Begriff und rechtliche Grundlagen der Scheingesellschaft
Die Scheingesellschaft bezeichnet im deutschen Recht eine vermeintliche Personengesellschaft, die nach außen als solche auftritt, tatsächlich jedoch keine rechtliche Existenz besitzt, weil ihre Gründung oder ihr Gesellschaftszweck nur zum Schein erfolgt ist. Sie stellt damit ein typisches Beispiel eines sogenannten Scheingeschäfts im Sinne von § 117 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) dar. Dieses Phänomen hat erhebliche zivil- wie auch steuerrechtliche Konsequenzen und kann sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Verantwortung der beteiligten Personen nach sich ziehen. Der folgende Artikel bietet eine umfassende, rechtlich fundierte Betrachtung der Scheingesellschaft und ihrer Auswirkungen.
Wesen und Charakteristika der Scheingesellschaft
Definition der Scheingesellschaft
Eine Scheingesellschaft liegt vor, wenn ein Gesellschaftsvertrag abgeschlossen wird, der nach dem Willen der Beteiligten keine tatsächliche gesellschaftsrechtliche Bindung begründen soll. Das nach außen hin erweckte Bild einer Gesellschaft steht dabei im Widerspruch zu den tatsächlichen Willenserklärungen der Beteiligten. Die Gesellschaft existiert lediglich zum Schein, etwa um Dritte zu täuschen oder um bestimmte rechtliche oder steuerliche Vorschriften zu umgehen.
Merkmale
Typische Merkmale der Scheingesellschaft sind:
- Fehlender gemeinsamer Geschäftsbetrieb: Es wird kein Unternehmen mit gemeinsamen Mitteln und Ziel geführt.
- Ausschließlicher Schein: Die Gesellschaft dient ausschließlich dem äußeren Anschein, nicht aber dem Abschluss eines zulässigen Gesellschaftszwecks.
- Unwirksamer Gesellschaftsvertrag: Der Vertrag ist nicht auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet, sondern auf das Verschaffen eines rechtlichen Scheins.
Rechtliche Einordnung der Scheingesellschaft
Zivilrechtliche Betrachtung
Anwendung von § 117 BGB – Scheingeschäft
Nach § 117 Abs. 1 BGB ist ein Scheingeschäft ein durch Willenserklärung abgeschlossenes Rechtsgeschäft, das von den Parteien in Wirklichkeit nicht gewollt ist. Auf eine Scheingesellschaft finden daher die Vorschriften über das Scheingeschäft Anwendung. Danach ist der Gesellschaftsvertrag der Scheingesellschaft nichtig.
Folgen der Nichtigkeit
Durch die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrags können keine wirksamen gesellschaftsrechtlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten entstehen. Es haftet also keiner der vermeintlichen Gesellschafter nach den Grundsätzen einer echten Gesellschaft gegenüber anderen Gesellschaftern. Drittwirkungen können jedoch entstehen, wenn ein Dritter auf den äußeren Anschein vertraut hat (sogenannte Rechtsscheinhaftung).
Rechtsscheinhaftung
Obwohl eine Scheingesellschaft als solche nicht existiert, können die Handelnden unter bestimmten Voraussetzungen Dritten gegenüber haften, wenn diese im guten Glauben auf das Bestehen einer Gesellschaft vertraut haben. Diese Haftung wird durch das Prinzip des „venire contra factum proprium“ und die Regeln zum Vertrauensschutz getragen.
Gesellschaftsformübergreifende Auswirkungen
Scheingesellschaften können bei allen Gesellschaftsformen auftreten, typischerweise aber vor allem bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), der Offenen Handelsgesellschaft (OHG) sowie der Kommanditgesellschaft (KG). Die Grundsätze gelten entsprechend für auch Mischformen und atypische Gesellschaften.
Abgrenzungen und verwandte Rechtsbegriffe
Abgrenzung zur nichtigen Gesellschaft
Bei der Scheingesellschaft fehlt der Konsens auf eine tatsächliche gesellschaftsrechtliche Bindung. Demgegenüber liegt bei der nichtigen Gesellschaft zwar ein ernsthafter Gesellschaftsvertrag vor, der jedoch wegen anderer Gründe, etwa eines Gesetzesverstoßes, nichtig ist. Die Unterschiede sind für die rechtlichen Konsequenzen maßgeblich.
