Legal Lexikon

lex commissoria


Begriff und Definition der Lex Commissoria

Die lex commissoria ist ein aus dem römischen Recht stammender Rechtsbegriff, der eine besondere Vertragsbestimmung beschreibt, nach der im Fall des Zahlungsverzugs des Schuldners dem Gläubiger ein gesetzlich oder vertraglich festgelegtes Auflösungsrecht (Rücktritts- oder Einziehungsrecht) am zugrunde liegenden Vertrag zugesprochen wird. Vorrangig findet die lex commissoria in Sicherungsgeschäften Anwendung, insbesondere in Kauf-, Pfand- und Darlehensverträgen. Die Regelung kann auch mit der Möglichkeit verbunden sein, dass der Gläubiger im Fall des Verzugs das Sicherungsobjekt endgültig einbehält oder der Vertrag ohne weitere Fristsetzung aufgelöst wird.

Historische Entwicklung und Rechtsgeschichte

Ursprünge im römischen Recht

Die lex commissoria stammt ursprünglich aus dem römischen Pfandrecht (pignus) und bezeichnet eine Klausel, bei der der Pfandgläubiger das Recht erlangte, das verpfändete Objekt zu behalten, falls der Schuldner nicht rechtzeitig leistet. Aufgrund der mit ihr verbundenen Missbrauchsgefahr durch Übervorteilung wurde diese Klausel im Laufe der Zeit im römischen Recht wesentlich eingeschränkt und im Codex Justinianus schließlich verboten.

Entwicklung im Mittelalter und in der Neuzeit

Im Mittelalter wurde die lex commissoria zunächst weiterhin in Darlehens- und Kaufverträgen verwendet, ihre Anwendung jedoch durch kanonisches und später bürgerliches Recht restriktiv behandelt. Ziel dieser Einschränkungen war es, einem möglichen Rechtsmissbrauch zum Nachteil des Schuldners vorzubeugen, insbesondere im Zusammenhang mit Wucher und Ausbeutungsverhältnissen.

Lex Commissoria im deutschen Recht

Anwendung im Zivilrecht

Im heutigen deutschen Recht hat die lex commissoria in ihrer ursprünglichen Form weitgehend an Bedeutung verloren. Ihre Grundsätze finden sich jedoch etwa im Zusammenhang mit Rücktrittsrechten, insbesondere im Kaufrecht (§ 323 BGB), im Pfandrecht (§ 1249 BGB: Verbot der Verfallklausel) und im Sicherungsrecht wieder.

Verbot der Verfallklausel (§ 1249 BGB)

Nach § 1249 BGB gilt ein ausdrückliches Verbot der Verfallklausel für Pfandrechte, das heißt, eine vereinbarte oder gesetzlich vorgesehene Möglichkeit des Gläubigers, das Pfand im Verzugsfall ohne Rücksicht auf den Wert zu behalten, ist im Regelfall nichtig. Ziel dieser Regelung ist es, dem Schuldner die Möglichkeit einzuräumen, das Pfand gegen Rückzahlung der Schuld zurückzuerhalten oder eine angemessene Verwertung des Pfandes und Rückgabe eines etwaigen Überschusses zu garantieren.

Kaufrecht und Rücktritt vom Vertrag

Im Kaufrecht wird eine Funktion ähnlich der lex commissoria von den Rücktrittsrechten abgebildet. Ist eine Rücktrittsklausel als lex commissoria formuliert, so kann der Gläubiger bei Verzug des Schuldners vom Vertrag zurücktreten. Die gesetzlichen Regelungen (§ 323 ff. BGB) normieren jedoch Fristen und Voraussetzungen, die den Schuldnerschutz gewährleisten, und verhindern so einen rechtsmissbräuchlichen Gebrauch.

Anwendung in anderen Rechtsgebieten

Lex commissoria-ähnliche Klauseln können auch in anderen Schuldverhältnissen, etwa im Werkvertrags- oder Darlehensrecht, anzutreffen sein. Die rechtliche Zulässigkeit ist stets an die Schranken des AGB-Rechts (insbesondere § 307 BGB), Treu und Glauben (§ 242 BGB) und die Musterschutzregeln gebunden. Zudem finden sich ähnliche Schutzgedanken im Sachenrecht, vor allem zum Schutz vor einer unangemessenen Benachteiligung des Sicherungsgebers.

Lex Commissoria im internationalen Privatrecht

In anderen europäischen Rechtsordnungen wurde die lex commissoria in unterschiedlichem Umfang übernommen und modifiziert. Im französischen Recht beispielsweise kennt das Code civil nach wie vor besondere Regelungen zur lex commissoria bei Pfandrechten (z. B. Art. 2078 Code civil), die aber ebenfalls erheblich eingeschränkt sind. Das Schweizer Zivilgesetzbuch (ZGB) verbietet die Verfallklausel bei Faustpfandrechten ab Art. 891 ZGB. Im internationalen Warenkauf nach CISG (UN-Kaufrecht) existiert eine dem deutschen Rücktrittsrecht vergleichbare Norm ohne ausdrückliche lex commissoria-Klausel.

