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Kontokorrentverrechnung


Definition und Bedeutung der Kontokorrentverrechnung

Die Kontokorrentverrechnung ist ein zentraler Begriff des Schuldrechts und Bankrechts, welcher die laufende Verrechnung gegenseitiger Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen zwei Parteien, insbesondere zwischen Kreditinstituten und deren Kunden, beschreibt. Im Rahmen der Kontokorrentverrechnung werden sämtliche Forderungen und Leistungen nicht einzeln abgerechnet, sondern in ein fortlaufendes Konto (Kontokorrentkonto) eingestellt und in einem einheitlichen Saldo zusammengefasst. Der Saldo stellt die Differenz aller Forderungen und Verbindlichkeiten dar und gilt rechtlich als abstrakte Anerkennungsschuld.

Rechtsgrundlagen der Kontokorrentverrechnung

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Die gesetzliche Grundlage findet sich in den Vorschriften der §§ 355 bis 357 Handelsgesetzbuch (HGB) zum Kontokorrent sowie ergänzend in den allgemeinen schuldrechtlichen und bankrechtlichen Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Die Bestimmungen regeln die Entstehung, Führung sowie die Beendigung eines Kontokorrentverhältnisses. Insbesondere § 355 HGB normiert den Begriff und die rechtliche Behandlung des Kontokorrents als Abrechnungsverhältnis.

Handelsgesetzbuch (HGB) und kontokorrentfähige Forderungen

Nach dem HGB können nur sogenannte „kontokorrentfähige Forderungen“ in das Kontokorrent aufgenommen werden. Dies sind Forderungen, denen rechtlich nichts entgegensteht, insbesondere dürfen sie nicht ausdrücklich von der Kontokorrentverrechnung ausgeschlossen sein. Nicht kontokorrentfähig sind unter anderem höchstpersönliche Forderungen, mit denen keine Aufrechnung möglich ist.

Vertragliche Grundlage

Die Einrichtung eines Kontokorrentverhältnisses erfolgt in der Regel durch Vertrag. Dies kann ausdrücklich oder konkludent, etwa durch die Führung eines Girokontos, erfolgen. In der Praxis wird der Umfang der Kontokorrentabrede zumeist im Rahmen allgemeiner Geschäftsbedingungen der Kreditinstitute detailliert geregelt.

Rechtswirkungen der Kontokorrentverrechnung

Einzelforderungen und abstrakte Anerkennungsschuld

Mit Einstellung der gegenseitigen Forderungen in das Kontokorrent verlieren diese ihre rechtliche Selbstständigkeit und werden zu unselbstständigen Rechnungsposten. Erst der Saldo, welcher jeweils nach einer festgelegten Abrechnungsperiode ermittelt wird, wird rechtsverbindlich. Der Saldo stellt eine abstrakte Anerkennungsschuld dar, auf die die allgemeinen Vorschriften über Forderungen Anwendung finden.

Nachschuss- und Rückwirkung

Die Einzelposten behalten ihre rechtliche Relevanz insoweit, als sie im Rahmen von Korrekturen, etwa bei fehlerhafter Einbuchung, korrigiert werden können. Einwendungen, die sich gegen einzelne Forderungen richten, können nachträglich geltend gemacht werden, solange der Saldo noch nicht anerkannt wurde.

Verjährung

Mit der Saldofeststellung beginnt die Verjährungsfrist für den Saldobetrag. Die Verjährung einzelner Forderungen beginnt dagegen nicht isoliert, da sie mit der Einbuchung in das Kontokorrent ihre rechtliche Selbstständigkeit verlieren. Erst der Saldo ist verjährungsrelevant.

Beendigung, Kündigung und Abrechnung des Kontokorrents

Beendigungsarten

Ein Kontokorrentverhältnis kann durch Kündigung, Zeitablauf oder durch Aufhebungsvertrag beendet werden. Nach Beendigung wird die Schlussabrechnung vorgenommen, und der daraus resultierende Schlusssaldo ist zur Zahlung fällig.

Rechtliche Folgen der Beendigung

Mit der Beendigung des Kontokorrents werden sämtliche bislang unselbstständigen Rechnungsposten endgültig zusammengefasst. Der Schlusssaldo wird zur selbstständigen Forderung, auf die die allgemeinen Vorschriften, beispielsweise über Zinsen, Sicherheiten und Vollstreckbarkeit, Anwendung finden.

Besonderheiten der Kontokorrentverrechnung im Bankrecht

Bankkontokorrentverhältnis

Im Bankwesen ist das Kontokorrent mit dem Girokonto verknüpft. Wechselseitige Buchungen (Gutschriften, Lastschriften, Überweisungen) werden fortlaufend verrechnet. Die regelmäßige Saldofeststellung (meist monatlich oder quartalsweise) ist für beide Parteien verbindlich, kann jedoch innerhalb einer Frist beanstandet werden.

Sicherheiten und Kontokorrentklausel

Häufig werden Sicherheiten wie Bürgschaften, Hypotheken oder Verpfändungen zur Absicherung sämtlicher gegenwärtigen und zukünftigen Kontokorrentsalden beigebracht (sog. Kontokorrentklausel). Die rechtliche Wirksamkeit solcher Klauseln ist im Rahmen der §§ 765 ff. BGB sowie nach den Regelungen zur AGB-Kontrolle zu beurteilen.

Insolvenzauswirkungen

Im Fall einer Insolvenz des Kontoinhabers oder Kreditinstituts wird das Kontokorrentverhältnis in der Regel beendet, eine Saldofeststellung zum Insolvenzeröffnungsstichtag vorgenommen und nur der Schlusssaldo zur Insolvenztabelle angemeldet. Einzelne Buchungen nach Insolvenzeröffnung sind gesondert insolvenzrechtlich zu würdigen (vgl. §§ 96 ff. InsO).

Kontokorrentverrechnung und Aufrechnung

Abgrenzung zur Aufrechnung

Die Kontokorrentverrechnung unterscheidet sich von der gewöhnlichen Aufrechnung nach § 387 BGB. Während bei der Aufrechnung einzelne Forderungen gegenübergestellt und erlöschen, erfolgt bei der Kontokorrentverrechnung eine umfassende, fortlaufende Verrechnung mehrerer Forderungen und Verbindlichkeiten mit periodischer Saldofeststellung.

Aufrechnungsverbot und Einschränkungen

Im Rahmen eines Kontokorrents ist die Einzelaufrechnung grundsätzlich ausgeschlossen, da der Zweck des Kontokorrents gerade die Vermeidung mehrerer Einzelabrechnungen ist. Ein Aufrechnungsverbot kann allerdings vertraglich modifiziert werden.

Internationale Aspekte und Rechtsvergleich

Europäische und internationale Praxis

Kontokorrentverrechnung ist ebenso im internationalen Handel verbreitet. In anderen Rechtsordnungen, etwa im angloamerikanischen Raum, existieren vergleichbare Institute (Account Current). Die grundlegende Rechtsnatur entspricht weitgehend der deutschen Ausgestaltung, vor allem hinsichtlich der Saldotheorie und der Wirkung auf Sicherheiten und Verjährung.

Literaturhinweise und weiterführende Informationen

  • Ackermann, Jens: Das Kontokorrent im Bankenrecht, 3. Auflage, München 2020.
  • Münchener Kommentar zum HGB, § 355 HGB.
  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar zu § 355 HGB.

Hinweis: Die Kontokorrentverrechnung stellt ein komplexes Rechtsinstitut dar, das weitreichende Auswirkungen für Vertragsparteien im Geschäftsverkehr und im Bankensektor hat. Weiterführende Informationen finden sich insbesondere in den einschlägigen Kommentaren zum HGB sowie in der bankrechtlichen Fachliteratur.

Häufig gestellte Fragen

In welchen Fällen ist die Kontokorrentverrechnung gesetzlich ausgeschlossen?

