Legal Lexikon

Usance


Definition und Rechtsnatur der Usance

Der Begriff Usance (abgeleitet vom französischen „usage“ für Gebrauch oder Gewohnheit) bezeichnet im Recht und insbesondere im Wirtschaftsverkehr eine branchen-, orts- oder handelsübliche Gepflogenheit, die im Laufe der Zeit durch stetige Übung entstanden ist und von den beteiligten Verkehrskreisen als verbindlich angesehen wird. Usancen können dabei nicht nur im innerstaatlichen Recht, sondern ebenso im internationalen Handelsrecht zentrale Bedeutung erlangen.

Usancen stellen keine Gesetze im formellen Sinn dar, sondern bewegen sich in der Sphäre der Rechtsgewohnheit oder Handelsübung. Sie ergänzen oder konkretisieren bestehende gesetzliche Bestimmungen und werden insbesondere herangezogen, wenn gesetzliche Vorgaben auslegungsbedürftig oder lückenhaft sind. Ihre rechtliche Wirksamkeit ergibt sich häufig aus einer ausdrücklichen Bezugnahme im Gesetz oder im Vertrag, oder sie werden als Verkehrsauffassung durch die Gerichte anerkannt.


Usance im Privatrecht

Bedeutung im Bürgerlichen Recht

Im Bürgerlichen Recht dient die Usance der Lückenschließung sowie der Konkretisierung von Rechtsgeschäften. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) nimmt etwa in § 346 Abs. 2 S. 2 BGB (Rücktritt) oder § 157 BGB (Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen) auf die im Verkehr bestehenden Gebräuche („Verkehrssitte“) Bezug. Usancen können demnach bei der Auslegung von Verträgen und der Bestimmung des Vertragsinhalts herangezogen werden, insbesondere dann, wenn eine Vereinbarung unbestimmt ist oder Lücken aufweist.

Verkehrsübungen und Handelsbräuche

Im Zusammenhang mit der Usance sind die Begriffe „Verkehrsübung“ und „Handelsbrauch“ von Bedeutung. Während Verkehrsübungen sämtliche gesellschaftlich oder marktspezifisch anerkannte Gepflogenheiten umfassen, beziehen sich Handelsbräuche ausschließlich auf den Handelsverkehr. Nach § 346 HGB sind Handelsbräuche bei der Auslegung von Rechtsgeschäften der Kaufleute zu berücksichtigen, sofern nichts anderes bestimmt ist.


Usance im Handelsrecht

Usancen als Handelsbrauch

Im Handelsrecht kommt Usancen eine besonders hervorgehobene Stellung zu, da der Handelsverkehr häufig von besonderen Gepflogenheiten und Vereinfachungen geprägt ist. § 346 Handelsgesetzbuch (HGB) sieht vor, dass unter Kaufleuten geltende Handelsbräuche maßgeblich für die Auslegung von Handlungen und Verträgen im Handelsverkehr sind. Damit werden Usancen zur maßgeblichen ergänzenden Rechtsquelle.

Praxisbeispiele: Branchenüblichkeiten

Usancen können sehr spezifisch ausgestaltet sein, etwa als Börsenusancen, Speditionsusancen oder branchenspezifische Lieferusancen (etwa im internationalen Warenhandel). Ein Beispiel ist der im internationalen Warenkauf gebräuchliche Liefertermin, der je nach Region und Handelsbranche unterschiedlich ausgelegt wird. Ebenso sind Barzahlungs- oder Zahlungszielusancen (z. B. „netto Kasse“, „30 Tage netto“) standardisierte Elemente des kaufmännischen Rechtsverkehrs.

Rechtsverbindlichkeit und Verbindlichkeitsgrad

Ob und inwieweit Usancen für Vertragsparteien verbindlich sind, hängt davon ab, ob

  • die Usance allgemein anerkannt ist,
  • sie von den Beteiligten gekannt und beachtet werden durfte oder musste,
  • das Gesetz ihrer Berücksichtigung nicht entgegensteht und
  • sie durch individuelle Abreden der Parteien nicht abbedungen wurde.

