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Reserve


Reserve im rechtlichen Kontext

Der Begriff Reserve bezeichnet im rechtlichen Sinne eine Vielzahl von Rücklagen, Vorbehalten oder Sicherheiten, die in unterschiedlichen Rechtsgebieten verschiedene Funktionen erfüllen. Der Begriff wird häufig im Zusammenhang mit Finanzwesen, Versicherungsrecht, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht sowie weiteren Bereichen verwendet. Im Folgenden erfolgt eine umfassende Darstellung der rechtlichen Aspekte der Reserve unter Berücksichtigung der jeweiligen Spezialregelungen.


Definition und allgemeine Bedeutung der Reserve

Als Reserve wird im rechtlichen Zusammenhang allgemein ein zur Seite gelegter Bestand, eine Rücklage oder ein Vorbehalt zur Absicherung vorhandener oder zukünftiger Verpflichtungen bezeichnet. Das Ziel der Bildung von Reserven ist es, Risiken abzufedern und die finanzielle oder rechtliche Stabilität einer natürlichen oder juristischen Person zu gewährleisten.


Reserve im Gesellschaftsrecht

Kapitalrücklagen und Gewinnrücklagen

Im Gesellschaftsrecht, insbesondere im Handelsrecht, werden Reserven als Teil des Eigenkapitals ausgewiesen. Das Handelsgesetzbuch (HGB) und das Aktiengesetz (AktG) unterscheiden grundsätzlich zwischen Kapitalrücklagen (§ 272 Abs. 2 HGB) und Gewinnrücklagen (§ 272 Abs. 3 HGB):

  • Kapitalrücklagen: Hierzu zählen beispielsweise Agiozahlungen bei der Ausgabe von Anteilen sowie Zuzahlungen von Gesellschaftern.
  • Gewinnrücklagen: Darunter versteht man Rücklagen, die aus einbehaltenen Gewinnen gebildet werden, beispielsweise die gesetzliche Rücklage (§ 150 AktG), satzungsmäßige Rücklagen sowie freiwillige Rücklagen.

Gesetzliche Rücklage bei der Aktiengesellschaft

Die gesetzliche Rücklage ist eine Sonderform der Reserve, welche nach § 150 AktG zwingend zu bilden ist. Eine Aktiengesellschaft hat solange jährlich mindestens fünf Prozent des um einen etwaigen Verlustvortrag verminderten Jahresüberschusses in die gesetzliche Rücklage einzustellen, bis diese zusammen mit der Kapitalrücklage zehn Prozent des Grundkapitals erreicht.


Reserve im Steuerrecht

Steuerliche Behandlung von Reserven

Im Steuerrecht spielen Reserven vor allem im Zusammenhang mit der Gewinnermittlung eine Rolle. Rücklagen und Rückstellungen sind abzugrenzen:

  • Rücklagen (Reserven): Dabei handelt es sich um Teile des Eigenkapitals, die aus versteuertem Gewinn gebildet werden. Sie dienen dem Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und werden steuerlich nicht als Aufwand behandelt.
  • Rückstellungen: Im Gegensatz dazu sind Rückstellungen ausstehende Verbindlichkeiten, die bei der Gewinnermittlung als Aufwand abgezogen werden dürfen.

Reserven im Rahmen von § 6b EStG

Das Einkommensteuergesetz ermöglicht in bestimmten Fällen (§ 6b EStG) eine steuerliche Reservebildung, insbesondere beim Verkauf bestimmter betrieblicher Wirtschaftsgüter. Die daraus gebildete Rücklage kann zur Vermeidung oder Verschiebung der Besteuerung genutzt werden, sofern Reinvestitionsvoraussetzungen erfüllt sind.


Reserve im Versicherungsrecht

Begriff und Zweck der versicherungstechnischen Reserven

Im Versicherungsrecht bezeichnen versicherungstechnische Reserven (auch Deckungsrückstellungen genannt) die Verpflichtungen eines Versicherungsunternehmens gegenüber den Versicherten. Sie dienen der Sicherstellung der Einhaltung der künftigen Leistungsverpflichtungen gemäß den abgeschlossenen Versicherungsverträgen.

