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Genussschein


Begriff und rechtliche Grundlagen des Genussscheins

Ein Genussschein ist ein Wertpapier oder eine schuldrechtliche Urkunde, das dem Inhaber bestimmte vermögensrechtliche Ansprüche gegenüber einer Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien, Genossenschaft oder einem anderen ausgebenden Unternehmen gewährt. Genussscheine sind ein Instrument der Unternehmensfinanzierung und stehen rechtlich zwischen Eigen- und Fremdkapital. Sie sind durch eine Vielzahl rechtlicher Ausgestaltungen geprägt und gehören zu den Hybridinstrumenten des Kapitalmarktrechts. Die genaue rechtliche Ausgestaltung von Genussscheinen kann im Einzelnen stark variieren und richtet sich nach den Bestimmungen des jeweiligen Emittenten.

Rechtsnatur des Genussscheins

Genussscheine werden in der Regel als verbriefte oder unverbriefte Genussrechte ausgegeben. Sie stellen kein Stammrecht, sondern ein reines Vermögensrecht am Unternehmen dar und gewähren in der Regel keinen Anspruch auf Mitgliedschaftsrechte wie Stimmrecht oder Teilnahme an Hauptversammlungen. Die rechtliche Grundlage des Genussscheins bildet meist ein schuldrechtliches Vertragsverhältnis zwischen Emittent und Inhaber, welches durch die Genussscheinbedingungen geregelt wird.

Die Ausgestaltung eines Genussscheins unterliegt keinen strengen gesetzlichen Vorgaben, weshalb ihre Bedingungen durch das Unternehmen in den Emissionsbedingungen weitgehend frei bestimmt werden können. Typischerweise definieren die Emissionsbedingungen u.a.:

  • Die Höhe und Art der Genussrechte (z. B. Gewinnbeteiligungsansprüche, Dividendenähnliche Rechte)
  • Zeitraum und Laufzeit der Genussscheine
  • Bedingungen zur Rückzahlung oder Kündigung (sog. Rückzahlungsbedingungen)
  • Regelungen im Insolvenzfall des Emittenten

Abgrenzung zu anderen Finanzinstrumenten

Unterschied zu Aktien

Im Gegensatz zu Aktionären haben Genussscheininhaber kein Stimmrecht oder andere mitgliedschaftsbezogene Rechte am Unternehmen. Sie sind auch nicht an der Substanzbeteiligung des Unternehmens beteiligt, sondern erhalten lediglich Ansprüche auf einen Teil des Gewinns oder Liquidationserlöses nach Maßgabe der Genussrechtsbedingungen.

Unterschied zu Anleihen

Genussscheine können sowohl mit als auch ohne Rückzahlungsanspruch ausgegeben werden. Im Unterschied zur klassischen Anleihe erfolgt die Verzinsung häufig gewinnabhängig und ein unternehmensrechtlicher Nachrang gegenüber sonstigen Gläubigern ist üblich. Sie genießen im Regelfall einen Rang gleich hinter den übrigen Gläubigern, aber vor den Aktionären.

Rechtliche Ausgestaltungsmöglichkeiten

Gewinnbezogene Ausgestaltung

Bei Genussscheinen kann die Beteiligung am Unternehmensgewinn unterschiedlich gestaltet sein. Oftmals ist der Anspruch auf Genussrechtsvergütung von einem Bilanzgewinn oder anderen finanziellen Kennzahlen des Unternehmens abhängig, wobei auch Staffelungen oder Teilhabe an Verlusten vorgesehen werden können.

Verlustbeteiligung und Nachrangigkeit

Je nach Emissionsbedingungen können Genussscheine mit einer Beteiligung am Verlust und/oder einer Nachrangigkeit im Insolvenzfall ausgestattet sein. Die Nachrangigkeit bestimmt dabei die Rangfolge der Befriedigung im Fall einer Unternehmensinsolvenz und ist insbesondere für die Eigenkapitalanrechnung nach handels- und aufsichtsrechtlichen Vorschriften relevant.