Usancen im internationalen Handelsrecht

Bedeutung bei grenzüberschreitenden Rechtsgeschäften

Für das internationale Wirtschaftsleben sind Usancen von hoher Bedeutung, insbesondere dort, wo Normen wie das UN-Kaufrecht (CISG) Anwendung finden oder wo Lücken nationaler Rechtsvorschriften bestehen. International vereinheitlichte Usancen sind z. B. die Incoterms („International Commercial Terms“), welche als Standard für Lieferbedingungen weltweit breite Geltung erlangt haben.

Kollisionsrechtliche Aspekte

Bei Rechtsstreitigkeiten können Usancen auch kollisionsrechtliche Relevanz entfalten. Nationales und internationales Kollisionsrecht sieht vor, dass die maßgeblichen Handelsbräuche des Ortes oder der Branche, in der das Geschäft abgewickelt wird, Anwendung finden können, sofern keine entgegenstehenden zwingenden Rechtsvorschriften vorliegen.


Verhältnis der Usance zu gesetzlichen Regelungen

Ergänzende Funktion

Usancen haben regelmäßig eine ergänzende (subsidiäre) Funktion. Sie treten neben die gesetzlichen Regelungen und werden zur Anwendung gebracht, sobald das Gesetz eine ausdrückliche Öffnungsklausel für Verkehrsbräuche vorsieht oder diese zur Auslegung herangezogen werden müssen.

Vorrang individueller Vereinbarungen

Jede Usance kann durch ausdrückliche Parteivereinbarung ausgeschlossen, modifiziert oder erweitert werden. Gesetzliche Vorschriften (z. B. §§ 305 ff. BGB zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen) sowie zwingendes Recht stehen über den Usancen und begrenzen deren Geltungsbereich.


Usance im Zivilprozess und Beweisführung

Beweislast und Nachweis im Prozess

Das Vorliegen einer Usance muss im Streitfall mit den Mitteln des Zivilprozesses nachgewiesen werden. Hierbei werden beispielsweise Zeugen (aus dem betreffenden Verkehrskreis), Urkunden, Branchenstatuten, Bekanntmachungen oder Gutachten von Organisationen (z. B. IHK, Handelskammern) zugrunde gelegt. Die Gerichte können nach § 293 ZPO über ausländische Rechte und Handelsusancen Beweis erheben und sie von Amts wegen würdigen.

Gerichtliche Anerkennung

Gerichte prüfen Konsistenz, Allgemeinverbindlichkeit und Praxisrelevanz einer behaupteten Usance und entscheiden, ob sie in dem konkreten Fall zur Anwendung kommt. Teilweise genießen bestimmte Usancen auch Privilegierung durch Verordnungen oder anerkannte Branchenpapiere, was den Nachweis erleichtern kann.


Abgrenzung zu ähnlichen Rechtsbegriffen

Usancen sind von anderen rechtlichen Begriffen zu unterscheiden, etwa:

  • Handlungsgewohnheit: Individuelle, wiederholte Verhaltensweise zwischen denselben Geschäftspartnern.
  • Verkehrssitte: Allgemein gesellschaftlich akzeptierte Gewohnheiten, auch außerhalb des Handelsverkehrs.
  • Rechtsgewohnheit: Lang geübte Praxis, die sich mit Rechtsüberzeugung im Sinne einer allgemeinen Rechtsquelle durchgesetzt hat.

Zusammenfassung und Bedeutung

Usancen prägen maßgeblich die Ausgestaltung, Auslegung und Durchführung von Rechtsgeschäften, insbesondere im Handels- und Wirtschaftsleben. Sie dienen als bewährte Praktiken zur Schließung gesetzlicher Lücken und geben dem Rechtsverkehr Flexibilität und Praxisnähe. Ihre rechtliche Relevanz reicht von der Vertragsauslegung über die Ergänzung privater Vereinbarungen bis hin zur Entscheidung schwieriger Rechtsfälle, in denen staatliche Gesetze schweigen oder interpretationsbedürftig sind.