Abgrenzung zum Strohmann-Modell
Beim Einsatz eines Strohmanns sind die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten ernsthaft gewollt. Der Strohmann handelt im eigenen Namen, aber fremder Rechnung. Bei der Scheingesellschaft hingegen fehlt der reale Bindungswille zum Gesellschaftsverhältnis.
Scheingesellschaft und Scheingeschäft allgemein
Die Scheingesellschaft stellt einen Spezialfall des allgemeinen Scheingeschäfts nach § 117 BGB dar. Darüber hinaus können auch andere Scheingeschäfte (z. B. Scheinübertragungen) gesellschaftsrechtliche Fragen aufwerfen.
Steuerrechtliche Aspekte der Scheingesellschaft
Steuerliche Nichtigkeit
Nach Auffassung der Finanzverwaltung und der Rechtsprechung wird eine Scheingesellschaft steuerlich nicht als Mitunternehmerschaft anerkannt. Den Beteiligten werden keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit oder Land- und Forstwirtschaft zugerechnet, da es an einem wirksamen Gesellschaftsverhältnis fehlt.
Steuerumgehung und Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten
Häufig werden Scheingesellschaftsmodelle zur unberechtigten Erlangung von Steuervorteilen eingesetzt. Im Steuerrecht wird daher im Rahmen von §§ 42 AO (Abgabenordnung, Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten) derartige Konstruktionen besonders geprüft und gegebenenfalls nicht anerkannt.
Haftung für Steuerschulden
Die rein äußerliche Beteiligung an einer Scheingesellschaft begründet grundsätzlich keine Haftung für die Gesellschaftsschulden (auch nicht für Steuerschulden). Eine persönliche Haftung kann nur bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen, z. B. Rechtscheinhaftung gegenüber Dritten, entstehen.
Strafrechtliche Risiken im Zusammenhang mit Scheingesellschaften
Betrug und andere Delikte
Die Gründung und der Betrieb einer Scheingesellschaft kann strafrechtliche Relevanz entfalten, insbesondere wenn die Absicht besteht, Dritte zu täuschen oder sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Es kommen insbesondere die Delikte des Betrugs (§ 263 StGB), der Untreue (§ 266 StGB) oder der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) in Betracht.
Geldwäsche und Insolvenzdelikte
Auch im Zusammenhang mit Geldwäsche (§ 261 StGB) sowie Insolvenzstraftaten können Scheingesellschaften instrumentalisiert werden. Die Strafverfolgungsbehörden prüfen im Einzelfall, ob die Gesellschaft tatsächlich dem Schein dient und strafbare Handlungen begangen wurden.
Rechtsprechung und Literatur zur Scheingesellschaft
Bedeutsame Urteile
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und der Oberlandesgerichte (OLG) hat klare Kriterien für das Vorliegen einer Scheingesellschaft und deren zivilrechtliche bzw. steuerrechtliche Behandlung entwickelt. Maßgeblich ist stets, ob ein ernsthafter Wille zur Aufnahme einer Gesellschaft besteht.
Relevante Literatur
In der Literatur finden sich zahlreiche Kommentare und Handbücher zum Gesellschaftsrecht und zum Allgemeinen Teil des BGB, die die rechtlichen Implikationen und Besonderheiten einer Scheingesellschaft fundiert darstellen.
Zusammenfassung
Die Scheingesellschaft ist ein Rechtskonstrukt, das sich durch das Fehlen eines gemeinschaftlichen Rechtsbindungswillens der Beteiligten und das Auseinanderfallen von äußerem Schein und innerer Absicht auszeichnet. Rechtlich führt dies zur Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrags und zur Verneinung gesellschaftsrechtlicher Beziehungen, es können jedoch Drittwirkungen und spezielle Haftungstatbestände entstehen. Steuerlich wird die Scheingesellschaft nicht als steuersubjektfähige Gemeinschaft anerkannt, sodass steuerliche Vorteile oder Haftungsfolgen in der Regel ausgeschlossen sind. Zudem entstehen bei täuschender Verwendung strafrechtliche Risiken. Die genaue rechtliche Einordnung sowie die jeweiligen Folgen hängen maßgeblich vom Einzelfall ab.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen den Initiatoren und Beteiligten einer Scheingesellschaft?
Die rechtlichen Konsequenzen für die Initiatoren und Beteiligten einer Scheingesellschaft sind vielschichtig und umfassen sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Folgen. Auf zivilrechtlicher Ebene sind sämtliche zwischen der Scheingesellschaft und Dritten getätigten Geschäfte grundsätzlich unwirksam, da ein beim Vertragsschluss vorgetäuschtes Rechtsverhältnis nichtig ist (§ 117 BGB – Scheingeschäft). Infolge dessen können beispielsweise gezahlte Einlagen oder gewährte Darlehen zurückgefordert werden. Gläubiger der Gesellschaft oder Dritter können Ansprüche auf Rückabwicklung oder Schadensersatz geltend machen.
