Begriff und Wesen der Genossenschaft
Eine Genossenschaft ist eine rechtsfähige Unternehmensform, in der sich Personen oder Unternehmen zusammenschließen, um durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb die wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Belange ihrer Mitglieder zu fördern. Sie verbindet unternehmerisches Handeln mit einer auf Mitgliederförderung ausgerichteten Zielsetzung und folgt in ihrer Struktur dem Prinzip der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung.
Zweck und Förderprinzip
Der zentrale Zweck einer Genossenschaft besteht in der Förderung ihrer Mitglieder. Diese Förderung kann sich auf den Bezug von Waren und Dienstleistungen, den Absatz von Produkten, die gemeinsame Nutzung von Ressourcen, das Angebot von Wohnraum oder die Organisation von Finanzdienstleistungen beziehen. Anders als bei rein gewinnorientierten Kapitalgesellschaften steht nicht die Renditemaximierung, sondern der konkrete Mehrwert für die Mitglieder im Vordergrund.
Rechtsnatur und Einordnung
Die Genossenschaft ist eine eigenständige juristische Person und tritt im Rechtsverkehr unter eigener Firma auf. Sie ist Unternehmerin mit einem auf Dauer angelegten Geschäftsbetrieb. Als Kennzeichen führt sie den Rechtsformzusatz „eingetragene Genossenschaft“ oder „eG“. Ihre rechtliche Ausgestaltung ist auf demokratische Mitwirkung der Mitglieder ausgelegt; typischerweise gilt das Kopfstimmrecht, bei dem jedes Mitglied eine Stimme hat.
Abgrenzung zu anderen Rechtsformen
Im Unterschied zum Verein steht bei der Genossenschaft regelmäßig ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb im Vordergrund, der auf Förderung der Mitglieder angelegt ist. Gegenüber Kapitalgesellschaften wie GmbH oder AG zeichnet sich die Genossenschaft durch das Förderprinzip, das demokratische Stimmrecht und flexible Mitgliederfluktuation aus. Gewinne sind Mittel zur Erfüllung des Förderzwecks und nicht Selbstzweck.
Gründung und Entstehung
Voraussetzungen und Gründungsablauf
Zur Gründung einer Genossenschaft schließen sich mindestens drei Personen oder Unternehmen zusammen. Erforderlich sind ein Gründungsprotokoll, die Verabschiedung einer Satzung und die Bestellung der Organe. Vor der Eintragung erfolgt eine Prüfung durch einen Prüfungsverband. Die Genossenschaft entsteht mit der Eintragung in das Genossenschaftsregister und ist ab diesem Zeitpunkt rechtsfähig.
Satzung und zentrale Inhalte
Die Satzung legt Zweck, Firma, Sitz, Gegenstand des Unternehmens, Regelungen zur Mitgliedschaft, Geschäftsanteile und Einzahlungen, die Organe und deren Zuständigkeiten, die Gewinn- und Verlustverteilung, die Haftungsordnung sowie die Form der Vertretung nach außen fest. Sie ist die innere Verfassung der Genossenschaft und maßgebliche Grundlage für Rechte und Pflichten der Mitglieder.
Eintragung und Registerrecht
Die Eintragung in das Genossenschaftsregister erfolgt beim zuständigen Amtsgericht. Erst mit der Eintragung darf der Rechtsformzusatz „eG“ geführt werden. Änderungen der Satzung, Organbestellungen, Verschmelzungen oder Liquidation sind registerrechtlich anmelde- und eintragungspflichtig, um die Publizität gegenüber Dritten sicherzustellen.
Prüfungsverband und Pflichtprüfung
Genossenschaften sind Mitglied eines anerkannten Prüfungsverbands. Dieser nimmt die Gründungsprüfung und regelmäßige Pflichtprüfungen vor. Ziel ist die Sicherung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung. Prüfberichte sind den Organen vorzulegen und berücksichtigen insbesondere die Einhaltung des Förderzwecks.
