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Thermofenster


Begriff und Definition: Thermofenster

Das sogenannte Thermofenster bezeichnet eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung beziehungsweise der Abgasreinigung in Kraftfahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Durch diese konstruktive Einrichtung wird die Wirksamkeit von Abgasreinigungssystemen (wie Katalysatoren oder selektive katalytische Reduktion) innerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs optimiert, während sie außerhalb dieses Bereichs, insbesondere bei niedrigen Temperaturen, reduziert wird.

Das Thermofenster ist eng verknüpft mit der Problematik sogenannter Abschalteinrichtungen, die in zahlreichen Diesel-Fahrzeugen eingesetzt wurden und erheblichen rechtlichen sowie politischen Diskussionen in der Europäischen Union (EU) und in Deutschland geführt haben.


Rechtliche Einordnung des Thermofensters

EU-Rechtlicher Rahmen

Verordnung (EG) Nr. 715/2007

Grundlage für die rechtliche Bewertung von Thermofenstern bildet die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und Rats über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen (Euro-5-/Euro-6-Normen). Artikel 5 Absatz 2 dieser Verordnung sieht vor, dass „Abschalteinrichtungen“ grundsätzlich unzulässig sind, sofern sie wirken, dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems außerhalb der Prüfbedingungen verringert wird.

Lediglich unter bestimmten Ausnahmen dürfen Abschalteinrichtungen verwendet werden, wie beispielsweise:

  • Wenn sie notwendig sind, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen,
  • oder für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs.

Auslegung durch Europäische Gerichte

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) konkretisierte im Jahr 2020 und 2022 die Ausnahmen und wies darauf hin, dass die Motorschutz-Klausel eng auszulegen sei. Demnach ist eine solche Vorkehrung nur dann erlaubt, wenn es ohne eine Reduzierung der Emissionskontrolle zu „unmittelbarer“ Beschädigung des Motors führen würde. Ein allgemeiner Motorschutz oder eine dauerhafte Funktionsweise der Einrichtung kann hiernach in der Regel nicht als rechtmäßige Ausnahme gelten.

Deutsches Recht und nationale Umsetzung

Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) und Typgenehmigung

In Deutschland ist die Einhaltung der EU-Abgasstandards durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) bei der Typgenehmigung zu überprüfen. Die Verwendung eines Thermofensters, das über den unionsrechtlich zulässigen Rahmen hinausgeht, kann zum Erlöschen der Betriebserlaubnis und zu behördlichen Rückruf- oder Stilllegungsverfügungen führen.

Zivilrechtliche Auswirkungen

Die rechtlichen Auseinandersetzungen betreffen insbesondere den Bereich des Kaufvertragsrechts und des Deliktsrechts. Die zentralen Anspruchsgrundlagen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sind:

  • §§ 434, 437 BGB (Sachmängelhaftung)
  • § 826 BGB (sittenwidrige vorsätzliche Schädigung)

Gerichte haben in der Vergangenheit unterschiedlich beurteilt, ob das Vorhandensein eines Thermofensters einen Sachmangel des Fahrzeugs begründet und welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben. Insbesondere, ob Käufer Anspruch auf Rückabwicklung oder Schadensersatz geltend machen können.

Verwaltungsrechtliche Aspekte

Auch das Verwaltungsrecht ist betroffen. Die zuständigen Behörden (vor allem das KBA) können bei festgestellten Verstößen Rückrufaktionen anordnen oder die Betriebserlaubnis der Fahrzeuge entziehen. Hersteller werden verpflichtet, Fahrzeugsoftware so anzupassen, dass die Emissionswerte auch außerhalb des „Thermofensters“ den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.


Rechtsprechung zu Thermofenstern

Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)

Der EuGH hat wiederholt entschieden, dass die Berufung auf Motorschutz kritischen Grenzen unterliegt. Beispielsweise sei ein ausschließlich temperaturabhängiges Abgasreinigungssystem unzulässig, sofern es eine allgemeine Reduzierung der Emissionskontrolle zur Folge habe, ohne dass konkrete und unmittelbare Motorgefahren drohen.

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH)

Der Bundesgerichtshof hat sich mehrfach mit den rechtlichen Folgen einer unzulässigen Abschalteinrichtung beschäftigt. Weitreichende Entscheidungen betrafen Schadensersatzansprüche gegen Fahrzeughersteller, deren Steuerungssoftware in einem engen Außentemperaturfenster agierte und so die Wirksamkeit der Abgasreinigung beschränkte.

