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Schiedsgutachtervertrag


Begriff und Rechtsnatur des Schiedsgutachtervertrags

Ein Schiedsgutachtervertrag ist eine vertragliche Vereinbarung zwischen zwei oder mehreren Parteien, durch die ein neutraler Dritter („Schiedsgutachter“) mit der verbindlichen Feststellung strittiger Tatsachen, Werte oder Zustände beauftragt wird. Der Schiedsgutachtervertrag zählt zu den privatrechtlichen Verträgen und dient insbesondere der außergerichtlichen Streitbeilegung durch eine sachliche Feststellung, die von den Parteien als bindend anerkannt wird. Im deutschen Recht fällt der Schiedsgutachtervertrag regelmäßig unter die sogenannten nichtstreitigen oder schiedsgutachterlichen Verfahren im Gegensatz zum förmlichen Schiedsverfahren gemäß §§ 1025 ff. ZPO.

Abgrenzung zu Ähnlichen Rechtsinstituten

Unterschied zum Schiedsverfahren

Der Schiedsgutachtervertrag ist deutlich vom Schiedsverfahren (Arbitration) zu unterscheiden. Während der Schiedsgutachter lediglich eine Tatsachenfeststellung vornimmt oder den Wert einer Sache bestimmt, dient das Schiedsverfahren der Entscheidung eines Rechtsstreits mit obligatorischer Bindungswirkung an das Schiedsurteil.

Unterschied zum Mediations- und Schlichtungsverfahren

Im Schiedsgutachtervertrag steht die objektive Feststellung eines Zustandes oder Wertes im Vordergrund. Im Mediations- sowie Schlichtungsverfahren hingegen geht es um die verständigungsbasierte Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien. Der Schiedsgutachter entscheidet nicht über den Streit im Ganzen, sondern lediglich über spezifische, von den Parteien im Vertrag definierte Fragen.

Vertragliche Grundlage und Entstehung

Abschluss des Schiedsgutachtervertrags

Der Schiedsgutachtervertrag kommt durch Angebot und Annahme zwischen den Parteien zustande. Die vertraglichen Regelungen beinhalten insbesondere die Bestimmung der zu begutachtenden Fragestellung, die Benennung des Schiedsgutachters sowie dessen Auswahlverfahren und Befugnisse. Die Parteien können den Vertrag sowohl für einen bestehenden als auch für einen künftigen Streit abschließen.

Formvorschriften

Grundsätzlich ist für den Schiedsgutachtervertrag keine besondere Form vorgeschrieben; er kann somit formfrei abgeschlossen werden. Ausnahmen ergeben sich, wenn der Vertrag selbst eine bestimmte Form vorsieht oder wenn für das zugrundeliegende Rechtsgeschäft eine gesetzliche Formvorschrift (z. B. notarielle Beurkundung) besteht.

Rechtswirkungen

Bindungswirkung des Schiedsgutachtens

Die Feststellungen des Schiedsgutachters sind grundsätzlich für beide Parteien verbindlich, sofern nicht Willkür, offensichtliche Unrichtigkeit oder Verstöße gegen zwingendes Recht vorliegen. Die Entscheidung des Schiedsgutachters entfaltet eine ähnliche Wirkung wie ein vertraglich vereinbarter Maßstab. Eine gerichtliche Überprüfung ist lediglich hinsichtlich offensichtlicher Fehler oder grober Unbilligkeit möglich, nicht jedoch in Bezug auf die inhaltliche Richtigkeit der Feststellungen.

Wirkung gegenüber Dritten

Die Bindungswirkung des Schiedsgutachtens bezieht sich in erster Linie auf die vertragsschließenden Parteien. Dritte sind hiervon grundsätzlich nicht betroffen, es sei denn, sie sind ebenfalls Vertragspartei oder werden ausdrücklich in den Vertrag einbezogen.

Anwendungsbereiche

Schiedsgutachterverträge finden insbesondere Anwendung in Fällen, in denen sachliche oder wertmäßige Fragen zwischen Parteien umstritten sind. Typische Einsatzgebiete sind:

  • Auseinandersetzungen über den Wert von Unternehmen oder Immobilien
  • Gewährleistungsfälle im Bau- und Werkvertragsrecht
  • Schadenermittlungen in Versicherungsangelegenheiten
  • Leistungsermittlungen bei Kaufverträgen
  • Bewertung von Anteilen in Gesellschaftsverträgen

Rechte und Pflichten der Beteiligten

Rechte und Pflichten der Parteien

Die Parteien sind verpflichtet, dem Schiedsgutachter die für die Begutachtung notwendigen Informationen und Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Sie dürfen den Schiedsgutachter in seiner Entscheidungsfindung weder beeinflussen noch ihm Weisungen erteilen.

