Begriff und Bedeutung der Verdienstsicherungsklausel
Die Verdienstsicherungsklausel ist eine in Tarifverträgen, Arbeitsverträgen oder Betriebsvereinbarungen enthaltene Regelung, die dazu dient, das bisherige Arbeitsentgelt einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers bei strukturellen Änderungen, betrieblichen Umstrukturierungen oder der Änderung von Arbeitsbedingungen vor unmittelbaren Einbußen zu schützen. Die Verdienstsicherungsklausel stellt damit einen wichtigen Aspekt des kollektiven und individuellen Arbeitsrechts dar und dient dem Ausgleich von Nachteilen, die durch organisatorische oder tarifliche Umstellungen entstehen können.
Rechtsgrundlagen der Verdienstsicherungsklausel
Einbettung in das Arbeitsvertragsrecht
Verdienstsicherungsklauseln sind rechtlich vor allem im Kontext des Tarifvertragsrechts (§§ 1 ff. TVG) und des Betriebsverfassungsrechts (§§ 77 ff. BetrVG) relevant. Sie greifen jedoch auch im Rahmen individueller Arbeitsverträge und können dort unmittelbare Bindungswirkung entfalten.
Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen
Zumeist finden sich Verdienstsicherungsklauseln in Tarifverträgen oder in Betriebsvereinbarungen. Hierbei werden üblicherweise bestimmte Vergütungsbestandteile oder das Gesamteinkommen für eine festgelegte Zeit oder unter bestimmten Bedingungen garantiert. Grundlage kann ein Wechsel von Lohngruppen, Eingruppierungen, Aufgabenbereichen oder tariflichen Regelungen sein. So werden wirtschaftliche Nachteile, die durch betriebliche Umstrukturierungen oder tarifliche Veränderungen eintreten könnten, abgefedert oder vollständig ausgeschlossen.
Funktion und Zielsetzung
Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Beschäftigten
Die Hauptfunktion von Verdienstsicherungsklauseln liegt im Schutz des bisherigen Entgelts der Beschäftigten vor kürzungsbedingten Nachteilen. Sie sichern ein bestimmtes Niveau des Bruttoarbeitsentgelts und verhindern, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Umstrukturierungen oder Reorganisationen im Betrieb sofort Einbußen hinnehmen müssen.
Förderung sozialverträglicher Veränderungen
Solche Klauseln dienen zudem der sozialverträglichen Ausgestaltung betrieblicher Änderungsprozesse und erhöhen die Akzeptanz von Umstrukturierungen, indem sie Beschäftigte vor existenzbedrohenden Einkommensverlusten schützen.
Typische Anwendungsfälle der Verdienstsicherungsklausel
Versetzungen und Umgruppierungen
Bei Versetzungen auf Arbeitsplätze mit geringerer Vergütung oder bei tariflichen Umgruppierungen greift häufig eine Verdienstsicherungsklausel. Diese gewährleistet, dass das bisherige Arbeitsentgelt entweder dauerhaft, für eine bestimmte Übergangszeit oder abschmelzend („Auslauffristenmodell“) weitergezahlt wird.
Betriebsänderungen und Tarifwechsel
Auch bei Betriebsänderungen nach § 111 BetrVG, wie etwa beim Zusammenschluss von Abteilungen oder Veränderungen der Arbeitsstrukturen, kommen Verdienstsicherungsklauseln häufig zur Anwendung. Ähnliches gilt bei Wechseln von einem Tarifvertrag zu einem anderen oder beim Wechsel von betrieblichen zu tariflichen Vergütungsstrukturen.
Ausgestaltung und Reichweite von Verdienstsicherungsklauseln
Formulierung und vertragliche Umsetzung
Verdienstsicherungsklauseln sind inhaltlich sehr unterschiedlich ausgestaltet. Möglich sind:
- Statische Sicherung: Das bisherige Entgelt wird dauerhaft garantiert, unabhängig von veränderten Rahmenbedingungen.
- Dynamische Sicherung: Eine Anpassung an künftige tarifliche Steigerungen kann erfolgen, sodass das gesicherte Entgelt weiterentwickelt wird.
- Abschmelzendes Modell: Das Entgelt wird über eine Übergangszeit garantiert und in Stufen verringert („Abschmelzungsmodell“).
Umfang der gesicherten Vergütungsbestandteile
Die Verdienstsicherung kann sich auf die Grundvergütung, Zulagen, Sonderzahlungen und andere variable Bestandteile wie Provisionen erstrecken. Der genaue Umfang ergibt sich aus dem jeweiligen Vertrag, der Betriebsvereinbarung oder dem Tarifvertrag.
Dauer der Verdienstsicherung
Die Dauer der Verdienstsicherung ist ebenfalls unterschiedlich geregelt. Sie reicht von einer befristeten Übergangsphase (z. B. 12, 24 oder 36 Monate) bis zur unbefristeten Garantie des bisherigen Einkommens. Im Regelfall ist die Dauer von der Intensität und dem Umfang der strukturellen Änderungen abhängig.
