Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Zivilrecht»Vertretung ohne Vertretungsmacht

Vertretung ohne Vertretungsmacht


Begriff und Grundlagen der Vertretung ohne Vertretungsmacht

Die Vertretung ohne Vertretungsmacht ist ein zentrales Institut des deutschen Zivilrechts und beschreibt die Konstellation, in der eine Person (Vertreter) im Namen einer anderen (Vertretener oder Vertretene*r) ohne eine entsprechende Vertretungsmacht eine Willenserklärung abgibt oder ein Rechtsgeschäft vornimmt. Dieses Konzept ist insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt und findet besondere Bedeutung bei Stellvertretungsverhältnissen im Privatrecht. Ziel dieser Regelungen ist es, den Schutz des Rechtsverkehrs und der beteiligten Parteien sicherzustellen.

Rechtliche Voraussetzungen der Vertretung

Voraussetzungen der Vertretung allgemein

Vertretung bedeutet, dass eine Person (der Vertreter) im Namen eines anderen (des Vertretenen) eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgibt. Damit eine Vertretung wirksam ist, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Abgabe einer eigenen Willenserklärung des Vertreters
  • Handeln im Namen des Vertretenen (Offenkundigkeit)
  • Vertretungsmacht des Vertreters

Fehlt eine dieser Voraussetzungen – insbesondere die Vertretungsmacht – liegt eine sogenannte „Vertretung ohne Vertretungsmacht“ vor.

Vertretungsmacht und ihre Grenzen

Die Vertretungsmacht ist die rechtliche Befugnis, den Vertretenen wirksam zu vertreten. Sie kann auf Gesetz (z. B. bei Eltern für ihre minderjährigen Kinder) oder auf Rechtsgeschäft (z. B. Vollmacht) beruhen. Wird sie überschritten oder fehlt sie gänzlich, handelt es sich um eine Vertretung ohne Vertretungsmacht (§ 177 ff. BGB).

Die Vertretung ohne Vertretungsmacht im Bürgerlichen Gesetzbuch

Rechtsfolgen nach § 177 BGB

Nach § 177 BGB ist ein Vertrag, den jemand als Vertreter ohne Vertretungsmacht abschließt, schwebend unwirksam. Das bedeutet, dass der Vertrag zunächst keine rechtlichen Wirkungen entfaltet, bis der Vertretene das Geschäft genehmigt oder verweigert.

Genehmigung:
Erteilt der Vertretene die Genehmigung, wird das Geschäft rückwirkend wirksam, so als hätte der Vertreter von Anfang an Vertretungsmacht gehabt.

Verweigerung der Genehmigung:
Verweigert der Vertretene die Genehmigung, ist das Geschäft endgültig unwirksam. Der Vertragspartner kann unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatzansprüche gegen den Vertreter ohne Vertretungsmacht geltend machen.

Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht (§ 179 BGB)

Handelt der Vertreter ohne Vertretungsmacht und verweigert der Vertretene die Genehmigung, haftet der Vertreter dem anderen Teil nach § 179 BGB persönlich auf Erfüllung oder Schadensersatz. Es stehen drei Anspruchsgrundlagen zur Verfügung:

  • Erfüllungsanspruch: Der Vertragspartner kann verlangen, dass der Vertreter den geschlossenen Vertrag erfüllt, sofern dies möglich ist.
  • Schadensersatzanspruch: Alternativ kann der Vertragspartner Ersatz des entstandenen Vertrauensschadens verlangen, also so gestellt werden, wie er stehen würde, wenn er vom Vertreter nie vom Vertragsschluss erfahren hätte.
  • Haftungsausschluss: Der Vertreter haftet nicht, wenn der Vertragspartner den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen musste (z. B. grob fahrlässige Unkenntnis).

Ausgenommen von der Haftung sind außerdem Fälle, in denen der Vertreter zwar für einen bestimmten Vertretenen handeln wollte, tatsächlich aber niemanden vertreten hat („falsus procurator“).

Besonderheiten und Anwendungsfälle

Duldungs- und Anscheinsvollmacht

In bestimmten Fällen kann die Rechtsprechung davon ausgehen, dass eine sogenannte Duldungs- oder Anscheinsvollmacht vorliegt. Dann haftet der Vertretene selbst, obwohl formal keine ausdrückliche Bevollmächtigung vorlag. Diese besonderen Erscheinungsformen unterbinden die Anwendung der Regeln über die Vertretung ohne Vertretungsmacht.

