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Voraus

Begriff und rechtliche Einordnung des Voraus

Der Begriff Voraus bezeichnet im deutschsprachigen Rechtsgebrauch vor allem den gesetzlichen Anspruch des überlebenden Ehegatten (und entsprechend des eingetragenen Lebenspartners) auf bestimmte Gegenstände zusätzlich zu seiner Erbquote. Gemeint sind in erster Linie die zum gemeinsamen Haushalt gehörenden Sachen sowie die anlässlich der Eheschließung zugewandten Geschenke. Dieser Anspruch entsteht kraft Gesetzes mit dem Erbfall und wirkt gegenüber Miterben vorrangig. In anderen Rechtsgebieten taucht „Voraus“ als Vorsilbe in andersartigen Begriffen auf (etwa Vorausvermächtnis, Vorauszahlung), die jeweils eigenständige Institute darstellen.

Anwendungsbereich im Erbrecht

Wesenskern: Der Voraus des überlebenden Ehegatten

Der Voraus ist ein gesetzlich angeordneter Vorab-Erwerb bestimmter Nachlassgegenstände durch den überlebenden Ehegatten. Er dient der Sicherung des bisherigen Lebenszuschnitts und des Haushalts. Der Anspruch wirkt neben der Erbquote und ist nicht Teil der Erbquote selbst. Er richtet sich grundsätzlich gegen die Erbengemeinschaft und wird vor der Teilung des Nachlasses erfüllt.

Voraussetzungen

  • Es bestand zum Zeitpunkt des Erbfalls eine wirksame Ehe (bzw. eine wirksame eingetragene Lebenspartnerschaft). Eine Trennung ändert daran nichts; eine rechtskräftige Aufhebung oder Scheidung vor dem Erbfall schließt den Voraus aus.
  • Der überlebende Ehegatte ist Erbe. Wird die Erbschaft ausgeschlagen oder ist der Ehegatte wirksam enterbt, entsteht kein gesetzlicher Voraus.
  • Der Voraus wirkt vorrangig gegenüber Miterben. Gegenüber Nachlassgläubigern entfaltet er keine Vorrangstellung.
  • Bei gewillkürter Erbfolge (Testament oder Erbvertrag) gilt der Voraus, soweit die letztwilligen Anordnungen ihm nicht entgegenstehen oder ihn ausdrücklich abbedingen bzw. abändern.

Umfang der Gegenstände

Zum Voraus gehören typischerweise:

  • Haushaltsgegenstände des gemeinsamen Haushalts (z. B. Möbel, Haushaltsgeräte, Geschirr, Wäsche, übliche Dekorations- und Haushaltsausstattung).
  • Hochzeits- und Ausstattungs­geschenke, die anlässlich der Eheschließung zugewandt wurden.

Abgrenzungen:

  • Nicht erfasst sind regelmäßig Gegenstände, die überwiegend beruflichen oder gewerblichen Zwecken dienten.
  • Wertvolle Luxusgüter, Sammlungen oder Anlageobjekte sind nur umfasst, wenn sie ihrem Charakter nach Haushaltsgegenstände sind.
  • Fahrzeuge können je nach Nutzung Haushaltsgegenstand sein (z. B. typischer Familienwagen); reine Hobby- oder Sammlerfahrzeuge in der Regel nicht.
  • Gegenstände, die dem überlebenden Ehegatten bereits vor dem Erbfall gehörten, fallen nicht in den Nachlass und werden nicht über den Voraus erworben.

Rechtsnatur und Wirkung

  • Der Voraus ist ein gesetzlich angeordneter Vorab-Erwerb mit ähnlicher Wirkung wie ein Vermächtnis zugunsten des Miterben. Er wird vor der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft erfüllt.
  • Er wirkt vorrangig gegenüber Miterben, jedoch nicht vorrangig gegenüber Nachlassgläubigern. Bestehende Nachlassverbindlichkeiten können die Erfüllung faktisch begrenzen.
  • Der Voraus erhöht nicht die Erbquote; er tritt zusätzlich hinzu.

Verhältnis zu Erbquote und Pflichtteil

  • Der Voraus kommt nur dem erbenden Ehegatten zugute. Bezieht der Ehegatte ausschließlich den Pflichtteil, besteht kein gesetzlicher Voraus.
  • Der Wert der Vorausgegenstände wird bei der Erbquote grundsätzlich nicht gegengerechnet. Bei Pflichtteilsberechnungen des Ehegatten selbst spielt der Voraus keine Rolle, da er dann nicht entsteht.
  • Pflichtteilsberechtigte Dritte können durch den Voraus mittelbar betroffen sein, weil sich die verteilbare Masse unter Miterben verringert.

Verhältnis zu ehelichem Güterstand

Der Voraus ist vom Güterstand unabhängig. Er tritt neben güterrechtliche Ausgleichsmechanismen (z. B. Ausgleich des während der Ehe erzielten Zugewinns). Güterrechtliche Ansprüche verändern ihren Bestand oder Umfang nicht durch den Voraus.

Verhältnis zu letztwilligen Verfügungen

  • Der Erblasser kann den gesetzlichen Voraus ausschließen, einschränken oder erweitern.
  • Er kann anordnen, dass bestimmte Gegenstände trotz Haushaltsbezugs nicht in den Voraus fallen oder zusätzliche Gegenstände in gleicher Weise zugewendet werden.
  • Statt oder neben dem gesetzlichen Voraus kann eine gleichgerichtete Zuwendung als Vorausvermächtnis angeordnet werden.

