Begriff und rechtliche Bedeutung des „Vertical“
Der Begriff „Vertical“ wird im rechtlichen Kontext überwiegend im Zusammenhang mit dem Wettbewerbs- und Kartellrecht verwendet. Er bezeichnet vertikale Vereinbarungen, Beziehungen oder Strukturen zwischen Unternehmen, die auf verschiedenen Ebenen der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind, beispielsweise zwischen einem Hersteller und seinen Händlern. Im Gegensatz zu horizontalen Vereinbarungen, die Unternehmen auf derselben Marktstufe betreffen, fokussiert sich „Vertical“ auf die Interaktionen entlang unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen. Im Folgenden wird dargestellt, welche rechtliche Bedeutung Verticals in verschiedenen Rechtsgebieten besitzen und welche gesetzlichen Regelungen dabei zu beachten sind.
Vertikale Vereinbarungen im Kartellrecht
Definition und Abgrenzung
Vertikale Vereinbarungen sind Absprachen, Übereinkünfte oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, die jeweils unterschiedlichen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette angehören. Typische Beispiele: Verträge zwischen Herstellern und Großhändlern, oder zwischen Großhändlern und Einzelhändlern.
Rechtlicher Rahmen nach europäischem und nationalem Recht
Sowohl das europäische als auch das deutsche Kartellrecht widmen den Verticals umfassende Regelungsbereiche. Gemäß Art. 101 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie § 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sind Vereinbarungen, die den Wettbewerb beschränken, grundsätzlich verboten und nichtig.
Allerdings gelten für vertikale Vereinbarungen zahlreiche Ausnahmen, insbesondere durch die sogenannte Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO, EU VO 330/2010). Diese Verordnung legt fest, unter welchen Bedingungen vertikale Vereinbarungen zulässig sind, obwohl sie bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen enthalten.
Kernbeschränkungen bei Verticals
Nicht von der Freistellung durch die Vertikal-GVO erfasst, und damit verboten, sind insbesondere bestimmte „Kernbeschränkungen“ (Art. 4 Vertikal-GVO):
- Preisbindungen der zweiten Hand (z.B. feste oder Mindestverkaufspreise)
- Beschränkungen des Gebiets- oder Kundenkreises, in dem ein Händler aktiv Waren oder Dienstleistungen verkaufen darf
- Beschränkungen hinsichtlich passiven Verkaufs an Endkunden beim Alleinvertrieb
- Beschränkung des Bezugs von Ersatzteilen für Endkunden
- Cross Supplies in selektiven Vertriebssystemen
Zulässige vertikale Vereinbarungen
Viele vertikale Abreden wie etwa die Vereinbarung von Höchstverkaufspreisen, qualitative Vorgaben für Vertriebspartner, Vorgaben zum Markenauftritt oder etwa Exklusivitätsvereinbarungen können – unter Beachtung der Ausnahmebestimmungen – zulässig sein. Voraussetzung hierfür ist insbesondere, dass der Marktanteil der beteiligten Unternehmen bestimmte Schwellenwerte (in der Regel jeweils 30 %) nicht überschreitet.
Selektive und Exklusive Vertriebssysteme
Vertikale Vereinbarungen betreffen häufig die Etablierung selektiver und exklusiver Vertriebssysteme, welche spezifischen kartellrechtlichen Voraussetzungen unterliegen. Beim selektiven Vertrieb wird einem Kreis von Händlern gestattet, Waren oder Dienstleistungen nach bestimmten qualitativen und/oder quantitativen Kriterien zu vertreiben. Exklusivvertrieb kann die Vergabe von Alleinvertriebsrechten an einen oder mehrere Händler umfassen und unterliegt strengen Schranken hinsichtlich des Wettbewerbs.
Vertikale Strukturen im Vertriebsrecht
Vertragstypen im Vertrieb
Vertikale Strukturen werden regelmäßig durch verschiedene Vertragstypen im Vertriebsrecht gestaltet:
- Handelsvertreterverträge
- Vertragshändlerverträge
- Franchising-Verträge
- Kommissionsverträge
Alle genannten Verträge regeln die geschäftliche Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette und unterliegen eigenen gesetzlichen Vorgaben, etwa dem HGB (z.B. §§ 84 ff. HGB für Handelsvertreter) oder spezifischen Richtlinien im europäischen Recht.
