Legal Lexikon

Gegenforderung


Begriff und rechtliche Einordnung der Gegenforderung

Die Gegenforderung ist ein zentraler Begriff im Schuldrecht, insbesondere bei der Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) in Deutschland, aber auch in anderen deutschsprachigen Rechtsordnungen. Sie bezeichnet eine Forderung, die dem Anspruch eines Gläubigers durch den Schuldner entgegengesetzt wird. Im Rahmen der Aufrechnung ermöglicht die Gegenforderung dem Schuldner, seine eigene Forderung gegen die Forderung des Gläubigers aufzurechnen, sodass im Ergebnis lediglich ein Differenzbetrag verbleibt oder beide Forderungen vollständig erlöschen.

Allgemeine Voraussetzungen der Gegenforderung

Entstehung der Gegenforderung

Eine Gegenforderung entsteht, sobald sich aus einem Schuldverhältnis – beispielsweise aus einem Kauf-, Miet- oder Werkvertrag – eine zivilrechtlich durchsetzbare Forderung des Schuldners gegen den Gläubiger ergibt. Die Entstehung ist unabhängig davon, ob bereits zur Aufrechnung erklärt wurde oder nicht. Die Gegenforderung muss auf einer eigenen Anspruchsgrundlage beruhen und darf nicht rechtsgrundlos sein.

Durchsetzbarkeit und Fälligkeit der Gegenforderung

Für die Ausübung einer Aufrechnung ist es erforderlich, dass die Gegenforderung durchsetzbar und fällig ist, § 387 BGB. Die Durchsetzbarkeit ist dann gegeben, wenn dem Anspruch keine dauerhafte Einrede – wie beispielsweise Verjährung oder Stundung – entgegensteht. Die Gegenforderung muss fällig sein, das heißt, der Zeitpunkt, ab dem der Gläubiger die Leistung verlangen kann, ist erreicht.

Die Gegenforderung im Rahmen der Aufrechnung

Bedeutung der Gegenforderung bei der Aufrechnung

Die Gegenforderung steht im Zentrum des Aufrechnungsprozesses. Bei einer Aufrechnung erklärt der Schuldner gegenüber dem Gläubiger, dass er mit einer eigenen Gegenforderung gegenüber der Forderung des Gläubigers aufrechnet. Im Ergebnis kommt es zu einem Erlöschen der Forderungen, soweit sie einander decken (§ 389 BGB). Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Aufrechnung lauten wie folgt:

  • Gegenseitigkeit der Forderungen: Schuldner und Gläubiger müssen in umgekehrten Rollen Forderungen gegeneinander besitzen.
  • Gleichartigkeit der Forderungen: Gegenstand beider Forderungen muss in der Regel die gleiche Leistung sein, meist handelt es sich um Geldforderungen.
  • Bestehen und Durchsetzbarkeit der Gegenforderung: Die Gegenforderung muss im Zeitpunkt der Aufrechnung bestehen, fällig und frei von Einreden sein.
  • Erfüllbarkeit der Hauptforderung: Die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, muss mindestens erfüllbar sein.

Ausschluss der Aufrechnung und Gegenforderung

Es gibt gesetzliche und vertragliche Ausschlüsse der Aufrechnung mit einer Gegenforderung. Beispielsweise ist die Aufrechnung ausgeschlossen:

  • Wenn die Aufrechnung durch Vertrag ausgeschlossen wurde (§ 388 Satz 2 BGB).
  • Wenn für die Hauptforderung eine Pfändung oder vorläufige Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist (§§ 394, 389 BGB).
  • In bestimmten Fällen im Arbeitsrecht, Mietrecht oder Sozialrecht.

Auch kann sich ein Aufrechnungsverbot direkt aus gesetzlichen Regelungen oder dem Inhalt des Rechtsgeschäftes ergeben.

Arten und Quellen von Gegenforderungen

Typische Quellen der Gegenforderung

Die Gegenforderung kann aus unterschiedlichen Rechtsverhältnissen entspringen, beispielsweise:

  • Vertragliche Gegenforderungen (etwa Kaufpreisrückforderungen, Minderung, Schadensersatz)
  • Gesetzliche Ansprüche (etwa Bereicherungsansprüche, Deliktsansprüche)
  • Nebenforderungen (wie Zinsen, Ersatz von Verzugsschäden)

Wichtig ist, dass die Anspruchsgrundlage rechtlich durchsetzbar ist und keine dauerhaften rechtlichen Hindernisse dem entgegenstehen.

Besonderheiten bei unbestimmten oder bedingten Gegenforderungen

Bedingte oder betagte Forderungen können unter bestimmten Umständen zur Aufrechnung geeignet sein, sofern ihre Fälligkeit und Durchsetzbarkeit im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung eingetreten sind. Strittige Forderungen können ebenfalls zur Aufrechnung gestellt werden, solange ihre materielle Rechtslage und Durchsetzbarkeit feststellbar sind.

