Begriff und rechtliche Einordnung der Verfallklausel
Die Verfallklausel ist ein im deutschen Zivilrecht gebräuchlicher Begriff, welcher eine spezielle Form der Fristenregelung darstellt. Sie wird insbesondere in Arbeitsverträgen, Werkverträgen, Mietverträgen und anderen schuldrechtlichen Vereinbarungen eingesetzt. Ziel einer Verfallklausel ist es, Ansprüche der Vertragsparteien nach bestimmter Zeit zum Erlöschen zu bringen, sofern diese nicht innerhalb der Frist geltend gemacht werden. Im Gegensatz zur gesetzlichen Verjährung, die nur die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs betrifft, bewirkt die Verfallklausel bei Fristversäumnis das vollständige Erlöschen des Anspruchs.
Funktion und Rechtsfolgen der Verfallklausel
Abgrenzung von Verjährung und Ausschlussfristen
Verfallklauseln regeln eine Ausschlussfrist. Sie sind daher von der Verjährung abzugrenzen, bei der der Anspruch erhalten bleibt, aber nicht mehr eingeklagt werden kann, wenn sich der Schuldner auf die Einrede der Verjährung beruft. Eine Verfallklausel hingegen führt zum vollständigen Rechtsverlust, wenn die bestimmte Handlung – meist die Geltendmachung des Anspruchs – nicht termingerecht erfolgt.
Arten von Verfallklauseln
- Einseitige Verfallklauseln: Gelten lediglich für eine Vertragspartei und begünstigen die andere.
- Beiderseitige Verfallklauseln (zweiseitige Verfallklauseln): Binden beide Parteien daran, ihre Ansprüche innerhalb einer bestimmten Frist geltend zu machen.
- Stufige bzw. zweistufige Verfallklauseln: Fordern zunächst die schriftliche Geltendmachung des Anspruchs innerhalb einer Frist und in einem zweiten Schritt die gerichtliche Geltendmachung, falls im ersten Schritt keine Einigung erfolgt.
Gesetzliche Grundlagen und Wirksamkeitsvoraussetzungen
Vereinbarkeit mit § 202 BGB und § 309 Nr. 7 BGB
Verfallklauseln sind nicht gesetzlich geregelt, werden aber in der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt. Ihre Zulässigkeit ergibt sich insbesondere im Lichte von § 202 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der die Vereinbarung von Verjährungsverkürzungen bei Haftung für Vorsatz untersagt. Zudem sind bei der Verwendung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die Vorgaben des § 309 Nr. 7 BGB zu beachten, wonach Haftungsausschlüsse und -begrenzungen bei Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit unwirksam sind.
Transparenzgebot und Klauselgestaltung
Nach den Vorgaben des § 307 BGB darf eine Verfallklausel nicht intransparent oder überraschend sein. Sie muss klar und verständlich formuliert sein, um wirksam in den Vertrag einbezogen zu werden. Unklare oder mehrdeutige Klauseln werden gemäß der sogenannten Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB) zu Lasten des Verwenders ausgelegt.
Angemessenheit der Frist
Die Frist, innerhalb der ein Anspruch aus einer Verfallklausel geltend zu machen ist, muss angemessen lang sein. Im Arbeitsrecht hält die Rechtsprechung Fristen zwischen drei und sechs Monaten für zulässig. Im Einzelfall kann eine zu kurze Frist zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel führen.
Verfallklauseln im Arbeitsrecht
Bedeutung und Verwendung
Verfallklauseln sind im Arbeitsrecht besonders gebräuchlich. Sie finden sich regelmäßig in Arbeitsverträgen und Tarifverträgen. Üblich sind zweistufige Klauseln, bei denen zunächst eine außergerichtliche, meist schriftliche Geltendmachung gegenüber dem Arbeitgeber verlangt wird, und bei deren Ablehnung oder Verstreichen des Fristablaufs die Klageerhebung innerhalb einer weiteren Frist erforderlich ist.
Auswirkungen des Mindestlohngesetzes (MiLoG)
Eine Zäsur hat die Rechtsprechung und Gesetzgebung zum Mindestlohngesetz (MiLoG) gesetzt. Seit Inkrafttreten des MiLoG dürfen Verfallklauseln Ansprüche auf Mindestlohn nicht mehr ausschließen (§ 3 MiLoG). Eine Verfallklausel, die auch Mindestlohnansprüche erfasst, ist insgesamt unwirksam (BAG, Urteil v. 18.09.2018 – 9 AZR 162/18), sofern sie nach dem 31. Dezember 2014 oder ab dem 1. Januar 2015 vereinbart wurde.
