Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Energierecht»Versorgungspflicht der Energieversorgungsunternehmen

Versorgungspflicht der Energieversorgungsunternehmen


Begriff und Rechtsgrundlagen der Versorgungspflicht der Energieversorgungsunternehmen

Die Versorgungspflicht der Energieversorgungsunternehmen stellt ein zentrales Element des Energierechts in Deutschland dar. Sie verpflichtet Energieversorgungsunternehmen (EVU) dazu, die allgemeine Versorgung der Letztverbraucher mit Strom und Gas innerhalb eines bestimmten Versorgungsgebiets sicherzustellen. Die Regelungen zur Versorgungspflicht sind insbesondere im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und den darauf basierenden Verordnungen verankert. Ziel ist es, eine flächendeckende, diskriminierungsfreie und sichere Energieversorgung zu gewährleisten.

Gesetzlicher Rahmen

Die Versorgungspflichten für Energieversorgungsunternehmen finden sich maßgeblich in folgenden Rechtsquellen:

  • Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)
  • Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV)
  • Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV)

Das EnWG legt die Grundstrukturen der Versorgung fest und regelt die Verpflichtung von Energieversorgungsunternehmen, alle Letztverbraucher im jeweiligen Netzgebiet zu beliefern, sofern diese dies wünschen (Grundversorgung). Die StromGVV und GasGVV konkretisieren die Rechte und Pflichten im Bereich der Grundversorgung.

Inhalt und Umfang der Versorgungspflicht

Allgemeine Versorgungspflicht

Die allgemeine Versorgungspflicht verpflichtet EVU, alle an ihrem Netz angeschlossenen Letztverbraucher gegen angemessene, allgemein zugängliche Tarife zu versorgen (§ 36 EnWG). Hierzu zählt insbesondere die Grundversorgung, die jedem Kunden einen niedrigschwelligen Zugang zu Strom und Gas sichert.

Grundversorger

Der Grundversorger ist das Energieversorgungsunternehmen, das die meisten Haushaltskunden im jeweiligen Netzgebiet beliefert. Die Rolle des Grundversorgers wird alle drei Jahre neu festgelegt und öffentlich bekannt gemacht (§ 36 Abs. 2 EnWG).

Umfang der Belieferung

Die Versorgungspflicht erstreckt sich auf:

  • Sichere und zuverlässige Energiebelieferung (Versorgungssicherheit)
  • Anschluss an das Energieversorgungsnetz (Anschlusszwang besteht eingeschränkt)
  • Ununterbrochenes Angebot allgemein zugänglicher Tarife

Darüber hinaus sind Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, Sonderkunden zu versorgen, wenn hierfür keine besonderen wirtschaftlichen oder technischen Hinderungsgründe bestehen.

Besondere Pflichten bei der Grundversorgung

Im Rahmen der Grundversorgung müssen die Unternehmen:

  • Allgemeine Geschäftsbedingungen bereitstellen (§ 36 EnWG, § 2 StromGVV/GasGVV)
  • Preise und deren Änderungen öffentlich bekannt geben (§ 5 EnWG)
  • Den Zugang zur Versorgung gewährleisten, ohne unangemessene Diskriminierung unterschiedlicher Verbrauchergruppen

Grundversorgungsverträge kommen mit Bezug auf die Strom- bzw. Gasgrundversorgungsverordnungen zustande und garantieren dem Kunden spezifische Verbraucherrechte.

Grenzen und Ausnahmen der Versorgungspflicht

Beendigung und Unterbrechung der Versorgung

Das Energieversorgungsunternehmen kann die Versorgung ausnahmsweise unterbrechen, wenn

  • der Kunde seinen Zahlungsverpflichtungen trotz Mahnung nicht nachkommt (§ 19 StromGVV/GasGVV),
  • der Kunde gegen wesentliche Vertragspflichten verstößt,
  • technische Gründe oder Sicherheitsaspekte eine Unterbrechung erfordern.

Vor einer Unterbrechung sind jedoch bestimmte gesetzliche Vorgaben, wie Fristen und Ankündigungspflichten, einzuhalten.

Wegfall der Versorgungspflicht

Die Versorgungspflicht kann entfallen, wenn:

  • der Kunde bzw. Letztverbraucher trotz ordnungsgemäßer Information nicht erreichbar ist,
  • keine technischen Anschlussmöglichkeiten bestehen,
  • rechtliche oder behördliche Vorgaben der Belieferung entgegenstehen.

