Definition und Begriff des völkerrechtlichen Vertrags
Ein völkerrechtlicher Vertrag ist eine völkerrechtliche Vereinbarung zwischen zwei oder mehreren Völkerrechtssubjekten, in der sie rechtsverbindliche Rechte und Pflichten regeln. Dabei handelt es sich um einen der wichtigsten Rechtsquellen des modernen Völkerrechts. Im internationalen Recht wird ein solcher Vertrag häufig auch als „Übereinkommen“, „Abkommen“, „Pakt“, „Konvention“, „Satzung“, „Protokoll“ oder „Charta“ bezeichnet. Der Begriff basiert insbesondere auf Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 (WVK), welche eine allgemein anerkannte Grundlagenregelung für völkerrechtliche Verträge darstellt.
Merkmale eines völkerrechtlichen Vertrags
Beteiligte Völkerrechtssubjekte
Völkerrechtliche Verträge können zwischen Staaten, zwischen Staaten und internationalen Organisationen sowie zwischen internationalen Organisationen abgeschlossen werden. Einzelpersonen oder Unternehmen gelten grundsätzlich nicht als Vertragspartner im Völkerrecht.
Schriftform und Formalitäten
Gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a WVK liegt ein völkerrechtlicher Vertrag grundsätzlich schriftlich vor. Mündliche Absprachen sind nach wie vor möglich, werden aber aus Gründen der Beweisbarkeit und Anerkennung in der Praxis selten verwendet. Die Form des Dokuments (Notenaustausch, Übereinkommen etc.) spielt für die Rechtsverbindlichkeit keine Rolle.
Rechtsbindungswille
Die Parteien müssen mit einem Rechtsbindungswillen handeln, das heißt, sie wollen eine rechtliche Verpflichtung eingehen. Politische Absichtserklärungen (sog. „Gentlemen’s Agreements“) sind keine völkerrechtlichen Verträge, da ihnen dieser Wille fehlt.
Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags
Verhandlungsphase
Der Abschlussprozess beginnt mit bilateralen oder multilateralen Verhandlungen, in denen die Vertragsparteien die zu regelnden Sachverhalte und deren Gestaltung diskutieren.
Paraphierung und Unterzeichnung
Nach Einigung über den Vertragstext folgt die Paraphierung (gegenseitige Bestätigung des Textes durch die Bevollmächtigten), anschließend erfolgt die Unterzeichnung, die jedoch in vielen Fällen nur eine Erklärung der Absicht zur Bindung darstellt.
Ratifikation und Inkrafttreten
Bei vielen völkerrechtlichen Verträgen ist die Unterzeichnung nicht bereits die verbindliche Annahme. Erst durch ein weiteres innerstaatliches Verfahren, meist die Ratifikation, wird ein Staat völkerrechtlich gebunden. Das Inkrafttreten des Vertrags wird entweder im Vertragstext geregelt oder hängt von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen ab (z.B. Mindestanzahl an Ratifikationen).
Gültigkeit und Anwendbarkeit
Voraussetzungen und Wirksamkeit
Ein völkerrechtlicher Vertrag ist nur dann gültig, wenn er von den dazu berechtigten Vertretern abgeschlossen wurde und keine Mängel wie Zwang, Betrug oder Irrtum vorliegen. Die Bestimmungen des Vertrages müssen außerdem mit zwingenden Normen des Völkerrechts (ius cogens) vereinbar sein.
Innerstaatliche Umsetzung
Nach dem Abschluss entfaltet ein völkerrechtlicher Vertrag seine Wirkung grundsätzlich primär auf der Ebene des Völkerrechts. Ob und wie ein Vertrag im nationalen Recht Wirkung zeigt, hängt vom jeweiligen Staat und dessen Verfassung ab (Dualismus/Monismus).
Einteilung völkerrechtlicher Verträge
Nach Anzahl der Parteien
- Bilaterale Verträge: Zwischen zwei Völkerrechtssubjekten geschlossen.