Schutzzwecke und Gründe für das Verbot der Lex Commissoria

Der Gesetzgeber verfolgt mit den Einschränkungen und Verboten der lex commissoria vor allem schutzwürdige Interessen der Schuldner. Im Vordergrund steht hierbei die Verhinderung des Rechtsmissbrauchs sowie des Risikos, Sicherungsgegenstände weit unter ihrem tatsächlichen Wert zu verlieren (Schutz vor Wucher, Sicherstellung des Äquivalenzgrundsatzes im Schuldverhältnis). Demgegenüber stehen die Interessen der Gläubiger an rascher und vollwertiger Realisierung der Sicherung; diese werden durch detaillierte Verwertungsvorschriften und ein angemessenes Rücktrittsrecht im Einzelfall geschützt.

Moderne vertragliche Gestaltung und Alternativen zur Lex Commissoria

Statt der lex commissoria werden heute in vertraglichen Sicherungsvereinbarungen regelmäßig angemessene Verwertungsklauseln, dingliche Sicherungsrechte wie Sicherungsübereignung, Eigentumsvorbehalt oder Hypothek benutzt, die den gesetzlichen Vorgaben entsprechen und das Gleichgewicht zwischen Gläubiger- und Schuldnerschutz wahren.

Literaturhinweise und weiterführende Quellen

  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, aktuelle Auflagen.
  • Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB.
  • Medicus, Schuldrecht I: Allgemeiner Teil.
  • Münchener Kommentar zum BGB.
  • Staudinger, Kommentar zum BGB (Pfandrecht).

Zusammenfassung

Die lex commissoria ist ein historischer Rechtsbegriff, der Vertragsklauseln zur Auflösung oder zum unbedingten Erwerb eines Sicherungsguts bei Nichterfüllung der Schuld beschreibt. Im deutschen Recht ist ihre Anwendung stark eingeschränkt und im Pfandrecht grundsätzlich untersagt, um Schuldner vor Übervorteilung zu schützen. Ihre Grundgedanken leben im modernen Vertragsrecht als Rücktrittsrecht und durch Schutzmechanismen bei der Verwertung von Sicherheiten fort. Internationale Rechtsordnungen kennen vergleichbare Regelungen mit eigenen Besonderheiten und Einschränkungen. Die rechtliche Entwicklung der lex commissoria verdeutlicht die zentrale Bedeutung des Schuldnerschutzes im Vertrags- und Sicherungsrecht.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist eine lex commissoria im Rahmen eines Sicherungsgeschäfts nach deutschem Recht unwirksam?

Eine lex commissoria ist nach deutschem Recht gemäß § 1229 BGB dann unwirksam, wenn sie in einem Pfandrecht oder in einer Sicherungsübertragung vereinbart wurde und dem Sicherungsnehmer das Recht einräumt, die verpfändete oder sicherungsübereignete Sache bei Nichtleistung der gesicherten Forderung endgültig zu behalten. Das liegt darin begründet, dass der Gesetzgeber eine Benachteiligung des Sicherungsgebers verhindern möchte, der im Regelfall bei Verfallsklauseln Gefahr läuft, im Wert übersteigendes Sicherungsgut zu verlieren. Verboten ist demnach insbesondere eine Bestimmung, nach der das Sicherungsgut automatisch in das Eigentum des Sicherungsnehmers übergeht, ohne dass eine angemessene Verwertung mit eventueller Rückzahlung eines Überschusses an den Sicherungsgeber erfolgt. Das Verbot wird weit interpretiert, sodass sämtliche vertraglichen Klauseln mit vergleichbarer wirtschaftlicher Wirkung ebenfalls erfasst sind, selbst wenn sie nicht ausdrücklich als lex commissoria bezeichnet sind.

Wie wirkt sich das lex-commissoria-Verbot auf Abtretungs- und Sicherungsübereignungsgeschäfte aus?

Das Verbot der lex commissoria betrifft nicht nur klassische Pfandrechtsverhältnisse, sondern ebenfalls Sicherungsabtretungen und Sicherungsübereignungen. Auch hier ist es unzulässig, in der Sicherungsabrede festzuhalten, dass der Sicherungsnehmer (z. B. eine Bank) im Falle einer Nichtbedienung der gesicherten Forderung das Sicherungsgut automatisch ohne weitere Verwertung behalten darf. Stattdessen muss stets das Verwertungsinteresse des Sicherungsgebers gewahrt werden. Das bedeutet, dass im Sicherungsfall das Sicherungsgut vorrangig wertschonend zu verwerten und ein eventueller Überschuss an den Sicherungsgeber herauszugeben ist. Klauseln, die diesem Grundsatz widersprechen, sind nichtig und entfalten keine rechtlichen Wirkungen.