Organisation und Organe
Generalversammlung bzw. Vertreterversammlung
Die Generalversammlung ist das oberste Organ. Sie beschließt über grundlegende Angelegenheiten wie Satzungsänderungen, Ergebnisverwendung, Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie über Strukturmaßnahmen. Bei großen Mitgliederzahlen kann eine Vertreterversammlung eingesetzt werden, die die Rechte der Mitglieder ausübt.
Vorstand
Der Vorstand leitet die Genossenschaft eigenverantwortlich, führt die Geschäfte und vertritt die Genossenschaft nach außen. Die Vertretungsbefugnis und die Zahl der Vorstandsmitglieder ergeben sich aus der Satzung. Der Vorstand unterliegt der Überwachung durch den Aufsichtsrat und hat Berichtspflichten gegenüber den Mitgliedern und dem Prüfungsverband.
Aufsichtsrat
Der Aufsichtsrat überwacht die Geschäftsführung und wirkt bei strategischen Entscheidungen mit. Er bestellt und entlastet den Vorstand und prüft Jahresabschlussunterlagen. In kleineren Genossenschaften kann der Aufsichtsrat entfallen; in der Regel ist er jedoch vorgesehen. Branchenrechtliche Besonderheiten können zusätzliche Anforderungen begründen.
Interne Governance und Compliance
Die Satzung und ggf. Geschäftsordnungen regeln Zuständigkeiten, Berichtslinien, Kontrollmechanismen, Risikomanagement und Interessenkonflikte. Transparenz, Dokumentation und revisionssichere Abläufe sind zentrale Elemente, um die Mitgliederinteressen zu wahren und den Förderzweck sicherzustellen.
Mitgliedschaft
Erwerb und Beendigung der Mitgliedschaft
Die Mitgliedschaft wird durch schriftliche Beitrittserklärung und deren Annahme begründet. Sie endet durch Kündigung, Übertragung des Geschäftsguthabens, Ausschluss, Tod oder Auflösung des Mitglieds. Bei Beendigung besteht ein Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben nach Maßgabe der Satzung und der Vermögenslage.
Rechte der Mitglieder
Mitglieder haben Stimm-, Informations- und Teilhaberechte. Sie nehmen an der Generalversammlung teil, wählen Aufsichtsorgane, beschließen über wesentliche Angelegenheiten und haben Einsichtsrechte in grundlegende Unterlagen. Vermögensrechte betreffen Dividenden auf Geschäftsanteile und Rückvergütungen aus dem Geschäftsbetrieb.
Pflichten der Mitglieder und Haftungsstruktur
Mitglieder leisten Einzahlungen auf Geschäftsanteile und erbringen satzungsmäßige Pflichten, etwa die Nutzung von Leistungen. Die Genossenschaft haftet mit ihrem Vermögen. Eine persönliche Nachschusspflicht der Mitglieder besteht nur, wenn die Satzung dies vorsieht. Die Ausgestaltung der Haftungsordnung erfolgt in der Satzung und bestimmt, ob und in welchem Rahmen Mitglieder über ihre Einlagen hinaus haften.
Investierende Mitglieder
Neben nutzenden Mitgliedern können investierende Mitglieder aufgenommen werden. Sie tragen zur Kapitalausstattung bei und haben vermögensbezogene Rechte. Ihr Einfluss ist so auszugestalten, dass der Förderzweck der Genossenschaft gewahrt bleibt und die Willensbildung der nutzenden Mitglieder nicht verdrängt wird.
Finanzierung, Vermögen und Ergebnisverwendung
Geschäftsanteile und Rücklagen
Das Eigenkapital besteht aus eingezahlten Geschäftsanteilen, gesetzlichen und satzungsmäßigen Rücklagen sowie Ergebnisvorträgen. Die Satzung legt die Anzahl und Höhe der zu zeichnenden Anteile fest und regelt Fälligkeiten, Einzahlungen und die Führung der Geschäftsguthaben.
Gewinnverwendung und Verlustdeckung
Jahresüberschüsse können zur Stärkung der Rücklagen verwendet, als Dividenden auf Geschäftsanteile ausgeschüttet oder als Rückvergütungen an Mitglieder gewährt werden. Rückvergütungen sind regelmäßig an das Umfangsverhältnis der Inanspruchnahme von Leistungen geknüpft. Verluste werden nach der Satzung durch Rücklagen, Ergebnisvorträge, ggf. durch Verminderung der Geschäftsguthaben oder andere satzungsgemäße Mechanismen gedeckt.