Verordnungen und ergänzende Regelungen

Neben dem EnWG werden die Details der Versorgungspflicht insbesondere in der StromGVV und GasGVV geregelt. Diese Verordnungen konkretisieren, wie Grundversorgungsverhältnisse zustandekommen, wie Preisanpassungen mitzuteilen sind und welche Rechte und Pflichten sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch der Kunden bestehen.

Im Rahmen der Netznutzung (§§ 20 ff. EnWG) besteht zudem die Pflicht zur diskriminierungsfreien Einspeisung und Durchleitung von Energie, was einen funktionierenden Wettbewerb im Energiemarkt sichern soll.

Bedeutung der Versorgungspflicht für die Energieversorgungssicherheit

Die Versorgungspflicht gewährleistet, dass die Allgemeinheit mit grundlegenden Energiedienstleistungen versorgt wird. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge und trägt erheblich zur Energieversorgungssicherheit in Deutschland bei. Insbesondere in strukturschwachen oder dünn besiedelten Regionen verhindert die Versorgungspflicht eine Unterversorgung.

Rechtsfolgen bei Verstößen gegen die Versorgungspflicht

Verstöße gegen die Versorgungspflicht können administrative, zivilrechtliche und gegebenenfalls ordnungsrechtliche Folgen nach sich ziehen. Die Bundesnetzagentur sowie die zuständigen Landesregulierungsbehörden überwachen die Einhaltung der Versorgungspflicht und können im Falle von Missständen aufsichtsrechtliche Maßnahmen ergreifen (§ 54 ff. EnWG). Darüber hinaus haben Letztverbraucher Ansprüche auf Schadensersatz oder Unterlassung, wenn das Energieversorgungsunternehmen seiner Versorgungspflicht nicht nachkommt.

Versorgungspflicht im europäischen Kontext

Die nationale Versorgungspflicht steht im Einklang mit unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere durch die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie sowie die Gasbinnenmarktrichtlinie der Europäischen Union. Diese fordern von den Mitgliedstaaten, dass grundlegende Versorgungssicherheiten und Verbraucherrechte gewährleistet sind.

Fazit

Die Versorgungspflicht der Energieversorgungsunternehmen ist ein zentrales Instrument des deutschen Energierechts zur Sicherstellung einer zuverlässigen, sicheren, günstigen und flächendeckenden Energieversorgung aller Letztverbraucher. Sie schafft die gesetzlichen Voraussetzungen für die Grund- und Ersatzversorgung, regelt Rechte und Pflichten beider Vertragsparteien und spielt eine entscheidende Rolle bei der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Energieversorgungssicherheit in Deutschland.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist nach deutschem Energiewirtschaftsrecht zur Versorgung verpflichtet?

Die Versorgungspflicht liegt im deutschen Energierecht primär bei den sogenannten Grundversorgern gemäß § 36 EnWG (Energiewirtschaftsgesetz). Grundversorger ist jeweils das Energieversorgungsunternehmen, das in einem Netzgebiet die meisten Haushaltskunden beliefert. Diese Unternehmen sind verpflichtet, alle Haushaltskunden zu den Allgemeinen Preisen und Bedingungen kontinuierlich mit Elektrizität bzw. Gas zu versorgen- unabhängig von der individuellen Bonität des Kunden oder sonstigen Einschränkungen (ausgenommen begründete Ausnahmen wie Vertragsverletzungen). Die Versorgungspflicht stellt eine wesentliche, public-law-basierte Pflicht der Energieversorgungsunternehmen dar, die gewährleisten soll, dass alle Haushaltskunden zu standardisierten Konditionen Zugang zu Energie erhalten. Dabei ist jedoch stets die nationale und europäische Regulierung sowie die Kontrolle durch die Bundesnetzagentur sowie die Landesregulierungsbehörden zu berücksichtigen.

Gilt die Versorgungspflicht auch gegenüber Gewerbekunden oder Industriekunden?

Die klassische Versorgungspflicht nach § 36 EnWG bezieht sich ausschließlich auf Haushaltskunden, also Endverbraucher, die Energie für den Eigenverbrauch im Haushalt beziehen. Für Gewerbe- und Industriekunden besteht diese gesetzliche Grundversorgungspflicht nicht in gleicher Weise. Allerdings können auch diese Kundengruppen – insbesondere wenn sie keinen besonderen Liefervertrag abgeschlossen haben – unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Ersatzversorgung gemäß § 38 EnWG haben, die allerdings zeitlich befristet ist. Hierunter versteht man die kurzfristige Versorgung, wenn ungeplant kein Versorgungsvertrag besteht (z.B. bei Insolvenzen von Anbietern oder Vertragsende). Die Konditionen in der Ersatzversorgung sind jedoch nicht mit denen der Grundversorgung gleichzusetzen.

Unter welchen Umständen darf das Energieversorgungsunternehmen die Versorgung ablehnen oder unterbrechen?

Die Energieversorgungsunternehmen können die Belieferung im Rahmen der Versorgungspflicht nur in gesetzlich genau geregelten Ausnahmefällen ablehnen oder zeitweise unterbrechen. Nach § 19 Abs. 2 StromGVV/GasGVV (Verordnungen über die Grundversorgung) darf die Versorgung insbesondere bei erheblichen Vertragsverletzungen wie wiederholten Zahlungsverzügen, missbräuchlicher Inanspruchnahme oder Manipulation an Messeinrichtungen unter Einhaltung bestimmter Fristen und vorheriger Ankündigungen eingestellt werden. Eine vorsorgliche Versorgungsunterbrechung ist im rechtlichen Rahmen außerdem zulässig, wenn eine unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit von Personen oder Sachen besteht, etwa bei nachgewiesener Manipulation der Installation.

Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Kunden bei Streitigkeiten zur Versorgungspflicht?

Kunden stehen bei Streitigkeiten hinsichtlich der Versorgungspflicht mehrere rechtliche Wege offen. Zunächst ist die zuständige Schlichtungsstelle nach § 111b EnWG (Schlichtungsstelle Energie) Ansprechpartner, sofern eine Einigung mit dem Versorger nicht möglich ist. Daneben können betroffene Kunden aufsichtsrechtliche Beschwerden bei der Bundesnetzagentur (bzw. der jeweiligen Landesregulierungsbehörde) einlegen. Eine unmittelbare Klage auf Versorgung (Leistungsklage) ist ebenfalls möglich, wobei regelmäßig der ordentliche Rechtsweg (Zivilgericht) beschritten werden muss. In dringlichen Fällen kann zudem der Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt werden, um die Sicherstellung der Energieversorgung bis zur Klärung des Hauptsacheverfahrens zu erreichen.

Welche Rolle spielen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) bei der Versorgungspflicht?

Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Energieversorgungsunternehmen regeln Details zur Versorgung, insbesondere zur Ausgestaltung von Vertragsverhältnissen, Zahlungsmodalitäten, Möglichkeiten der Unterbrechung und Kündigung sowie zu Preisänderungen. Nach § 111a EnWG müssen die AGB transparent gestaltet und auf den Internetseiten der Versorger öffentlich zugänglich gemacht werden. Sie dürfen keine Bestimmungen enthalten, die Verbraucher unangemessen benachteiligen oder im Widerspruch zu zwingenden gesetzlichen Vorschriften stehen. Änderungen der AGB sind nur unter Einhaltung bestimmter Informations- und Fristenregelungen zulässig. AGB-rechtliche Streitigkeiten werden regelmäßig vor den Zivilgerichten ausgetragen.

Inwiefern beeinflussen Netzstörungen oder höhere Gewalt die Versorgungspflicht?

Im Falle von Netzstörungen oder höherer Gewalt, wie beispielsweise Naturkatastrophen, Sabotageakten oder kriegsähnlichen Ereignissen, kann das Energieversorgungsunternehmen ausnahmsweise von der Versorgungspflicht entbunden werden, sofern die Beeinträchtigung außerhalb des zumutbaren Einflussbereichs des Unternehmens liegt. Gesetzlich geregelt ist dies insbesondere in § 17 EnWG, wonach Netzbetreiber und Versorger in angemessenem und zumutbarem Umfang verpflichtet sind, Maßnahmen zur Wiederherstellung der Versorgung zu treffen. Schadensersatzansprüche der Kunden sind unter diesen Umständen stark eingeschränkt und setzen ein schuldhaftes Verhalten des Versorgers voraus.

Wie lange besteht die Versorgungspflicht im Rahmen der Grundversorgung?

Die Versorgungspflicht im Rahmen der Grundversorgung besteht grundsätzlich unbefristet, solange der Kunde keine Kündigung ausspricht oder zu einem anderen Versorger wechselt. Der Kunde kann den Grundversorgungsvertrag jederzeit mit einer Frist von zwei Wochen kündigen (§ 20 StromGVV/GasGVV). Das Energieversorgungsunternehmen wiederum darf den Vertrag nur unter ganz bestimmten, gesetzlich geregelten Voraussetzungen (siehe oben) kündigen oder die Versorgung einstellen. Bei einem Wechsel des Grundversorgers, etwa durch Änderungen der Marktverhältnisse, kann sich die Identität des Versorgers ändern, nicht jedoch die Verpflichtung zur Versorgung.