Pflichten und Rechte der Parteien
Die rechtliche Ausgestaltung der vertikalen Kooperation legt nicht nur wirtschaftliche Rahmenbedingungen fest, sondern bestimmt auch die Rechte und Pflichten der Parteien, wie etwa Exklusivität, Wettbewerbsverbote, Lieferpflichten oder Aspekte des Kundenschutzes.
Vertikale Strukturen im Gesellschaftsrecht und Fusionskontrolle
Unternehmensgruppen, Konzernstrukturen und vertikale Zusammenschlüsse
Im Gesellschaftsrecht bezeichnet Vertical auch Beziehungen innerhalb von Unternehmensgruppen, insbesondere zwischen Mutter- und Tochterunternehmen auf unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen. Bei Unternehmenszusammenschlüssen (Fusionen, Übernahmen) werden vertikale Zusammenschlüsse („vertical mergers“) von horizontalen Zusammenschlüssen unterschieden. Die Fusionskontrolle prüft auch bei vertikalen Zusammenschlüssen, ob die Marktstellung durch Zusammenschließende auf mehreren Wertschöpfungsstufen nicht zu einer Beschränkung des Wettbewerbs führt (§§ 35 ff. GWB, europäische Fusionskontrollverordnung).
Vertikale Preisbindung und deren rechtliche Grenzen
Ein zentraler Streitpunkt im Kontext vertikaler Beziehungen ist die vertikale Preisbindung, insbesondere die Bestimmung von Mindest- oder Festpreisen durch den Lieferanten. Die gesetzliche Ausgangslage ist eindeutig: Vertikale Preisbindungen der zweiten Hand sind regelmäßig unzulässig, weil sie nach Auffassung der Behörden und Gerichte eine unmittelbare Gefahr für den Wettbewerb bedeuten.
Vertikale Vereinbarungen im Arbeitsrecht
Auch im Arbeitsrecht finden sich vertikale Strukturen, etwa in der Konzernhaftung oder bei Arbeitnehmerüberlassung entlang komplexer Lieferketten. Die vertikale Gliederung kann Auswirkungen auf die Haftung, die Mitbestimmung sowie auf Arbeitsverträge und kollektive Regelungen haben.
Vertikale Integration und Digitalisierung
Mit der fortschreitenden Digitalisierung und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle sind neue vertikale Strukturen entstanden, beispielsweise bei Online-Plattformen, E-Commerce oder Cloud-Diensten. Auch hier gelten die beschriebenen kartellrechtlichen und wettbewerblichen Anforderungen; ergänzend werden datenschutzrechtliche und urheberrechtliche Aspekte relevant.
Rechtsprechung und Durchsetzung
Die nationale und europäische Rechtsprechung befasst sich fortlaufend mit der Bewertung vertikaler Vereinbarungen, insbesondere im Bereich Preisbindungen, Vertriebssysteme und Exklusivitätsabreden. Aufsichtsbehörden wie das Bundeskartellamt oder die Europäische Kommission setzen Anforderungen durch und verhängen bei Verstößen empfindliche Bußgelder.
Zusammenfassung
Der Begriff Vertical beschreibt rechtlich umfassende, vielschichtige Beziehungen und Absprachen entlang der Wertschöpfungskette. Zumeist steht dabei das Kartell- und Wettbewerbsrecht im Fokus, doch auch gesellschaftsrechtliche Zusammenschlüsse, Vertriebsverträge und arbeitsrechtliche Fragestellungen können betroffen sein. Die Zulässigkeit vertikaler Strukturen und Vereinbarungen ist von zahlreichen Voraussetzungen und Ausnahmen abhängig, die eine genaue rechtliche Analyse im jeweiligen Einzelfall erforderlich machen. Die einschlägigen Reglungen dienen dem Schutz des Wettbewerbs, dem wirksamen Funktionieren des Marktes und der Vermeidung von Marktabschottungen oder Wettbewerbsverzerrungen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten für Vertical-Geschäftsmodelle in Deutschland?
Vertical-Geschäftsmodelle bewegen sich innerhalb eines komplexen rechtlichen Rahmens, da sie häufig verschiedene Akteursebenen und Branchen innerhalb einer Lieferkette umfassen. Zentrale rechtliche Vorgaben ergeben sich aus dem Handelsrecht (insbesondere dem Handelsgesetzbuch – HGB), dem Kartellrecht, dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und europäischen Vorschriften wie der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO). Bei Vertragsbeziehungen zwischen Herstellern und Vertriebspartnern kommen zudem wettbewerbsrechtliche Schranken zur Anwendung, etwa beim Gebietsschutz, selektiven Vertriebssystemen oder bei Preisvorgaben (unzulässige Preisbindung der zweiten Hand). Hinzu treten branchenspezifische Regelwerke, etwa zum Produktsicherheitsrecht, zur Haftung für fehlerhafte Produkte oder zur Einhaltung von Nachhaltigkeitsanforderungen. Für digitale Verticals sind außerdem datenschutzrechtliche Vorgaben der DSGVO sowie verbraucherschutzrechtliche Vorschriften maßgeblich. Die komplexe Verflechtung verschiedener Rechtsbereiche erfordert meist eine interdisziplinäre Beratung.
Welche kartellrechtlichen Risiken bestehen bei vertikalen Vereinbarungen?
Vertikale Vereinbarungen – etwa zwischen Herstellern und Händlern – unterliegen strengen kartellrechtlichen Prüfungen. Nach deutschem und EU-Kartellrecht sind insbesondere Vereinbarungen verboten, die den Wettbewerb spürbar beschränken (§ 1 GWB, Art. 101 AEUV). Typische Risiken ergeben sich bei Preisbindungen der zweiten Hand, Exklusivitätsabreden, Marktaufteilungs- oder Gebietsschutzklauseln sowie bei selektiven Vertriebssystemen. Solche Regelungen dürfen den Marktzugang für andere Wettbewerber nicht unverhältnismäßig einschränken. Die Vertikal-GVO (VO (EU) 2022/720) definiert, unter welchen Voraussetzungen gewisse Beschränkungen zulässig sind (Freistellungstatbestände), etwa, wenn bestimmte Marktanteilsschwellen nicht überschritten werden. Werden diese Vorschriften verletzt, drohen empfindliche Bußgelder, die Unwirksamkeit der fraglichen Klauseln sowie Schadensersatzansprüche geschädigter Marktteilnehmer.
Wie sind Haftungsfragen in vertikalen Wertschöpfungsketten geregelt?
In Vertical-Konstellationen entstehen häufig komplexe Haftungsfragen, etwa bei fehlerhaften Produkten oder Dienstleistungen, die mehrere Beteiligte durchlaufen haben. Grundsätzlich haftet jeder in der Lieferkette Beteiligte sowohl nach vertraglichen (z. B. Gewährleistung, Mängelhaftung im B2B-Bereich nach HGB und BGB) als auch nach gesetzlichen (Produkthaftungsgesetz – ProdHaftG) Vorschriften. Im Falle von Personenschäden durch fehlerhafte Produkte gilt eine verschuldensunabhängige Produzentenhaftung. Zudem kann die Haftung durch vertragliche Vereinbarungen innerhalb des Vertical-Modells ergänzt, aber in bestimmten Fällen (z. B. bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit) nicht ausgeschlossen werden. Besondere Bedeutung haben auch Rückgriffsmöglichkeiten innerhalb der Kette, etwa nach § 478 BGB (Lieferantenregress). Darüber hinaus gelten spezifische Informations- und Rückrufpflichten entlang der vertikalen Wertschöpfung.
Welche Vorgaben bestehen für die Vertragsgestaltung in vertikalen Vertriebssystemen?
Verträge in Vertical-Systemen erfordern eine exakte Ausgestaltung der Rechte und Pflichten aller Beteiligten. Vertragliche Regelungen müssen mit den zwingenden Vorgaben des Wettbewerbs-, Handels- und Vertragsrechts in Einklang stehen. Typische Vertragsinhalte betreffen Lieferbedingungen, Abnahmeverpflichtungen, Regelungen zu Qualitäts- und Sicherheitsstandards, Exklusivitätsrechte, Gebietsschutz, Geheimhaltung, Datenschutz und Haftungsverteilung. Die Vertragsfreiheit ist jedoch dort eingeschränkt, wo kartellrechtliche Grenzen oder zwingende Verbraucherschutzregelungen greifen. Besondere Sorgfalt ist etwa bei Regelungen zur Preisgestaltung, zum selektiven Vertrieb und zu Gebietsaufteilungen geboten. Für eine rechtssichere Ausgestaltung sind individuelle Anpassungen und regelmäßige Überprüfungen der Verträge unerlässlich.
Welche datenschutzrechtlichen Anforderungen müssen bei verticalen Geschäftsmodellen beachtet werden?
Vertikale Geschäftsmodelle beinhalten regelmäßig die Verarbeitung personenbezogener Daten, etwa bei der Weitergabe von Kundendaten entlang der Vertriebskette oder bei der Einbindung digitaler Plattformen. Maßgeblich sind dabei insbesondere die Anforderungen der DSGVO. Diese verlangen u. a. eine rechtskonforme Erhebung, Verarbeitung und Speicherung personenbezogener Daten, die Einhaltung von Betroffenenrechten (z. B. Auskunft, Löschung), die Abschluss von Auftragsverarbeitungsverträgen bei Datenweitergabe, das Vorliegen einer Rechtsgrundlage (z. B. Vertragserfüllung, berechtigtes Interesse) sowie die Umsetzung angemessener technischer und organisatorischer Schutzmaßnahmen. Verstöße gegen die datenschutzrechtlichen Vorgaben können zu hohen Bußgeldern und Reputationsschäden führen. Auch die Beachtung von Informationspflichten gegenüber Endkunden und Geschäftspartnern ist zwingend erforderlich.
Welche branchenspezifischen Besonderheiten sind bei Vertical-Modellen zu berücksichtigen?
Vertical-Geschäftsmodelle müssen stets im Kontext der jeweiligen Branche beurteilt werden, da spezielle rechtliche Anforderungen bestehen können. Im Handel etwa sind Vorschriften zu Produktsicherheit, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit relevant. Im Lebensmittelbereich greifen zusätzlich lebensmittelrechtliche Bestimmungen, während im Bereich Medizinprodukte oder Pharmazeutika eigenständige arznei- und medizinproduktrechtliche Normen beachtet werden müssen. In der IT- und Digitalbranche sind vor allem urheberrechtliche, datenschutzrechtliche und telemedienrechtliche Anforderungen relevant. Darüber hinaus können branchenspezifische standes- oder berufsrechtliche Regelungen ergänzende Restriktionen setzen, beispielsweise im Versicherungs- oder Finanzdienstleistungssektor (aufsichtsrechtliche Zulassungen, Lizenzanforderungen).
Wie werden Konflikte und Streitigkeiten in vertikalen Geschäftsbeziehungen gelöst?
Konflikte in vertikalen Geschäftsbeziehungen werden primär auf Basis der vertraglichen Vereinbarungen beigelegt, wobei Schieds- und Gerichtsstandsklauseln sowie Regelungen zum anwendbaren Recht eine zentrale Rolle spielen. Gerade in grenzüberschreitenden Verticals muss die internationale Zuständigkeit und das anzuwendende Recht klar geregelt werden (z. B. gemäß Rom-I-Verordnung, Brüssel-Ia-Verordnung). Häufig finden sich zudem Mechanismen zur außergerichtlichen Streitbeilegung, wie Mediation oder Schiedsverfahren, um langwierige und kostspielige Gerichtsverfahren zu vermeiden. Im Streitfall greifen die nationalen Zivilgerichte, wobei auch spezialgesetzliche Zuständigkeiten (z. B. Kartellkammern bei wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten) zu beachten sind. Für Verbraucherstreitigkeiten bestehen darüber hinaus alternative Streitbeilegungsverfahren gemäß Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG).