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Kalkulationsirrtum


Begriff und rechtliche Einordnung des Kalkulationsirrtums

Der Kalkulationsirrtum ist ein Begriff aus dem deutschen Zivilrecht und bezeichnet einen Irrtum, der bei der Berechnung wesentlicher Vertragsgrößen auftritt, insbesondere bei der Ermittlung des Angebotspreises. Im Rahmen von Vertragsabschlüssen spielt der Kalkulationsirrtum häufig eine bedeutende Rolle, etwa im Bau- und Werkvertragsrecht, aber auch bei Kaufverträgen oder Dienstleistungsverträgen. Für die rechtliche Bewertung ist zu unterscheiden, ob es sich um einen sogenannten offenen oder verdeckten Kalkulationsirrtum handelt und welche Folgen sich daraus für die Wirksamkeit und Anpassung von Verträgen ergeben.


Formen des Kalkulationsirrtums

Offener Kalkulationsirrtum

Ein offener Kalkulationsirrtum liegt vor, wenn dem Vertragspartner bei Vertragsschluss die einzelnen Berechnungsgrundlagen, einschließlich eventueller Fehler, vollständig offenbart werden. Ein solcher Fall ist beispielsweise gegeben, wenn ein Angebot mit beigefügter Kalkulation unterbreitet wird und dem Vertragspartner die Berechnungsfehler ersichtlich sind oder hätten sein müssen. Aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist ein Rücktritt vom Vertrag oder eine Anfechtung in der Regel ausgeschlossen, da Einigkeit über die Berechnungsgrundlagen besteht.

Verdeckter Kalkulationsirrtum

Ein verdeckter Kalkulationsirrtum liegt vor, wenn der Berechnungsfehler dem Vertragspartner nicht offenbart wird und dieser somit von dem Irrtum keine Kenntnis hat. In solchen Konstellationen stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Vertrag angefochten oder angepasst werden kann. Gerade dieser verdeckte Kalkulationsirrtum ist Gegenstand umfassender rechtlicher Diskussionen, insbesondere hinsichtlich der Anwendbarkeit und Rechtsfolgen der §§ 119 ff. BGB.


Kalkulationsirrtum und Anfechtungsrecht (§§ 119 ff. BGB)

Eigenschaft und Unterscheidung des Inhalts- und Erklärungsirrtums

Das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 119 Abs. 1 BGB) unterscheidet verschiedene Formen des Irrtums: den Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB) und den Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB). Der Kalkulationsirrtum ist hiervon abzugrenzen:

  • Inhaltsirrtum: Der Erklärende weiß, was er sagt, irrt aber über die Bedeutung seiner Erklärung.
  • Erklärungsirrtum: Der Erklärende will etwas anderes erklären, als das, was tatsächlich erklärt wurde.

Der Kalkulationsirrtum stellt nach herrschender Meinung keinen Inhalts- oder Erklärungsirrtum dar, sondern vielmehr einen Motivirrtum. Der Erklärende irrt nämlich darüber, wie der von ihm ursprünglich beabsichtigte Vertragspreis zustande gekommen ist – das Motiv für seine Erklärung ist falsch, nicht jedoch die Erklärung selbst.

Motivirrtum und Anfechtbarkeit

Grundsätzlich gilt, dass ein bloßer Motivirrtum nach § 119 BGB nicht zur Anfechtung berechtigt. Der Kalkulationsirrtum führt daher regelmäßig nicht zur Anfechtbarkeit eines Vertrags, selbst wenn ein erheblicher Rechenfehler vorliegt. Eine Ausnahme kann nur in besonderen Ausnahmefällen anerkannt werden, etwa dann, wenn die fehlerhafte Kalkulation Teil der ausdrücklich zum Vertragsinhalt gemachten Erklärung wurde (offener Kalkulationsirrtum).


Kalkulationsirrtum: Vertragsanpassung und Rückabwicklung

Anpassung nach § 313 BGB – Störung der Geschäftsgrundlage

Gelegentlich wird der Versuch unternommen, den Kalkulationsirrtum unter den rechtlichen Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zu subsumieren. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die grundlegenden gemeinsamen Vorstellungen der Vertragsparteien nach Vertragsschluss entfallen oder sich schwerwiegend geändert haben. Dies ist beim Kalkulationsirrtum selten der Fall, da es sich meist nur um einen Irrtum der einen Partei handelt und nicht um eine beiderseits geteilte Erwartung.

Rücktritt und Widerruf

Ein Rücktritt oder Widerruf vom Vertrag wegen Kalkulationsirrtums ist grundsätzlich nicht möglich, sofern nicht zusätzlich eine arglistige Täuschung oder ein sonstiges Anfechtungsrecht (etwa wegen Drohung oder sonstigem Irrtum nach §§ 119 ff. BGB) vorliegt.


Kalkulationsirrtum im Werkvertragsrecht

Insbesondere im Werkvertragsrecht (beispielsweise im Bauwesen) kommt dem Kalkulationsirrtum erhebliche praktische Bedeutung zu. Viele Aufträge werden nach sorgfältiger Kalkulation vergeben. Fehlerhafte Berechnungen – zum Beispiel bei Materialbedarf, Löhnen oder Zeiten – gehen jedoch grundsätzlich zu Lasten des Unternehmers.