Rechtliche Grundlagen

Die Bildung und Verwaltung von Reserven im Versicherungswesen werden insbesondere durch das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), das Handelsgesetzbuch sowie aufsichtsrechtliche Bestimmungen, wie die Solvabilitätsverordnung und Solvency II, geregelt.

Risikoreserven und Schwankungsrückstellungen

Zu den weiteren reservenähnlichen Positionen im Versicherungsbereich zählen Risikoreserven und Schwankungsrückstellungen, die Volatilitäten oder außergewöhnliche Schadensereignisse abfedern sollen.


Reserve im Banken- und Finanzaufsichtsrecht

Eigenkapitalreserven und aufsichtsrechtliche Anforderungen

Banken sind verpflichtet, diverse Arten von Reserven zur Sicherung ihrer Zahlungsfähigkeit vorzuhalten. Die bedeutendsten Reserven sind in der Kapitaladäquanzverordnung (Capital Requirements Regulation, CRR) und in gesetzlichen Vorgaben der BaFin geregelt:

  • Allgemeine Bankreserven: Dazu zählen die allgemeinen Rücklagen nach § 340g HGB, die zur Abdeckung allgemeiner Kreditrisiken gebildet werden.
  • Sonderposten mit Rücklageanteil: Nach HGB können weitere Posten zur Risikoabdeckung gebildet werden.

Mindestreservepolitik der Zentralbanken

Die Mindestreserve (Notenbankreserve) bezeichnet die von Kreditinstituten bei der Zentralbank zu haltenden Einlagen. Diese Reserve verpflichtet Banken zur Hinterlegung eines bestimmten Prozentsatzes der Kundengelder, um die Liquidität im Finanzsystem zu sichern.


Reserve im Erbrecht

Reserven können auch eine Rolle im Erbrecht spielen, beispielsweise wenn im Rahmen der Testamentsvollstreckung oder Nachlassverwaltung Vermögensbestandteile als Reserve zurückgestellt werden, bis alle Nachlassverbindlichkeiten geklärt sind. Dadurch wird verhindert, dass zu früh Vermögen verteilt und die Befriedigung von Nachlassgläubigern gefährdet wird.


Reserve im internationalen Recht

Im Völkerrecht und im internationalen Handelsrecht spricht man von „Reservations“ oder Vorbehalten, wenn ein Staat sich auf bestimmte Ausnahmen von internationalen Verträgen beruft. Auch hier ist der Begriff „Reserve“ im Sinne eines rechtlichen Vorbehalts gebräuchlich, jedoch handelt es sich um eine andere rechtssystematische Einordnung als im nationalen Recht.


Begriffliche Abgrenzung: Reserve, Rücklage, Rückstellung

Im rechtlichen Sprachgebrauch ist eine genaue Trennung zwischen Reserve (oft synonym zu Rücklage genutzt), Rückstellung und Vorbehalt bedeutend:

  • Reserve/Rücklage: Teil des Eigenkapitals, der zur Stärkung der Unternehmenssubstanz dient, frei verfügbar solange nicht zweckgebunden
  • Rückstellung: Passivposition zur Abdeckung ungewisser Verbindlichkeiten
  • Vorbehalt (im internationalen Recht): Bedingte Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen unter bestimmten, vorbehaltenen Punkten

Literatur und weiterführende Quellen

Für vertiefte Informationen zu den einzelnen Rechtsgebieten sind einschlägige Fachkommentierungen und Gesetzestexte empfehlenswert, insbesondere:

  • § 150 AktG (Gesetzliche Rücklage)
  • § 272 HGB (Gliederung des Eigenkapitals)
  • Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)
  • Capital Requirements Regulation (CRR)
  • Einkommensteuergesetz (EStG)

Zusammenfassung

Die Reserve ist ein in vielen Rechtsgebieten verwendeter Begriff und bezeichnet im rechtlichen Sinne in der Regel eine zur Stärkung der finanziellen oder rechtlichen Position gebildete Rücklage oder einen Vorbehalt. Die genaue Ausgestaltung, Funktion und rechtliche Bedeutung variiert je nach Anwendungsbereich, insbesondere zwischen Gesellschaftsrecht, Steuerrecht, Versicherungsrecht und Bankenaufsichtsrecht. Die Berücksichtigung der jeweiligen gesetzlichen Vorgaben ist dabei für die rechtmäßige und zweckmäßige Bildung und Verwendung von Reserven entscheidend.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Vorschriften regeln die Bildung von Rücklagen und Reserven in Kapitalgesellschaften?

In Deutschland wird die Bildung von Rücklagen und Reserven in Kapitalgesellschaften maßgeblich durch das Handelsgesetzbuch (HGB) sowie das Aktiengesetz (AktG) geregelt. Nach § 150 AktG ist bei Aktiengesellschaften insbesondere die sogenannte gesetzliche Rücklage aus dem Jahresüberschuss zu bilden, solange diese und andere Kapitalrücklagen zusammen weniger als zehn Prozent des Grundkapitals betragen. Das GmbH-Gesetz (GmbHG) enthält hingegen keine spezifischen Vorgaben zur Rücklagenbildung, sodass hier die allgemeinen Vorschriften des HGB sowie die jeweiligen Gesellschaftsverträge maßgeblich sind. Zudem existieren steuerliche Vorschriften, wie z. B. im Einkommensteuergesetz (EStG), die gewisse Rückstellungen oder Reserven beeinflussen. Bilanzielle Rücklagen müssen ordnungsgemäß in der Handelsbilanz ausgewiesen und dokumentiert werden, wobei stets das Prinzip der Klarheit und Wahrheit (§ 238 HGB) beachtet werden muss.

Welche rechtlichen Unterschiede bestehen zwischen offenen und stillen Rücklagen?

Offene Rücklagen sind in der Bilanz ausgewiesen und aus dem Eigenkapital ersichtlich, während stille Rücklagen sich aus der Unterbewertung von Aktiva oder der Überbewertung von Passiva ergeben und nicht gesondert in der Bilanz erscheinen. Gesetzlich geregelt ist vor allem der Umgang mit offenen Rücklagen, insbesondere im HGB und AktG. Die Bilanzierung und Bildung offener Rücklagen unterliegt festen Vorgaben hinsichtlich Ausschüttungsschutz und Auflösung. Stille Rücklagen dagegen sind rechtlich relevant bei der Bewertung des Unternehmens, insbesondere bei Umwandlungen, Fusionen, Insolvenzen und steuerlichen Prüfungen. Die Entstehung stiller Reserven ist grundsätzlich zulässig, solange sie auf Grundlage anerkannter Bewertungsgrundsätze erfolgt (§ 253 HGB), sie dürfen aber weder willkürlich noch zur Irreführung eingesetzt werden.

Inwiefern sind Rücklagen für Gläubigerschutz aus rechtlicher Sicht relevant?

Die Rücklagenbildung dient unter anderem dem Gläubigerschutz, indem ein Teil des erwirtschafteten Gewinns im Unternehmen verbleibt und somit das haftende Eigenkapital stärkt. Das AktG sieht dies explizit vor, indem z. B. die gesetzliche Rücklage vor Ausschüttungen zu bilden ist (§ 150 AktG). Zudem unterliegen bestimmte Rücklagen wie Kapitalrücklagen (§ 272 Abs. 2 HGB) einem Ausschüttungsverbot (§ 58 Abs. 2 AktG). Der Gesetzgeber beabsichtigt, durch diese Vorschriften sicherzustellen, dass Gläubiger im Insolvenzfall eine größere Haftungsmasse vorfinden. Verstöße gegen diese Vorschriften können sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Konsequenzen für die Geschäftsleitung haben, insbesondere im Falle der unzulässigen Ausschüttung oder Vorenthaltung von Rücklagen.