Auswirkungen der AGB-Kontrolle
Verfallklauseln in formularmäßigen Arbeitsverträgen unterliegen der AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB. Überspannte Anforderungen an die Darlegungspflichten des Arbeitnehmers, zu kurze Fristen oder der vollständige Ausschluss von Ansprüchen bei Verletzung von Gesundheit, Körper oder Leben führen regelmäßig zur Unwirksamkeit.
Verfallklauseln im Zivilrecht außerhalb des Arbeitsrechts
Anwendungsbereich bei Werkvertrag, Mietvertrag, Handelsrecht
Auch außerhalb des Arbeitsrechts werden Verfallklauseln vielfach verwendet. Im Werkvertragsrecht etwa können Ansprüche auf Nachbesserung, Schadensersatz oder Vergütung verfallen, wenn diese nicht rechtzeitig geltend gemacht werden. Im Mietrecht sind Verfallklauseln im Zusammenhang mit Betriebskostenabrechnungen und Nachforderungsrechten relevant. Im Handelsrecht regeln sie unter anderem Fristen für Gewährleistungsrechte aus Handelsgeschäften.
Kollision mit zwingendem Recht
Wo zwingende gesetzliche Regelungen bestehen, etwa im Mietrecht zum Schutz des Mieters oder im Bereich von Gewährleistungsansprüchen, sind Verfallklauseln regelmäßig unwirksam, soweit sie vom zwingenden Recht abweichen oder dieses unterlaufen. Auch dürfen sie die Gelegenheit zur Anspruchsdurchsetzung nicht unzumutbar erschweren.
Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit von Verfallklauseln
Ist eine Verfallklausel unwirksam, etwa aufgrund zu kurzer Frist, fehlerhafter Einbeziehung in den Vertrag oder wegen eines umfassenden Ausschlusses, entfällt die rechtsvernichtende Wirkung. Der Anspruch lebt dann so lange fort, wie er nicht verjährt ist. Eine geltungserhaltende Reduktion auf das rechtlich Zulässige findet bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen regelmäßig nicht statt (§ 306 BGB).
Fazit und praktische Hinweise
Verfallklauseln stellen ein effektives Instrument der Fristenkontrolle in vertraglichen Schuldverhältnissen dar. Sie bergen aber auch erhebliche rechtliche Risiken, sofern sie rechtswidrig ausgestaltet sind oder zwingendes Recht verletzen. Die sorgfältige und rechtskonforme Formulierung sowie eine hinreichende Transparenz und Angemessenheit der Frist sind daher essenziell für die Wirksamkeit einer Verfallklausel. Anwender sollten zudem stets die aktuelle Gesetzgebung und Rechtsprechung, insbesondere im Hinblick auf Mindestlohnansprüche und die AGB-rechtliche Zulässigkeit, berücksichtigen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Anforderungen muss eine Verfallklausel erfüllen, um wirksam zu sein?
Verfallklauseln müssen klar, transparent und verständlich formuliert sein, damit der Arbeitnehmer erkennen kann, welche Ansprüche er in welchem Zeitraum geltend machen muss. Nach § 307 BGB dürfen Verfallklauseln den Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligen. Deshalb ist insbesondere bei der Einführung von Ausschlussfristen nach dem 1. Oktober 2016 darauf zu achten, dass Ansprüche auf den Mindestlohn nach dem MiLoG ausdrücklich ausgenommen werden. Andernfalls ist die gesamte Klausel unwirksam. Zudem dürfen die geltenden Fristen nicht unangemessen kurz sein – in Arbeitsverträgen gilt eine Untergrenze von in der Regel mindestens drei Monaten je Stufe, basierend auf der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Ferner darf die Anwendung der Klausel nicht von einseitigen Erklärungen des Arbeitgebers abhängen, um dem Arbeitnehmer Rechtsschutz nicht willkürlich zu entziehen.
Welche Ansprüche können durch eine Verfallklausel ausgeschlossen werden – und welche nicht?