Die Kontokorrentverrechnung ist gemäß § 355 Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) dann gesetzlich ausgeschlossen, wenn entweder eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Parteien vorliegt, die bestimmte Forderungen vom Kontokorrent ausschließt, oder das Gesetz ein Verrechnungsverbot vorsieht. Besondere gesetzliche Ausschlüsse bestehen beispielsweise für unpfändbare Forderungen, Forderungen, die unter einer aufschiebenden Bedingung stehen oder solche, bei denen die Verrechnung gegen zwingende Schutzvorschriften verstößt. Zum Schutz bestimmter Gläubigerinteressen, etwa im Insolvenzfall, kann die Verrechnung von Forderungen zwischen Gläubiger und Schuldner weitergehend eingeschränkt werden, insbesondere wenn Forderungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden oder erworben wurden. Auch Ansprüche, die aus vorsätzlich unerlaubten Handlungen stammen, sind regelmäßig von der Kontokorrentverrechnung ausgenommen, um eine Umgehung haftungsrechtlicher Regelungen zu verhindern. In der Praxis ist stets eine sorgfältige Prüfung der jeweiligen Anspruchsgrundlagen und etwaiger Verrechnungsverbote notwendig, insbesondere im Zusammenhang mit insolvenzrechtlichen Vorschriften (§ 96 InsO).

Welche Bedeutung hat die Kontokorrentverrechnung im Insolvenzverfahren?

Im Insolvenzverfahren spielt die Kontokorrentverrechnung eine zentrale Rolle, da sie maßgeblich darüber entscheidet, inwieweit bereits vor Insolvenzeröffnung miteinander verrechnete Forderungen und Verbindlichkeiten in die Insolvenzmasse einfließen. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung (InsO) ist die Verrechnung mit Forderungen, die erst nach Verfahrenseröffnung entstanden oder erworben wurden, grundsätzlich unzulässig, um eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger zu verhindern. Der Stand des Kontokorrents am Tag der Insolvenzeröffnung ist somit entscheidend. Forderungen, die bis zu diesem Zeitpunkt in das Kontokorrent eingestellt wurden, werden verrechnet und es entsteht ein einheitlicher Saldo, der mit einer einfachen Forderung gleichzusetzen ist. Spätere Forderungen können dagegen nicht mehr in das bestehende Kontokorrent aufgenommen und verrechnet werden. Diese Regelung dient der Wahrung der paritätischen Verteilung der Insolvenzmasse und verhindert, dass einzelne Gläubiger durch nachträgliche Verrechnung bevorteilt werden.

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine wirksame Kontokorrentverrechnung vorliegen?

Für eine wirksame Kontokorrentverrechnung sind verschiedene rechtliche Voraussetzungen zu erfüllen: Zunächst ist eine wirksame Kontokorrentabrede zwischen den Parteien erforderlich, die meist durch Vertrag (§ 355 HGB) dokumentiert wird. Beide Seiten müssen Kontokorrentfähigkeit besitzen; regelmäßig handelt es sich dabei um Kaufleute, da das HGB ausdrücklich Bezug auf das Handelsrecht nimmt. Die jeweiligen Forderungen müssen grundsätzlich gegenseitig, gleichartig (meist Geldforderungen), durchsetzbar und fällig sein, wobei einzelne Forderungen aus Kulanz auch im Vorgriff eingestellt werden können. Darüber hinaus darf kein vertraglicher oder gesetzlicher Verrechnungsausschluss bestehen. Auch muss beachtet werden, dass die Parteien bei der Einstellung der Forderungen in das Kontokorrent grundsätzlich übereinstimmen müssen, sofern keine anderweitige Regelung getroffen wurde. Die Besonderheiten des Kontokorrents machen es außerdem erforderlich, dass erst der am festgelegten Abrechnungsstichtag ermittelte Saldo als einheitliche Forderung geltend gemacht werden kann.

Welche Ansprüche führen bei der Kontokorrentverrechnung zum Saldo und wie werden diese behandelt?

Im Rahmen des Kontokorrents werden sämtliche gegenseitigen Ansprüche und Verbindlichkeiten, die im fortlaufenden Geschäftsverkehr entstehen, in das Konto aufgenommen und zunächst lediglich als Buchposten geführt. Hierzu zählen regelmäßig Kaufpreisforderungen, Liefer- und Leistungsverbindlichkeiten, Kontogebühren, Zinsen sowie sonstige Forderungen aus der Geschäftsbeziehung. Der entscheidende rechtliche Vorgang erfolgt mit der periodischen Abrechnung: Erst dann werden die bis dahin nur vorgemerkten Forderungen durch Verrechnung zum sog. Saldo zusammengefasst, der als eigenständige unselbstständige Forderung entsteht („saldiert“). Einzelne Forderungen verlieren somit ihre eigenständige Geltung und können nicht separat eingeklagt werden – nur der Saldo ist einklagbar. Ausnahmen gelten nur bei ausdrücklichen vertraglichen Regelungen oder gesetzlichen Vorgaben (z.B. bei Vorbehaltsrechten oder vereinbarten Ausnahmen vom Kontokorrent).

Welche Formerfordernisse und Nachweispflichten bestehen bei der Kontokorrentverrechnung?

Das Gesetz stellt für die Vereinbarung eines Kontokorrents keine besonderen Formerfordernisse auf; eine schriftliche Fixierung wird jedoch aus Gründen der Beweisbarkeit und Rechtssicherheit dringend empfohlen. Im Bankverkehr ist es ständige Übung, Kontokorrentvereinbarungen schriftlich zu dokumentieren und regelmäßige Kontoauszüge als Abrechnungsgrundlage zu verwenden. Der Anspruchsteller trägt im Streitfall die Darlegungs- und Beweislast für das Zustandekommen und den Inhalt der Kontokorrentabrede, die Saldenmitteilungen, die jeweiligen Buchungen sowie etwaige Einwendungen des Kontopartners. Streitigkeiten werden häufig anhand von Kontoauszügen, Saldenbestätigungen oder Buchungsbelegen entschieden. Für die Geltendmachung des Saldos bedarf es im Prozess zudem des Nachweises, dass alle relevanten Buchungen ordnungsgemäß in den Kontokorrent eingestellt und richtig verrechnet wurden.

Welche Rolle spielen Einwendungen und Gegenrechte bei der Kontokorrentverrechnung?

Einwendungen und Gegenrechte gegen einzelne Forderungen müssen grundsätzlich vor oder spätestens zum Abrechnungsstichtag geltend gemacht werden; spätestens mit der Saldoanerkennung sind diese Rechte im Grundsatz ausgeschlossen, sofern keine Arglist, Zwang oder Irrtum vorliegen. In Bankkontokorrentverhältnissen besteht häufig eine Frist zur Einwendung gegen die periodischen Kontoauszüge, nach deren Ablauf stillschweigende Anerkennung des Saldos angenommen wird (§ 355 HGB analog, AGB-Banken). Einwendungen, die sich gegen das Zustandekommen des Saldos insgesamt richten oder Mängel im Abrechnungsverfahren betreffen, können auch nachträglich geltend gemacht werden. Gegenrechte, insbesondere Zurückbehaltungsrechte oder die Geltendmachung von Aufrechnungen außerhalb des Kontokorrents, sind infolge der besonderen Verrechnungsmechanik des Kontokorrents stark eingeschränkt, da nur noch der Saldo zur Disposition steht.

Kann eine einmal geschlossene Kontokorrentvereinbarung einseitig beendet oder nachträglich abgeändert werden?

Eine Kontokorrentvereinbarung kann grundsätzlich von beiden Parteien entsprechend den im Vertrag getroffenen Regelungen oder unter Einhaltung gesetzlicher Kündigungsfristen beendet werden. In handelsrechtlichen Kontokorrentverhältnissen kann die Beendigung im Zweifel jederzeit mit Wirkung für die Zukunft ausgesprochen werden (§ 355 Abs. 2 HGB). Bei Banken sehen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der Regel eine Kündigungsfrist vor und verlangen die unverzügliche Begleichung des Saldos nach Beendigung. Nachträgliche Änderungen der Kontokorrentabrede, wie die Abänderung der einzustellenden Forderungen oder der Abrechnungsmodalitäten, sind ebenfalls einvernehmlich möglich, müssen aber klar dokumentiert werden, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Im Streitfall trägt derjenige die Beweislast, der sich auf eine Änderung oder Aufhebung der Kontokorrentabrede beruft.