Legal Lexikon

Reverse Factoring


Begriff und Grundlagen des Reverse Factoring

Reverse Factoring, auch als Lieferkettenfinanzierung oder umgekehrtes Factoring bezeichnet, ist eine besondere Form der Absatzfinanzierung, bei der ein Abnehmer – meist ein großes Unternehmen – mit einer Bank oder einem Finanzdienstleister eine Vereinbarung trifft, um seinen Lieferanten eine vorzeitige Begleichung ihrer Forderungen zu ermöglichen. Im Gegensatz zum klassischen Factoring initiiert beim Reverse Factoring nicht der Lieferant, sondern der Abnehmer die Finanzierungsstruktur. Ziel ist es, die Liquidität der Lieferanten zu stärken und dem Abnehmer längere Zahlungsziele einzuräumen, ohne die Lieferanten zu benachteiligen.

Rechtsrahmen und Vertragsstruktur

Vertragsparteien und rechtliche Beziehungen

Am Reverse Factoring sind regelmäßig drei Parteien beteiligt:

  • Der Abnehmer (Debitor)
  • Der Lieferant (Forderungsverkäufer)
  • Das Factoring-Institut (Factor)

Im Kern besteht das Reverse Factoring aus einem Dreiecksverhältnis:

  1. Der Lieferant liefert Waren oder Dienstleistungen an den Abnehmer und stellt diesem die Rechnung aus.
  2. Der Abnehmer bestätigt die Forderung gegenüber dem Factor (sog. Debitorbestätigung).
  3. Der Lieferant tritt die offene Forderung aus dem Liefergeschäft an den Factor ab (i. d. R. durch Abtretung nach § 398 BGB).
  4. Das Factoring-Institut zahlt dem Lieferanten den Forderungsbetrag, abzüglich einer Gebühr, vorzeitig aus.
  5. Der Abnehmer begleicht die Forderung zum später vereinbarten Zeitpunkt direkt an das Factoring-Institut.

Vertragsgegenstand und Abtretung

Rechtsgrundlage ist regelmäßig ein Rahmenvertrag zwischen dem Abnehmer und dem Factoring-Institut, ergänzt durch Einzelvereinbarungen mit den Lieferanten. Die wesentliche rechtliche Grundlage bildet die Forderungsabtretung nach §§ 398 ff. BGB. Im Unterschied zum klassischen Factoring ist die Forderungsbestätigung („Approved Payables“) durch den Abnehmer Voraussetzung für die Abtretung und die Auszahlung an den Lieferanten.

Sicherungsrechte und Risikoverteilung

Der Factor übernimmt im Regelfall das Ausfallrisiko gegenüber dem Abnehmer (Delkrederefunktion). Die Übernahme weiterer Risiken, beispielsweise im Hinblick auf Rückabwicklungsansprüche oder Anfechtungen im Insolvenzfall, wird individuell im Vertrag geregelt. Besondere Bedeutung haben dabei:

  • Gewährleistungsrechte des Abnehmers: Häufig darf der Abnehmer Gewährleistungseinreden gegenüber dem Factor nur noch geltend machen, wenn diese ausdrücklich im Abtretungsvertrag vorbehalten werden.
  • Insolvenzrechtliche Aspekte: Bei der Insolvenz des Lieferanten gelten die allgemeinen Regelungen zur Insolvenzanfechtung und zur Wirksamkeit der Abtretung. Im Insolvenzfall des Abnehmers verbleibt das Ausfallrisiko regelmäßig beim Factor, sofern ein echtes Factoring (d. h. mit vollständigem Forderungsübergang) vorliegt.

Regulatorische Anforderungen und zivilrechtliche Besonderheiten

Bankenaufsichtliche Aspekte

Factoring-Institute unterliegen in Deutschland der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und benötigen eine Erlaubnis nach dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG), sofern sie Zahlungsdienste erbringen. Reverse Factoring ist eine gesetzlich regulierte Finanzdienstleistung; Compliance-Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf Geldwäscheprävention und Know-Your-Customer-Verfahren (KYC), sind strikt einzuhalten.

AGB- und Verbraucherschutzrecht

Im Reverse Factoring werden sämtliche Konditionen – insbesondere die Abtretungsmodalitäten, Fälligkeiten und Entgelte – in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) geregelt. Die AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB ist zu beachten; unzulässige Klauseln, z. B. ein unangemessener Ausschluss von Einreden, können unwirksam sein. Da sich der Anwendungsbereich meist auf Geschäftskunden beschränkt, spielt das Verbraucherschutzrecht nur eine untergeordnete Rolle.

Datenschutz und Geheimhaltung

Die Offenlegung von Geschäftsbeziehungen im Rahmen eines Reverse Factoring bedarf besonderer Beachtung datenschutzrechtlicher Vorschriften, insbesondere der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Teilweise kann die Übermittlung von Lieferanten- oder Rechnungsdaten an das Factoring-Institut einer Einwilligung bedürfen.

Steuerrechtliche Implikationen

Umsatzsteuerrechtliche Behandlung

Die Abtretung von Forderungen im Rahmen des Reverse Factoring ist nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG grundsätzlich umsatzsteuerfrei. Die Dienstleistung des Factoring-Instituts (Finanzierungsgebühr) hingegen stellt eine steuerbare Leistung dar und unterliegt der Umsatzsteuer, sofern kein Ausnahmetatbestand nach Art. 135 MwStSystRL greift.

Ertragsteuerliche Aspekte

Für den Lieferanten ist der Forderungsverkauf grundsätzlich als reguläre Betriebseinnahme zu behandeln. Die durch das Factoring-Institut einbehaltene Gebühr zählt zu den betrieblichen Aufwendungen. Im Rahmen der Gewinnermittlung sind sowohl Erlöse als auch Gebühren entsprechend zu berücksichtigen.

Insolvenzspezifische Besonderheiten

Wirksamkeit der Forderungsabtretung im Insolvenzfall

Die Abtretung der Forderung an das Factoring-Institut bleibt nach § 91 InsO im Regelfall wirksam, sofern sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt ist. Bei Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit können jedoch Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO entstehen.

Auswirkungen auf Kontokorrent- und Globalzessionen

Im Rahmen des Reverse Factoring muss geprüft werden, ob konkurrierende Forderungsrechte aus Kontokorrent- oder Globalzessionsverträgen bestehen. Konflikte können durch vertragliche Vorrangregelungen oder gesonderte Rangvereinbarungen zwischen den beteiligten Forderungsgläubigern gelöst werden.

Zusammenfassung und Ausblick

Reverse Factoring stellt aus rechtlicher Sicht eine komplexe Finanzierungsform dar, bei der eine Vielzahl von Regelungen aus dem Schuldrecht, Insolvenzrecht, Datenschutzrecht und Aufsichtsrecht ineinandergreifen. Von Bedeutung sind vor allem die rechtssichere Gestaltung des Forderungsübergangs, die Absicherung gegen Insolvenzrisiken sowie die Erfüllung aufsichtsrechtlicher Verpflichtungen. Die rechtlichen Anforderungen an Reverse Factoring werden zunehmend durch regulatorische Vorgaben und Leitlinien geprägt, die auch im Kontext der Digitalisierung und Digitalisierung von Lieferketten stetig an Bedeutung gewinnen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen sind bei der Gestaltung eines Reverse Factoring-Vertrages zu beachten?