Die Gegenforderung im Insolvenzverfahren

Aufrechnung im Insolvenzverfahren

Im Insolvenzverfahren gelten besondere Regeln für Gegenforderungen (§§ 94-96 InsO). Grundsätzlich bleibt die Aufrechnung mit einer bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehenden Gegenforderung zulässig (§ 94 InsO). Bestimmte nach Insolvenzeröffnung entstandene Gegenforderungen können jedoch der Aufrechnung entzogen oder eingeschränkt sein (§ 95, § 96 InsO).

Gegenforderung im internationalen und europäischen Recht

Auch auf europäischer Ebene sowie im internationalen Privatrecht spielt die Gegenforderung bei grenzüberschreitenden Forderungen, beispielsweise in Bezug auf die Verrechnung von Geldforderungen oder bei der Anerkennung von Urteilen, eine Rolle.

Rechtsfolgen und Auswirkungen der Gegenforderung

Wirkung der erfolgreichen Aufrechnung mit Gegenforderung

Mit einer erfolgreichen Aufrechnung erlöschen die Hauptforderung und die Gegenforderung, soweit sie sich decken (§ 389 BGB). Überschreitet eine der Forderungen die andere, bleibt der überschießende Teil als Restforderung bestehen.

Bedeutung im praktischen Rechtsverkehr

Die Geltendmachung einer Gegenforderung durch Aufrechnung ist ein häufig genutztes Instrument, um zivilrechtliche Ansprüche effizient auszugleichen und Zahlungsrisiken auszugleichen. Im unternehmerischen und privaten Geschäftsverkehr reduziert dies das Prozessrisiko und begünstigt die monetäre Abwicklung offener Forderungen.

Literatur und Rechtsprechung

Umfassende Kommentierungen und Urteile finden sich insbesondere zu den §§ 387 ff. BGB sowie den relevanten Abschnitten der Insolvenzordnung. Die Rechtsprechung differenziert präzise hinsichtlich der jeweiligen Voraussetzungen und Ausnahmen.


Zusammenfassung:
Die Gegenforderung ist ein vielschichtiger, zentraler Begriff im Zivilrecht, insbesondere im Zusammenhang mit der Aufrechnung. Sie ermöglicht die Verrechnung wechselseitiger Ansprüche und trägt maßgeblich zur Effizienz und Fairness im Rechtsverkehr bei. Voraussetzungen sind unter anderem Bestehen, Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit und Durchsetzbarkeit der Gegenforderung. Neben allgemeinen Anwendungsfällen finden sich bedeutsame Besonderheiten im Insolvenzrecht sowie im internationalen Kontext. Der Begriff ist daher von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis und die Anwendung zahlreicher schuldrechtlicher Institute.

Häufig gestellte Fragen

Wann kann eine Gegenforderung zur Aufrechnung gebracht werden?

Eine Gegenforderung kann grundsätzlich dann zur Aufrechnung gebracht werden, wenn zwei Parteien einander gegenseitig Leistungen schulden, die ihrem Inhalt nach gleichartig sind, also beispielsweise in Geld bestehen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) setzt hierfür voraus, dass die sog. „Aufrechnungslage” besteht (§ 387 BGB): Die Hauptforderung muss wirksam, fällig und einredefrei sein, und die Gegenforderung, mit der aufgerechnet werden soll, muss ebenfalls wirksam und erfüllbar sein. Zudem darf die Gegenforderung nicht rechtlich ausgeschlossen oder kraft Vereinbarung bzw. gesetzlich von der Aufrechnung ausgenommen sein (beispielsweise durch Vereinbarung eines Aufrechnungsverbots oder bei unpfändbaren Forderungen nach § 394 BGB). Die Aufrechnung erfolgt grundsätzlich durch Erklärung gegenüber dem Gläubiger der Hauptforderung; sie hat dann rückwirkende Tilgungswirkung bis zu dem Zeitpunkt, zu dem erstmals hätte aufgerechnet werden können.

Welche rechtlichen Folgen hat die Geltendmachung einer Gegenforderung im Prozess?

Die Geltendmachung einer Gegenforderung im Prozess kann je nach Vorgehensweise verschiedene rechtliche Folgen haben. Wird die Gegenforderung lediglich zur Aufrechnung gestellt, spricht man von einer sogenannten Einrede. In diesem Fall kann der Anspruch des Klägers (Hauptforderung) durch die Aufrechnung vollständig oder teilweise zum Erlöschen gebracht werden (§ 389 BGB). Wird die Gegenforderung hingegen mit einer Widerklage geltend gemacht, wird ein selbständiger Gegenanspruch zur Entscheidung gestellt. Eine Widerklage setzt allerdings voraus, dass der Anspruchsgegner (Beklagte) eigene Rechte verfolgt, die nicht im Wege der bloßen Verrechnung, sondern als eigenständiger Klageanspruch durchgesetzt werden sollen. Durch die Aufrechnung tritt diesbezüglich eine Tilgungswirkung der Forderungen bis zur Höhe der geringeren Forderung ein, während bei der Widerklage eine gesonderte Verurteilung zur Zahlung erfolgen kann.

