Legal Lexikon

Gemeinschuldner


Begriff und rechtliche Einordnung des Gemeinschuldners

Der Begriff „Gemeinschuldner” ist ein zentrales Element des deutschen Insolvenzrechts. Er bezeichnet im Kontext eines Insolvenzverfahrens die Person, gegen die sich das Verfahren richtet, also die natürliche oder juristische Person, deren Vermögen der Gesamtvollstreckung unterliegt. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt der Gemeinschuldner in eine Vielzahl besonderer Rechte und Pflichten ein. In der seit 1999 geltenden Insolvenzordnung (InsO) wurde der Begriff durch den allgemeineren Ausdruck „Schuldner” ersetzt, doch in der älteren Rechtsprechung und Literatur, insbesondere nach der bis dahin geltenden Konkursordnung (KO), ist er weiterhin geläufig.

Historische Entwicklung des Begriffs Gemeinschuldner

Der Terminus „Gemeinschuldner” stammt aus der Zeit der Konkursordnung (Konkursordnung von 1877), die bis zur Einführung der Insolvenzordnung am 1. Januar 1999 das Regelungswerk für das Konkursverfahren in Deutschland darstellte. In der Konkursordnung wurde zwischen Einzelgläubigerzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung unterschieden. Der Gemeinschuldner war hierbei derjenige Schuldner, dessen gesamtes pfändbares Vermögen für die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung stand. In der aktuellen Insolvenzordnung (InsO) wird der Begriff offiziell nicht mehr verwendet, sondern durch „Schuldner” abgelöst. In rechtshistorischer Betrachtung und für bestimmte Altfälle besitzt der Terminus weiterhin Relevanz.

Rechtsstellung des Gemeinschuldners im Insolvenzverfahren

Gemeinschuldner als Verfahrensbeteiligter

Der Gemeinschuldner ist der zentrale Beteiligte des Insolvenzverfahrens. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Gemeinschuldner im Regelfall das Recht, über sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verfügen (§ 80 InsO). Dieses Recht geht auf den vom Gericht bestellten Insolvenzverwalter über. Der Gemeinschuldner bleibt jedoch parteifähig und nimmt weiterhin bestimmte prozessuale und verfahrensrechtliche Rollen wahr.

Rechte des Gemeinschuldners

  • Auskunfts- und Mitwirkungspflichten: Nach §§ 97-101 InsO ist der Gemeinschuldner verpflichtet, dem Insolvenzverwalter, dem Insolvenzgericht und dem Gläubigerausschuss umfassend Auskunft zu erteilen und an der Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuwirken.
  • Recht auf Anhörung: Der Gemeinschuldner ist in zentralen Verfahrensabschnitten, etwa hinsichtlich Verfahrensaufhebung oder Verfahrenseinstellungen, anzuhören und kann rechtliche Stellungnahmen abgeben.
  • Verfahrensbeteiligung: Bei wichtigen Verfahrenshandlungen, beispielsweise bei Masseunzulänglichkeit, bei der Beantragung der Restschuldbefreiung und bei der Mitwirkung im Gläubigerausschuss, besitzt der Gemeinschuldner Mitspracherechte.
  • Eigenverwaltung: In bestimmten Fällen kann dem Gemeinschuldner die Eigenverwaltung bewilligt werden (§§ 270 ff. InsO), sodass er das Insolvenzverfahren über sein Vermögen selbst verwaltet (unter Kontrolle des Sachwalters).

Pflichten des Gemeinschuldners

  • Mitwirkungspflicht: Der Gemeinschuldner ist verpflichtet, während des gesamten Verfahrens mit dem Insolvenzverwalter zusammenzuarbeiten und alle erforderlichen Informationen und Unterlagen bereitzustellen.
  • Herausgabepflicht: Sämtliche zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände und Unterlagen sind dem Insolvenzverwalter zu übergeben (§ 97 InsO).
  • Vermögensoffenlegung: Der Gemeinschuldner muss sein gesamtes Vermögen offenlegen, auch solches, das der Zwangsvollstreckung bislang nicht unterlag.