Strafrechtlich kann insbesondere der Tatbestand des Betrugs (§ 263 StGB), der Urkundenfälschung (§ 267 StGB), der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder der Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO) erfüllt sein, wenn eine Scheingesellschaft dazu genutzt wurde, rechtswidrige Vermögensvorteile zu erlangen oder die wahren Vermögensverhältnisse zu verschleiern. Hier drohen in gravierenden Fällen Geld- oder Freiheitsstrafen. Zudem können gesellschaftsrechtliche Verantwortlichkeiten wie Geschäftsführerhaftung (§ 43 GmbHG, § 93 AktG) greifen, wenn durch die Scheingesellschaft Schaden bei Gesellschaft oder Dritten entsteht. Wird festgestellt, dass ausschließlich ein Scheingeschäft vorliegt, sind die vermeintlichen Gesellschaftsverhältnisse und -rechte rechtlich gegenstandslos, und sämtliche getroffenen gesellschaftsrechtlichen Vereinbarungen verlieren ihre Wirkung.
Welche Anzeichen können aus rechtlicher Sicht für das Vorliegen einer Scheingesellschaft sprechen?
Aus rechtlicher Sicht kann das Vorliegen einer Scheingesellschaft insbesondere anhand objektiver und subjektiver Merkmale geprüft werden. Typische Anzeichen sind, dass nach außen eine Gesellschaft gegründet wurde, tatsächlich jedoch keine gemeinsame wirtschaftliche Tätigkeit beabsichtigt oder durchgeführt wird. Stattdessen dient die Gesellschaft überwiegend der Verschleierung von Vermögensverhältnissen, Gläubigerschutzumgehungen oder der Steuervermeidung.
Zu den Indikatoren zählen etwa die fehlende tatsächliche Geschäftstätigkeit, das Fehlen markanter operativer Indikatoren wie Rechnungen, Verträge oder Personal, sowie die Führung eines sogenannten „Briefkastensitzes“ ohne reale Organisationsstrukturen. Relevante Anhaltspunkte sind auch die Tatsache, dass die Gesellschaft ausschließlich auf dem Papier existiert und keine eigene Kommunikation nach außen unterhält oder Geschäftsbeziehungen gepflegt werden. In der rechtlichen Bewertung kommt es zudem maßgeblich auf den Willen der Beteiligten an (subjektives Element): Wird eine Gesellschaft nur zum Schein gegründet, um Dritte zu täuschen oder Rechtspflichten zu umgehen, kann eine Scheingesellschaft vorliegen.
Welche Rolle spielt das Registergericht bei der Prüfung von Scheingesellschaften?
Das Registergericht hat im Rahmen der Anmeldung und Eintragung von Gesellschaften lediglich eine formelle, keine materielle Prüfungspflicht. Das heißt, das Gericht prüft, ob die gesetzlichen Mindestvoraussetzungen für die Eintragung erfüllt sind (z.B. ordnungsgemäße Satzung, notarielle Beurkundung, Stammdaten). Das Gericht ist jedoch grundsätzlich nicht verpflichtet, die Ernsthaftigkeit oder Zweckmäßigkeit einer Gründung oder die tatsächliche Geschäftstätigkeit einer Gesellschaft zu prüfen.
Kommt es jedoch im Laufe eines Verfahrens oder durch externe Hinweise zu Verdachtsmomenten, dass eine Scheingesellschaft vorliegen könnte, hat das Registergericht die Möglichkeit, die Eintragung zu verweigern oder bereits erfolgte Eintragungen zu überprüfen und bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 398 FamFG zu löschen. Dennoch ist die Feststellung des Scheingeschäfts meist Aufgabe der ordentlichen Gerichte, die im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten oder Ermittlungsverfahren zur Feststellung kommen, ob eine Gesellschaft im Rechtsverkehr wirklich besteht.
Können Dritte in gutem Glauben an eine Scheingesellschaft Rechte erwerben?