Durchsetzung und Abwicklung

  • Der Anspruch richtet sich auf Übereignung und Herausgabe der erfassten Gegenstände vor der Teilung des Nachlasses.
  • Werden Gegenstände vor Erfüllung des Voraus veräußert, kommen Ersatz- oder Ausgleichsansprüche in Betracht; ein pauschaler Geldersatz tritt ohne besondere Grundlage nicht an die Stelle des Gegenstands.
  • Die Zuordnung einzelner Gegenstände erfolgt nach ihrer tatsächlichen Zweckbestimmung im Haushalt.

Steuerliche Einordnung

Der Erwerb von Gegenständen im Rahmen des Voraus gilt als Erwerb von Todes wegen. Freibeträge und besondere Begünstigungen für Hausrat und bestimmte bewegliche Gegenstände können die steuerliche Belastung mindern; maßgeblich sind die allgemeinen Regeln des Erbschaftsteuerrechts.

Besonderheiten bei eingetragenen Lebenspartnerschaften

Für eingetragene Lebenspartner gelten die dargelegten Grundsätze entsprechend. Der Zweck, den bisherigen Haushalt zu sichern, und die Einordnung als Vorab-Erwerb sind inhaltlich gleich gelagert.

Grenzen und Kollisionsfälle

  • Bei Auslandssachverhalten hängt die Anwendung des Voraus von den Regeln des internationalen Privatrechts und dem anwendbaren Erbstatut ab.
  • Ist der Nachlass überschuldet, kann der Voraus faktisch leer laufen, da Ansprüche von Nachlassgläubigern vorrangig zu bedienen sind.

Abgrenzungen und weitere Verwendungen des Begriffs „Voraus“

Vorausvermächtnis

Ein Vorausvermächtnis ist eine vom Erblasser angeordnete Zuwendung an einen (Mit-)Erben, die dieser vorab und zusätzlich zu seiner Erbquote erhält. Es ist nicht an die Stellung als Ehegatte gebunden und kann alle Arten von Vermögensgegenständen betreffen. Es ähnelt dem gesetzlichen Voraus in seiner Vorzugswirkung gegenüber Miterben, beruht aber auf ausdrücklicher Anordnung des Erblassers.

Vorauszahlung und Vorausleistung

In Schuldverhältnissen bezeichnet Vorauszahlung oder Vorausleistung die Erbringung der geschuldeten Leistung vor Fälligkeit der Gegenleistung. Rechtsfolgen betreffen insbesondere Gefahrtragung, Rückabwicklung bei Störungen und Sicherungsbedürfnisse.

Vorausabtretung

Unter Vorausabtretung versteht man die Abtretung künftiger Forderungen im Voraus. Sie dient regelmäßig der Sicherung und wird mit Entstehen der Forderungen wirksam, sofern die Bestimmbarkeit gewahrt ist.

Einrede der Vorausklage

Bei bestimmten Formen der Bürgschaft kann der Bürge verlangen, dass der Gläubiger zuerst gegen den Hauptschuldner vorgeht (Einrede der Vorausklage). Diese Einrede verschafft keinen dauerhaften Ausschluss der Haftung, sondern ordnet die Reihenfolge der Inanspruchnahme.

Vorausbescheid

Im Verwaltungsrecht ist der Vorausbescheid eine vorweggenommene behördliche Entscheidung über einzelne Voraussetzungen einer späteren Hauptentscheidung. Er entfaltet Bindungswirkung für das spätere Verfahren in dem entschiedenen Umfang.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Voraus

Was bedeutet „Voraus“ im Erbrecht konkret?

Der Voraus ist der gesetzliche Anspruch des überlebenden Ehegatten auf die Gegenstände des ehelichen Haushalts sowie auf Hochzeitsgeschenke, und zwar zusätzlich zu seiner Erbquote. Er wird vor der Auseinandersetzung des Nachlasses erfüllt und verschafft eine Vorzugsstellung gegenüber Miterben.

Wer hat Anspruch auf den Voraus?

Anspruchsberechtigt ist der überlebende Ehegatte, sofern er Erbe ist. Bei Ausschlagung der Erbschaft oder wirksamer Enterbung entsteht kein gesetzlicher Voraus. Für eingetragene Lebenspartner gelten die Grundsätze entsprechend.

Welche Gegenstände umfasst der Voraus typischerweise?

Er erfasst die üblichen Haushaltsgegenstände des gemeinsamen Haushalts (z. B. Möbel, Geräte, Hausrat) und Hochzeitsgeschenke. Nicht umfasst sind in der Regel Gegenstände mit überwiegend beruflicher oder gewerblicher Zweckbestimmung sowie reine Luxus- und Sammlerobjekte ohne Haushaltsbezug.

Gilt der Voraus auch, wenn ein Testament vorhanden ist?

Er gilt, soweit das Testament ihn nicht ausschließt oder abändert. Der Erblasser kann den Voraus begrenzen, ausschließen oder durch ein (weitergehendes) Vorausvermächtnis ersetzen.

Wie verhält sich der Voraus zu Nachlassschulden?

Der Voraus wirkt nur gegenüber Miterben vorrangig. Gegenüber Nachlassgläubigern besteht keine Vorrangstellung. Bei knapper oder überschuldeter Erbmasse kann die Durchsetzung des Voraus eingeschränkt sein.

Besteht ein Voraus bei reiner Pflichtteilsberechtigung?

Nein. Der gesetzliche Voraus setzt die Stellung als Erbe voraus. Bezieht der Ehegatte lediglich den Pflichtteil, entsteht kein gesetzlicher Voraus.

Was ist der Unterschied zwischen Voraus und Vorausvermächtnis?

Der gesetzliche Voraus entsteht kraft Gesetzes zugunsten des überlebenden Ehegatten und betrifft Haushaltsgegenstände und Hochzeitsgeschenke. Das Vorausvermächtnis beruht auf einer Anordnung des Erblassers, kann jedem Begünstigten zugutekommen und jede Art von Vermögensgegenständen erfassen.