Gemeinschuldner im Verbraucherinsolvenzverfahren

Im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens (nach §§ 304 ff. InsO) ist der Begriff des Gemeinschuldners zwar nicht mehr explizit genannt, jedoch erfüllt der Schuldner die identischen prozessualen Funktionen. Hier ist der Schutz des wirtschaftlich schwächeren Schuldners und die Möglichkeit der Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) von besonderer Bedeutung.

Haftung und Verantwortlichkeit des Gemeinschuldners

Haftungsumfang

Im Insolvenzverfahren wird das insolvenzbefangene Vermögen des Gemeinschuldners zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO). Für die Insolvenzforderungen haftet grundsätzlich nur das zur Masse gehörende Vermögen. Eine persönliche Haftung bleibt für Forderungen bestehen, die vom Insolvenzverfahren ausgenommen oder nach Erteilung der Restschuldbefreiung nicht erfasst werden.

Strafrechtliche, zivilrechtliche und insolvenzrechtliche Verantwortlichkeit

Der Gemeinschuldner unterliegt im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren besonderen strafrechtlichen und zivilrechtlichen Pflichten. Verstöße, insbesondere vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzungen der Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten, können strafbar sein (zum Beispiel nach § 283 StGB, Bankrott, oder § 283b StGB, Verletzung der Buchführungspflicht). Auch schuldhafte Beeinträchtigungen der Insolvenzmasse, etwa durch Vermögensverschiebungen vor Antragstellung, können zu Anfechtungen oder Schadensersatzansprüchen führen.

Stellung in Gesellschaften und bei juristischen Personen

Ist der Gemeinschuldner eine juristische Person, etwa eine GmbH, nimmt regelmäßig der gesetzliche Vertreter (zum Beispiel Geschäftsführer oder Vorstand) die Rechte und Pflichten im Insolvenzverfahren wahr. Im Gesellschaftsrecht unterschiedliche Sonderregeln, etwa bei Personengesellschaften, finden ergänzend Anwendung.

Gemeinschuldner in besonderen Verfahrensarten

Insolvenz in Eigenverwaltung

Das Verfahren der Insolvenz in Eigenverwaltung erlaubt es dem Gemeinschuldner, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über seine Insolvenzmasse unter Aufsicht eines Sachwalters zu behalten. Diese Verfahrensart wird zur Sanierung und zur Fortführung des Unternehmens eingesetzt und ist gesetzlich in §§ 270 ff. InsO geregelt.

Schutzschirmverfahren

Das Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) ist eine besondere Form der Eigenverwaltung, bei der dem Schuldner ein zeitlich begrenzter Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen gewährt wird, um einen Insolvenzplan auszuarbeiten. Auch hier ist der Gemeinschuldner verpflichtet, die Verfahrensvoraussetzungen zu erfüllen und eng mit Sachwalter und Gläubigern zusammenzuarbeiten.

Abgrenzung des Begriffs Gemeinschuldner

Der Begriff „Gemeinschuldner” ist deutlich abzugrenzen vom Mit- oder Gesamtschuldner, wie sie beispielsweise im Schuldrecht (Mitverpflichtete bei Gesamtschuldverhältnis) begrifflich verwendet werden. Der Gemeinschuldner ist einzig im Zusammenhang mit dem Gesamtvollstreckungsverfahren relevant, während Mit- oder Gesamtschuldner unabhängig davon existieren können.

Schlussbetrachtung und Relevanz des Gemeinschuldners im aktuellen Recht

Obwohl der Begriff „Gemeinschuldner” durch die Insolvenzordnung im formellen Recht weitgehend durch die Bezeichnung „Schuldner” ersetzt wurde, ist seine Definition und rechtliche Bedeutung für das Verständnis der historischen und systematischen Entwicklung des Insolvenzrechts weiterhin wesentlich. Für die Praxis bleibt ein detailliertes Wissen um die Rechte und Pflichten des Gemeinschuldners sowie die daraus resultierenden Verantwortlichkeiten im Insolvenzverfahren unverzichtbar.