Rechte und Pflichten des Schiedsgutachters

Der Schiedsgutachter ist zur Unparteilichkeit und sorgfältigen Durchführung der Begutachtung verpflichtet. Er hat die ihm obliegenden Aufgaben nach eigenem Ermessen, unabhängig und gewissenhaft auszuführen. Gegenüber den Parteien ist er zu Auskunft und Bericht über den Stand des Gutachtens verpflichtet, sofern dies vereinbart wurde.

Vergütung

Die Vergütung des Schiedsgutachters wird entweder vertraglich festgelegt oder bestimmt sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über den Auftrag (§§ 662 ff. BGB), sofern dazu keine anderweitigen Regelungen getroffen sind. Die Parteien sind regelmäßig gesamtschuldnerisch zur Zahlung verpflichtet.

Beendigung und Anfechtung

Beendigung des Schiedsgutachtervertrages

Der Schiedsgutachtervertrag endet mit der Abgabe des Gutachtens, durch Zeitablauf, durch Kündigung seitens der Parteien (sofern zulässig) oder durch Tod oder Wegfall des Schiedsgutachters. Die Kündigung durch eine Partei ist grundsätzlich nur aus wichtigem Grund möglich.

Anfechtung der Entscheidung

Eine Anfechtung des Schiedsgutachtens ist nur in engen Ausnahmefällen zulässig. Zulässige Gründe sind:

  • Fehlerhafte Durchführung des Verfahrens durch den Schiedsgutachter
  • Offensichtlich willkürliche oder unbillige Entscheidung
  • Verstoß gegen zwingende gesetzliche Vorschriften

Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich dabei auf grobe Fehler und Verstöße gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Gesetzliche Grundlagen und Praxisrelevanz

Gesetzliche Grundlagen

Obwohl der Schiedsgutachtervertrag nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist, wird er als zulässiges Instrument im Rahmen der Privatautonomie anerkannt. Die rechtlichen Grundlagen ergeben sich aus den allgemeinen Vorschriften des BGB, insbesondere im Bereich des Schuldrechtes (§§ 305 ff. BGB Vertragsschluss, §§ 328 ff. BGB Vertrag zugunsten Dritter) sowie dem Auftragsrecht (§§ 662 ff. BGB).

Praxisrelevanz

Aufgrund der Flexibilität und Effizienz der außergerichtlichen Streitbeilegung kommt dem Schiedsgutachtervertrag in der Praxis erhebliche Bedeutung zu, insbesondere im wirtschaftlichen Kontext, im Bau- und Gesellschaftsrecht sowie bei Versicherungsangelegenheiten. Er bietet den Parteien eine sachliche, schnelle und verbindliche Klärung von Tatsachen- oder Wertfragen ohne Einschaltung staatlicher Gerichte.

Literaturhinweise

  • Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht
  • Erman, BGB Kommentar
  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Kommentar
  • Münchener Kommentar zum BGB

Hinweis: Dieser Lexikonartikel zum Thema Schiedsgutachtervertrag bietet eine umfassende und tiefgehende Übersicht über das Rechtsinstitut, seine Anwendung, rechtlichen Grundlagen und Besonderheiten.

Häufig gestellte Fragen

Welche formalen Anforderungen muss ein Schiedsgutachtervertrag erfüllen?

Ein Schiedsgutachtervertrag unterliegt grundsätzlich der Vertragsfreiheit und bedarf – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keiner besonderen Form. Das bedeutet, er kann schriftlich, mündlich oder auch konkludent (durch schlüssiges Verhalten) abgeschlossen werden. Jedoch empfiehlt sich aus Beweisgründen stets die Schriftform. Insbesondere bei Verträgen mit weitreichenden finanziellen oder rechtlichen Folgen kann die schriftliche Fixierung der Schiedsgutachtervereinbarung vor späteren Streitigkeiten über Inhalt und Umfang schützen. Gesetzliche Formerfordernisse können dann relevant werden, wenn der Schiedsgutachtervertrag Bestandteil eines anderen formbedürftigen Geschäfts, beispielsweise eines Grundstückskaufvertrags, ist. In diesem Fall muss auch der Schiedsgutachtervertrag die für das Hauptgeschäft vorgeschriebene Form (z.B. notarielle Beurkundung gemäß § 311b BGB) einhalten. Neben der Form sollte der Vertrag präzise regeln, welcher Sachverhalt oder welche Streitfrage dem Schiedsgutachter unterbreitet wird, welches Verfahren zur Begutachtung angewendet wird, sowie das Zuständigkeits- und Auswahlverfahren für den Schiedsgutachter.

Unterliegt die Schiedsgutachterentscheidung einer gerichtlichen Überprüfung?