Laufzeit und Rückzahlungsvoraussetzungen

Genussscheine können sowohl befristet als auch unbefristet ausgestaltet werden. Die Emissionsbedingungen regeln exakt die Modalitäten der Rückzahlbarkeit, Kündigungsmöglichkeiten durch Emittent oder Inhaber und eventuelle Wandlungsrechte in andere Wertpapiere.

Gesellschaftsrechtliche und bilanzielle Behandlung

Bilanzielle Einordnung nach HGB

Nach handelsrechtlichen Vorschriften (HGB) können Genussrechte, je nach konkreter Ausgestaltung, entweder als Fremdkapital oder – sofern die Bedingungen eine angemessene Verlustbeteiligung und Nachrangigkeit vorsehen – als Eigenkapital bilanziert werden. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Eigenkapitalquote sowie die steuerliche Behandlung von Bedeutung.

Kapitalmarktrechtliche Regelungen

Sofern Genussscheine als Wertpapier im Sinne des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) gelten und öffentlich angeboten werden, kann eine Prospektpflicht bestehen. Für Banken und Versicherungen unterliegen Genussscheine spezifischen Regulierungsvorschriften hinsichtlich Eigenmittelanforderungen und aufsichtsrechtlicher Anerkennung.

Praktische Relevanz von Genussscheinen

Unternehmensfinanzierung

Genussscheine dienen der flexiblen Kapitalbeschaffung, insbesondere in Zeiten volatiler Kapitalmärkte oder geringer Bereitschaft zur Verwässerung der Aktionärsstruktur. Unternehmen nutzen Genussscheine, um ohne Stimmrechtsvergabe langfristiges Kapital einzuwerben.

Verwendung in der Praxis

In der deutschen Unternehmenspraxis finden sich Genussscheine vorwiegend im Bank- und Versicherungssektor sowie bei großen Industrieunternehmen. Die jeweiligen Emissionsbedingungen variieren je nach Unternehmensform, Marktbedingungen und Zielgruppe der Investoren.

Risiken und rechtliche Besonderheiten

Insolvenzrechtliche Behandlung

Im Insolvenzfall sind Genussscheininhaber in der Regel nachrangige Gläubiger. Die konkrete Rangstellung ergibt sich aus den Emissionsbedingungen sowie aus § 39 Insolvenzordnung (InsO). Ein Genussschein kann so ausgestaltet sein, dass sämtliche Ansprüche aus dem Genussrecht erst bedient werden, nachdem sämtliche anderen Gläubiger vollständig befriedigt wurden.

Anlegerschutz

Anleger sollten die Risikoaspekte der Nachrangigkeit und Verlustteilnahme berücksichtigen. Die rechtliche Unsicherheit kann abhängig von der konkreten Formulierung der Emissionsbedingungen variieren. Deshalb fallen Genussscheine unter die aufsichtsrechtliche Produktaufsicht bei öffentlichen Angeboten.

Steuerliche Behandlung

Die Erträge aus Genussscheinen gelten grundsätzlich als Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) und unterliegen der Abgeltungsteuer. Die steuerliche Einordnung einzelner Genussscheine hängt wesentlich von deren individueller Ausgestaltung ab, insbesondere hinsichtlich Beteiligung am Unternehmenserfolg oder Verlustübernahme.

Zusammenfassung

Genussscheine sind rechtlich und wirtschaftlich vielseitig strukturierte Finanzierungsinstrumente, die als Hybrid zwischen Eigen- und Fremdkapital fungieren. Ihre rechtliche und wirtschaftliche Behandlung ist stark von den individuellen Emissionsbedingungen abhängig. Die wesentlichen rechtlichen Besonderheiten ergeben sich aus der schuldrechtlichen Natur, der Nachrangigkeit im Insolvenzfall, den bilanz- und steuerrechtlichen Implikationen sowie der Prospektpflicht bei öffentlicher Ausgabe. Die genaue Analyse der Genussrechtsbedingungen ist für eine rechtssichere Bewertung und Behandlung unerlässlich.