Ausschüttungen und Rückvergütungen
Ausschüttungen auf Geschäftsanteile unterliegen satzungsmäßigen und gesetzlichen Grenzen und setzen eine ausreichende Vermögens- und Ertragslage voraus. Rückvergütungen dienen der wirtschaftlichen Förderung der Mitglieder, indem sie die tatsächliche Geschäftsbeziehung mit der Genossenschaft berücksichtigen.
Nachrangkapital und Fremdfinanzierung
Neben Eigenkapital können Darlehen, nachrangige Finanzierungsinstrumente oder öffentliche Fördermittel in Betracht kommen. Vertrags- und Kapitalmarktregeln sind zu beachten; bei Kredit- oder Versicherungsgenossenschaften kommen zusätzlich aufsichtsrechtliche Anforderungen hinzu.
Rechnungslegung, Prüfung und Transparenz
Jahresabschluss und Offenlegung
Genossenschaften sind zur ordnungsgemäßen Buchführung und zur Aufstellung eines Jahresabschlusses verpflichtet. Abhängig von Größenklassen kommen erweiterte Pflichten wie Lagebericht, Prüfung und Offenlegung im Unternehmensregister in Betracht.
Laufende Prüfungen und Berichtswesen
Die regelmäßige Pflichtprüfung durch den Prüfungsverband umfasst Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung. Prüfungsfeststellungen sind von den Organen auszuwerten; notwendige Maßnahmen werden im Rahmen der internen Governance umgesetzt.
Datenschutz und Informationsrechte
Mitglieder haben Informationsrechte, die in der Satzung präzisiert sind. Beim Umgang mit Mitgliederdaten sind die einschlägigen Datenschutzanforderungen einzuhalten. Transparente Kommunikation gegenüber Mitgliedern ist wesentlicher Bestandteil der Mitgliederförderung.
Branchenbesonderheiten und Aufsicht
Kredit- und Versicherungsgenossenschaften
Genossenschaftsbanken und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit mit genossenschaftlicher Prägung unterliegen zusätzlich der Finanzaufsicht. Es bestehen besondere Anforderungen an Eigenmittel, Risikomanagement, Meldewesen und Organqualifikation.
Wohnungsgenossenschaften
Wohnungsgenossenschaften verfolgen die sichere und sozial ausgerichtete Versorgung ihrer Mitglieder mit Wohnraum. Mitgliedschafts- und Nutzungsverhältnisse sind auf Bestandsnutzung angelegt; besondere Regeln betreffen u. a. Belegungsrechte, Nutzungsverträge und Vermögensbindung innerhalb des genossenschaftlichen Zweckrahmens.
Energie- und Verbrauchergenossenschaften
In Energie- und Verbrauchergenossenschaften stehen gemeinsame Beschaffung, Produktion oder Vermarktung im Vordergrund. Regulatorische Vorgaben können sich aus dem Energierecht, Verbraucherschutz- und Wettbewerbsrecht ergeben.
Umwandlung, Kooperation und Beendigung
Verbundstrukturen und Zentralgenossenschaften
Genossenschaften kooperieren häufig in Verbünden oder Zentralgenossenschaften, um Skaleneffekte zu nutzen, gemeinsame Dienstleistungen zu erbringen oder Einkauf und Vertrieb zu bündeln. Diese Strukturen wahren gleichzeitig die Eigenständigkeit der angeschlossenen Genossenschaften.
Umwandlung und Verschmelzung
Genossenschaften können unter Beachtung des Umwandlungsrechts verschmolzen, gespalten oder formgewechselt werden. Bei solchen Strukturmaßnahmen sind Mitgliederrechte, Gläubigerschutz und Registervorgänge besonders zu berücksichtigen.
