Begriff und rechtliche Einordnung des Umgehungsgeschäfts
Ein Umgehungsgeschäft bezeichnet im deutschen und internationalen Recht eine rechtliche Gestaltung, bei der Beteiligte ein unerwünschtes, verbotenes oder nichtig erklärtes Rechtsgeschäft umgehen, indem sie einen rechtlichen oder tatsächlichen alternativen Weg wählen. Das Umgehungsgeschäft stellt eine Form der Rechtsgeschäfte dar, die bewusst darauf ausgerichtet sind, die Anwendung von gesetzlichen Rechtsnormen zu verhindern oder zu umgehen, ohne dabei deren Tatbestand formal zu erfüllen. Ziel ist es, gesetzliche Verbote, Gebote oder Rechtsfolgen zu unterlaufen.
Rechtliche Grundlagen
Abgrenzung und Wesen
Das Umgehungsgeschäft ist klar von ähnlichen Rechtsgestaltungen, wie etwa dem Scheingeschäft (§ 117 BGB) oder dem Insichgeschäft (§ 181 BGB), abzugrenzen. Während beim Scheingeschäft ein von vornherein nicht ernst gemeinter Wille vorliegt, zeichnet sich das Umgehungsgeschäft dadurch aus, dass die Parteien ein Rechtsgeschäft mit bindendem Willen abschließen, dabei aber bewusst eine gesetzliche Vorschrift umgehen. Der innere Wille richtet sich also auf die Wirksamkeit, nicht auf deren Verhinderung.
Gesetzliche Verbote und Umgehungsgeschäft
Zentral für die rechtliche Bewertung ist, ob ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot vorliegt (§ 134 BGB). Ein Umgehungsgeschäft wird insbesondere dann als problematisch angesehen, wenn dieses dazu dient, zwingende gesetzliche Vorschriften zu vereiteln oder zu umgehen, ohne das Verbot formal zu verletzen.
- Beispiel: Ein Arbeitgeber verpflichtet sich, einen Arbeitnehmer nicht direkt, sondern über eine GmbH zu beschäftigen, um Kündigungsschutzrechte zu umgehen. Das Rechtsgeschäft wird nicht unmittelbar durch das Gesetz verboten, wohl aber dessen Umgehung.
Kriterien und Prüfungsmaßstab
Ziel und Zweck der gesetzlichen Vorschrift
Entscheidend ist, ob das Gesetz nicht nur eine bestimmte Gestaltung, sondern auch deren zielgerichtete Umgehung verhindern will. Der BGH und andere Gerichte prüfen regelmäßig den Normzweck, also ob durch die Umgehungshandlung dieser unterlaufen wird.
- Kausalität: Die Gestaltung wäre ohne den zu umgehenden gesetzlichen Tatbestand nicht gewählt worden.
- Bewusste Umgehung: Die Beteiligten müssen zielgerichtet handeln, wobei das Bewusstsein über die Umgehung genügt.
Unterscheidung zulässige Gestaltung und Umgehung
Nicht jede alternative Gestaltung ist ein Umgehungsgeschäft. Die Vertragsfreiheit gestattet grundsätzlich die freie Wahl der Vertragsform. Erst wenn die gewählte Gestaltung gezielt und ausschließlich dazu dient, eine zwingende gesetzliche Regelung zu umgehen, spricht man von einem unzulässigen Umgehungsgeschäft.
Rechtsfolgen des Umgehungsgeschäfts
Nichtigkeit nach § 134 und § 138 BGB
Umgehungsgeschäfte sind gemäß § 134 BGB nichtig, wenn das umgangene Gesetz nicht nur bestimmte Handlungen, sondern auch deren Umgehung verbieten will. Dabei ist stets der Schutzzweck der Norm zu berücksichtigen. Ist keine spezielle Verbotsnorm vorhanden, kommt eine Nichtigkeit nach § 138 BGB in Betracht, wenn das Geschäft gegen die guten Sitten verstößt.
Zulässigkeit alternativer Gestaltungen
Steht im Vordergrund lediglich eine steuerliche oder wirtschaftliche Optimierung, ohne dass eine gezielte Vereitelung gesetzlicher Vorschriften beabsichtigt ist, bleibt die Gestaltung wirksam.
Typische Anwendungsfelder in der Praxis
Gesellschaftsrecht
Im Gesellschaftsrecht sind Umgehungsgeschäfte häufig anzutreffen, etwa wenn die Vorschriften über die Kapitalaufbringung und -erhaltung (§§ 30, 31 GmbHG) durch Ersatzgestaltungen umgangen werden sollen.
