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Ordentliche Gerichtsbarkeit

Ordentliche Gerichtsbarkeit: Begriff und Einordnung

Die ordentliche Gerichtsbarkeit ist der zentrale Bereich der staatlichen Gerichte, in dem Zivil- und Strafsachen verhandelt werden. Sie entscheidet über private Rechtsstreitigkeiten zwischen Personen und Unternehmen sowie über die Ahndung von Straftaten. Zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören zudem Familiensachen, Betreuungs- und Nachlassangelegenheiten sowie bestimmte freiwillige Gerichtsbarkeiten wie Register- und Grundbuchsachen. Nicht zur ordentlichen Gerichtsbarkeit zählen die Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit, die jeweils eigene, spezialisierte Gerichtszweige bilden.

Abgrenzung und Aufgabenbereich

Wesenskern der ordentlichen Gerichtsbarkeit

Im Mittelpunkt steht die verbindliche Klärung privater Rechtsverhältnisse (Zivilrecht) und die strafrechtliche Sanktionierung von Rechtsverstößen (Strafrecht). Die Gerichte wahren die Verfahrensgrundsätze, sichern den Anspruch auf rechtliches Gehör und gewährleisten eine unabhängige, an Gesetz und Recht gebundene Entscheidung.

Abgrenzung zu anderen Gerichtszweigen

Während die ordentliche Gerichtsbarkeit Zivil- und Strafsachen bearbeitet, befassen sich die anderen Gerichtsbarkeiten mit speziellen Rechtsgebieten: Verwaltungsgerichte mit öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, Arbeitsgerichte mit kollektiven und individuellen Arbeitskonflikten, Sozialgerichte mit sozialrechtlichen Ansprüchen und Finanzgerichte mit Steuersachen. Verfassungsrechtliche Fragen fallen nicht in die ordentliche Gerichtsbarkeit.

Aufbau und Instanzenzug

Gerichtsebenen

  • Amtsgericht (untere Ebene): Zuständig für Zivilsachen bis zu bestimmten Streitwerten sowie für Familiensachen, Betreuungs- und Nachlassangelegenheiten. In Strafsachen entscheidet es über leichtere bis mittelschwere Delikte, teils mit Schöffinnen und Schöffen.
  • Landgericht (mittlere Ebene): Zuständig für Zivilsachen mit höherem Streitwert, besondere Handelssachen und schwerere Strafsachen; außerdem Berufungsinstanz gegen amtsgerichtliche Urteile.
  • Oberlandesgericht (obere Landesebene): Berufungs- und Beschwerdeinstanz in Zivil- und Familiensachen sowie Revisionsinstanz in bestimmten Strafsachen; erstinstanzlich zuständig in einzelnen besonders bedeutsamen Strafverfahren.
  • Bundesgerichtshof (höchste Ebene): Klärt in der Regel Rechtsfragen als Revisionsgericht in Zivil- und Strafsachen, sichert die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und die Fortbildung des Rechts.

Spruchkörper und Besetzung

  • Zivilgerichte entscheiden durch Einzelrichter oder Kammern/Senate mit mehreren Berufsrichterinnen und -richtern, teils mit besonderen Handelskammern.
  • In Strafsachen gibt es Einzelrichter, Schöffengerichte (mit ehrenamtlicher Mitwirkung) sowie Große Strafkammern und Strafsenate.
  • Die Staatsanwaltschaft wirkt in Strafverfahren als Ermittlungs- und Anklagebehörde mit. Sie ist kein Gericht, ihre Tätigkeit ist aber integraler Bestandteil der Strafrechtspflege.

Zuständigkeiten und Verfahrensarten

Zivilgerichtsbarkeit

Die Zivilgerichte verhandeln Ansprüche aus Verträgen, Eigentum, Delikten und anderen privatrechtlichen Rechtsverhältnissen. Dazu zählen auch:

  • Familiensachen (z. B. Scheidung, Unterhalt, Sorge und Umgang),
  • Betreuungs- und Unterbringungssachen,
  • Nachlassangelegenheiten (Erbscheine, Testamentsauslegung),
  • Registersachen (Handels-, Vereins- und Partnerschaftsregister) und Grundbuchangelegenheiten,
  • bestimmte spezialisierte Materien (z. B. Wettbewerb, Kartell- und Pressesachen in zugewiesenen Spruchkörpern).

Strafgerichtsbarkeit

Strafverfahren umfassen Ermittlungen, Anklageerhebung und Hauptverhandlung. Leichtere Delikte werden beim Amtsgericht verhandelt, schwerere beim Landgericht. Die Mitwirkung von Schöffinnen und Schöffen ist in vielen Verfahren vorgesehen. Für junge Beschuldigte bestehen besondere Jugendgerichte. Nach einer Verurteilung schließt sich die Strafvollstreckung an, die durch Justizbehörden organisiert wird.

Verfahrensgrundsätze und Ablauf

Grundlegende Prinzipien

  • Unabhängigkeit und Neutralität des Gerichts,
  • rechtliches Gehör und faires Verfahren,
  • Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Verhandlung mit gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen,
  • Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme,
  • Unschuldsvermutung in Strafsachen.

