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Vertrauenshaftung


Begriff und Wesen der Vertrauenshaftung

Die Vertrauenshaftung ist ein im deutschen Zivilrecht entwickeltes Rechtsinstitut, das dem Schutz berechtigter Vertrauensinteressen im Rahmen vorvertraglicher und vertragsähnlicher Beziehungen dient. Sie verpflichtet eine Partei zum Ersatz von Schäden, die einer anderen Partei dadurch entstehen, dass diese auf das rechtmäßige, durch das Verhalten des Anderen begründete Vertrauen vertraute und anschließend enttäuscht wurde. Die Vertrauenshaftung steht neben den klassischen Haftungstatbeständen aus Vertrag und Delikt und wird überwiegend aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) hergeleitet.

Rechtsgrundlagen und Einordnung

Historische Entwicklung der Vertrauenshaftung

Die Figur der Vertrauenshaftung wurde maßgeblich durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts und später des Bundesgerichtshofs (BGH) entwickelt. Historisch wurzelt sie im Bedürfnis nach Schutzlücken aus den traditionellen Haftungssystemen, insbesondere wenn noch kein Vertrag zustande gekommen war oder Dritte betroffen waren.

Systematische Einordnung

Die Vertrauenshaftung befindet sich im Spannungsfeld zwischen Vertragsrecht und Deliktsrecht. Sie stellt eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, die aus einer rechtsgeschäftsähnlichen Sonderverbindung folgt. Typisch ist, dass die Verhaltensweise einer Partei bei der anderen ein berechtigtes Vertrauen hervorrief, das enttäuscht wird und zu einem Vermögensschaden führt.

Voraussetzungen der Vertrauenshaftung

Vertrauensbegründendes Verhalten

Erforderlich ist ein objektiv geeignetes Verhalten, das einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand begründet. Dies kann sowohl aktiv durch Erklärungen als auch passiv durch Unterlassen erfolgen. Typische Fallkonstellationen sind:

  • Die Anbahnung vertraglicher Beziehungen („culpa in contrahendo“)
  • Schaffung eines Rechtsscheins über die Verbindlichkeit von Willenserklärungen
  • Vertrauensschutz beim Umgang mit vertretungsberechtigten Personen (z.B. Vertreter ohne Vertretungsmacht)

Schutzwürdigkeit des Vertrauens

Das Vertrauen des Geschädigten muss schutzwürdig sein. Schutzwürdig ist das Vertrauen insbesondere dann, wenn keine eigene Fahrlässigkeit oder grobe Unachtsamkeit vorliegt und die Vertrauenslage nicht nur auf subjektiven Annahmen, sondern auf objektiven Gründen beruht.

Kausalität und Schaden

Es muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem schutzwürdigen Vertrauenstatbestand und dem eingetretenen Schaden bestehen. Der Schaden muss gerade darauf beruhen, dass der Geschädigte im berechtigten Vertrauen gehandelt hat.

Rechtswidrigkeit und Verschulden

Die Vertrauensenttäuschung muss rechtswidrig sein. In Analogie zur culpa in contrahendo kommt es auch hier grundsätzlich auf ein Verschulden an, wobei bereits leichte Fahrlässigkeit ausreichend ist.

Anwendungsbereiche der Vertrauenshaftung

Vorvertragliche Haftung (Culpa in contrahendo)

Ein bedeutender Anwendungsfall ist die Vertrauenshaftung bei der Anbahnung von Verträgen. Unter dem Stichwort culpa in contrahendo haftet eine Partei für Schäden aus der Verletzung von Pflichten während der Vertragsverhandlungen, unabhängig davon, ob es tatsächlich zu einem Vertragsabschluss kommt.

Vertrauenshaftung gegenüber Dritten

Auch Dritte können unter bestimmten Voraussetzungen auf die Vertrauenshaftung gestützt Ansprüche geltend machen, etwa wenn durch eine vollmachtähnliche Stellung ein Rechtsschein für die Vertretungsmacht gesetzt wird.

Vertrauenshaftung in Sonderverbindungen

Vertrauenshaftung kann sich auch aus anderen vertragsähnlichen Sonderverhältnissen ergeben, beispielsweise bei der unentgeltlichen Gefälligkeit oder als Folge bestandskräftiger Zusagen in Dauerschuldverhältnissen.

Unternehmerische und geschäftliche Vertrauenshaftung

Im unternehmerischen Bereich spielt die Vertrauenshaftung etwa bei Beteiligungs- und Kooperationsverhandlungen eine Rolle, wenn eine Partei mit ihrem Verhalten objektiv den Weg zum Vertragsschluss ebnet oder rechtserhebliche Erwartungen weckt.

Abgrenzung zu anderen Haftungstatbeständen

Abgrenzung zur Deliktshaftung

Während die deliktische Haftung (insbesondere § 823 BGB) den Schutz absoluter Rechte bezweckt, setzt die Vertrauenshaftung auf dem Schutz vor Vermögensschäden aufgrund enttäuschten Vertrauens an. Sie erfasst insbesondere Fälle, in denen eine rechtliche Sonderverbindung besteht, ohne dass bereits ein Vertrag geschlossen wurde.

Abgrenzung zur Garantiehaftung

Die Vertrauenshaftung ist von der Garantiehaftung zu unterscheiden, die auf einer ausdrücklichen Übernahme einer Risikohaftung für den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen beruht.

Zusammenhang zum Rechtsscheintatbestand

Tritt ein Dritter im guten Glauben am Rechtsschein einer Vertretungsmacht auf, so haftet der Rechtsscheinsetzer unter Umständen nach den Grundsätzen der Vertrauenshaftung.

Rechtsfolgen der Vertrauenshaftung

Schadensersatzanspruch

Kernfolge der Vertrauenshaftung ist der Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses, das heißt auf den Ersatz jener Schäden, die aus dem enttäuschten Vertrauen resultieren. Dies kann den Vertrauenden so stellen, wie er stünde, wenn er nicht auf die Vertrauensaussage oder das Verhalten des anderen vertraut hätte. In Ausnahmefällen kann auch das Erfüllungsinteresse geschuldet sein, sofern das Vertrauen auf eine bestimmte vertragliche Leistung geschützt werden muss.

Rückabwicklung und Beseitigungsanspruch

Unter bestimmten Voraussetzungen können neben Schadensersatzansprüchen auch Rückabwicklungs- oder Beseitigungsansprüche bestehen, etwa zur Rückgabe erlangter Leistungen.

Bedeutung in der Rechtsprechung und Praxis

Die Vertrauenshaftung hat in Rechtsprechung und Literatur einen hohen Stellenwert, insbesondere angesichts zunehmender Komplexität und Geschwindigkeit wirtschaftlichen Lebens. Die Institute der vorvertraglichen Haftung und des Vertrauensschutzes dienen dazu, Lücken im klassischen Vertrags- und Deliktsrecht zu schließen und das Rechtsverkehrsvertrauen zu stärken.

Literaturhinweise

  • Medicus, Dieter: Schuldrecht I, Allgemeiner Teil
  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar
  • BGH-Rechtsprechung zu § 242 BGB und culpa in contrahendo

Zusammenfassung:
Die Vertrauenshaftung ergänzt das Gefüge des Schadensersatzrechts und schützt das berechtigte Vertrauen auf bestimmte Verhaltensweisen oder Erklärungen. Sie bildet einen wichtigen Korrektivmechanismus jenseits vertraglicher und deliktischer Ansprüche und erhöht die Rechtssicherheit im Geschäftsverkehr.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für die Annahme einer Vertrauenshaftung im deutschen Zivilrecht vorliegen?

Für die Annahme einer Vertrauenshaftung müssen im deutschen Zivilrecht verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst ist erforderlich, dass zwischen den beteiligten Parteien eine besondere Vertrauensbeziehung besteht, die über bloße Vertragsverhandlungen hinausgeht und typischerweise durch das Hervorrufen eines berechtigten Vertrauens in einen bestimmten rechtlichen oder tatsächlichen Zustand geprägt ist. Das Vertrauen muss vom Handelnden durch ein bestimmtes Verhalten erzeugt worden sein, etwa durch Auskünfte, Zusicherungen oder tatsächliches Vorgehen, die beim anderen Teil eine konkrete Vertrauensposition zur Grundlage weiterer Dispositionen machen. Weiterhin muss dieses Vertrauen schutzwürdig sein, was regelmäßig dann nicht der Fall ist, wenn eigenverantwortlich hätte geprüft oder nachgefragt werden können. Zudem muss dem Handelnden eine Pflichtverletzung anzulasten sein, die im Bruch des geweckten Vertrauens besteht, sowie ein adäquat kausaler Schaden beim Vertrauenden eingetreten sein. Schließlich darf kein Vorrang eines vertraglichen oder deliktischen Anspruchs bestehen; die Vertrauenshaftung greift subsidiär als Auffangtatbestand ein.

Wie grenzt sich die Vertrauenshaftung von der culposa in contrahendo (c.i.c.) und von deliktischen Haftungsgrundlagen ab?

Die Vertrauenshaftung grenzt sich von der culpa in contrahendo (c.i.c.) sowie von deliktischen Haftungsgrundlagen in wesentlichen Punkten ab. Während die c.i.c. typischerweise Schutzpflichten während Vertragsverhandlungen adressiert und daraus resultierende Schadensersatzansprüche bei fehlerhaftem Verhalten begründen kann, knüpft die Vertrauenshaftung an ein durch spezifisches Tun oder Unterlassen hervorgerufenes, schutzwürdiges Vertrauen an, das nicht notwendigerweise auf einen Vertragsschluss gerichtet ist. Von der deliktischen Haftung, beispielsweise nach §§ 823 ff. BGB, unterscheidet sich die Vertrauenshaftung darin, dass nicht nur allgemeine Rechtsgüter wie Eigentum oder Gesundheit, sondern auch rein wirtschaftliche Interessen geschützt sind, sofern besondere Umstände ein schützenswertes Vertrauen begründen. Die Vertrauenshaftung ist daher subsidiär gegenüber konkreten vertraglichen oder deliktischen Anspruchsgrundlagen.

In welchen Fallgruppen wird die Vertrauenshaftung in der Rechtsprechung typischerweise angewandt?

Die Rechtsprechung erkennt Vertrauenshaftung insbesondere in Fallgruppen an, in denen eine Partei durch ihr Verhalten gezielt oder fahrlässig bei einer anderen Partei ein schützenswertes Vertrauen erzeugt. Typische Fallgruppen sind Auskunfts- und Ratestellungen ohne Vertragsverhältnis, die Stellung als Verhandlungsführer im Rahmen eines sog. Vertreter-ohne-Vollmacht-Sachverhaltes (Repräsentant), die Mitteilung von Tatsachen durch Sachverständige ohne ausdrücklichen Auftrag, oder das Schaffen eines besonderen Gefahrenbereichs (Vertrauenshaftung des faktischen Geschäftsführers). Auch das Erwecken des Scheins einer Bindung an einen vorgesehenen Vertragspartner (Scheinvollmacht) kann Anlass für eine Vertrauenshaftung bieten. Wesentlich ist stets, dass der Haftende durch bewusstes oder fahrlässiges Handeln eine Vertrauensgrundlage geschaffen hat und der Vertrauende im Vertrauen hierauf disponiert.

Welche Ansprüche ergeben sich aus der Vertrauenshaftung und wie ist deren Rechtsfolge ausgestaltet?

Aus einer begründeten Vertrauenshaftung können sich insbesondere Schadensersatzansprüche ergeben. Ziel der rechtlichen Konsequenz ist es, den Geschädigten so zu stellen, wie er stünde, wenn er nicht auf das irreführende Verhalten und das geweckte Vertrauen vertraut hätte (sog. negatives Interesse oder Vertrauensschaden). Es werden also der entstandene Vermögensnachteil und die getätigten Aufwendungen ersetzt, die als Folge des Vertrauens darauf gemacht wurden, dass eine bestimmte Angabe, Auskunft oder ein Verhalten zutreffend bzw. gegebenenfalls ein Vertrag zustande kommen werde. Der Ersatz umfasst jedoch nicht zwangsläufig das sogenannte Erfüllungsinteresse, sondern ist auf das Vertrauen des Geschädigten begrenzt.

Wie beurteilt sich die Haftungsbeschränkung oder ein Haftungsausschluss bei der Vertrauenshaftung?

Eine Haftungsbeschränkung oder ein Haftungsausschluss bei der Vertrauenshaftung kann im Einzelfall zulässig sein, sofern dies vertraglich vereinbart oder dem Geschädigten vorab transparent gemacht wurde. Allerdings ist die Möglichkeit des Haftungsausschlusses begrenzt, vor allem dann, wenn gesetzliche Schutzvorschriften entgegenstehen oder der Haftungsausschluss gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) oder gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt. Insbesondere in Fällen, in denen eine Partei gezielt einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand geschaffen hat und der andere darauf vertraut hat, werden gerichtliche Haftungsbegrenzungen restriktiv gehandhabt, um einen wirksamen Vertrauensschutz nicht auszuhöhlen.

Welche Bedeutung hat die Vertrauenshaftung im Zusammenhang mit Unternehmensübertragungen oder Unternehmenskäufen?

Bei Unternehmensübertragungen oder Unternehmenskäufen kommt der Vertrauenshaftung aufgrund der häufig komplexen Verhandlungs- und Informationslagen besondere Bedeutung zu. Werden von einer Vertragspartei im Rahmen der Due-Diligence-Prüfung und Vertragsverhandlungen Auskünfte oder Zusicherungen über Unternehmensverhältnisse erteilt und daraus beim Verhandlungspartner ein schutzwürdiges Vertrauen in bestimmte Umstände begründet, kann das vorsätzliche oder fahrlässige Brechen dieser Vertrauensgrundlage zu einer Haftung führen. Insbesondere dann, wenn kein wirksamer Vertrag zustande kommt oder bestimmte Risiken bewusst verschwiegen werden, kann sich für den Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz seines negativen Interesses aus Vertrauenshaftung ergeben. Dies gilt vor allem in Fällen, in denen neben den allgemeinen gesetzlichen Haftungsgrundlagen kein spezieller vertraglicher Anspruch besteht.