Welche rechtlichen Anforderungen bestehen bei der Auflösung von Rücklagen?

Die Auflösung von Rücklagen ist abhängig von der jeweiligen Rücklage und ihrer rechtlichen Grundlage. Gesetzliche Rücklagen, insbesondere die nach § 150 AktG gebildete gesetzliche Rücklage, dürfen grundsätzlich nur zum Ausgleich von Verlusten oder zur Kapitalerhöhung durch Umwandlung in Grundkapital herangezogen werden. Freiwillige Rücklagen können hingegen durch Gesellschafterbeschluss aufgelöst und – soweit keine sonstigen Beschränkungen greifen – auch zur Gewinnausschüttung verwendet werden. Bei jeder Auflösung ist sowohl handelsrechtlich (§ 273 HGB) als auch steuerrechtlich auf die richtige Behandlung und Dokumentation zu achten. Stille Rücklagen werden normalerweise erst im Rahmen einer Veräußerung oder bei der Bilanzwertermittlung sichtbar und führen dann zu entsprechenden steuerlichen Konsequenzen.

Welche Pflichten bestehen hinsichtlich der Offenlegung und Dokumentation von Rücklagen?

Gemäß § 242 und § 264 HGB besteht für Kapitalgesellschaften die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aufstellung von Bilanz und Anhang, in denen offene Rücklagen gesondert ausgewiesen und erläutert werden müssen. Nach Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) ist zudem eine differenzierte Darstellung der einzelnen Arten von Rücklagen (gesetzliche, satzungsmäßige, sonstige und Kapitalrücklagen) erforderlich. Fehlerhafte oder unterlassene Offenlegung kann zu Haftungstatbeständen gegenüber Gesellschaftern, Gläubigern und Steuerbehörden führen. Insbesondere ist die Geschäftsführung verpflichtet, die Entstehung, Veränderung und Verwendung von Rücklagen vollständig und nachvollziehbar zu dokumentieren.

Welche Möglichkeiten und Grenzen der Rücklagenbildung bestehen aus gesellschaftsrechtlicher Sicht?

Gesellschaftsrechtlich können neben den gesetzlichen Rücklagen auch satzungsmäßige und freiwillige Rücklagen gebildet werden, sofern die Satzung oder der Gesellschaftsvertrag dies zulassen und keine gesetzlichen Vorschriften entgegenstehen. Die Satzung kann beispielsweise die Bildung bestimmter Gewinnrücklagen vorschreiben oder bestimmte Verwendungsbeschränkungen auferlegen. Grenzen bestehen allerdings dort, wo die Rücklagenbildung zu einer vorweggenommenen Gewinnverwendung entgegen dem Willen der Gesellschafter führen würde, oder wo gesetzliche Ausschüttungsbeschränkungen missachtet werden. Zudem muss stets das Stimmrecht der Gesellschafter bzw. Aktionäre bei Entscheidungen über Gewinneinbehalt und Rücklagenbildung gewahrt bleiben.

Wie werden Rücklagen im Insolvenzfall rechtlich behandelt?

Im Insolvenzfall gehören Rücklagen – sowohl offene als auch stille Reserven – grundsätzlich zur Insolvenzmasse und stehen zur Befriedigung der Gläubigeransprüche zur Verfügung. Die rechtliche Behandlung richtet sich nach den Vorgaben der Insolvenzordnung (InsO). Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, auch die in Rücklagen gebundenen Mittel zur Masse heranzuziehen. Eine besondere Schutzfunktion entfalten gesetzliche Rücklagen, da sie einem vorzeitigen Zugriff Dritter entzogen waren und erst im Insolvenzverfahren freigegeben werden können. Eine missbräuchliche Rücklagenauflösung kurz vor Insolvenzantragstellung kann haftungsrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen für die Geschäftsleitung nach sich ziehen (§ 64 GmbHG, § 93 AktG).