Grundsätzlich schützt das deutsche Recht gutgläubige Dritte nur eingeschränkt. Im Zusammenhang mit Scheingesellschaften ist von besonderer Bedeutung, dass das Rechtsgeschäft von Anfang an nicht bestehen sollte – es handelt sich also um ein Scheingeschäft im Sinne des § 117 BGB, das grundsätzlich nichtig ist. Dritterwerb in gutem Glauben wird hier regelmäßig ausgeschlossen, da kein Schutz durch die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb wie bei Sachen oder Wertpapieren besteht.
Eine Ausnahme mit Schutzwirkung für Dritte ergibt sich nur dann, wenn das Scheingeschäft tatsächlich ein verdecktes anderes Geschäft enthält („verdecktes Rechtsgeschäft“ nach § 117 Abs. 2 BGB) und dieses wiederum alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Im Zweifel trifft jedoch Dritte, die mit einer Scheingesellschaft Verträge abschließen, das Risiko der Nichtigkeit und etwaiger daraus resultierender Vermögensverluste.
Welche Beweisanforderungen gelten für die Feststellung einer Scheingesellschaft?
Die Feststellung, dass es sich bei einer Gesellschaft um eine Scheingesellschaft handelt, obliegt demjenigen, der sich darauf beruft. Nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen trägt diese Partei die Beweislast für das Vorliegen der Merkmale eines Scheingeschäfts (§ 286 ZPO). Hierzu ist meist der Nachweis erforderlich, dass die Gesellschaft im Außenverhältnis zwar existiert, jedoch nach dem tatsächlichen Willen der Beteiligten keine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet und der Geschäftsbetrieb lediglich vorgetäuscht wird.
Beweismittel können Schriftstücke, Zeugenaussagen, interne Korrespondenz, fehlende operative Tätigkeit oder Auskunft von Geschäftspartnern sein. Die Anforderungen an die Beweisführung sind dabei hoch, da insbesondere im Verhältnis zu Dritten und zum Schutz des Handelsverkehrs die Rechtssicherheit im Vordergrund steht. Die Gesamtwürdigung aller Indizien ist dabei entscheidend und bedarf einer sorgfältigen gerichtlichen Prüfung.
Welche Bedeutung hat die Scheingesellschaft im Steuerrecht?
Im Steuerrecht werden Scheingesellschaften als sogenannte „steuerliche Nicht-Unternehmen“ gewertet. Das bedeutet, dass sämtliche unter dem Namen der Scheingesellschaft abgeschlossenen Transaktionen für steuerliche Zwecke unbeachtlich und nicht wirksam sind. Die Finanzbehörden können in diesem Zusammenhang steuerliche Korrekturen vornehmen, beispielsweise rückwirkende Aberkennung von Betriebsausgaben, Vorsteuerabzug und Verlustzuweisungen.
Im Mittelpunkt steht hier regelmäßig die Frage, ob unternehmerische Tätigkeit i.S.d. § 2 UStG bzw. Gewinneinkünfte nach § 15 EStG tatsächlich vorliegen. Wird eine Gesellschaft ausschließlich zum Schein errichtet und betrieben, werden sämtliche daraus resultierenden steuerlichen Vorteile aberkannt und ggf. Nachzahlungen sowie Steuerzuschläge fällig. Zudem besteht das Risiko strafrechtlicher Verfolgung wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO).
Inwiefern haftet der Vertreter einer Scheingesellschaft persönlich?
Vertreter, insbesondere Geschäftsführer oder sonstige organschaftliche Vertreter, haften persönlich gemäß den allgemeinen Vorschriften, wenn durch die Täuschung über das Vorliegen einer Gesellschaft ein Schaden entsteht – sowohl gegenüber Vertragspartnern als auch gegenüber Dritten. Diese Haftung kann sich aus unerlaubter Handlung (§§ 823 ff. BGB), aus Vertrauenshaftung gegenüber getäuschten Geschäftspartnern oder aus spezialgesetzlichen Normen (z.B. § 43 GmbHG, § 93 AktG) ergeben.
Zudem kann strafrechtliche Verantwortlichkeit hinzukommen, wenn der Vertreter wissentlich an der Errichtung oder Führung einer Scheingesellschaft mitgewirkt hat. Gelingt dem Vertreter nicht der Nachweis, dass er selbst getäuscht wurde oder gutgläubig war, wird er regelmäßig für die aus dem Scheingeschäft resultierenden Schäden persönlich haftbar gemacht. Besonders relevant ist dies im Insolvenzfall, wenn die Insolvenzmasse aufgrund der Nichtigkeit der Gesellschaft keine Ansprüche gegenüber dem Vertreter geltend machen kann und Gläubiger direkt an den Vertreter herantreten.