Arbeitsrecht
Im Arbeitsrecht dienen Umgehungsgeschäfte dazu, zwingende Schutzvorschriften wie den Kündigungsschutz zu unterlaufen, etwa durch Kettenbefristungen oder Einsatz von Werkverträgen anstelle von regulären Arbeitsverhältnissen.
Steuerrecht
Im Steuerrecht ist die Umgehung von Steuergesetzen ein häufiger Streitpunkt. Die Abgabenordnung sieht deshalb insbesondere in § 42 AO Regelungen vor, um Schein- und Umgehungsgeschäfte im Bereich der Steuerumgehung zu verhindern.
Mietrecht und Verbraucherschutz
Mietrechtliche Umgehungsgeschäfte können entstehen, wenn durch atypische Vertragsgestaltungen zwingende Schutzvorschriften für Mieter unterlaufen werden sollen.
Rechtsprechung und Literatur
Die Rechtsprechung entscheidet in jedem Einzelfall anhand des gesetzgeberischen Willens und des verfolgten Zweckes, ob eine Umgehung im rechtlichen Sinne vorliegt. Entscheidende Urteile hierzu stammen überwiegend vom Bundesgerichtshof (BGH), der die Voraussetzungen und Folgen von Umgehungsgeschäften immer wieder thematisiert hat.
Fazit und Bewertung
Das Umgehungsgeschäft bildet einen wichtigen Kontrollmechanismus zur Sicherung der Wirkung gesetzlicher Normen. Die Bewertung, ob ein Geschäft rechtlich als Umgehungsgeschäft einzuordnen ist, erfordert stets eine Gesamtschau von gesetzlichem Leitbild, Parteiwillen und der praktischen Vertragsgestaltung. In der Praxis spielt die genaue Kenntnis des jeweiligen gesetzlichen Schutzzwecks die hauptentscheidende Rolle bei der Beurteilung, ob eine zulässige alternative Gestaltung oder ein unzulässiges Umgehungsgeschäft vorliegt.
Weiterführende Hinweise: Die Bewertung von Umgehungsgeschäften ist ein dynamischer Prozess, der neue Entwicklungen der Rechtsprechung sowie spezifische Einzelfallumstände berücksichtigt. Im Zweifel ist die sorgfältige Analyse der Gesetzeslage sowie – sofern einschlägig – der aktuellen Rechtsprechung unerlässlich.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Folgen hat ein Umgehungsgeschäft?
Ein Umgehungsgeschäft hat weitreichende rechtliche Konsequenzen, da es dazu dient, zwingende gesetzliche Vorschriften zu umgehen. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, wenn es gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Gleiches gilt für das Umgehungsgeschäft, wenn es darauf abzielt, die Wirkung eines solchen Verbots zu umgehen. Die Gerichte prüfen dabei, ob das wirtschaftliche Ergebnis des Umgehungsgeschäfts so gestaltet wurde, dass es den vom Gesetzgeber untersagten Zweck dennoch erreicht. Wird ein Umgehungsgeschäft festgestellt, kann es zur Nichtigkeit beider – des Haupt- sowie des Umgehungsgeschäfts – führen. In bestimmten Fällen wird stattdessen das dem gesetzlichen Zweck entsprechende Rechtsverhältnis angewandt (sog. gesetzliche Durchgriffshaftung). Die Rechtsfolgen betreffen somit nicht nur die Vertragsparteien, sondern können auch Dritte oder die Allgemeinheit schützen, etwa im Steuerrecht oder Arbeitsrecht.
Wie wird die Missbrauchsabsicht beim Umgehungsgeschäft festgestellt?
Die Feststellung einer Missbrauchsabsicht erfordert eine genaue Analyse des Parteiwillens und des wirtschaftlichen Ergebnisses. Die Rechtsprechung stellt auf den sogenannten objektiven Parteiwillen ab, das heißt, entscheidend ist, ob die Parteien mit dem Geschäft bewusst und gezielt den Anwendungsbereich einer gesetzlichen Regelung umgehen wollen. Dazu werden sämtliche Begleitumstände, die wirtschaftliche Zielsetzung und die konkrete Vertragsgestaltung herangezogen. Es kommt also nicht ausschließlich auf die äußere Form an, sondern auf den tatsächlich beabsichtigten Erfolg (subjektives Element) und die faktische Umgehung (objektives Element). Die Beweislast für die Missbrauchsabsicht obliegt in der Regel demjenigen, der sich auf die Unwirksamkeit beruft.
Welche Rolle spielt die Umgehungsgeschäftsrechtsprechung im Arbeitsrecht?