Rechtliche Einordnung und Wirksamkeit
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) verfügt der Betriebsrat über ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der betrieblichen Lohngestaltung, wozu auch Verdienstsicherungsklauseln zählen können. Werden solche Klauseln in Betriebsvereinbarungen festgelegt, so sind sie grundsätzlich verbindlich und einzuhalten.
Individualrechtliche Wirkung
Im Falle einer einzelvertraglichen Vereinbarung gilt die Verdienstsicherungsklausel als Bestandteil des Arbeitsvertrags und entfaltet auch dann Bindungswirkung, wenn spätere Änderungen im Betrieb eintreten.
Schutz durch Nachwirkung bei Tarifwechsel
Wird ein Tarifvertrag mit Verdienstsicherungsklausel durch einen neuen Tarifvertrag ersetzt oder gekündigt, so kann diese Regelung nach § 4 Abs. 5 TVG unter bestimmten Umständen nachwirken und Beschäftigte weiter schützen, bis eine neue Regelung vereinbart wurde.
Grenzen und Zulässigkeit der Verdienstsicherungsklausel
Kein Ausschluss tarifvertraglicher Änderungen
Verdienstsicherungsklauseln dürfen nicht dazu führen, dass tarifvertraglich vorgesehene Änderungen generell ausgeschlossen werden. Sie bilden lediglich eine Schutzschranke für bereits bestehende Ansprüche und können nicht verhindern, dass neue, tarifvertragliche oder gesetzliche Regelungen die zukünftige Vergütung beeinflussen.
Zulässigkeit im Rahmen der Vertragsfreiheit
Im Rahmen der Vertragsfreiheit sind Verdienstsicherungsklauseln zulässig, sofern sie nicht gegen zwingende gesetzliche Vorschriften oder gegen das Diskriminierungsverbot nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verstoßen. Außerdem ist zu beachten, dass solche Klauseln nicht dazu dienen dürfen, unangemessene Benachteiligungen anderer Beschäftigtengruppen herbeizuführen.
Aktuelle Rechtsprechung zur Verdienstsicherungsklausel
Die Rechtsprechung hat in zahlreichen Fällen die Zulässigkeit, Reichweite und Auslegungsfrage von Verdienstsicherungsklauseln bestätigt. Insbesondere wurde durch das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass der Zweck der Verdienstsicherung keine generelle Besitzstandswahrung bedeutet, sondern auf den angemessenen Ausgleich konkreter Einkommenseinbußen abzielt (vgl. BAG, Urteil v. 21.02.2017 – 1 AZR 367/15). Vertrags- oder tarifliche Ausgestaltungen, die einen geldwerten Besitzstand angemessen bewahren, gelten im Regelfall als wirksam.
Zusammenfassung
Die Verdienstsicherungsklausel ist eine bedeutsame arbeitsrechtliche Schutzregelung zur Abfederung von Einkommensverlusten bei Umstrukturierungen, Überleitungen oder sonstigen organisatorischen Veränderungen. Sie kommt sowohl in kollektivrechtlichen als auch in individualrechtlichen Vereinbarungen zur Anwendung und schafft Rechtssicherheit für Beschäftigte und Arbeitgeber. Die konkrete Ausgestaltung ist dabei sehr unterschiedlich und orientiert sich an den jeweiligen betrieblichen, tariflichen oder gesetzlichen Rahmenbedingungen. In der betrieblichen Praxis trägt die Verdienstsicherungsklausel maßgeblich zur sozialen Absicherung und Akzeptanz von Veränderungsprozessen bei.
Häufig gestellte Fragen
Wann kommt die Verdienstsicherungsklausel in Arbeitsverträgen zur Anwendung?
Die Verdienstsicherungsklausel findet in Arbeitsverträgen oder Tarifverträgen immer dann Anwendung, wenn durch betriebliche Maßnahmen – etwa Umstrukturierungen, die Änderung von Tätigkeitsbereichen oder die Einführung neuer Entgeltsysteme – das Arbeitsentgelt eines Arbeitnehmers verringert würde. Ziel der Klausel ist es, den bisherigen Verdienst des Arbeitnehmers zumindest für einen bestimmten Zeitraum zu sichern. In der Praxis geschieht dies insbesondere im Zusammenhang mit Betriebsübergängen, Rationalisierungsmaßnahmen oder bei Änderungskündigungen. Rechtlich relevant ist dabei, dass die Klausel die einzelvertraglich oder tariflich vereinbarten Lohnbestandteile als Bezugsgröße nimmt und häufig auch weitere Vergütungsbestandteile wie Zulagen oder Zuschläge einschließt. Die Verdienstsicherung betrifft in der Regel das Grundgehalt sowie regelmäßig gewährte Sonderzahlungen und schließt auch übertarifliche Leistungen ein, sofern sie Bestandteil des bisherigen Einkommens waren.
Welche rechtlichen Anforderungen muss eine Verdienstsicherungsklausel erfüllen?
Eine Verdienstsicherungsklausel muss hinreichend bestimmt und transparent gestaltet sein, damit Arbeitnehmer und Arbeitgeber eindeutig erkennen können, welche Einkommensbestandteile gesichert sind und wie die Berechnung des gesicherten Verdienstes erfolgt. Die Klausel muss sich auf einen klaren Referenzzeitraum beziehen, aus dem sich das gesicherte Einkommen ableitet – häufig die letzten zwölf Monate vor Änderung. Laut Rechtsprechung dürfen solche Klauseln nicht gegen das AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB) verstoßen, insbesondere was Transparenzgebot und Benachteiligungsverbot angeht. Zudem muss dargelegt werden, für welche Dauer und unter welchen Umständen die Verdienstsicherung greift und wie sie im Falle des Ausscheidens oder bei weiteren betrieblichen Änderungen anzuwenden ist.
Wie wird der gesicherte Verdienst im Rahmen einer Verdienstsicherungsklausel berechnet?
Die Berechnung des gesicherten Verdienstes erfolgt in der Regel anhand des durchschnittlichen Einkommens, das der Arbeitnehmer im maßgeblichen Referenzzeitraum vor Eintritt der verändernden Maßnahme erzielt hat. Dabei werden sämtliche regelmäßigen Einkommensbestandteile berücksichtigt, etwa das Grundgehalt, tarifliche und außertarifliche Zulagen, Schichtzuschläge oder regelmäßige Prämien. Unregelmäßige, einmalige oder freiwillige Sonderzahlungen werden meist nicht einbezogen, sofern sie nicht ausdrücklich in der Klausel benannt sind. Der genaue Berechnungsmodus – etwa die Wahl des Referenzzeitraums oder die Einbeziehung einzelner Vergütungsbestandteile – sollte klar in der Klausel geregelt sein, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden.
Welche Folgen hat eine wirksame Verdienstsicherungsklausel für spätere Vergütungsanpassungen?
Wenn eine wirksame Verdienstsicherungsklausel vorliegt, ist es dem Arbeitgeber nicht gestattet, das gesicherte Entgeltniveau zu unterschreiten, selbst wenn neue betriebliche oder tarifliche Entgeltregelungen für vergleichbare Tätigkeiten geringere Vergütungen vorsehen. Die vertragliche Zusicherung wirkt somit wie ein individueller Besitztstandsschutz. In der Praxis bedeutet dies, dass Gehaltskürzungen nicht zulässig sind, solange die Verdienstsicherungsklausel gilt, und dass etwaige tarifliche Gehaltserhöhungen dennoch auf den gesicherten Verdienst aufgeschlagen werden können, sofern dies ausdrücklich geregelt ist. Die Klausel kann auch vorsehen, dass spätere Erhöhungen auf den gesicherten Verdienst angerechnet oder mit diesem verrechnet werden.
Wann und wie kann eine Verdienstsicherungsklausel ihre Wirkung verlieren?
Die Verdienstsicherungsklausel kann ihre Wirkung verlieren, wenn hierfür explizite Regelungen im Vertrag oder Tarifvertrag getroffen wurden, beispielsweise durch Zeitablauf (befristeter Bestandsschutz) oder durch bestimmte Ereignisse wie Beförderungen, den Wechsel in eine andere Tätigkeit oder das Ausscheiden aus dem Unternehmen. Auch kann eine Verdienstsicherungsklausel durch eine Änderungsvereinbarung oder im Zuge einer einvernehmlichen Vertragsänderung ausgesetzt oder aufgehoben werden. In manchen Fällen entfällt ihr Schutz, wenn ein Arbeitnehmer ohne berechtigten Grund die ihm angebotene zumutbare andere Tätigkeit ablehnt. Rechtlich ist zu beachten, dass eine einseitige Aufhebung der Verdienstsicherung seitens des Arbeitgebers regelmäßig unzulässig ist.
Was sind typische Streitpunkte bei der Anwendung von Verdienstsicherungsklauseln und wie werden sie gelöst?
Häufige Streitpunkte betreffen die Auslegung der gesicherten Vergütungsbestandteile, die richtige Bestimmung des Referenzzeitraums und die Frage, ob freiwillige Leistungen oder Einmalzahlungen miteinbezogen werden müssen. Uneinigkeit besteht auch darüber, wie tarifliche Änderungen oder betriebsbedingte Versetzungen zu behandeln sind. Solche Streitigkeiten werden in der Regel vor den Arbeitsgerichten ausgetragen, die dabei die Grundsätze der Vertragsauslegung – insbesondere das Transparenzgebot und den Schutz vor unangemessener Benachteiligung – zugrunde legen. In Zweifelsfällen erfolgt eine Auslegung der Klausel stets zu Lasten des Verwenders, also meist des Arbeitgebers. Hilfreich ist eine möglichst präzise Formulierung der Verdienstsicherungsklausel sowie eine frühzeitige arbeitsrechtliche Beratung.