Welche Formerfordernisse gelten für die Geltendmachung einer Gegenforderung?

Für die Geltendmachung einer Gegenforderung im Rahmen der Aufrechnung ist grundsätzlich keine besondere Form vorgeschrieben. Es genügt eine empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Gläubiger der Hauptforderung. Diese kann mündlich, schriftlich oder auch konkludent, also durch schlüssiges Verhalten, erfolgen. Im gerichtlichen Verfahren empfiehlt sich jedoch aus Gründen der Beweisbarkeit die schriftliche Erklärung. Bei der Erhebung einer Widerklage, die eine Gegenforderung darstellt, ist die prozessuale Form zu beachten, d.h. die Widerklage muss im Rahmen des Gerichtsverfahrens schriftlich erhoben und den übrigen Parteien zugestellt werden, §§ 253 ff., 533 ZPO. Bei besonderen gesetzlichen Vorschriften (z.B. im Arbeitsrecht oder bei Verbraucherverträgen) können weitergehende Formerfordernisse zu beachten sein.

Gibt es gesetzliche Ausschlussgründe für die Aufrechnung mit einer Gegenforderung?

Ja, das Gesetz kennt sowohl inhaltliche als auch formelle Ausschlussgründe für die Aufrechnung mit einer Gegenforderung. Beispielsweise bestimmt § 393 BGB, dass eine Forderung nicht mit einer Gegenforderung aufgerechnet werden kann, die auf unerlaubter Handlung beruht, sofern diese vorsätzlich begangen wurde. Nach § 394 BGB ist die Aufrechnung mit unpfändbaren Forderungen (wie z.B. bestimmten Lohnanteilen, Unterhalt etc.) ausgeschlossen. Auch vertragliche Aufrechnungsverbote sind in bestimmten Grenzen rechtlich zulässig. Zudem können spezielle Gesetze oder Vertragsklauseln weitere Einschränkungen vorsehen, wie beispielsweise im Gesellschaftsrecht, im Arbeitsrecht oder in der Insolvenz.

Welche Rolle spielt die Fälligkeit und die Erfüllbarkeit der Gegenforderung?

Die Fälligkeit der Gegenforderung ist ein zentrales Erfordernis für die Aufrechnung; nach § 387 BGB kann nur mit einer Gegenforderung aufgerechnet werden, die zumindest erfüllbar ist. „Erfüllbar” heißt, dass der Schuldner das Recht hat, seine Leistung zu erbringen, auch wenn sie noch nicht fällig ist. Die Gegenforderung muss also mit oder vor der Hauptforderung realisiert werden können. Ist die Gegenforderung noch nicht erfüllbar oder durchsetzbar (z.B. weil noch eine aufschiebende Bedingung aussteht), ist eine Aufrechnung rechtlich ausgeschlossen.

Wie verhält es sich mit der Aufrechnung mehrerer Gegenforderungen?

Hat ein Schuldner mehrere Gegenforderungen gegen den Gläubiger, steht es im Grundsatz ihm frei, mit welcher Forderung er gegen die Hauptforderung aufrechnet. Er kann dies in seiner Aufrechnungserklärung bestimmen. Gibt der Schuldner keine Bestimmung ab, gelten die gesetzlichen Tilgungsregeln entsprechend (§ 396 Abs. 1 BGB), d.h. vorrangig wird mit der fälligsten, sodann mit der am wenigsten sicherheitsbewehrten, sodann mit derjenigen, die dem Gläubiger die meiste Last verursachen würde, aufgerechnet. Sind diese Merkmale gleich, gelten die allgemeinen Vorschriften zur Tilgung (§ 366 Abs. 2 BGB).

Welche Besonderheiten gelten für Gegenforderungen gegenüber öffentlichen Stellen?

Im Verhältnis zu öffentlichen Stellen, insbesondere im Verwaltungsrecht oder im Steuerrecht, gelten teilweise besondere Einschränkungen für die Aufrechnung mit Gegenforderungen. Hier ist regemäßig zu prüfen, ob und inwieweit Gesetze wie die Abgabenordnung (AO) oder landesrechtliche Vorschriften eine Aufrechnung zulassen oder beschränken. Beispielsweise kann die Aufrechnung im Abgabenrecht seitens der Finanzbehörden unter bestimmten Voraussetzungen zurückgewiesen werden (§ 226 AO). Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind daher in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen.