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Übermittlungsirrtum


Übermittlungsirrtum im deutschen Zivilrecht

Begriff und rechtliche Einordnung

Der Übermittlungsirrtum stellt im deutschen Zivilrecht einen speziellen Unterfall des Willensmangels dar, der sich insbesondere im Rahmen der Willenserklärungen nach §§ 119 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) niederschlägt. Er ist gesetzlich in § 120 BGB normiert und beschreibt die Konstellation, in der eine Willenserklärung durch eine zur Übermittlung eingesetzte Person oder Einrichtung unrichtig weitergegeben wird und dadurch eine Abweichung vom ursprünglich Gewollten entsteht. Ein Übermittlungsirrtum kann den Erklärenden zur Anfechtung seiner Willenserklärung berechtigen.

Voraussetzungen und Merkmale des Übermittlungsirrtums

Übermittlung durch eine Mittelsperson

Der Übermittlungsirrtum setzt voraus, dass der Erklärende zur Übermittlung seiner Willenserklärung eines sogenannten Erklärungsboten (natürliche Person) oder einer sonstigen Übermittlungseinrichtung (z.B. technischen Mitteln wie Fax, Software oder Postdienst) bedient. Der Erklärungsbote agiert als reine Übertragungsperson ohne eigene Entscheidungsbefugnis bezüglich des Inhalts der Erklärung.

Fehlerhafte Übermittlung

Der Irrtum muss darin bestehen, dass die übermittelte Erklärung inhaltlich von der tatsächlich abgegebenen Erklärung des Erklärenden abweicht. Die Abweichung kann sowohl inhaltlicher als auch formeller Natur sein und muss auf einem Übermittlungsfehler beruhen, beispielsweise durch Verlesen, Verschreiben, Missverständnis oder technische Störung.

Keine eigene Willensbildung

Zu unterscheiden ist der Übermittlungsirrtum vom Fall, in dem der Erklärungsbote eine eigene Willenserklärung abgibt oder verändert. Hier liegt kein Übermittlungsirrtum mehr vor, sondern eine eigene Erklärung des Boten, die dem Erklärenden nicht automatisch zugerechnet werden kann.

Rechtliche Folgen des Übermittlungsirrtums

Anfechtungsrecht des Erklärenden (§ 120 BGB)

Dem Erklärenden steht im Falle eines Übermittlungsirrtums gem. § 120 BGB ein Anfechtungsrecht zu. Die Anfechtung ist ähnlich zu § 119 BGB ausgestaltet, wobei die Anfechtung innerhalb der in § 121 BGB normierten Frist – „unverzüglich“, das heißt ohne schuldhaftes Zögern – zu erfolgen hat.

Rechtsfolgen der Anfechtung

Durch wirksame Anfechtung wird die ursprünglich fehlerhafte Willenserklärung rückwirkend (ex tunc) nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB). Wurde durch die Anfechtung ein Rechtsgeschäft unwirksam, können nach § 122 BGB unter Umständen Schadensersatzansprüche des Erklärungsempfängers entstehen, wenn dieser auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat (sog. Vertrauensschaden).

Abgrenzungen zu anderen Irrtumsarten

Erklärungsirrtum

Der Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB betrifft Fehler bei der Abgabe der Erklärung durch den Erklärenden selbst, etwa Versprechen oder Verschreiben. Im Gegensatz dazu liegt beim Übermittlungsirrtum der Fehler bei der Übertragung durch die Mittelsperson.

Inhaltsirrtum und Eigenschaftsirrtum

Der Inhaltsirrtum erfasst Missverständnisse über die Bedeutung der Erklärung (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB), während der Eigenschaftsirrtum auf einer Fehlvorstellung über eine im Rechtsverkehr wesentliche Eigenschaft einer Person oder Sache beruht (§ 119 Abs. 2 BGB). Beide Irrtumsarten unterscheiden sich vom Übermittlungsirrtum durch den Irrtumsgegenstand und die Entstehungssituation.

Empfangsbote und Erklärungsbote

Wesentlich für die Einordnung eines Übermittlungsirrtums ist die Differenzierung zwischen Empfangsbote (Empfänger oder von ihm beauftragte Person) und Erklärungsbote (vom Absender ausgewählt). Nur der Irrtum eines Erklärungsboten kann dem Absender als Übermittlungsirrtum zugerechnet werden.

Praktische Anwendungsfälle

Übermittlungsirrtümer treten häufig im geschäftlichen wie im privaten Rechtsverkehr auf, insbesondere bei der Übermittlung von Vertragsangeboten oder Annahmeerklärungen durch Dritte oder mittels technischer Kommunikationsmittel. Typische Beispiele sind:

  • Übermittlung durch einen Boten, der eine Zahl falsch weitergibt.
  • Fehlerhafte Übertragung durch ein Faxgerät, wo eine Ziffer unleserlich wird.
  • Irrtum bei der digitalen Übermittlung durch fehlerhafte E-Mail-Adresseingabe.

Beweislast und Darlegungsanforderungen

Derjenige, der die Anfechtung aufgrund eines Übermittlungsirrtums geltend machen möchte, trägt die Beweislast für das Vorliegen aller Voraussetzungen des § 120 BGB, insbesondere für die tatsächliche Abweichung zwischen dem Übermittelten und dem ursprünglich Gewollten.

Rechtsfolgen bei empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen

Empfangsbedürftige Willenserklärung

Bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärung (z.B. Angebot, Annahme) wird der Inhalt der übermittelten, beim Erklärungsempfänger angekommenen Willenserklärung als bindend angesehen, solange keine wirksame Anfechtung erfolgt.

Nicht empfangsbedürftige Willenserklärung

Auch bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen (z.B. Testament) kann ein Übermittlungsirrtum vorliegen. Die Anfechtung kann dann nach Maßgabe spezieller Vorschriften erfolgen (§§ 2078, 2079 BGB).

Systematische Einbindung und weitere Rechtsfolgen

Der Übermittlungsirrtum ist Teil des allgemeinen Schuldrechts und systematisch als Unterfall der Anfechtungstatbestände zu sehen, die auf Willensmängeln beruhen. Er dient dem Schutz des Vertrauens in die richtige Übermittlung von Willenserklärungen, indem er den Erklärenden von ungewollten Rechtsfolgen entlasten kann, sofern die Anfechtung fristgerecht erfolgt und berechtigt ist. Gleichwohl soll durch die Vorschrift des § 122 BGB ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen von Erklärenden und Erklärungsempfängern geschaffen werden.

Literatur und weiterführende Hinweise

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 120 BGB
  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar
  • MüKoBGB, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
  • Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB

Der Übermittlungsirrtum nimmt innerhalb des Irrtumsrechts im deutschen Zivilrecht einen bedeutenden Spezialfall ein, der nicht nur den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) widerspiegelt, sondern auch zur Rechtssicherheit im geschäftlichen Verkehr beiträgt.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Konsequenzen hat ein Übermittlungsirrtum?

Ein Übermittlungsirrtum hat erhebliche Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Willenserklärungen im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 120 BGB). Der Empfänger einer fehlerhaft übermittelten Willenserklärung erhält nicht die tatsächliche Willenserklärung des Erklärenden, sondern ein vom Übermittler verfälschtes Angebot oder eine Annahme. In einem solchen Fall kann der Erklärende die Erklärung anfechten. Die Anfechtung unterliegt jedoch bestimmten Voraussetzungen: Der Irrtum muss auf einer unbewussten falschen Übermittlung durch eine Mittelsperson (z. B. Bote, Telefonist, oder auch moderne Übermittlungswege wie E-Mail) beruhen und nicht auf einem eigenen Willensmangel des Erklärenden. Wird die Anfechtung fristgerecht erklärt, ist das Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen. Der Empfänger kann nach § 122 BGB jedoch Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens erheben, es sei denn, ihm war der Irrtum bekannt oder hätte auffallen müssen.

Welche Arten von Übermittlungsirrtümern werden rechtlich unterschieden?

Im rechtlichen Kontext wird zwischen Übermittlungsirrtümern, die durch menschliche Boten oder durch technische Übermittlungsfehler entstehen, unterschieden. Ein klassischer Übermittlungsirrtum liegt vor, wenn ein Bote die zu übermittelnde Willenserklärung falsch wiedergibt (z.B. falsche Zahlen, Namen, oder Inhalte). Technische Übermittlungsfehler können etwa bei Fax, E-Mail oder Telefonursprüngen auftreten, bei denen durch Störungen oder Softwarefehler der Inhalt der Erklärung verändert oder verfälscht wird. Entscheidend ist hierbei, dass die Erklärung auf dem Weg zum Empfänger falsch übermittelt wird, ohne dass der Erklärende dies bemerkt und die Verfälschung nicht seinem Willen entspricht.