Auflösung, Liquidation und Insolvenz
Die Auflösung kann durch Beschluss, Zeitablauf, gerichtliche Entscheidung oder infolge Insolvenz eintreten. In der Liquidation werden laufende Geschäfte abgewickelt, Verbindlichkeiten erfüllt und das verbleibende Vermögen nach satzungsmäßigen Regeln verteilt. Im Insolvenzfall gelten die allgemeinen insolvenzrechtlichen Vorschriften; die Haftungsordnung der Genossenschaft bleibt maßgeblich.
Internationale Bezüge
Europäische Genossenschaft (SCE)
Die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea, SCE) ermöglicht eine grenzüberschreitende genossenschaftliche Tätigkeit auf Grundlage unionsrechtlicher Vorgaben und ergänzender nationaler Regelungen. Sie verbindet das Förderprinzip mit unionsweit einheitlichen Strukturen.
Grenzüberschreitende Tätigkeit
Bei grenzüberschreitendem Geschäftsbetrieb sind neben dem Heimatrecht die Kollisionsregeln sowie ausländische Markt- und Aufsichtsanforderungen zu beachten. Vertriebs- und Niederlassungsformen richten sich nach den jeweiligen Rechtsordnungen.
Steuerliche Grundzüge
Ertragsteuern
Genossenschaften sind körperschaft- und gewerbesteuerpflichtige Körperschaften. Steuerliche Entlastungen können an die Mitgliederförderung und bestimmte Branchenmerkmale anknüpfen. Ausschüttungen an Mitglieder unterliegen deren eigenen steuerlichen Regeln.
Umsatzsteuerliche Aspekte
Umsätze der Genossenschaft unterliegen grundsätzlich der Umsatzsteuer. Besonderheiten können sich aus dem Charakter der Leistungen, aus Mitgliedergeschäften und aus spezifischen Befreiungstatbeständen ergeben.
Besondere Steuerförderungen
Je nach Tätigkeitsbereich können sich steuerliche Begünstigungen ergeben, etwa bei der Wohnraumversorgung oder bei gemeinwohlorientierten Leistungen. Die Voraussetzungen und der Umfang solcher Begünstigungen ergeben sich aus den einschlägigen Steuervorschriften.
Häufig gestellte Fragen
Was ist eine Genossenschaft und worin liegt ihr Zweck?
Eine Genossenschaft ist ein Zusammenschluss von Personen oder Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit. Ihr Zweck besteht in der Förderung der wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Belange ihrer Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb.
Wie viele Personen sind für die Gründung erforderlich?
Für die Gründung sind mindestens drei Personen oder Unternehmen notwendig. Mit der Eintragung in das Genossenschaftsregister erlangt die Genossenschaft Rechtsfähigkeit.
Wer haftet für Verbindlichkeiten der Genossenschaft?
Die Genossenschaft haftet mit ihrem Vermögen. Eine zusätzliche Haftung der Mitglieder besteht nur, wenn die Satzung eine Nachschusspflicht vorsieht und deren Umfang bestimmt.
Welche Organe hat eine Genossenschaft?
Wesentliche Organe sind Generalversammlung (oder Vertreterversammlung), Vorstand und Aufsichtsrat. In kleineren Genossenschaften kann der Aufsichtsrat entfallen; die Überwachungsfunktion ist gleichwohl sicherzustellen.
Wie werden Gewinne verwendet?
Gewinne können Rücklagen zugeführt, als Dividenden auf Geschäftsanteile ausgeschüttet oder in Form von Rückvergütungen an Mitglieder gegeben werden. Maßgeblich sind Satzung, Beschlüsse und die wirtschaftliche Lage.
Welche Rolle hat der Prüfungsverband?
Der Prüfungsverband prüft Gründung und laufenden Geschäftsbetrieb, bewertet Vermögens-, Finanz- und Ertragslage und achtet auf Ordnungsmäßigkeit sowie die Wahrung des Förderzwecks. Die Mitgliedschaft in einem anerkannten Prüfungsverband ist verpflichtend.
Kann eine Genossenschaft ihre Rechtsform ändern oder mit anderen Unternehmen verschmelzen?
Genossenschaften können nach den Regeln des Umwandlungsrechts verschmolzen, gespalten oder formgewechselt werden. Dabei sind Mitgliederrechte, Gläubigerschutz und registerrechtliche Anforderungen zu beachten.