Richtlinie die sogenannten „unmittelbaren Rechtsbehelfe“, die es Verbrauchern erlauben, sich direkt an den Verkäufer zu wenden, ohne zunächst den Hersteller in Anspruch nehmen zu müssen.

Welche Voraussetzungen müssen für ein Handeln nach der Warenkaufrichtlinie erfüllt sein?

Die Warenkaufrichtlinie findet Anwendung, wenn ein entgeltlicher Kaufvertrag über bewegliche Sachen zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer geschlossen wird (B2C-Verhältnis). Ausgenommen sind unter anderem digitale Inhalte und Dienstleistungen, Tiere, Wasser, Gas und Strom im nicht abgepackten Zustand und gebrauchte Sachen, sofern individuell abweichende Vereinbarungen getroffen werden, wobei hierbei bestimmte Mindestschutzvorgaben nicht unterschritten werden dürfen. Wesentlich ist, dass die Richtlinie dem Schutz des Verbrauchers dient und daher auf Verträge zwischen Privatpersonen sowie auf rein gewerbliche Transaktionen (B2B) nicht anwendbar ist. Der Erwerb muss nach dem 1. Januar 2022 erfolgt sein, damit die zugrundeliegenden Regelungen greifen.

Wie beeinflusst die Warenkaufrichtlinie die Rückgriffsmöglichkeiten innerhalb der Lieferkette (Regress)?

Ein zentrales Anliegen der Warenkaufrichtlinie ist die Stärkung der sogenannten Lieferantenregressrechte. Wird ein Verbraucher von einem Händler nach Maßgabe der Richtlinie erfolgreich in Anspruch genommen, kann dieser Händler seinerseits innerhalb der Lieferkette (etwa gegenüber dem Großhändler oder Hersteller) Rückgriff nehmen. Diese Rückgriffsrechte sind zwingend zu gewährleisten, und zwar für den Zeitraum, der dem Zeitraum des Verbraucherschutzes entspricht, mindestens also zwei Jahre. Damit soll sichergestellt werden, dass Händler nicht auf etwaigen Schäden sitzen bleiben, wenn der Mangel bereits auf einer vorgelagerten Ebene verursacht wurde. Die Details zum Umfang und zur Ausgestaltung der Rückgriffsmöglichkeiten können national unterschiedlich sein, müssen jedoch mindestens das von der Richtlinie geforderte Schutzniveau erfüllen.

Welche Änderungen hinsichtlich der Beweislastverteilung wurden durch die Warenkaufrichtlinie eingeführt?

Mit Umsetzung der Warenkaufrichtlinie wurde die bisherige Beweislastregelung zugunsten der Verbraucher weiter verbessert: Während zuvor ein Sechs-Monats-Zeitraum galt, in dem der Verkäufer beweisen musste, dass ein etwaiger Mangel bei Gefahrübergang nicht vorlag, wurde dieser Zeitraum auf zwölf Monate verlängert. Konkret bedeutet dies, dass innerhalb des ersten Jahres nach Übergabe der Ware vermutet wird, dass ein auftretender Mangel bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestand. Erst nach Ablauf dieses Zeitraums kehrt sich die Beweislast um, sodass der Verbraucher nachweisen muss, dass der Mangel nicht durch unsachgemäße Behandlung, sondern bereits ursprünglich bestand. Diese Regelung gilt für neue Waren; bei gebrauchten Waren kann die Frist durch individuelle Vereinbarung auf ein Jahr begrenzt werden, sofern der Vertragszweck dies rechtfertigt.

Gibt es Ausnahmen von der Anwendung der Warenkaufrichtlinie im nationalen Recht?

Die Richtlinie sieht einige Ausnahmen von ihrem Anwendungsbereich vor, beispielsweise für lebende Tiere, Wasser, Gas oder Strom, sofern sie nicht in einem abgepackten Volumen oder einer bestimmten Menge angeboten werden. Ebenso ausgenommen sind Verträge über die Lieferung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen, sofern sie nicht in Verbindung mit einer Ware stehen, die solche digitalen Elemente umfasst. Außerdem steht es den Mitgliedstaaten frei, bestimmte spezifische Verbraucherschutzregelungen insbesondere für gebrauchte Waren weiter zu präzisieren, allerdings dürfen dadurch die Mindeststandards der Richtlinie nicht unterschritten werden. Schließlich sind individuelle Vertragsanpassungen im Rahmen gebrauchter Sachen möglich, sofern dies in angemessener Weise bei Vertragsschluss ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.