Die Verfahrenssprache ist Deutsch; Dolmetschung wird sichergestellt, wenn erforderlich.

Rechtsmittel und Rechtskraft

Gegen Entscheidungen stehen je nach Verfahrensart Rechtsmittel zur Verfügung, insbesondere Berufung (umfassende Überprüfung von Tatsachen und Recht) und Revision (Überprüfung auf Rechtsfehler). Daneben existieren Beschwerdeverfahren für Zwischen- und Nebenentscheidungen. Mit Eintritt der Rechtskraft wird die Entscheidung verbindlich; in Strafsachen kann die Vollstreckung beginnen, in Zivilsachen die Zwangsvollstreckung.

Kosten, Durchsetzung und Digitalisierung

Gerichtskosten und Kostentragung

In Zivilsachen richten sich die Gerichtskosten im Grundsatz nach dem Streitwert; die Kostenverteilung hängt vom Ausgang des Verfahrens ab. In Strafsachen fallen keine Gerichtskosten für eine Anklageerhebung an; Kostenfolgen ergeben sich erst aus dem Urteil. Für bedürftige Parteien bestehen Instrumente zur finanziellen Unterstützung in Zivil- und Familiensachen sowie notwendige Verteidigung in bestimmten Strafverfahren.

Zwangsvollstreckung und Register

Die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erfolgt aus vollstreckbaren Titeln, etwa Urteilen oder Vergleichen. Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher sowie Vollstreckungsgerichte setzen Maßnahmen um. Register- und Grundbuchangelegenheiten werden bei Amtsgerichten geführt und sind Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

Elektronischer Rechtsverkehr

Der elektronische Rechtsverkehr wird schrittweise ausgebaut. Professionelle Verfahrensbeteiligte nutzen hierfür gesicherte Übermittlungswege. Elektronische Akten und digitale Dienste erleichtern Einreichung, Zustellung und Einsicht.

Verhältnis zu anderen Gerichten und internationale Einbindung

Verfassungsgerichtsbarkeit

Verfassungsrechtliche Fragen werden von Verfassungsgerichten entschieden. Die ordentlichen Gerichte wenden Verfassungsrecht an und können bei verfassungsrechtlichen Zweifeln die Entscheidung der Verfassungsgerichtsbarkeit herbeiführen.

Europarecht und internationale Zusammenarbeit

Ordentliche Gerichte wenden unmittelbar geltendes Unionsrecht an und können dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung vorlegen. Anerkennung und Vollstreckung grenzüberschreitender Entscheidungen erfolgen nach internationalen und unionsrechtlichen Regeln. Rechtshilfe mit ausländischen Behörden ist in Straf- und Zivilsachen etabliert.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was umfasst die ordentliche Gerichtsbarkeit?

Sie umfasst Zivil- und Strafsachen inklusive Familiensachen, Betreuungs- und Nachlassangelegenheiten sowie Register- und Grundbuchsachen. Nicht umfasst sind verwaltungs-, arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Streitigkeiten, die jeweils eigene Gerichtszweige haben.

Wie ist der Instanzenzug aufgebaut?

Er beginnt in der Regel beim Amtsgericht, führt über das Landgericht und das Oberlandesgericht bis zum Bundesgerichtshof. Welche Instanz zuständig ist, richtet sich nach Art und Bedeutung der Sache sowie nach dem Streitwert oder der Straferwartung.

Worin unterscheidet sich die ordentliche Gerichtsbarkeit von anderen Gerichtszweigen?

Sie entscheidet über private Rechtsverhältnisse und über Straftaten. Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichte sind für öffentlich-rechtliche, arbeitsrechtliche, sozialrechtliche beziehungsweise steuerrechtliche Streitigkeiten zuständig und bilden eigenständige Gerichtsbarkeiten.

Welche Rolle spielen Schöffinnen und Schöffen?

Schöffinnen und Schöffen sind ehrenamtliche Richterinnen und Richter, die in vielen Strafverfahren gemeinsam mit Berufsrichterinnen und -richtern entscheiden. Sie haben volles Stimmrecht bei der Urteilsfindung.

Welche Rechtsmittel stehen zur Verfügung?

Je nach Verfahren sind insbesondere Berufung (Überprüfung von Tatsachen und Recht) und Revision (Überprüfung auf Rechtsfehler) möglich. Zusätzlich gibt es Beschwerdeverfahren gegen bestimmte Entscheidungen außerhalb des Urteils.

Welche Verfahren fallen unter die Zivilgerichtsbarkeit innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit?

Dazu zählen vertragliche und deliktische Ansprüche, Eigentums- und Nachbarschaftsstreitigkeiten, Familiensachen, Betreuungs- und Nachlassangelegenheiten sowie Register- und Grundbuchsachen.

Welche Bedeutung hat die ordentliche Gerichtsbarkeit im europäischen und internationalen Kontext?

Sie wendet Unionsrecht an, kann Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof der Europäischen Union richten und erkennt ausländische Entscheidungen nach maßgeblichen Regeln an und vollstreckt sie.