Grundsätzlich erfassen Verfallklauseln alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, gleichgültig ob es sich um Lohnansprüche, Mehrarbeitsvergütung oder Schadensersatz handelt. Allerdings sind bestimmte Ansprüche ausdrücklich gesetzlich geschützt und können nicht wirksam ausgeschlossen werden. Hierzu zählen etwa Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn (§ 3 MiLoG), auf Mutterschutz, Elternzeit, schwerbehindertenrechtliche Ansprüche oder auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Auch Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung können durch Verfallklauseln nicht berührt werden (§ 18a BetrAVG). Enthält eine arbeitsvertragliche Verfallklausel keine explizite Ausnahme solcher Ansprüche, droht die Unwirksamkeit der gesamten Klausel.
Greift eine Verfallklausel auch bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verhalten des Arbeitgebers?
Im Grundsatz können auch Ansprüche wegen grob fahrlässigen oder sogar vorsätzlich verursachten Pflichtverletzungen des Arbeitgebers von Verfallklauseln erfasst werden. Allerdings gilt bei vorsätzlichen Pflichtverletzungen eine Sonderregel: Nach § 202 Abs. 1 BGB ist der Ausschluss von Ansprüchen durch Verfallklauseln bei „Vorsatz“ unzulässig. Ist beispielsweise eine Schadensersatzforderung aus vorsätzlicher Handlung Gegenstand der Streitigkeit, so bleibt diese auch nach Ablauf einer Ausschlussfrist durchsetzbar. Bei grober Fahrlässigkeit hingegen bleibt die Wirksamkeit der Verfallklausel grundsätzlich bestehen.
Wie unterscheidet sich die rechtliche Behandlung von einfachen und zweistufigen Verfallklauseln?
Einfache Verfallklauseln verlangen lediglich die schriftliche (oder textliche) Geltendmachung des Anspruchs innerhalb einer bestimmten Frist, um einen Anspruch aufrechtzuerhalten. Zweistufige Klauseln verlangen zusätzlich, dass nach einer abgelehnten oder nicht beantworteten Geltendmachung innerhalb einer weiteren Frist Klage erhoben werden muss. Beide Varianten sind rechtlich zulässig, sofern die oben genannten Mindestfristen eingehalten werden. In zweistufigen Klauseln müssen Arbeitnehmer allerdings darauf achten, beide Friststufen strikt einzuhalten, da ansonsten der Anspruch – selbst bei rechtzeitiger schriftlicher Geltendmachung – endgültig verfällt.
Welche Rolle spielt das Nachweisgesetz bei der Vereinbarung von Verfallklauseln?
Das Nachweisgesetz verpflichtet Arbeitgeber seit dem 1. August 2022 dazu, wesentliche Vertragsbedingungen schriftlich und unterzeichnet auszuhändigen. Dazu zählen auch Verfallklauseln. Werden diese nicht ordnungsgemäß dokumentiert und ausgehändigt, kann dies Negativeffekte für die Durchsetzbarkeit der Klausel nach sich ziehen: Fehlt der Nachweis über die Verfallklausel, hat der Arbeitgeber im Streitfall die Darlegungslast und riskiert, dass die Klausel gegenüber dem Arbeitnehmer nicht geltend gemacht werden kann (§ 2 NachwG n.F.).
Wie wirken sich fehlerhafte oder unklare Verfallklauseln auf bestehende Ansprüche aus?
Ist eine arbeitsvertragliche Verfallklausel fehlerhaft, etwa weil sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt (z. B. zu kurze Fristen, keine Ausnahme für Mindestlohn, unklare Formulierungen), ist regelmäßig die gesamte Klausel nach § 307 BGB unwirksam. Die sogenannte „blue-pencil“-Regel findet keine Anwendung im Arbeitsrecht, d.h. es erfolgt keine Teilung oder Anpassung – die Klausel entfällt vollständig und gesetzliche Verjährungsvorschriften greifen stattdessen. Arbeitnehmer haben dann deutlich längere Zeiträume zur Geltendmachung ihrer Ansprüche.
Gilt eine Verfallklausel auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses?
Ja, Verfallklauseln erfassen auch Ansprüche, die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen oder geltend gemacht werden, sofern der jeweilige Anspruch seinen Ursprung im Arbeitsverhältnis hat. Besonders nach dem Ausscheiden sind Arbeitnehmer deshalb gut beraten, etwaige Restansprüche – etwa auf Urlaubsabgeltung oder auf entgangenes Arbeitsentgelt – zeitnah innerhalb der Ausschlussfristen geltend zu machen. Zu beachten ist jedoch, dass bei Übergang des Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB (beispielsweise im Rahmen eines Betriebsübergangs) weitergehende Besonderheiten gelten können.