Es gilt: Der Angebotspreis ist bindend. Nachträglich festgestellte Kalkulationsirrtümer rechtfertigen grundsätzlich keine nachträglichen Preisänderungen oder Anpassungen des geschlossenen Vertrags. Nur in eng umgrenzten Ausnahmesituationen, etwa bei § 313 BGB, kann eine Vertragsanpassung möglich sein.


Kalkulationsirrtum im Kaufrecht

Auch beim Kaufvertrag führt ein Kalkulationsirrtum des Verkäufers nicht zu einer Anpassung des vereinbarten Kaufpreises. Der Verkäufer trägt grundsätzlich das Risiko einer falschen Vorkalkulation. Eine nachträgliche Anhebung des Kaufpreises ist rechtlich ausgeschlossen, sofern keine Täuschung oder Anfechtbarkeit wegen Irrtums vorliegt.


Kalkulationsirrtum und Schadensersatz

Der Kalkulationsirrtum an sich begründet keinen Schadensersatzanspruch. Eine Haftung wegen Fehlkalkulation käme nur dann in Betracht, wenn zum Beispiel vorsätzlich falsche Angaben gemacht wurden oder eine sonstige Haftungsgrundlage gegeben ist.


Literatur, Rechtsprechung und weiterführende Hinweise

Leitentscheidungen

  • BGH, Urteil vom 26.11.1954 – II ZR 187/53 (NJW 1955, 337)
  • BGH, Urteil vom 21.06.2005 – X ZR 5/04 (NJW-RR 2005, 1304)

Literatur

  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, § 119 BGB Rn. 37 ff.
  • Medicus, Schuldrecht I, Allgemeiner Teil, Rn. 230

Zusammenfassung

Der Kalkulationsirrtum ist ein finanzieller Fehlgriff, der im deutschen Zivilrecht überwiegend als unbeachtlicher Motivirrtum behandelt wird. Eine Anfechtung des Vertrags ist in der Regel ausgeschlossen, da die irrige Kalkulationsgrundlage lediglich das Motiv der Willenserklärung betrifft. Das wirtschaftliche Risiko trägt diejenige Partei, bei der der Kalkulationsfehler auftritt. Lediglich in Ausnahmefällen, etwa bei offenen Kalkulationsirrtümern oder massiven Störungen der Geschäftsgrundlage, kommt eine Anpassung oder Rückabwicklung des Vertrags in Betracht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung verfolgt hier eine strenge Linie zum Schutz der Vertragsklarheit und des Rechtsverkehrs.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Folgen hat ein Kalkulationsirrtum im deutschen Zivilrecht?

Im deutschen Zivilrecht unterscheidet man zwischen offenem und verstecktem Kalkulationsirrtum. Ein Kalkulationsirrtum liegt vor, wenn sich der Erklärende bei der Berechnung einer Leistung oder des Preises irrt, dieser Irrtum aber nicht unmittelbar in der Erklärung selbst, sondern deren Grundlage (also der Kalkulation) betrifft. Die rechtlichen Folgen hängen davon ab, ob der Kalkulationsirrtum als ein beachtlicher Anfechtungsgrund nach § 119 BGB gilt. Grundsätzlich wird der bloße Irrtum über einen Wert, Preis oder eine Kalkulationsgrundlage als unbeachtlicher Motivirrtum angesehen, der die Wirksamkeit des Vertrages nicht berührt. Nur in Ausnahmefällen, etwa wenn die Kalkulation ausdrücklicher Vertragsbestandteil geworden ist oder ein offener Kalkulationsirrtum vorliegt, kann eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums (§ 119 Abs. 1 BGB) in Betracht kommen. Im Übrigen bleibt der Irrende an den Vertrag gebunden und kann keine Anpassung der Konditionen verlangen.

Kann ein Vertrag wegen Kalkulationsirrtums angefochten werden?

Eine Anfechtung eines Vertrages aufgrund eines Kalkulationsirrtums ist in der Regel nur dann möglich, wenn der Irrtum als sogenannter Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist. Dies ist selten, da der Kalkulationsirrtum meist als unbeachtlicher Motivirrtum gewertet wird. Eine Anfechtbarkeit besteht nur dann, wenn sich der Irrtum nicht lediglich auf die der Willenserklärung zugrunde liegenden Beweggründe (Motivirrtum) bezieht, sondern auf den Inhalt der Erklärung selbst ausgewirkt hat, zum Beispiel wenn die Beteiligten die Kalkulation ausdrücklich zur Geschäftsgrundlage gemacht haben. Liegt lediglich ein verdeckter oder interner Kalkulationsirrtum vor, scheidet eine Anfechtung meist aus. Wird jedoch die Kalkulation offengelegt (offener Kalkulationsirrtum) und erkennt oder muss der Vertragspartner diesen als Grundlage der Erklärung verstehen, kann ausnahmsweise eine Anfechtung möglich sein.