Literaturhinweise:

  • Insolvenzordnung (InsO)
  • Konkursordnung (KO) a.F.
  • Kreft/Paulus, Insolvenzrecht, 9. Auflage 2022
  • Uhlenbruck, Insolvenzordnung, Kommentar, 16. Auflage 2023

Rechtsstand: Juni 2024

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechte und Pflichten hat der Gemeinschuldner während des Insolvenzverfahrens?

Der Gemeinschuldner ist während des Insolvenzverfahrens verpflichtet, die zur Durchführung des Verfahrens notwendigen Auskünfte zu erteilen und sämtliche Unterlagen vorzulegen, die das Insolvenzgericht oder der Insolvenzverwalter anfordern. Er ist insbesondere zur Mitwirkung verpflichtet, was auch die Anwesenheit bei bestimmten Terminen und die Offenlegung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse umfasst (§§ 97, 98 InsO). Zu den Mitwirkungspflichten gehören auch die Benennung sämtlicher Gläubiger und die Herausgabe von Vermögenswerten, die zur Insolvenzmasse gehören. Umgekehrt darf der Gemeinschuldner ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung grundsätzlich nicht mehr frei über sein Vermögen verfügen (§ 80 InsO). Er verliert seine Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse, diese geht kraft Gesetzes auf den Insolvenzverwalter über. Rechte behält der Gemeinschuldner jedoch in Bezug auf unpfändbare Einkünfte oder Vermögen. Zudem kann er Anträge im Verfahren stellen, beispielsweise auf Restschuldbefreiung (§§ 287 ff. InsO).

In welchem Umfang haftet der Gemeinschuldner für die Schulden gegenüber den Insolvenzgläubigern?

Der Gemeinschuldner haftet grundsätzlich mit seinem gesamten Vermögen für die im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Gläubiger. Die Haftung ist jedoch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf das zur Verfügung stehende insolvenzfreie Vermögen, also die Insolvenzmasse, beschränkt. Für Verbindlichkeiten, die nach der Insolvenzeröffnung entstehen (sogenannte Masseverbindlichkeiten), haftet nur die Insolvenzmasse (§ 55 InsO). Für vor Verfahrenseröffnung bestehende Verbindlichkeiten werden die Gläubiger mittels einer quotalen Befriedigung aus der Verwertung der Masse befriedigt. Nach vollständiger Durchführung des Verfahrens und ggf. Gewährung der Restschuldbefreiung erlischt die persönliche Haftung des Gemeinschuldners für die vor der Insolvenzeröffnung entstandenen Schulden (§ 301 InsO), sofern keine Ausnahmetatbestände vorliegen.

Welche Auskunftsrechte haben Gläubiger gegenüber dem Gemeinschuldner während der Insolvenz?

Während des Insolvenzverfahrens sind die Rechte der Gläubiger auf Auskunft gegenüber dem Gemeinschuldner stark eingeschränkt. Grundsätzlich wird der Informationsaustausch zwischen Insolvenzverwalter und Gläubigern abgewickelt, da der Gemeinschuldner nicht mehr über die Insolvenzmasse verfügen darf und keine Vertretungsfunktion im Verfahren wahrnimmt (§ 80 InsO). Direkte Auskunftsansprüche der Gläubiger gegen den Gemeinschuldner bestehen nur insoweit, als dies für die Verfolgung ihrer Rechte notwendig ist und nur sofern der Insolvenzverwalter hierzu keine ausreichenden Informationen geben kann. Sonstige Anfragen müssen an den Insolvenzverwalter gestellt werden, der verpflichtet ist, umfassend Auskunft zum Stand des Verfahrens zu geben (§ 28 InsO).

Kann der Gemeinschuldner im Laufe des Verfahrens Anträge stellen oder Rechtsmittel einlegen?