Bei der Ausgestaltung eines Reverse Factoring-Vertrages sind insbesondere die zivilrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu beachten, insbesondere die Regelungen zum Forderungsverkauf (§§ 398 ff. BGB), zum Vertragsrecht (§§ 305 ff. BGB) und zum Dreipersonenverhältnis. Es ist zwingend erforderlich, die Abtretbarkeit der Forderungen sicherzustellen, da eine Abtretung durch gesetzliche oder vertragliche Abtretungsverbote ausgeschlossen sein kann. Ferner müssen datenschutzrechtliche Vorgaben (DSGVO) bei der Weitergabe von Schuldnerdaten im Rahmen der Vertragsabwicklung eingehalten werden. Auch kartellrechtliche und insolvenzrechtliche Aspekte spielen eine Rolle: Beispielsweise kann bei einer Insolvenz des Einkäufers die Anfechtung von Factoring-Zahlungen gem. §§ 129 ff. InsO relevant werden. International agierende Parteien müssen zudem das anwendbare Recht bestimmen und gegebenenfalls UN-Kaufrecht (CISG) sowie Kollisionsnormen anwenden. Der Vertrag sollte zudem klar regeln, welche Rechte und Pflichten für Lieferanten, Käufer und Factor bestehen, insbesondere hinsichtlich Rückgriffsmöglichkeiten, Mitwirkungspflichten und Laufzeit. Zudem gelten bankaufsichtsrechtliche Vorgaben, sofern der Factor eine lizenzierte Bank ist.

Welche Rechte und Pflichten ergeben sich für den Lieferanten aus einem Reverse Factoring-Vertrag?

Der Lieferant verpflichtet sich im Rahmen eines Reverse Factoring-Vertrages, seine Forderungen gegen den Abnehmer an den Factor zu übertragen. Hierbei muss er die Abtretung offenlegen, die Wirksamkeit der eigenen Forderungen sicherstellen und sämtliche erforderlichen Unterlagen bereitstellen. Für den Lieferanten besteht die Pflicht, dem Factor über sämtliche für die Beurteilung der Forderung relevanten Umstände Auskunft zu geben, insbesondere hinsichtlich bestehender Mängelrechte oder Einreden des Debitors. Die Rechtspflichten des Lieferanten variieren je nach vertraglicher Ausgestaltung: Üblicherweise haftet der Lieferant zumindest für den Bestand und die Durchsetzbarkeit der Forderungen (Veritätshaftung), nicht aber für die Zahlungsfähigkeit des Abnehmers (Delkredere). Der Lieferant muss zudem beachten, ob besondere Informations- oder Mitwirkungspflichten im Vertrag aufgenommen wurden und ob er im Rahmen von Rückabwicklungen bestimmte Rückzahlungen an den Factor leisten muss.

Welche rechtlichen Auswirkungen hat ein Reverse Factoring auf das Eigentum an der Forderung?

Mit Abschluss des Reverse Factoring-Vertrages und wirksamer Abtretung gemäß § 398 BGB wird der Factor neuer Forderungsinhaber, sofern keine Abtretungsverbote oder sonstige Vereinbarungen entgegenstehen. Dadurch gehen die mit der Forderung verbundenen Rechte auf den Factor über, beispielsweise das Recht auf Zahlung sowie etwaige Nebenrechte (z.B. Sicherheiten, Zinsen). Der ursprüngliche Gläubiger, in diesem Fall der Lieferant, verliert insoweit die rechtliche Position als Forderungsinhaber. Der Factor kann die Forderung nach eigenem Ermessen geltend machen, ist allerdings an die mit dem Abnehmer getroffenen Vereinbarungen gebunden. Im Fall eines „stillen“ Factorings – das im Reverse Factoring unüblich ist – bleibt der Lieferant nach außen hin Ansprechpartner, rechtlich ist aber auch hier der Factor Inhaber der Forderung. Es muss zudem geprüft werden, ob die Abtretung im Handelsregister (bei bestimmten Forderungen) einzutragen oder in eine zentrale Datenbank zu melden ist.

Inwiefern sind insolvenzrechtliche Risiken beim Reverse Factoring zu berücksichtigen?

Beim Reverse Factoring sind insbesondere die Vorschriften der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO), der insolvenzfesten Abtretung und eventueller Rückabwicklungsansprüche relevant. Wird ein am Reverse Factoring beteiligtes Unternehmen insolvent, kann der Insolvenzverwalter bestimmte Zahlungen oder Abtretungen anfechten, falls diese als benachteiligend für die Gläubigergesamtheit bewertet werden. Die Rechtsprechung differenziert hierbei u.a. nach dem Zeitpunkt der Abtretung und dem Wissensstand der Beteiligten über die (drohende) Zahlungsunfähigkeit. Bei ordnungsgemäßem, „echtem“ Factoring, bei dem das Risiko auf den Factor übergeht, werden die Forderungen in der Regel als insolvenzfest angesehen, solange keine Gläubigerbenachteiligungsabsicht vorliegt und der Forderungserwerb entgeltlich erfolgte. Um das Risiko einer Anfechtung seitens eines Insolvenzverwalters zu minimieren, sollten alle Vorgänge dokumentiert und die Zahlungen über den Factor nach objektiven Kriterien erfolgen.