Im Arbeitsrecht kommt der Umgehungsgeschäftsrechtsprechung eine besondere Bedeutung zu, da hier häufig versucht wird, zwingende Vorschriften zugunsten des Arbeitnehmers zu umgehen (z.B. Kündigungsschutz, Mindestlohn, Mitbestimmungsrechte). Typische Umgehungsgeschäfte sind z.B. die Beauftragung als „freier Mitarbeiter“ statt als Arbeitnehmer oder die Konstruktion von Werkverträgen, die eine eigentliche Arbeitnehmerstellung verschleiern. Die Gerichte prüfen sorgsam, ob trotz anders lautender Bezeichnung das Arbeitsverhältnis tatsächlich vorliegt und ziehen dann die zwingenden Schutzvorschriften heran. Die Umgehung der Arbeitnehmerschutzrechte führt regelmäßig zur Nichtigkeit der Umgehungsabrede und zur Anwendung der gesetzlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften.
Wie unterscheidet sich ein Umgehungsgeschäft von einer zulässigen Vertragsgestaltung?
Die Grenze zwischen einem rechtlich zulässigen Gestaltungsspielraum und einem unzulässigen Umgehungsgeschäft ist fließend. Rechtlich erlaubt ist jede Vertragsgestaltung, die innerhalb der Grenzen des Gesetzes bleibt und keinen zwingenden Schutzzweck des Gesetzgebers konterkariert. Wird jedoch durch die gewählte Vertragsform der gesetzlich verfolgte Zweck ausgehebelt oder direkt umgangen, liegt ein Umgehungsgeschäft vor. Maßgeblich ist, ob das Gesetz gerade die gewählte Gestaltung verhindern wollte. Typisch ist z.B. die Übertragung gesetzlich nicht übertragbarer Rechte durch zwischengeschaltete Verträge, die dennoch denselben wirtschaftlichen Effekt erzielen. Die Gerichte prüfen insoweit nach dem Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise.
Gibt es Ausnahmen, in denen ein Umgehungsgeschäft trotzdem wirksam sein kann?
Grundsätzlich sind Umgehungsgeschäfte, die dem Sinn und Zweck einer Verbotsnorm widersprechen, unwirksam. Es gibt jedoch Ausnahmen: Wenn beispielsweise das Gesetz einen Gestaltungsspielraum ausdrücklich zulässt oder der gesetzliche Zweck nicht konterkariert wird, kann eine Gestaltung trotz Umgehungsabsicht zulässig und wirksam sein. Zudem werden in einigen Fällen Umgehungsgeschäfte hingenommen, wenn ein berechtigtes Interesse oder höherrangige Rechtsgüter betroffen sind, etwa bei der Verhinderung eines größeren Unrechts. Auch können bloße Steuermodelle zulässig sein, sofern sie sich im Rahmen der legalen Steueroptimierung bewegen und nicht als Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) eingeordnet werden.
Welche Bedeutung hat das Umgehungsgeschäft im Steuerrecht?
Im Steuerrecht spielt das Umgehungsgeschäft eine zentrale Rolle bei der Abgrenzung zwischen zulässiger Steuervermeidung und unzulässigem Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO). Komplexe Vertragsgestaltungen, die ausschließlich auf eine Steuerersparnis abzielen, aber keinen wirtschaftlichen Gehalt haben, werden als Umgehungsgeschäfte qualifiziert und steuerlich nicht anerkannt. Die Finanzverwaltung und die Gerichte prüfen insbesondere, ob der eigentliche wirtschaftliche Zweck der Transaktion im Vordergrund steht oder ob lediglich eine gesetzlich nicht vorgesehene Steuerersparnis erzielt werden soll. In letzterem Fall wird das Geschäft steuerlich wie das umgangene Rechtsgeschäft behandelt; etwaige Steuerersparnisse werden rückgängig gemacht.
Welche Rechtsfolgen ergeben sich bei der Unwirksamkeit eines Umgehungsgeschäfts für bereits erbrachte Leistungen?
Wird ein Umgehungsgeschäft als nichtig eingestuft, sind bereits erbrachte Leistungen grundsätzlich nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) zurückzugewähren. Dies gilt vor allem dann, wenn das Umgehungsgeschäft als sitten- oder gesetzeswidrig qualifiziert wird. Eine Rückabwicklung kann jedoch im Einzelfall durch besondere Schutzzwecke des Gesetzes beschränkt sein; beispielsweise kann Rückgewähr ausgeschlossen sein, wenn der Zweck des Verbotes nicht mehr erreicht werden kann oder sie dem Schutzzweck gerade widersprechen würde (sog. Kondiktionssperre nach § 817 Satz 2 BGB). In diesen Fällen verbleibt es zum Teil bei einer faktischen Vermögensverschiebung.