Praxis der Verwaltungsgerichte

Mehrere Verwaltungsgerichte bestätigten das Vorgehen des Kraftfahrt-Bundesamtes, Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen und entsprechende Rückrufmaßnahmen anzuordnen. Die Gerichte stützen sich dabei auf die enge Auslegung der einschlägigen unionsrechtlichen Vorgaben.


Internationale Regelungen und Entwicklungen

Thermofenster und deren rechtliche Bewertung sind auch international von Bedeutung. Neben den EU-Vorgaben existieren Regelungen in weiteren Ländern, beispielsweise in den USA, die teils noch strengere Abgasvorschriften und Prüfverfahren vorsehen. Auch in diesen Rechtsordnungen gelten temperaturabhängige Abschalteinrichtungen grundsätzlich als unzulässig.


Bedeutung für Hersteller, Verbraucher und Behörden

Das Thema Thermofenster hat weitreichende praktische Konsequenzen:

  • Hersteller müssen ihre Fahrzeuge entsprechend anpassen und stehen bei Verstößen im Risiko zivil-, verwaltungs- und gegebenenfalls strafrechtlicher Konsequenzen.
  • Verbraucher können Ansprüche auf Schadenersatz oder Rückabwicklung geltend machen, wenn ihr Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist.
  • Behörden sind verpflichtet, Typgenehmigungen zu überwachen und bei Verstößen entsprechend einzugreifen.

Zusammenfassung und Ausblick

Das Thermofenster ist ein zentrales Thema im Automobil- und Umweltrecht. Die rechtliche Einordnung wurde durch zahlreiche Gerichtsentscheidungen konkretisiert. Nach gegenwärtiger europäischer und nationaler Rechtsprechung sind temperaturgesteuerte Reduzierungen der Emissionskontrolle nur in engen Ausnahmefällen zulässig. Die Entwicklung rechtlicher Standards, technischer Prüfverfahren und politischer Anforderungen wird weiterhin maßgeblich durch geltende Umweltschutzvorschriften und die Rechtsprechung geprägt. Zukünftige Rechtsprechung und Gesetzgebung dürften das Thema weiter beeinflussen und den Rahmen für einen umweltverträglichen Betrieb von Fahrzeugen abstecken.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen Fahrzeugherstellern bei der Verwendung von Thermofenstern?

Die Verwendung von sogenannten Thermofenstern, also temperaturabhängigen Strategien bei der Abgasrückführung, kann für Fahrzeughersteller erhebliche rechtliche Konsequenzen haben. Nach europäischem Recht, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, sind Abschalteinrichtungen, die die Wirksamkeit der Emissionskontrollsysteme mindern, grundsätzlich verboten. Ausnahmen gelten nur, wenn der Einsatz zum Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs notwendig ist. Durch verschiedene Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie nationaler Gerichte wurden Thermofenster in vielen Fällen als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft. Fahrzeughersteller, die solche Systeme verwenden, müssen daher mit Rückrufen und der Verpflichtung zum Einbau von Software-Updates rechnen. Zusätzlich können erhebliche Bußgelder verhängt werden; es drohen aber auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche von Fahrzeughaltern und strafrechtliche Ermittlungen gegen verantwortliche Personen. Die rechtlichen Folgen sind somit vielfältig und reichen von verwaltungsrechtlichen Maßnahmen über Zivilhaftung bis hin zu strafrechtlicher Verantwortlichkeit.

Inwieweit können Fahrzeughalter Ansprüche gegenüber Händlern oder Herstellern geltend machen?

Fahrzeughalter, deren Auto mit einem Thermofenster ausgestattet und damit möglicherweise illegal ist, können Ansprüche sowohl gegenüber dem Händler als auch gegen den Hersteller geltend machen. Wenn das Fahrzeug zum Kaufzeitpunkt nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht, kann dies einen Sachmangel nach deutschem Kaufrecht (§§ 434 ff. BGB) darstellen. Betroffene Käufer können je nach Einzelfall Nacherfüllung, Minderung des Kaufpreises, Rücktritt vom Vertrag oder Schadensersatz verlangen. In Fällen von Täuschung oder sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) – beispielsweise wenn der Hersteller wissentlich unzulässige Abschalteinrichtungen eingesetzt und dies verschwiegen hat – kommen auch Ansprüche direkt gegen den Hersteller in Betracht. Seit dem Diesel-Abgasskandal gibt es eine Vielzahl von Urteilen, die um den Umfang dieser Ansprüche kreisen. Die konkrete Anspruchsdurchsetzung kann jedoch von der jeweiligen Aktualität der höchstrichterlichen Rechtsprechung abhängen.

Welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof (EuGH) bei der Auslegung der Zulässigkeit von Thermofenstern?