Ja, der Gemeinschuldner ist berechtigt, im Insolvenzverfahren eine Reihe von Anträgen zu stellen und auch Rechtsmittel einzulegen. Er kann beispielsweise Anträge auf Stundung der Verfahrenskosten (§ 4a InsO), auf Restschuldbefreiung oder auf Versagung derselben gegen einzelne Gläubigeranträge richten. Zudem steht ihm das Recht zu, gegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts, die ihn betreffen, sofortige Beschwerde oder andere zulässige Rechtsmittel einzulegen (§ 6 InsO). Auch bezüglich der Aufnahme oder Ablehnung von Forderungen durch den Insolvenzverwalter im Prüfungstermin stehen ihm Beschwerdemöglichkeiten offen. Seine Mitwirkungs- und Schutzrechte im Verfahren bleiben also trotz Verlusts der Verfügungsmacht grundsätzlich gewahrt.

Muss der Gemeinschuldner weiterhin Unterhalt oder ähnliche laufende Verpflichtungen erfüllen?

Während des Insolvenzverfahrens bleiben bestehende Unterhaltsverpflichtungen grundsätzlich bestehen, sofern diese tituliert sind und im Rahmen des gesetzlichen Pfändungsrahmens vollstreckbar bleiben. Die Unterhaltsgläubiger können ihre Ansprüche als sogenannte bevorrechtigte Forderungen im Insolvenzverfahren anmelden (§ 302 InsO). Diese werden bei der Verteilung der Masse bevorzugt berücksichtigt, soweit rechtlich möglich. Nicht titulierte Unterhaltsansprüche aus der Zeit nach Verfahrenseröffnung gelten als Masseverbindlichkeiten und können unmittelbar gegen die Insolvenzmasse geltend gemacht werden. Der Gemeinschuldner muss jedoch darauf achten, Rechtshandlungen zu unterlassen, die zu Benachteiligungen der Insolvenzgläubiger führen könnten (Anfechtungsregeln, §§ 129 ff. InsO).

Welche strafrechtlichen Risiken bestehen für den Gemeinschuldner im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren?

Der Gemeinschuldner kann sich strafbar machen, wenn er im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren bestimmte Pflichten verletzt. Zu den strafbaren Handlungen zählen unter anderem Bankrott (§ 283 StGB), Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283 b StGB), Gläubiger- oder Schuldnerbegünstigung (§§ 283 c, 283 d StGB) und Vereitelung der Zwangsvollstreckung (§ 288 StGB). Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen er Vermögen verschleiert, Gläubiger bevorzugt, Vermögensgegenstände beiseiteschafft oder unvollständige beziehungsweise falsche Angaben im Verfahren macht. Solche Delikte können sowohl vor als auch während des laufenden Insolvenzverfahrens verwirklicht werden und werden von Amts wegen verfolgt. Daher ist eine umfassende und wahrheitsgemäße Mitwirkung nicht nur zivilrechtlich, sondern auch strafrechtlich von entscheidender Bedeutung.

Kann der Gemeinschuldner nach Abschluss des Insolvenzverfahrens wieder uneingeschränkt wirtschaftlich handeln?

Nach Abschluss des Insolvenzverfahrens und, sofern Restschuldbefreiung erteilt wurde, kann der Gemeinschuldner im Grundsatz wieder uneingeschränkt über sein Vermögen verfügen und wirtschaftlich tätig sein. Eventuelle Eintragungen in öffentlichen Registern und Auskunfteien bestehen jedoch noch für begrenzte Zeit weiter (z. B. Schufa-Eintrag gemäß § 882c ZPO), was Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit und den Abschluss von Verträgen haben kann. Zudem sind bestimmte Berufe (wie etwa Geschäftsführer einer GmbH) ggf. nur eingeschränkt ausübbar, wenn einschlägige Verbote im Handelsrecht oder Berufsrecht bestehen. Sofern die Restschuldbefreiung versagt oder von ihr ausgeschlossen wurde, verbleiben die Altverbindlichkeiten bestehen und schränken die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit weiter ein.