Begriff und rechtliche Einordnung des Mantelkaufs
Der Begriff Mantelkauf bezeichnet im deutschen Gesellschaftsrecht die Übertragung einer wirtschaftlich inaktiven, jedoch rechtlich fortbestehenden Kapitalgesellschaft, zumeist einer Aktiengesellschaft (AG) oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Beim Mantelkauf wird der Gesellschaftsmantel – also die rechtliche Hülle der Gesellschaft – erworben, während diese keine operative Geschäftstätigkeit mehr aufweist. Der Käufer nutzt hierbei die bereits bestehende Rechtspersönlichkeit, Firmengeschichte und mögliche Zulassungen der Gesellschaft, vermeidet dabei aber die Gründung einer neuen juristischen Person.
Abgrenzung und Varianten
Mantelkauf vs. Unternehmenskauf
Ein Mantelkauf unterscheidet sich vom klassischen Unternehmenskauf dadurch, dass keine aktiven Geschäftsanteile, Vermögenswerte oder laufenden Geschäfte übernommen werden, sondern lediglich die gesellschaftsrechtliche Hülle. Während beim Unternehmenskauf ein funktionsfähiges Unternehmen mit seinen Wirtschaftsgütern den Eigentümer wechselt, werden beim Mantelkauf meist lediglich Gesellschaftsanteile, firmenbezogene Rechte und eine eventuell vorhandene „Firmenhistorie“ übertragen.
Mantelkauf, Vorratsgesellschaft und Shelf Company
Der Mantelkauf ist zudem von Vorratsgesellschaften und sogenannten Shelf Companies abzugrenzen. Im Unterschied zur Vorratsgesellschaft, die zum Zweck des späteren Verkaufs gegründet wird und keine Geschäftstätigkeit entfaltet, handelt es sich beim Mantelkauf um eine ehemals aktive, aber zwischenzeitlich ruhende Gesellschaft.
Rechtliche Grundlagen des Mantelkaufs
Zulässigkeit und Regelungen
Der Mantelkauf ist grundsätzlich zulässig, unterliegt jedoch im Hinblick auf Missbrauchsgefahren und die Schutzfunktion des Gesellschaftsrechts bestimmten Einschränkungen. Insbesondere die Vorschriften zur Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung spielen eine bedeutende Rolle. Bedeutsam ist hierbei das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 7. Juli 2003 (II ZR 56/02), welches Grundsätze zur sogenannten wirtschaftlichen Neugründung aufgestellt hat.
Wirtschaftliche Neugründung
Eine wirtschaftliche Neugründung liegt nach herrschender Rechtsprechung vor, wenn eine inaktive oder liquidationsreife Gesellschaft durch den Eintritt neuer Gesellschafter und die Aufnahme eines neuen Geschäftsbetriebs reaktiviert wird. In solchen Fällen sind vergleichbare Schutzmechanismen wie bei einer Neugründung einzuhalten. Dazu gehören unter anderem die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung im Handelsregister und die erneute Einzahlung des Stammkapitals (bei einer GmbH) oder Grundkapitals (bei einer AG).
Publizitätspflichten und Handelsregister
Wird eine wirtschaftliche Neugründung vollzogen, ist die Reaktivierung der Gesellschaft dem Handelsregister anzuzeigen. Der Registerrichter prüft insbesondere, ob die Anforderungen an Kapitalaufbringung und -erhaltung erfüllt werden.
Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung
Im Rahmen des Mantelkaufs können sich insbesondere gesellschaftsrechtliche Haftungsfragen ergeben, wenn die ordnungsgemäße Kapitalaufbringung nicht erfolgte oder das Gesellschaftsvermögen durch den Mantelkauf gemindert wurde. Gesellschaftsorgane und neue Gesellschafter haften ausnahmsweise für fehlendes Kapital, wenn die Neugründungsvorschriften nicht eingehalten werden.
Steuerliche Aspekte des Mantelkaufs
Gewerbesteuerlicher Verlustvortrag
Beim Mantelkauf besteht häufig das Ziel, bestehende steuerliche Verlustvorträge zu übernehmen. Aufgrund von Missbrauchspotenzialen hat der Gesetzgeber insbesondere im Körperschaftsteuergesetz (§ 8c KStG) und im Einkommensteuergesetz zahlreiche Einschränkungen eingeführt. Demnach gehen steuerlich nicht genutzte Verluste regelmäßig ganz oder teilweise unter, wenn mehr als 50 % der Anteile auf Neueigentümer übergehen.
Umsatzsteuerliche und ertragsteuerliche Folgen
Der Mantelkauf kann keine umsatzsteuerliche Lieferung sein, da in der Regel kein tatsächlicher Unternehmenswert übertragen wird. Ertragsteuerlich sind insbesondere die Vorschriften zur verdeckten Gewinnausschüttung und zur Verlustabzugsbeschränkung von Bedeutung.