Wie unterscheidet sich der Übermittlungsirrtum vom Erklärungsirrtum?

Der zentrale Unterschied zwischen Übermittlungsirrtum und Erklärungsirrtum besteht darin, dass beim Erklärungsirrtum der Irrtum direkt bei der Abgabe der Willenserklärung durch den Erklärenden selbst entsteht, etwa wenn dieser sich verspricht oder verschreibt. Beim Übermittlungsirrtum hingegen gibt der Erklärende die richtige Willenserklärung ab, aber die Falschangabe erfolgt erst durch die Übermittlung, also auf dem Übermittlungsweg – sei es durch einen menschlichen oder einen technischen Übermittler. Das BGB behandelt diese Fallgruppen in verschiedenen Paragraphen (§ 119 für Erklärungsirrtum, § 120 für Übermittlungsirrtum), wobei beide zur Anfechtbarkeit des Vertrages führen können.

Welche Fristen gelten für die Anfechtung wegen Übermittlungsirrtums?

Die Frist zur Anfechtung eines Rechtsgeschäfts wegen Übermittlungsirrtums ergibt sich aus § 121 BGB. Die Anfechtung muss unverzüglich – das heißt ohne schuldhaftes Zögern – nach Kenntnis des Übermittlungsirrtums erklärt werden. Praktisch bedeutet das, dass der Erklärende ab dem Zeitpunkt, an dem er von der fehlerhaften Übermittlung Kenntnis erlangt, schnellstmöglich die Anfechtung erklären muss. Eine verspätete Anfechtung kann dazu führen, dass das Rechtsgeschäft als wirksam gilt und die Möglichkeit der nachträglichen Anfechtung ausgeschlossen ist.

Muss der Anfechtungsgegner für seinen Vertrauensschaden entschädigt werden?

Ja, nach § 122 BGB hat der Anfechtungsgegner grundsätzlich Anspruch auf Ersatz des sogenannten Vertrauensschadens (negatives Interesse). Dieser Schaden umfasst alle Nachteile, die dadurch entstanden sind, dass der Empfänger auf die Gültigkeit der Willenserklärung vertraut hat, etwa entstandene Kosten oder Aufwendungen. Allerdings ist der Ersatzanspruch beschränkt: Der Geschädigte erhält nicht mehr, als er bei Gültigkeit des Geschäfts bekommen hätte, und der Anspruch entfällt, wenn dem Empfänger der Irrtum bekannt war oder hätte auffallen müssen.

Greift die Anfechtung bei jedem Fehler in der Übermittlung?

Die Anfechtbarkeit wegen Übermittlungsirrtums greift nur dann, wenn tatsächlich ein Irrtum in der Übermittlung der Willenserklärung vorliegt und der Irrtum für den Inhalt der Erklärung kausal war. Kleine, für das Geschäft unwesentliche Fehler, die keine inhaltliche Änderung verursachen, berechtigen nicht zur Anfechtung. Weiterhin besteht das Anfechtungsrecht nur, wenn die fehlerhafte Übermittlung nicht auf einen Fehler des Empfängers oder Bewusstes Handeln des Übermittlers zurückzuführen ist.

Kann ein Übermittlungsirrtum auch bei digitalen Übermittlungswegen wie E-Mails oder Fax vorliegen?

Ja, ein Übermittlungsirrtum ist auch bei der Nutzung moderner Kommunikationstechnologien anerkannt. Fehlerhafte Übermittlungen durch Computerviren, Serverfehler, fehlerhafte Automatismen in E-Mail-Clients oder Datenverlust auf dem Übertragungsweg können zu einem relevanten Übermittlungsirrtum führen. Voraussetzung ist allerdings, dass die abgegebene Willenserklärung auf dem Übermittlungsweg unfreiwillig verändert wurde. Auch hier gelten die allgemeinen Regeln des § 120 BGB, einschließlich der Möglichkeit einer Anfechtung.