Minderjährige als Vertreter

Für Geschäfte, die ein minderjähriger Vertreter abschließt, gelten besondere Regeln. Fehlt dem minderjährigen Vertreter die erforderliche Geschäftsfähigkeit, ist das Geschäft insgesamt unwirksam – wohl aber kann sich eine Vertretung ohne Vertretungsmacht ergeben, sofern ein teilgeschäftsfähiger Minderjähriger handelt.

Besonderheiten bei einseitigen Rechtsgeschäften (§ 180 BGB)

Einseitige Rechtsgeschäfte (wie Kündigungen oder Anfechtungen) sind grundsätzlich nicht durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht wirksam abzugeben (§ 180 BGB).

Abgrenzungen und verwandte Rechtsinstitute

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)

Die Vertretung ohne Vertretungsmacht unterscheidet sich von der Geschäftsführung ohne Auftrag, bei der jemand freiwillig und ohne Auftrag ein fremdes Geschäft besorgt. Hierbei entstehen Rechtsfolgen nach §§ 677 ff. BGB, jedoch keine Haftung nach § 179 BGB.

Stellvertretung und Botenschaft

Während der Stellvertreter eine eigene Willenserklärung abgibt, übermitteln Boten ausschließlich fremde Willenserklärungen. Für Boten existiert das Problem der Vertretung ohne Vertretungsmacht nicht, da sie keine eigene Willenserklärung abgeben.

Auswirkungen im Handelsrecht und internationalen Privatrecht

Vertretung ohne Vertretungsmacht im Handelsrecht

Im Handelsrecht, insbesondere im Zusammenhang mit dem Handelsvertreter- und Prokurarecht, gelten besondere Vorschriften, etwa im Zusammenhang mit der Prokura (§§ 48-53 HGB). Auch hier kann es zu Vertretungshandlungen ohne ausreichende Vertretungsmacht kommen, wobei allerdings die §§ 177 ff. BGB in der Regel entsprechend Anwendung finden.

Internationales Privatrecht

Im internationalen Kontext entscheidet das auf das Vertretungsverhältnis anwendbare Recht darüber, ob und in welchem Umfang der Vertreter ohne Vertretungsmacht haftet. Maßgeblich sind dabei internationale Abkommen und Vorschriften des Internationalen Privatrechts, etwa Art. 8 und 9 EGBGB.

Fazit

Die Vertretung ohne Vertretungsmacht ist ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Zivilrechts, indem sie sowohl den Geschäftsverkehr schützt als auch eine gerechte Verteilung von Risiken zwischen den Beteiligten ermöglicht. Die Regelungen des BGB bieten einen Rahmen, um zwischen dem Schutz des Vertrauens Dritter und dem Schutz des Vertretenen einen angemessenen Interessenausgleich herzustellen. Entsprechende Haftungsregeln und Möglichkeiten der Genehmigung sorgen für die notwendige Rechtssicherheit im Alltag und bei geschäftlichen Transaktionen.

Häufig gestellte Fragen

Was sind die Rechtsfolgen eines Vertragsabschlusses durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht?

Wenn ein Vertreter einen Vertrag im Namen eines Vertretenen abschließt, ohne hierzu eine entsprechende Vertretungsmacht zu besitzen, ist der Vertrag zunächst schwebend unwirksam (§ 177 Abs. 1 BGB). Das bedeutet, dass der Vertrag weder völlig nichtig noch sofort wirksam ist, sondern seine Wirksamkeit davon abhängt, ob der Vertretene das Geschäft nachträglich genehmigt (§ 177 Abs. 1 BGB). Die Erklärung der Genehmigung kann ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Lehnt der Vertretene die Genehmigung ab, bleibt das Rechtsgeschäft endgültig unwirksam. Erteilt der Vertretene hingegen die Genehmigung, wirkt der Vertrag rückwirkend von Anfang an (§ 184 Abs. 1 BGB). Bis zur Genehmigung oder Ablehnung befindet sich die andere Vertragspartei in einem Schwebezustand und kann gemäß § 178 BGB den Vertrag gegenüber dem Vertretenen widerrufen, solange die Genehmigung noch nicht erfolgt ist.

Welche Ansprüche hat der Vertragspartner gegen den Vertreter ohne Vertretungsmacht?

Verweigert der Vertretene die Genehmigung, steht dem Vertragspartner nach § 179 BGB ein Anspruch gegen den Vertreter ohne Vertretungsmacht zu, der in der Regel auf Erfüllung des Vertrages oder auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung gerichtet ist. Der Vertreter haftet somit persönlich, nicht jedoch, wenn der Vertragspartner die fehlende Vertretungsmacht kannte oder hätte kennen müssen (§ 179 Abs. 3 BGB). Im Zweifel hat der Vertreter dann entweder den Vertrag zu erfüllen oder Schadensersatz in Höhe des negativen Interesses zu leisten. In bestimmten Fällen, etwa bei Minderjährigen als Vertreter, greift die Haftung nach § 179 BGB nicht.

Welche Möglichkeiten hat der Vertretene, wenn ohne Vertretungsmacht gehandelt wurde?

Der Vertretene ist nicht verpflichtet, das ohne Vertretungsmacht abgeschlossene Geschäft zu genehmigen. Er kann die Genehmigung ausdrücklich oder konkludent erteilen oder sie ablehnen (§ 182 BGB). Eine Ablehnung führt zur endgültigen Unwirksamkeit des Geschäfts. Reagiert der Vertretene auf eine Aufforderung zur Genehmigung nicht, gilt die Genehmigung als verweigert, wenn keine bestimmte Frist zur Erklärung gesetzt wurde oder diese Frist ohne Reaktion verstreicht (§ 177 Abs. 2 BGB).

Inwieweit besteht beim Vertreter ein Anspruch auf Aufwendungsersatz, wenn die Vertretung ohne Vertretungsmacht erfolgt ist?

Hat der Vertreter im Rahmen des von ihm geschlossenen Geschäfts Aufwendungen gemacht, so besteht gegenüber dem Vertretenen grundsätzlich kein Anspruch auf Ersatz, sofern keine Genehmigung erfolgt. Anspruchsgrundlage könnte allein eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) sein, wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Im Verhältnis zum Vertragspartner kann ein Aufwendungsersatzanspruch bestehen, wenn der Vertragspartner wegen der Scheinvertretung bereichert wurde. Ein Anspruch auf Erstattung besteht jedoch nur dann, wenn eine Genehmigung erfolgt und das Geschäft dadurch wirksam wird.

Welche Bedeutung hat die Gut- oder Bösgläubigkeit des Vertragspartners für die Haftung bei Vertretung ohne Vertretungsmacht?

Die Haftung des Vertreters gemäß § 179 BGB setzt voraus, dass der Vertragspartner weder wusste noch wissen musste, dass der Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat. War der Vertragspartner gutgläubig, haftet der Vertreter grundsätzlich auf Erfüllung oder Schadenersatz. War der Vertragspartner hingegen bösgläubig, also wusste er von der fehlenden Vertretungsmacht oder musste dies erkennen, so entfällt die Haftung des Vertreters (Ausnahme: er handelt vorsätzlich oder arglistig). Gutgläubigkeit wird wie regelmäßig im deutschen Recht vermutet und die Beweislast für Bösgläubigkeit trägt der Vertreter.

Wie lange ist eine Genehmigung des Vertretenen möglich und welche Fristen gelten hier?

Grundsätzlich ist eine Genehmigung des Vertretenen zeitlich unbefristet möglich, solange nicht bereits eine Ablehnung erfolgt ist oder das Geschäft auf andere Weise erledigt ist. Wurde jedoch vom Vertragspartner dem Vertretenen eine Frist zur Genehmigung gesetzt, muss diese Frist zwingend eingehalten werden (§ 177 Abs. 2 BGB). Reagiert der Vertretene innerhalb der Frist nicht, gilt die Genehmigung als verweigert und das Rechtsgeschäft wird endgültig unwirksam. Der Vertragspartner kann somit Rechtssicherheit herstellen, indem er den Vertretenen zur Genehmigung auffordert und eine angemessene Frist setzt.

Können Minderjährige als Vertreter ohne Vertretungsmacht haften?

Minderjährige haften grundsätzlich nicht persönlich gemäß § 179 BGB, wenn sie als Vertreter ohne Vertretungsmacht handeln, da sie nicht voll geschäftsfähig sind. Eine Haftung ist daher ausgeschlossen. Geschäfte, die von Minderjährigen als Vertreter ohne Vertretungsmacht abgeschlossen werden, können jedoch im Einzelfall gemäß §§ 107, 108 BGB besondere Rechtsfolgen haben. Der Vertragspartner ist in solchen Fällen gegenüber dem minderjährigen Vertreter besonders geschützt, kann sich aber regelmäßig nicht auf die persönliche Haftung des Minderjährigen berufen.