- Multilaterale Verträge: Abkommen zwischen mehreren Parteien.
Nach Reichweite und Inhalt
- Gesetzesverträge: Enthalten allgemeingültige Regelungen (z.B. Menschenrechtskonventionen).
- Vertragsverträge: Betreffen eine konkrete Rechtsbeziehung (z.B. Grenzregelung).
Nach Geltungsbereich
- Offene Verträge: Für andere Staaten später offen zum Beitritt.
- Geschlossene Verträge: Einschränkung auf die ursprünglich beteiligten Parteien.
Auslegung und Anwendung völkerrechtlicher Verträge
Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge folgt den Grundsätzen der Wiener Vertragsrechtskonvention (Art. 31 ff. WVK). Hauptkriterium ist die „gute Treue“ (bona fide) und der übliche Sinn der verwendeten Begriffe im Vertragstext. Entstehen Unklarheiten, werden ergänzende Auslegungselemente wie die Vertragsumstände und späteres Verhalten der Parteien herangezogen.
Änderung, Anpassung und Beendigung
Änderung und Anpassung
Verträge können durch einvernehmliche Änderung (Amendment/Protokoll) modifiziert werden. Bei multilateralen Verträgen sind dafür oft qualifizierte Mehrheiten erforderlich.
Suspension und Beendigung
Das Ruhen oder die Beendigung eines Vertrags kann durch:
- Einigung der Vertragsparteien
- Ablauf der Vertragszeit
- Erfüllung oder Wegfall des Vertragszwecks
- Kündigung nach den Vertragsbedingungen
- Grundlegende Vertragsverletzung
erfolgen. Ein Sonderfall ist zudem die Beendigung infolge des Entstehens zwingenden Völkerrechts.
Rechtsfolgen bei Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrags
Ein Bruch eines völkerrechtlichen Vertrags zieht völkerrechtliche Verantwortung nach sich. Die betroffenen Parteien sind berechtigt, völkerrechtliche Gegenmaßnahmen zu ergreifen oder internationale Schiedsgerichte bzw. den Internationalen Gerichtshof anzurufen. Daneben bestehen regelmäßig Pflichten zur Wiedergutmachung oder Rücknahme der beanstandeten Maßnahmen.
Quellen und Codifikation
Das moderne Vertragsrecht stützt sich maßgeblich auf die Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 und, für Verträge mit internationalen Organisationen, auf die Wiener Konvention von 1986. Die Rechtsprechung internationaler Gerichte sowie Lehre und Praxis der Staaten ergänzen die Kodifikationen.
Bedeutung des völkerrechtlichen Vertrags
Völkerrechtliche Verträge bilden das Rückgrat des internationalen Systems. Sie dienen der Regelung von Beziehungen zwischen Staaten in Bereichen wie Abrüstung, Menschenrechte, Handel, Umweltschutz oder grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Die Stabilität und Verlässlichkeit der internationalen Gemeinschaft hängen maßgeblich von der Einhaltung und Weiterentwicklung völkerrechtlicher Verträge ab.
Häufig gestellte Fragen
Welche Formerfordernisse müssen völkerrechtliche Verträge erfüllen?
Die Formerfordernisse für völkerrechtliche Verträge sind im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WÜRV) von 1969 festgelegt. Grundsätzlich besteht im Völkerrecht Formfreiheit, das heißt, völkerrechtliche Verträge können sowohl schriftlich als auch mündlich abgeschlossen werden, wobei der Regelfall der schriftliche Vertrag ist. Schriftliche Verträge werden häufig als Abkommen, Konvention, Protokoll, Charta, Übereinkommen oder Vertrag bezeichnet. Inhaltlich muss ein Vertrag den Konsens der beteiligten Staaten oder Völkerrechtssubjekte widerspiegeln, einen verbindlichen Charakter aufweisen und darf nicht gegen ius cogens, also zwingendes Völkerrecht, verstoßen. Des Weiteren ist die ordnungsgemäße Vertretungsmacht der Unterzeichner erforderlich; hierzu benötigen Staaten oftmals interne Ermächtigungen, etwa eine Vollmacht nach innerstaatlichem Recht. Nach Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags folgt im Regelfall die Ratifizierung, das heißt die verbindliche Zustimmung nach Abschluss der Verhandlungen. Erst mit der Ratifikationsurkunde wird der Vertrag für den jeweiligen Staat rechtsverbindlich, sofern der Vertrag keine anderslautenden Regelungen zur vorläufigen Anwendung enthält. Abschließend erfolgt die Registrierung des Vertrags gemäß Artikel 102 der UN-Charta durch die Vereinten Nationen.
In welchem Verhältnis stehen völkerrechtliche Verträge zu innerstaatlichem Recht?
Das Verhältnis von Völkerrecht und nationalem Recht wird durch die jeweilige nationale Verfassungsordnung geregelt. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen monistischen und dualistischen Systemen. Im monistischen System – beispielsweise in den Niederlanden – wird der völkerrechtliche Vertrag mit seiner Ratifikation unmittelbar Teil des innerstaatlichen Rechts und kann direkt von Gerichten angewendet werden. Im dualistischen System hingegen – exemplarisch vertreten durch das Vereinigte Königreich – bedarf es eines Transformationsaktes, typischerweise in Form eines Gesetzes, das dem völkerrechtlichen Vertrag innerstaatliche Wirkung verleiht. In Deutschland gilt ein modifiziert monistischer Ansatz, bei dem völkerrechtliche Verträge durch ein zustimmendes Gesetz in nationales Recht überführt werden. Dabei ist zu beachten, dass das Grundgesetz (Art. 25 und Art. 59 GG) dem Völkerrecht im Rang Vorrang vor einfachen Bundesgesetzen, aber Nachrang vor dem Grundgesetz selbst einräumt. Problematisch wird dies, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen und innerstaatliches Recht kollidieren; hier ist in der Regel auf Auslegung und Vermittlungslösungen zu achten.
Welche Arten von Vorbehalten können bei völkerrechtlichen Verträgen erklärt werden und wie wirken diese?
Vorbehalte sind einseitige Erklärungen eines Vertragsstaates bei Abschluss, Unterzeichnung oder Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrages, mit denen der Staat bestimmte Bestimmungen des Vertrages für sich ganz oder teilweise ausschließt oder modifiziert. Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (Art. 19-23 WÜRV) regelt die Zulässigkeit und Wirkung von Vorbehalten. Grundsätzlich sind Vorbehalte erlaubt, sofern der Vertrag sie nicht ausdrücklich untersagt, nur bestimmte Vorbehalte zulässt oder sie mit Ziel und Zweck des Vertrages vereinbar sind. Andere Vertragsparteien können Vorbehalte ablehnen, akzeptieren oder denen widersprechen, wobei die Rechtswirkungen unterschiedlich sind: Bei Akzeptanz gilt der Vertrag mit dem vorbehaltenen Inhalt zwischen beiden Staaten, im Fall des Widerspruchs kann dies zur Folge haben, dass zwischen den betroffenen Staaten bestimmte Vertragsteile nicht gelten oder im Extremfall kein Vertragsverhältnis zustande kommt. Speziell bei multilateralen Verträgen ist die Handhabung von Vorbehalten komplex und stellt regelmäßig hohe Anforderungen an die Vertragsauslegung und -anwendung.
Welche Organe sind typischerweise für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge zuständig?
Die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge liegt grundsätzlich bei den Regierungen der jeweiligen Staaten, das heißt regelmäßig beim Staatsoberhaupt oder der Regierung beziehungsweise deren bevollmächtigten Vertretern (z. B. Außenminister). Im Regelfall bestimmt das jeweilige nationale Verfassungsrecht, wer für die Aushandlung, die Unterzeichnung und die Ratifikation eines Vertrags zuständig ist. In Deutschland sieht das Grundgesetz vor, dass der Bundespräsident völkerrechtliche Verträge unterzeichnet, deren Abschluss jedoch der Zustimmung durch den Bundestag und, falls es Bundesländer betrifft, auch des Bundesrates bedarf. Nach außen hin wird ein Staat dabei von bevollmächtigten Unterzeichnern vertreten. In internationalen Organisationen – etwa der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen – sind auch eigene Organe berechtigt, Verträge im Namen der Organisation abzuschließen, soweit die Satzung oder das Gründungsdokument dies vorsieht.
Welche Wirkungen entfalten völkerrechtliche Verträge gegenüber Drittstaaten?
Grundsätzlich gilt im Völkerrecht das Prinzip „pacta tertiis nec nocent nec prosunt“, also dass Verträge weder Rechte noch Pflichten für Drittstaaten begründen, es sei denn, diese stimmen dem ausdrücklich zu. Dieses Prinzip ist in Artikel 34 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge festgelegt. Ausnahmen können sich ergeben, wenn der Vertrag selbst Rechte oder Verpflichtungen für Drittstaaten vorsieht und diese ausdrücklich durch Zustimmung der Drittstaaten anerkannt werden (Artikel 35 und 36 WÜRV). Ohne eine solche explizite Zustimmung bleibt der Vertrag für Drittstaaten wirkungslos. In bestimmten Fällen, etwa wenn der Vertrag Normen des ius cogens kodifiziert oder allgemeine Rechtsgrundsätze festlegt, kann jedoch eine indirekte Bindungswirkung gegenüber Drittstaaten entstehen.
Unter welchen Umständen kann ein völkerrechtlicher Vertrag gekündigt oder aufgelöst werden?
Die Beendigung, Kündigung oder Suspension völkerrechtlicher Verträge richtet sich nach den in dem jeweiligen Vertrag vereinbarten Klauseln sowie subsidiär nach den Regeln des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (Art. 54-64 WÜRV). Ein Vertrag kann beispielsweise durch explizite Kündigungsklauseln, Zeitablauf, vollständige Erfüllung oder aufgrund gegenseitiger Einigung der Vertragsparteien enden. Daneben können schwerwiegende Vertragsverletzungen („material breach“), das Eintreten einer „fundamentalen Änderung der Umstände“ (clausula rebus sic stantibus, Art. 62 WÜRV) oder die Entstehung von ius cogens-Normen zu einer Beendigung oder Aussetzung führen. In solchen Fällen obliegt die Feststellung der Berechtigung zur Beendigung oder Suspension allerdings oft einem Schiedsgericht oder dem Internationalen Gerichtshof, um Missbrauch zu verhindern. Das Recht zur Kündigung steht nicht einseitig, sondern nur nach Maßgabe und im Rahmen des Vertrages sowie des Völkervertragsrechts zu.
Wie wird die Auslegung völkerrechtlicher Verträge vorgenommen?
Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge richtet sich nach den Maßgaben der Artikel 31-33 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge. Zentrale Grundregel ist dabei die Auslegung „nach Treu und Glauben“ im Lichte des Wortlauts, des Kontextes sowie unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Vertrages. Es ist der gewöhnliche Wortsinn der Begriffe zu ermitteln, wobei auch der Zusammenhang mit anderen Vertragsbestimmungen, den Präambeln und Anhängen einzubeziehen ist. Hilfsmittel der Auslegung sind die Entstehungsgeschichte (travaux préparatoires) und die Umstände bei Vertragsabschluss, welche dann heranzuziehen sind, wenn der Wortlaut zu Mehrdeutigkeiten oder Unklarheiten führt. Ergebnisoffene Lücken werden nach den Grundsätzen der Vertragstreue und im Sinne eines funktionalen Ausgleichs geschlossen, wobei auch spätere Praxis der Vertragsparteien und international anerkannte Rechtsgrundsätze eine Rolle spielen können.