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Regelungen gelten für die Ausgabe von Genussscheinen?

Die Ausgabe von Genussscheinen unterliegt keinem einheitlichen gesetzlichen Regelwerk im deutschen Recht. Vielmehr handelt es sich bei Genussscheinen um schuldrechtliche Wertpapiere, deren Ausgestaltung weitgehend der Vertragsfreiheit der Parteien unterliegt. Dennoch sind bei der Ausgabe verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen zu beachten, insbesondere solche des Aktiengesetzes (AktG), wenn ein Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft Genussscheine emittiert. Genussscheine dürfen beispielsweise keine Mitgliedschaftsrechte wie das Stimmrecht oder das Bezugsrecht begründen (§ 221 Abs. 1 AktG). Ferner können aufsichtsrechtliche Vorgaben greifen, etwa nach dem Wertpapierprospektgesetz (WpPG), dem Kreditwesengesetz (KWG) oder dem Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB), sofern die Genussscheine öffentlich angeboten werden oder an einem organisierten Markt handelbar sein sollen. Auch das Handelsgesetzbuch (HGB) und die allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sind für einzelne Aspekte von Bedeutung, beispielsweise für die Ausgestaltung von Rückzahlungs- oder Zinsansprüchen sowie Haftungsklauseln.

Welche Anforderungen bestehen an den Inhalt eines Genussscheins?

Der Inhalt eines Genussscheins ist nicht gesetzlich zwingend vorgeschrieben, jedoch wird empfohlen, diesen klar und transparent zu gestalten. In der Praxis werden Genussscheine als Wertpapierurkunden ausgestellt, die mindestens folgende Informationen enthalten sollten: Bezeichnung des Wertpapiers als „Genussschein“, Name und Sitz der emittierenden Gesellschaft, Laufzeit des Genussscheins, Beschreibung der Genussrechte (z. B. Anteil am Jahresgewinn, Liquidationserlös), Höhe und Fälligkeit eventueller Auszahlungen, Regelungen zu Nachrangigkeit und Verlustteilnahme, Kündigungsmöglichkeiten sowie Hinweise auf Ausschluss von Stimmrechten und sonstigen Mitgliedschaftsrechten. Ferner sollten Hinweise auf etwaige Rückzahlungsmodalitäten, Verbriefungsformen und Übertragbarkeiten enthalten sein. Die Ausgestaltung dieser Rechte und Pflichten ist entscheidend für die rechtliche Einordnung und den späteren Umgang mit den Genussscheinen.

Sind Genussscheine mit bestimmten Prospektpflichten verbunden?

Die Emission von Genussscheinen kann, je nach Ausgestaltung und Vertriebsweg, eine Prospektpflicht nach dem Wertpapierprospektgesetz (WpPG) auslösen. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn Genussscheine öffentlich angeboten oder in den Handel an einem organisierten Markt einbezogen werden sollen. Der Prospekt muss umfassende Informationen über den Emittenten, das Wertpapier selbst, die mit dem Erwerb verbundenen Risiken und die wirtschaftlichen Hintergründe enthalten (§ 3 WpPG). Werden Genussscheine ausschließlich im Rahmen einer Privatplatzierung oder innerhalb eines bestimmten Anwendungsbereichs emittiert, können Ausnahmen von der Prospektpflicht greifen. Die genaue Prüfung der Prospektpflicht obliegt in jedem Einzelfall und ist regelmäßig Gegenstand von Rechtsberatung, insbesondere um Haftungsrisiken zu vermeiden und regulatorische Sanktionen auszuschließen.

Wie werden Genussscheine gesellschaftsrechtlich behandelt?

Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht stellen Genussscheine weder Eigenkapital noch Fremdkapital im klassischen Sinne dar, sondern eine hybride Finanzierungsform. Die Genussrechte begründen keine Mitgliedschaft in der Gesellschaft und verschaffen keine gesellschaftsrechtlichen Mitbestimmungsrechte. Das Besitzungsverhältnis zum Emittenten ist daher rein schuldrechtlich geprägt. Im Insolvenzfall sind Genussscheininhaber zumeist nachrangig gegenüber anderen Gläubigern, sofern eine solche Nachrangabrede vereinbart wurde, was insbesondere bei bankenrechtlichen Anforderungen, etwa im Bereich der Eigenkapitaläquivalenz, erforderlich ist. Steuerrechtlich kann, je nach Ausgestaltung, eine Einordnung als Eigenkapital erfolgen, gesellschaftsrechtlich bleibt jedoch die klare Trennung zur Beteiligungsgesellschaft bestehen.

Welche Pflichten treffen den Emittenten von Genussscheinen?

Der Emittent von Genussscheinen ist verpflichtet, die im Genussschein verbrieften Rechte und Bedingungen einzuhalten. Dazu zählen insbesondere die Auszahlung von Gewinnbeteiligungen oder anderen vertraglich zugesagten Leistungen, die Einhaltung des Rückzahlungsversprechens sowie die ordnungsgemäße Information der Genussscheininhaber über für sie relevante Ereignisse, wie z. B. vorzeitige Kündigungen, Unternehmensumwandlungen oder den Eintritt des Insolvenzfalls. Je nach Vereinbarung kann der Emittent auch Berichtspflichten gegenüber den Genussscheininhabern haben. Kommt der Emittent den vertraglichen Verpflichtungen nicht nach, können die Genussscheininhaber ihre Ansprüche im Wege der Klage durchsetzen. Haftungsrechtlich relevant sind in diesem Zusammenhang insbesondere Prospekthaftungsansprüche, Irreführungstatbestände oder bewusste Täuschungen bei der Ausgabe der Genussscheine.

Welche Anlegerschutzvorschriften sind beim Vertrieb von Genussscheinen zu beachten?

Beim Vertrieb von Genussscheinen sind verschiedene Anlegerschutzvorschriften zu beachten. Zunächst ist der Emittent oder Vertreiber verpflichtet, potenzielle Anleger umfassend über die Risiken und Eigenschaften der Genussscheine zu informieren (§ 31 WpHG). Liegt eine Prospektpflicht vor, muss der Prospekt den gesetzlichen Mindestinformationsanforderungen genügen. Ferner gelten, abhängig von Vertriebskanal und Veranlagungsart, Vorgaben aus der MiFID-II-Richtlinie sowie dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), darunter Beratungs-, Informations- und Dokumentationspflichten. Auch die jeweiligen nationalen Regelungen des Vermögensanlagengesetzes (VermAnlG) können bei bestimmten Ausgestaltungsformen Anwendung finden, die zum Beispiel Mindestanforderungen an die Angebotsunterlagen und an die erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung enthalten. Anleger müssen insbesondere vor Risiken der Nachrangigkeit, des Totalverlusts oder der eingeschränkten Handelbarkeit gewarnt werden.

Können Genussscheine nachträglich geändert oder gekündigt werden?

Die Möglichkeit einer nachträglichen Änderung oder Kündigung von Genussscheinen hängt maßgeblich von den individuell vertraglich vereinbarten Bedingungen im Genussschein ab. Rechtlich zulässig ist eine Änderung der Vertragsbedingungen in der Regel nur mit Zustimmung beider Vertragsparteien, wobei kollektive Regelungen bei mehrfach begebenen Genussscheinen (beispielsweise durch Beschluss der Gläubigerversammlung) möglich sind. Kündigungsrechte für den Emittenten oder den Inhaber können einseitig oder gegenseitig vereinbart werden, müssen im Genussschein klar dargestellt und rechtssicher formuliert sein. Die Einhaltung von Kündigungsfristen und etwaigen gesetzlichen Einschränkungen, insbesondere in Bezug auf Gläubigerschutz und Insolvenzrecht, ist zwingend erforderlich. Im Zweifelsfall gilt das Prinzip der Vertragsfreiheit, wobei die allgemeinen Vorschriften über Schuldverhältnisse (§§ 305 ff. BGB, insbesondere im Hinblick auf allgemeine Geschäftsbedingungen) zu beachten sind.