Die Entscheidung des Schiedsgutachters ist in der Regel für die Parteien bindend und entfaltet die zwischen ihnen vereinbarte Wirkung. Ausnahmen bestehen jedoch in engen Grenzen: Gerichte überprüfen die Schiedsgutachterentscheidung nur daraufhin, ob der Gutachter die ihm übertragene Aufgabe überschritten oder gegen zwingende gesetzliche Vorschriften, etwa gegen das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB), verstoßen hat. Zudem darf die Entscheidung nicht offensichtlich unbillig oder vollkommen unvertretbar („schreiende Unbilligkeit“) sein. Eine inhaltliche Überprüfung, also eine neue Sachentscheidung, nehmen Gerichte jedoch grundsätzlich nicht vor. Die Überprüfungsmöglichkeiten sind damit auf gravierende Fehler, Verfahrensverstöße oder Fälle offenkundiger Unrichtigkeit beschränkt.

Was ist der Unterschied zwischen Schiedsgutachter- und Schiedsvertrag aus rechtlicher Sicht?

Der Schiedsgutachtervertrag unterscheidet sich wesentlich vom Schiedsvertrag. Während ein Schiedsgutachter mit verbindlicher Wirkung für die Parteien bestimmte Tatsachen oder Werte feststellt (z.B. den Kaufpreis oder Schadenshöhe), entscheidet ein Schiedsgericht über Rechtsstreitigkeiten mit rechtsverbindlicher Wirkung ähnlich wie ein staatliches Gericht (§ 1029 ff. ZPO). Die rechtlichen Wirkungen unterscheiden sich: Während die Entscheidung des Schiedsgerichts einem vollstreckbaren Urteil gleichkommt, schafft die Schiedsgutachterentscheidung lediglich eine vertraglich vereinbarte Bindung hinsichtlich der festgestellten Tatsachen oder Werte und ist, mit den genannten Ausnahmen, nicht direkt vollstreckbar.

Wann ist ein Schiedsgutachtervertrag sittenwidrig oder unwirksam?

Ein Schiedsgutachtervertrag kann unwirksam sein, wenn er gegen gesetzliche Verbote (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt. Das ist etwa der Fall, wenn der Schiedsgutachter parteiisch oder befangen ist oder Interessen verfolgt, die mit seiner Neutralität nicht vereinbar sind. Auch kann die Unwirksamkeit vorliegen, wenn der Vertrag erkennbar darauf abzielt, eine Partei unangemessen zu benachteiligen oder grundlegende Prinzipien der Gerechtigkeit umgeht. In solchen Fällen besteht keine Bindung an die getroffenen Feststellungen des Schiedsgutachters.

Kann die Bestellung des Schiedsgutachters gerichtlich ersetzt werden?

Ja, sofern die Parteien sich auf eine Schiedsgutachtervereinbarung geeinigt haben, aber bei der Benennung des konkreten Schiedsgutachters Streit entsteht oder eine Partei die Bestellung verweigert, kann gemäß § 317 Abs. 2 BGB ein Ersatz durch gerichtliche Bestellung erfolgen. Das Gericht wird dann einen geeigneten und unabhängigen Schiedsgutachter ernennen, wobei die Interessen und Vorschläge beider Parteien zu berücksichtigen sind. Dieses Verfahren sichert, dass es nicht zur Blockade des vereinbarten Schiedsgutachtermechanismus kommt.

Welche Rolle spielt die Unparteilichkeit des Schiedsgutachters aus rechtlicher Sicht?

Die Unparteilichkeit des Schiedsgutachters ist ein zentrales rechtliches Erfordernis für die Wirksamkeit seiner Entscheidung. Der Schiedsgutachter muss unabhängig sein und darf keine engen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Beziehungen zu den Parteien haben, die seine Neutralität beeinträchtigen könnten. Erweist sich nachträglich, dass der Schiedsgutachter befangen war oder seine Neutralität in Zweifel steht, kann dies zur Unwirksamkeit der Schiedsgutachterentscheidung führen. In gravierenden Fällen kann sogar der Schiedsgutachtervertrag insgesamt als nichtig angesehen werden. Die Rechtsprechung fordert daher eine sorgfältige Auswahl des Gutachters und ermöglicht es den Parteien, bei Verdacht auf Befangenheit Rechtsmittel einzulegen.

Wie verhält sich der Schiedsgutachtervertrag zur Verjährung streitiger Ansprüche?

Die Vereinbarung eines Schiedsgutachterverfahrens beeinflusst grundsätzlich nicht die gesetzlichen Verjährungsfristen. Während der Durchführung des Schiedsgutachterverfahrens kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen die Verjährung gehemmt werden. Nach der Rechtsprechung tritt beispielsweise eine Hemmung gemäß § 203 BGB ein, wenn zwischen den Parteien über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände verhandelt wird; ein Schiedsgutachterverfahren kann darunterfallen, sofern tatsächlich Verhandlungen über einen Anspruch stattfinden. Diese Frage ist jedoch im Einzelfall und vertraglich zu prüfen, weshalb eine explizite Regelung zur Verjährungshemmung im Schiedsgutachtervertrag empfehlenswert ist.