Risiken und rechtliche Fallstricke beim Mantelkauf
Haftungsrisiken
Ein wesentliches Risiko beim Mantelkauf liegt in der Übernahme von Altlasten, etwa aus bestehenden öffentlichen Abgaben, alten Sozialversicherungsverpflichtungen oder weiteren Verbindlichkeiten, die trotz der wirtschaftlichen Inaktivität fortbestehen könnten. Eine sorgfältige rechtliche und wirtschaftliche Prüfung (Due Diligence) ist daher im Vorfeld dringend geboten.
Insolvenzrechtliche Aspekte
Wird durch einen Mantelkauf eine wirtschaftliche Neugründung initiiert, sind auch insolvenzrechtliche Rahmenbedingungen zu beachten. Die neue Geschäftsleitung ist verpflichtet, unverzüglich die Insolvenz anzumelden, sollte die Gesellschaft überschuldet oder zahlungsunfähig sein (§ 15a InsO).
Rückabwicklung und Anfechtung
Bei Verstößen gegen die Offenlegungspflichten, Kapitalaufbringung oder bei vorsätzlicher Schädigung von Gläubigern kann der Kauf angefochten werden oder es werden andere gesellschaftsrechtliche Sanktionen verhängt.
Zusammenfassung: Rechtliche Bewertung des Mantelkaufs
Der Mantelkauf bietet Unternehmen und Investoren die Möglichkeit, einen rechtlich fortbestehenden Gesellschaftsmantel gezielt zu verwenden, insbesondere um zeitintensive Gründungen zu vermeiden. Rechtlich gesehen erfordert ein Mantelkauf jedoch eine genaue Einhaltung der gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Vorschriften, insbesondere in Bezug auf Kapitalaufbringung, Offenlegung und den Umgang mit bestehenden Verbindlichkeiten und Steuerverlusten. Die Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der entsprechenden gesetzlichen Normen ist zwingend, um Haftungsrisiken, Rückabwicklungen und steuerliche Nachteile zu vermeiden.
Häufig gestellte Fragen
Kann ein Mantelkauf nach deutschem Recht anfechtbar sein?
Ein Mantelkauf ist nach deutschem Recht grundsätzlich anfechtbar, insbesondere wenn er gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt. Im Fokus steht hier vor allem § 134 BGB (Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot) und § 138 BGB (Sittenwidrigkeit). Wird mit dem Mantelkauf etwa bezweckt, das gesetzliche Verfahren der Neugründung – etwa nach einer Insolvenzsituation – zu umgehen, um Gläubigerschutzvorschriften, Publizitätspflichten oder die Kapitalaufbringungsvorschriften aus den Augen zu verlieren, so kann die Transaktion nichtig sein. Ferner tritt Sittenwidrigkeit oft dann auf, wenn der Mantelkauf mit dem Ziel erfolgt, die etwaige Insolvenzverschleppung zu verschleiern oder Gläubiger vorsätzlich zu benachteiligen. Gerichte prüfen daher stets den Einzelfall, wobei nicht allein der Umstand des Mantelerwerbs, sondern die Motive und die tatsächliche Gestaltung sowie die Einhaltung aller rechtlichen Pflichten entscheidend sind. Insbesondere beim Erwerb insolvenzreifer, „leerer“ Gesellschaften ist also äußerste Vorsicht geboten, um Anfechtungs- oder Nichtigkeitsrisiken zu vermeiden.
Welche Haftungsrisiken bestehen beim Erwerb einer Mantelgesellschaft?
Beim Erwerb einer Mantelgesellschaft übernimmt der Käufer nicht nur die Hülle der juristischen Person, sondern auch sämtliche bekannten und unbekannten Verbindlichkeiten, die aus der bisherigen Geschäftstätigkeit resultieren können. Dies betrifft insbesondere laufende Verträge, Rückstellungen, Steuerverbindlichkeiten sowie mögliche Altlasten aus dem Gesellschaftsverhältnis. In rechtlicher Hinsicht ist daher eine umfassende Due-Diligence-Prüfung zwingend angeraten, um etwaige Risiken zu identifizieren. Gleichwohl können sogenannte „hidden liabilities“ selbst nach sorgfältiger Prüfung verbleiben und führen dann zur Haftung des Erwerbers. Zudem kann unter bestimmten Voraussetzungen auch eine persönliche Haftung der Geschäftsführer eintreten, wenn es im Zuge des Mantelkaufs zu einer fehlerhaften Handhabung von gesetzlichen Schutzvorschriften kommt (z.B. §§ 43, 64 GmbHG).
Wie ist der Mantelkauf gesellschaftsrechtlich und steuerrechtlich zu behandeln?
Gesellschaftsrechtlich handelt es sich beim Mantelkauf um die Übernahme eines bereits existierenden, jedoch wirtschaftlich inaktiven Rechtsträgers. Der Wechsel der Gesellschafter und ggf. der Geschäftsführer bedarf – je nach Gesellschaftsform – entsprechender Beurkundungen und Eintragungen im Handelsregister (§ 40 GmbHG, § 161 HGB; §§ 117, 181 AktG). Steuerrechtlich ist ein Mantelkauf insbesondere im Hinblick auf die Verlustnutzung (§ 8c KStG bei Kapitalgesellschaften) relevant, da ein weitgehender Gesellschafterwechsel zum (teilweisen) Wegfall von Verlustvorträgen führen kann. Ferner muss geprüft werden, ob Umsatzsteuerpflichten, Körperschaftsteuerpflichten oder andere abgabenrechtliche Aspekte berührt werden. Die Nachweispflichten gegenüber dem Finanzamt sind hier besonders hoch, da Steuerhinterziehung oder Steuerverkürzung mit straf- und haftungsrechtlichen Folgen verbunden sein können.
Welche besonderen Anforderungen stellt das Handelsregister an den Mantelkauf?
Jeder Erwerb einer Mantelgesellschaft und jede daraus folgende Änderung, wie etwa Gesellschafterwechsel, Sitzverlegung oder Änderung des Unternehmensgegenstandes, ist meldepflichtig und muss beim Handelsregister angemeldet werden (§ 12 HGB, § 54 GmbHG). Insbesondere die Eintragung der neuen Geschäftsführer und ggf. die Anpassung des Gesellschaftsvertrags sind notariell zu beurkunden. Das Registergericht prüft die formale Ordnungsmäßigkeit und kann Mängel durch Zurückweisung monieren. Bei Verdacht auf gesetzeswidrige Handlungen (etwa Identitätstäuschung oder Verschleierung wirtschaftlicher Verhältnisse) ist das Registergericht sogar verpflichtet, Ermittlungen einzuleiten und die Eintragung ggf. zu versagen.
Welche Bedeutung hat die Offenlegungspflicht beim Mantelkauf?
Die regelmäßigen Offenlegungspflichten nach §§ 325 ff. HGB, §§ 42a ff. GmbHG bestehen auch bei Mantelgesellschaften unverändert fort. Sofern es sich um eine im Handelsregister eingetragene Kapitalgesellschaft handelt, müssen auch für die Zeit der Inaktivität entsprechende (gegebenenfalls leere) Jahresabschlüsse beim Bundesanzeiger eingereicht werden. Werden diese Offenlegungspflichten im Kontext des Mantelkaufs versäumt oder falsch erfüllt, drohen sowohl der Gesellschaft als auch den handelnden Personen ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen, Bußgelder sowie die Androhung von Zwangsgeldern durch das Bundesamt für Justiz.
Besteht beim Erwerb einer Mantelgesellschaft eine Pflicht zur erneuten Kapitalaufbringung?
Beim Mantelkauf ist grundsätzlich keine Pflicht zur erneuten Einlage des Stammkapitals erforderlich, sofern dieses bei Gründung vollständig und ordnungsgemäß erbracht wurde und noch ungeschmälert in der Gesellschaft vorhanden ist. Ist das Kapital jedoch – etwa durch Verluste oder Entnahmen – nicht mehr in voller Höhe vorhanden, kann eine Nachschusspflicht bestehen (§ 19 GmbHG), um den gesetzlichen Mindestkapitalanforderungen zu entsprechen. Im Gegenteilfall besteht das Risiko der persönlichen Haftung der neuen Gesellschafter sowie der Geschäftsleitung wegen Unterkapitalisierung und Gläubigerbenachteiligung. Diese Pflicht ist zudem handelsregisterrechtlich überprüfbar und kann im Prüfungsverfahren zur Verweigerung von Eintragungen führen.
Wie verhält es sich mit der Insolvenzantragspflicht nach dem Erwerb einer Mantelgesellschaft?
Nach deutschem Recht (§ 15a InsO) ist jeder Geschäftsführer einer GmbH, AG oder gleichgestellten Gesellschaft verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unverzüglich, spätestens jedoch binnen drei Wochen, einen Insolvenzantrag zu stellen. Diese Pflicht gilt auch nach einem Mantelkauf uneingeschränkt weiter. Wer einen Mantel erwirbt, der tatsächlich bereits insolvenzreif ist, läuft Gefahr, sich wegen Insolvenzverschleppung strafbar zu machen und zivilrechtlich in Haftung genommen zu werden. Es ist daher unerlässlich, bereits vor dem Erwerb den tatsächlichen Vermögensstatus und eine etwaige Insolvenzreife sorgfältig zu prüfen. Eine nachträgliche „Sanierung“ durch den bloßen Erwerb reicht zur Entschuldung nicht aus und kann die Insolvenz- und Haftungsrisiken für die Erwerber erheblich erhöhen.