Wird das Verbot der lex commissoria auch im Rahmen von Insolvenzverfahren angewendet?

Ja, das Verbot der lex commissoria ist auch im Insolvenzverfahren zwingend zu beachten. Im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Sicherungsgebers bleibt jede dem Sicherungsnehmer eingeräumte Verfallsklausel nach § 129 InsO unwirksam. Die Insolvenzordnung schützt das Gleichbehandlungsprinzip und die Masseinteressen dadurch, dass auch während eines Insolvenzverfahrens keine automatische Übertragung des Sicherungsgutes an den Sicherungsnehmer zulässig ist, sondern stattdessen das Sicherungsgut zugunsten der Insolvenzmasse zu verwerten ist, wobei ein etwaiger Überschuss an den Sicherungsgeber bzw. die Insolvenzmasse fällt.

Gibt es Ausnahmen, bei denen eine lex commissoria wirksam sein kann?

Das deutsche materielle Recht kennt praktisch keine wirksamen Ausnahmen vom Verbot der lex commissoria für Sicherungsgeschäfte an beweglichen Sachen und Rechten. In besonderen Konstellationen des internationalen Handelsrechts kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen das auf das Geschäft anwendbare ausländische Recht eine lex commissoria zulassen, etwa im Zusammenhang mit dem Eigentumsvorbehalt und vergleichbaren Sicherungskonstrukten. Im rein deutschen Kontext sind jedoch keine Ausnahmen anerkannt; auch vertragliche Umgehungen des Verbots werden regelmäßig als nichtig behandelt.

Welche Rechtsfolgen hat die Vereinbarung einer unwirksamen lex commissoria?

Die Rechtsfolge einer unwirksamen lex commissoria ist die Nichtigkeit der entsprechenden Klausel. Dies bedeutet, dass die weitergehende Sicherheit nicht wirksam bestellt wird und stattdessen die gesetzlichen Verwertungsregeln zum Tragen kommen. Der Sicherungsnehmer darf das Sicherungsgut nicht behalten, sondern muss es ordnungsgemäß verwerten und einen etwaigen Mehrerlös an den Sicherungsgeber herausgeben. Sollte der Sicherungsnehmer die Sache dennoch behalten, kann der Sicherungsgeber Rückgabe sowie gegebenenfalls Schadensersatz fordern. Auch die Sicherungsabrede als solche bleibt grundsätzlich im Übrigen bestehen, nur die nichtige Klausel wird nach § 139 BGB unwirksam.

Wie unterscheidet sich das Verbot der lex commissoria vom pactum marcianum?

Das pactum marcianum stellt eine vom Verbot der lex commissoria abzugrenzende Regelung dar. Bei einem pactum marcianum wird im Sicherungsvertrag geregelt, dass der Sicherungsnehmer das Sicherungsgut im Fall des Sicherungsfalls zwar behalten darf, aber verpflichtet ist, dem Sicherungsgeber einen etwaigen Überschusswert zu erstatten. Dieses Modell ist gerade nicht von § 1229 BGB erfasst, da das wirtschaftliche Risiko einer Übersicherung nicht mehr einseitig auf den Sicherungsgeber verlagert, sondern einen Interessenausgleich vorsieht. Während also die klassische lex commissoria Nichtigkeit zur Folge hat, ist das pactum marcianum bei Vorliegen einer entsprechenden Ausgleichsregelung zulässig und entfaltet damit rechtliche Wirksamkeit.

Welche praktische Bedeutung hat das Verbot der lex commissoria im heutigen Wirtschaftsleben?

Das Verbot der lex commissoria ist in der heutigen Praxistauglichkeit insbesondere im Hinblick auf Sicherungsrechte der Kreditwirtschaft sowie bei Unternehmensfinanzierungen von erheblicher Bedeutung. Kreditgeber müssen bei der Gestaltung von Sicherungsabreden stets die zwingenden gesetzlichen Vorgaben berücksichtigen und Sicherungsnehmer dürfen sich im Sicherungsfall nicht einfach das Sicherungsgut einverleiben. In der Praxis führen versuchte Umgehungen des Verbotes häufig zu Rechtsstreitigkeiten und Unsicherheiten, weshalb praxistaugliche Modelle wie Treuhandlösungen, Sicherungsabtretungen und wertorientierte Verwertungsabreden entwickelt wurden, die den Schutz der Sicherungsgeber gewährleisten und dennoch die Interessen der Sicherungsnehmer wahren. Das Verbot ist damit ein zentrales Instrument zur Wahrung des Interessenausgleichs im Sachen- und Kreditsicherungsrecht.