Was ist der Unterschied zwischen offenem und verstecktem Kalkulationsirrtum?

Der Unterschied zwischen offenem und verstecktem Kalkulationsirrtum liegt darin, wie die fehlerhafte Kalkulation in die Vertragsverhandlungen oder den Vertrag einbezogen wurde. Beim offenen Kalkulationsirrtum wird dem Vertragspartner die Kalkulationsgrundlage offengelegt, etwa indem der Anbieter seinen Preis auf Basis bestimmter Rechengrößen oder Einzelposten erläutert und sich dabei verrechnet. Erkennt der Vertragspartner den Rechenfehler oder hätte er ihn bei zumutbarer Aufmerksamkeit erkennen müssen, kann dies Einfluss auf die Rechtsfolgen haben, etwa hinsichtlich Anfechtung oder Vertragsanpassung. Beim versteckten Kalkulationsirrtum bleibt der Fehler der Kalkulation hingegen rein intern, sodass der Empfänger der Erklärung diesen nicht erkennen kann. In diesem Fall bleibt es bei der rechtlichen Wertung des unbeachtlichen Motivirrtums, und der Vertrag ist grundsätzlich wirksam.

Welche Rolle spielt die Kenntnis des Vertragspartners vom Kalkulationsirrtum?

Die Kenntnis oder Erkennbarkeit des Kalkulationsirrtums auf Seiten des Vertragspartners ist vor allem im Zusammenhang mit der Anfechtung und dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) relevant. Hat der Vertragspartner Kenntnis vom Irrtum oder bedient er sich bewusst eines offensichtlichen Rechenfehlers des anderen, kann dies eine Anfechtung begünstigen oder zu einer Vertragsanpassung im Rahmen des § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) führen. In extremen Fällen kann das Verhalten des Vertragspartners als Verstoß gegen Treu und Glauben gewertet werden, sodass der Irrende zum Beispiel gegen eine unbillige Inanspruchnahme des Vertrages geschützt wird. Insbesondere bei öffentlichen Ausschreibungen oder im Bauvertragsrecht spielt die Erkennbarkeit eines außergewöhnlich niedrigen oder ungewöhnlichen Angebots eine Rolle.

Welche Unterschiede bestehen zwischen Kalkulationsirrtum und klassischen Irrtümern nach BGB?

Der Kalkulationsirrtum unterscheidet sich von den klassischen Irrtümern des Bürgerlichen Gesetzbuches (wie Inhalts-, Erklärungs- oder Eigenschaftsirrtum) dadurch, dass er meist nur die interne Motivationslage des Erklärenden betrifft. Während beim Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) der Irrende ein anderes Erklärungszeichen abgibt als beabsichtigt, und beim Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) über die Bedeutung der Erklärung geirrt wird, ist der Kalkulationsirrtum in den meisten Fällen ein Umstand außerhalb der Erklärung selbst, der also die Willensbildung motiviert, aber nicht deren Ausdruck modifiziert. Somit bleibt der Kalkulationsirrtum in der Regel rechtlich unbeachtlich und berechtigt nicht zur Anfechtung, es sei denn, er wird als Inhaltsirrtum qualifiziert.

Gibt es im öffentlichen Vergaberecht Besonderheiten beim Kalkulationsirrtum?

Im öffentlichen Vergaberecht gibt es spezifische Regelungen und Besonderheiten zum Kalkulationsirrtum, insbesondere bei der Angebotsprüfung durch die Vergabestelle. Erkennt die Vergabestelle, dass ein Anbieter bei der Preisbildung einen offensichtlichen Rechenfehler gemacht hat, kann das Angebot gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) oder den entsprechenden Regelungen in anderen Vergabebereichen berichtigt oder sogar vom weiteren Verfahren ausgeschlossen werden. Der Schutz der Bieter vor eigenen Irrtümern steht dabei hinter dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz zurück. Die Aufklärungspflicht der Vergabestelle über ungewöhnlich niedrige Angebote gemäß § 60 VgV (Vergabeverordnung) kann zudem eine Prüfung auf Kalkulationsfehler auslösen.

Wie wirkt sich ein Kalkulationsirrtum auf eine bereits geschlossene Preiskalkulation aus?

Ist ein Vertrag mit einer fehlerhaften Kalkulation zustande gekommen und bleibt der Irrtum rechtlich unbeachtlich (kein Anfechtungsgrund), bleibt der Vertrag einschließlich des vereinbarten Preises grundsätzlich wirksam. Der Irrende muss die vertraglich geschuldete Leistung zu den vereinbarten Konditionen erbringen, auch wenn dies zu einem erheblichen Nachteil für ihn führt. Eine nachträgliche Anpassung des Preises kommt nur ausnahmsweise im Rahmen der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB in Betracht, wenn und soweit ein Festhalten am Vertrag mit dem fehlerhaft kalkulierten Preis unzumutbar wäre. Diese Hürde ist jedoch hoch und wird nur bei schwerwiegenden, nicht vorhersehbaren Fehlkalkulationen überwunden.