Durch ihre flexible, aber dennoch verbindliche Natur leisten Usancen einen bedeutenden Beitrag zur Rechtssicherheit und zur Wirtschaftlichkeit der Geschäftsabwicklung im modernen Rechtsverkehr.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Konsequenzen können sich aus der Missachtung landesüblicher Usancen im Geschäftsverkehr ergeben?

Im Geschäftsverkehr kann die Ignoranz gegenüber bestehenden Usancen – also gewohnheitsrechtlich etablierten Handelsbräuchen – weitreichende rechtliche Folgen nach sich ziehen. Usancen werden in vielen Rechtsordnungen, darunter auch im deutschen Handelsrecht (§ 346 HGB), als ergänzende Regelungen herangezogen, die Vertragslücken schließen oder zur Auslegung von Willenserklärungen dienen können. Wird eine Usance, die als Handelsbrauch anerkannt ist, missachtet, so kann dies beispielsweise eine Pflichtverletzung darstellen, die den Ersatz von daraus resultierenden Schäden nach sich ziehen kann. Ebenso kann dadurch ein Verhalten als vertragswidrig bewertet und gegebenenfalls ein Rücktrittsrecht begründet werden. In bestimmten Fällen kann auch die Anwendbarkeit einer Usance zu einer Erweiterung oder Einschränkung von Rechten und Pflichten führen, insbesondere wenn diese als stillschweigend vereinbart gilt. Gerichte berücksichtigen Usancen zudem häufig bei der Ermittlung des Parteiwillens, was die Interpretation von Verträgen maßgeblich beeinflussen kann.

Inwieweit sind Usancen im Lichte des § 346 HGB (Handelsgesetzbuch) rechtlich verbindlich?

Usancen sind laut § 346 HGB im Handelsverkehr grundsätzlich verbindlich, sofern sie „die im Handelsverkehr geltenden Gebräuche und Gewohnheiten“ darstellen. Die rechtliche Verbindlichkeit setzt jedoch voraus, dass beide Vertragsparteien Kaufleute sind und keine entgegenstehende ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, werden Usancen wie vertraglich vereinbarte Klauseln als normativer Bestandteil des Vertrages behandelt. Ihre verbindliche Wirkung kann jedoch durch zwingende gesetzliche Bestimmungen oder eine explizite vertragliche Abbedingung eingeschränkt oder aufgehoben werden. Berücksichtigt wird auch, ob die Beteiligten mit den Usancen vertraut sein konnten oder mussten („Kenntniszurechnung“).

Wie werden Usancen in einem Gerichtsprozess festgestellt und gewürdigt?

Die Feststellung einer Usance in einem Gerichtsprozess erfolgt in der Regel nach den Vorschriften über das Beweisrecht, insbesondere mittels Zeugen, Sachverständigen oder schriftlichen Unterlagen wie Handelskammerauskünften oder Marktusancenverzeichnissen. Das Gericht prüft, ob tatsächlich ein gefestigter, von einer Mehrheit der betreffenden Kaufleute befolgter Gebrauch vorliegt, der eine bestimmte Regelmäßigkeit und Allgemeinverbindlichkeit aufweist. Die Auslegung einer Usance obliegt der richterlichen Würdigung, wobei der regionale und branchenspezifische Charakter besonders zu berücksichtigen ist. Ferner wird geprüft, ob die Usance im konkreten Fall auf die Parteien Anwendung findet, also sachlich, räumlich und zeitlich relevant ist.

Können Usancen vertraglich ausgeschlossen oder modifiziert werden und wie wird dies rechtlich wirksam gestaltet?

Grundsätzlich können Usancen durch ausdrückliche vertragliche Abreden zwischen den Parteien ausgeschlossen oder modifiziert werden. Ein solcher Ausschluss muss klar und eindeutig im Vertrag formuliert sein, um der gesetzlichen Vermutung, dass Usancen Bestandteil des Handelsgeschäfts sind, entgegenzuwirken. Die Modifikation oder der Ausschluss wird rechtlich wirksam, sofern keine zwingenden gesetzlichen Vorschriften entgegenstehen. Im Streitfall ist derjenige beweispflichtig, der sich auf den Ausschluss beruft. Üblicherweise wird dies in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) geregelt; hier sind jedoch die jeweiligen AGB-rechtlichen Transparenz- und Verständlichkeitsanforderungen zu beachten.

Welche Rolle spielen internationale Usancen im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr?

Im internationalen Geschäftsverkehr können Usancen eine bedeutende Rolle für die Vertragsauslegung und -durchführung spielen, insbesondere dann, wenn nationale Rechtsvorschriften unverbindlich oder unvollständig sind. Häufig wird auf international anerkannte Handelsbräuche und Regelwerke, wie Incoterms oder Usancen der Internationalen Handelskammer (ICC), zurückgegriffen. Im Rahmen des UN-Kaufrechts (CISG) sieht etwa Art. 9 CISG ausdrücklich vor, dass Parteien an solche international anerkannten Handelsbräuche gebunden sind, sofern sie diese kannten oder kennen mussten. Allerdings setzt die Anwendung internationaler Usancen voraus, dass sie im jeweiligen Vertragsverhältnis üblich und von beiden Parteien beachtet werden, andernfalls gelten die nationalen Bestimmungen.

Welche Anforderungen bestehen an die Entstehung und Geltung von Usancen im Rechtssinn?

Eine Usance entsteht rechtlich nur, wenn ein bestimmtes Verhalten durch eine Vielzahl von Marktteilnehmern innerhalb eines Wirtschaftszweiges über einen längeren Zeitraum hinweg mit Rechtsbindungswillen regelmäßig praktiziert wird. Es muss sich dabei um eine bewährte und von Kaufleuten als verbindlich angesehene Praxis handeln, die eindeutig und konstant genug ist, um eine Erwartung ihrer Anwendung zu begründen. Die Rechtsprechung verlangt einen hohen Grad an Allgemeinheit und Bekanntheit innerhalb der betreffenden Branche oder Region. Einzelverhalten oder kurzzeitig beobachtete Praktiken genügen diesen Anforderungen nicht.

Welche Beweislast trifft die Parteien hinsichtlich des Bestehens oder Nichtbestehens einer Usance?

Wer sich auf eine Usance beruft, trägt grundsätzlich die Beweislast für deren Bestehen, Inhalt und Anwendbarkeit im konkreten Fall. Es muss nachvollziehbar dargelegt und durch geeignete Beweismittel (z.B. Zeugenaussagen, Kammerauskünfte, Branchenpublikationen) untermauert werden, dass die Usance allgemein anerkannt und praktiziert wird. Umgekehrt muss die Partei, die sich auf einen ausdrücklichen Ausschluss oder die Nichtgeltung beruft, dies konkret beweisen. Besteht über eine Usance Streit, hat das Gericht deren Vorliegen substantiiert zu prüfen und gegebenenfalls einen Sachverständigen oder die Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Rate zu ziehen.

In welchem Verhältnis stehen Usancen zu zwingenden gesetzlichen Vorschriften?

Usancen dürfen zwingende gesetzliche Vorschriften weder umgehen noch in Widerspruch zu ihnen treten. Sie wirken lediglich ergänzend zum Vertragsrecht und können dispositive Rechtsnormen (d.h. abdingbare Vorschriften) ausfüllen oder modifizieren. Soweit gesetzliche Vorschriften zwingend und unabdingbar gelten, sind Usancen insoweit unbeachtlich. Sollten sie mit zwingenden Rechtsnormen kollidieren, sind sie unwirksam und finden keine Anwendung. Dies betrifft insbesondere arbeits-, verbraucherschutz- oder öffentlich-rechtliche Vorschriften, die nicht zur Disposition der Parteien stehen.