Welche datenschutzrechtlichen Verpflichtungen ergeben sich im Zusammenhang mit Reverse Factoring?

Im Rahmen des Reverse Factoring werden personenbezogene Daten der Debitoren (meist Geschäftspartner, aber gelegentlich auch natürliche Personen) an den Factor übermittelt. Nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist hierfür grundsätzlich eine Rechtsgrundlage erforderlich, die regelmäßig in der Vertragserfüllung (§ 6 Abs. 1 lit. b DSGVO) bzw. im berechtigten Interesse (§ 6 Abs. 1 lit. f DSGVO) gesehen wird. Verträge mit Auftragsverarbeitern sind notwendig, falls der Factor als Auftragsverarbeiter agiert. Für Kunden, die natürliche Personen sind, sind insbesondere Informations- und Transparenzpflichten nach Art. 13, 14 DSGVO einzuhalten. Zusätzlich müssen technische und organisatorische Maßnahmen zur Datensicherheit getroffen werden. Bei grenzüberschreitender Datenübermittlung sind außerdem die Vorschriften zu Drittstaatentransfers zu beachten. Eine Datenschutz-Folgenabschätzung kann erforderlich sein, wenn ein besonderes Risiko für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen besteht.

Welche Rolle spielen Abtretungsverbote und wie sind diese rechtlich zu behandeln?

Abtretungsverbote gemäß § 399 BGB können die Wirksamkeit des Reverse Factoring erheblich beeinträchtigen, da sie zur Unwirksamkeit der Forderungsabtretung an den Factor führen können. Unternehmen müssen daher im Vorfeld sicherstellen, dass keine vertraglichen oder gesetzlichen Abtretungsverbote für die betroffenen Forderungen bestehen, insbesondere in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Abnehmers oder im jeweiligen Individualvertrag. Im internationalen Kontext sind zudem die jeweiligen nationalen Vorschriften zu berücksichtigen. Teilweise sind Abtretungsverbote gesetzlich ausdrücklich unwirksam, beispielsweise im Hinblick auf Geldforderungen zwischen Unternehmen (§ 354a HGB), sofern keine abweichende individuelle Vereinbarung vorliegt. Bei dennoch bestehenden Abtretungsbeschränkungen muss geprüft werden, ob eine Zustimmung des Schuldners eingeholt oder alternative Sicherungsmechanismen genutzt werden können.

Welche Auswirkungen hat Reverse Factoring auf eventuelle Sicherungsrechte Dritter?

Beim Reverse Factoring ist zu prüfen, ob die abzutretenden Forderungen bereits mit Sicherungsrechten Dritter wie Pfandrechten, Globalzessionen oder anderen Sicherungsabreden belastet sind. In diesem Fall besteht das Risiko, dass der Factor die Forderung vorbehaltlich der vorrangigen Rechte des Sicherungsnehmers erwirbt und im schlimmsten Fall gar keine eigene Verwertungsmöglichkeit erhält. Die rechtliche Prüfung der „Freiheit von Rechten Dritter“ ist daher zwingend vor Durchführung des Reverse Factoring durchzuführen und regelmäßig Gegenstand von Garantien im Factoring-Vertrag. Es können zudem Prioritätsvereinbarungen zwischen den Beteiligten geschlossen werden, um die Rangfolge und Verwertung klarzustellen. Auch ist auf die Wirksamkeit etwaiger Sicherungsabtretungen und auf die Registrierungspflichten solcher Rechte (insbesondere bei internationalen Geschäften) zu achten.