Der EuGH spielt eine entscheidende Rolle bei der rechtlichen Bewertung von Thermofenstern: Insbesondere hat er in mehreren Urteilen klargestellt, dass Abschalteinrichtungen grundsätzlich verboten sind und Ausnahmen eng auszulegen sind. Der Gerichtshof betont, dass der Schutz des Motors nur dann eine zulässige Ausnahme begründen kann, wenn ausschließlich der unmittelbare Schaden am Motor verhindert wird, nicht jedoch die Vermeidung von Verschleiß oder Verschmutzung. Zudem sind nationale Gerichte verpflichtet, die von der EU-Rechtsprechung gesetzten Maßstäbe anzuwenden. Durch diese Urteile wurden die Hürden für Fahrzeughersteller, sich auf eine Zulässigkeit von Thermofenstern zu berufen, erheblich erhöht und die Rechtsposition von Verbrauchern gestärkt.

Welche Bedeutung hat die deutsche Typgenehmigungsbehörde (KBA) im Kontext von Thermofenstern?

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ist in Deutschland die für die Typgenehmigung und Überwachung von Fahrzeugen zuständige Behörde. Kommt es zu Hinweisen auf unzulässige Thermofenster, prüft das KBA die Sachlage und kann auf Grundlage der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) Anordnungen erlassen, um den gesetzmäßigen Zustand wiederherzustellen. Hierzu zählen verpflichtende Rückrufe, Anordnungen zum Software-Update oder im Extremfall der Widerruf der Typgenehmigung für bestimmte Modelle. Die Maßgaben des KBA sind sowohl für Hersteller als auch für Halter bindend. Darüber hinaus kommuniziert das KBA seine Feststellungen und Maßnahmen an die europäische Ebene und andere nationale Behörden.

Wie wirkt sich die Verwendung eines Thermofensters auf die Betriebserlaubnis eines Fahrzeugs aus?

Wird bei einem Fahrzeug nachweislich eine unzulässige Abschalteinrichtung (Thermofenster) eingesetzt, kann dies die Wirksamkeit der Betriebserlaubnis berühren. Gemäß § 19 Abs. 2 StVZO erlischt die Betriebserlaubnis, wenn durch technische Änderungen oder unzulässige Einrichtungen eine Gefährdung des Straßenverkehrs zu erwarten oder das Abgasverhalten verschlechtert ist. Folge hiervon kann sein, dass das Fahrzeug nicht mehr im Straßenverkehr betrieben werden darf, bis es entsprechend nachgerüstet oder umgerüstet wird. Behörden können betroffene Fahrzeuge zwangsweise stilllegen bzw. die Zulassung entziehen. Die Betriebserlaubnis spielt daher eine zentrale Rolle in der rechtlichen Handhabung des Themas Thermofenster.

Kann ein Fahrzeug wegen eines Thermofensters zwangsweise stillgelegt werden?

Ja, die zwangsweise Stilllegung ist möglich und wird dann behördlich veranlasst, wenn das Fahrzeug nicht den geltenden Emissionsvorschriften entspricht, weil eine unzulässige Abschalteinrichtung, wie das Thermofenster, verwendet wird und kein geeignetes Update installiert werden kann oder wurde. Nach § 5 Abs. 1 FZV darf ein Fahrzeug den Verkehr nicht gefährden oder übermäßig verschmutzen. Bei nicht erfolgter Nachrüstung nach einer Rückrufanordnung kann die zuständige Zulassungsstelle die Betriebserlaubnis entziehen und das Fahrzeug stilllegen. In der Praxis geschieht dies üblicherweise erst nach mehreren Aufforderungen und Fristen zur Mängelbeseitigung.

Besteht ein Unterschied in der rechtlichen Bewertung von Thermofenstern bei neuen und älteren Fahrzeugmodellen?

Grundsätzlich gilt das Verbot unzulässiger Abschalteinrichtungen unabhängig vom Alter oder Baujahr des Fahrzeugs, sofern das Fahrzeug unter das jeweils relevante Abgasreglement fällt (beispielsweise Euro 5 oder Euro 6). Allerdings können Änderungen in der technischen Zulassung, Rechtsentwicklung und Rechtsprechung dazu führen, dass ältere Modelle möglicherweise nicht nach den neuesten Maßstäben bewertet werden. Die Übergangsregelungen und die Entwicklung der EU- und nationalen Gesetzgebung führen in Einzelfällen dazu, dass bestimmte Fahrzeugtypen oder Baujahre unterschiedlich behandelt werden. Dennoch: Die Kernprinzipien bezüglich der Zulässigkeit von Thermofenstern gelten nach aktueller Rechtsprechung auch rückwirkend für bereits zugelassene Fahrzeuge, sofern diese eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweisen.