Legal Lexikon

Fiskalpakt


Begriff und rechtlicher Rahmen des Fiskalpakts

Der Fiskalpakt, offiziell als „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion” (SKS-Vertrag, engl.: Treaty on Stability, Coordination and Governance in the Economic and Monetary Union, kurz: TSCG), ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der am 2. März 2012 von 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) unterzeichnet wurde und am 1. Januar 2013 in Kraft trat. Ziel des Fiskalpakts ist es, die Haushaltsdisziplin innerhalb der teilnehmenden Mitgliedstaaten, insbesondere im Euro-Währungsgebiet, effektiv und strukturell zu verbessern. Der Vertrag ergänzt die im Primärrecht der EU bestehenden Bestimmungen zur Haushaltsdisziplin, insbesondere die des Stabilitäts- und Wachstumspakts.

Zweck und Hintergründe des Fiskalpakts

Entstehung und Motive

Der Fiskalpakt ist vor dem Hintergrund der europäischen Staatsschuldenkrise Anfang der 2010er Jahre zu sehen. Mit dem Vertrag verfolgt die Eurozone das Ziel, das Vertrauen in die fiskalische Stabilität der Staaten wiederherzustellen und das Risiko zukünftiger Schuldenkrisen zu minimieren. Der Pakt vereinheitlicht und verschärft die Haushaltsregeln und sieht eine stärkere Kontrolle sowie automatische Korrekturmechanismen bei Verstößen vor.

Vertragsstaaten

Das Übereinkommen betrifft grundsätzlich alle Staaten der Eurozone. Von den seinerzeit 27 Mitgliedstaaten der EU unterzeichneten bis auf das Vereinigte Königreich und Tschechien alle Staaten den Vertrag. Für Staaten außerhalb des Euro-Währungsgebiets sind einige Verpflichtungen optional und werden erst mit Annahme des Euro vollständig verbindlich.

Rechtsstruktur und zentrale Inhalte des Fiskalpakts

Völkerrechtliche Natur

Der Fiskalpakt ist als völkerrechtlicher Vertrag außerhalb des primärrechtlichen EU-Rahmens abgeschlossen worden. Das war notwendig, da eine Änderung der EU-Verträge kurzfristig politisch nicht durchsetzbar war. Der Vertrag steht jedoch im engen sachlichen Zusammenhang mit dem Unionsrecht und verweist mehrfach auf bestehende oder geplante EU-Rechtsakte.

Wesentliche Regelungen

Schuldenbremse

Kernstück des Fiskalpakts ist die sogenannte „Schuldenbremse” (Art. 3 TSCG). Die Vertragsparteien verpflichten sich, in ihren jeweiligen nationalen Rechtsordnungen, vorzugsweise auf Verfassungsebene, eine strenge Regel zur Haushaltsdisziplin einzuführen:

  • Das jährliche strukturelle Defizit darf 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten („mittelfristiges Haushaltsziel”).
  • Ausnahmen bestehen für Staaten mit einem gesamtstaatlichen Schuldenstand deutlich unter 60 % des BIP, für die ein strukturelles Defizit von bis zu 1 % des BIP zulässig ist.
  • Der Fiskalpakt verpflichtet die Vertragsparteien, Mechanismen einzurichten, die eine automatische Korrektur bei Abweichungen auslösen.

Defizitverfahren und Korrekturmechanismus

Im Falle erheblicher Abweichungen vom mittelfristigen Haushaltspfad sind automatische Korrekturmechanismen vorzusehen (Art. 3 Abs. 2 TSCG). Diese Mechanismen müssen auf Grundlage gemeinsamer Prinzipien der Europäischen Kommission ausgestaltet werden. Sie umfassen insbesondere die automatische Einleitung von Haushaltskorrekturmaßnahmen im nationalen Haushalt.

Verfassungsrechtliche Verankerung

Die Einhaltung der Schuldenbremse ist möglichst mit Verfassungsrang zu verankern („bindende, dauerhafte Regelungen, vorzugsweise auf Verfassungsebene”). Über die Umsetzung ist der Europäische Gerichtshof zur Kontrolle der korrekten nationalen Umsetzung im Verfassungs- oder entsprechenden Recht angerufen werden.

Überwachung und Sanktionen

Die Europäische Kommission überwacht die Umsetzung der Vorschriften. Bei nicht fristgerechter oder unzureichender Umsetzung besteht die Möglichkeit einer Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (Art. 8 TSCG). Bei Vertragsverletzungen kann der Gerichtshof Sanktionen verhängen, darunter Geldbußen von bis zu 0,1 % des BIP, die an den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gezahlt werden.

Weitere Verpflichtungen

Darüber hinaus verpflichtet der Fiskalpakt die Vertragsstaaten, sich enger in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik abzustimmen, etwa durch regelmäßige Konsultationen zum Haushaltsentwurf und zur Festlegung nationaler Wirtschaftsreformen.

Verhältnis zum Unionsrecht

Obgleich der Fiskalpakt ein völkerrechtlicher Vertrag ist, bezieht er sich intensiv auf bestehende unionsrechtliche Regelungen:

  • Er ergänzt den Stabilitäts- und Wachstumspakt (Art. 126 und 136 AEUV).
  • Änderungen einzelner Regelungen im Unionsrecht, beispielsweise durch neue EU-Verordnungen, gehen grundsätzlich dem Fiskalpakt vor.
  • Die Integration des Fiskalpakts in das EU-Recht wird ausdrücklich angestrebt (Art. 16 TSCG), was allerdings bislang nicht erfolgt ist.

Umsetzung in den Vertragsstaaten

Deutschland

Deutschland hat den Fiskalpakt durch das Gesetz zu dem Vertrag vom 13. Juli 2012 ratifiziert. Die Schuldenbremse war bereits zuvor durch Artikel 109 und 115 Grundgesetz grundrechtlich implementiert, weshalb die Regelungen in Deutschland als erfüllt gelten. Ergänzt wurde die Umsetzung durch das Haushaltsgrundsätzegesetz.

Frankreich

Frankreich hat die Kerninhalte des Fiskalpakts gesetzlich verankert. Ein Verfassungsänderungsverfahren wurde nicht durchgeführt; das französische Verfassungsgericht hielt dies für im Rahmen des Vertrags zulässig.

Weitere Mitgliedstaaten

Auch andere Vertragsparteien haben die notwendigen Haushaltsregeln eingeführt, teils auf Gesetzes-, teils auf Verfassungsrang.

Auswirkungen und Kritik

Effektivität und Rechtsdurchsetzung

Befürworter sehen den Fiskalpakt als wichtigen Beitrag zur langfristigen Stabilisierung der Staatsfinanzen und zur Vertrauensbildung. Kritiker bemängeln die Flexibilität der Regelungen und die eingeschränkten Sanktionsmöglichkeiten, insbesondere im Bereich der Umsetzung und gerichtlichen Kontrolle.

Verhältnis zu demokratischer Haushaltshoheit

Die mit dem Fiskalpakt geschaffene stärkere Kontrolle über nationale Haushalte wird teils als Eingriff in die parlamentarische Budgethoheit gesehen und politisch diskutiert.

Zukunftsperspektive

Langfristig ist vorgesehen, die Regelungen des Fiskalpakts vollständig in das EU-Primärrecht zu integrieren. Bislang besteht der Fiskalpakt jedoch weiterhin als völkerrechtlicher Vertrag außerhalb des eigentlichen EU-Rechtsrahmens.

Zusammenfassung

Der Fiskalpakt ist ein völkerrechtlich geschlossenes Vertragswerk, das die Haushaltsdisziplin in der Europäischen Union, insbesondere im Euroraum, durch effiziente und verbindliche Regeln stärken soll. Seine wesentlichen Elemente sind eine verbindliche Schuldenbremse, automatische Korrekturmechanismen und eine verstärkte Kontrolle durch die Europäische Kommission und den Europäischen Gerichtshof. Die nationale Umsetzung, das Verhältnis zum Unionsrecht sowie die rechtliche Bindungswirkung des Fiskalpakts bilden zentrale Themenkomplexe bei der rechtlichen Einordnung des Fiskalpakts.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Verpflichtungen ergeben sich für die Unterzeichnerstaaten aus dem Fiskalpakt?

Die Unterzeichnerstaaten des Fiskalpakts, offiziell als Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion bezeichnet, verpflichten sich primär dazu, strikte Haushaltsdisziplin auf nationaler Ebene sicherzustellen. Dies erfolgt vor allem durch die verbindliche und dauerhafte Verankerung der sogenannten „Schuldenbremse” ins nationale Recht, vorzugsweise auf Verfassungsrang. Konkret bedeutet das, dass der strukturelle Haushaltssaldo eines Landes nicht mehr als 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen darf. Sollte das Verhältnis von öffentlicher Verschuldung zu BIP deutlich unter 60 % liegen, kann dieser Schwellenwert auf 1,0 % angehoben werden. Gliedstaatliche Gebietskörperschaften (z. B. Bundesländer in Deutschland) sind verpflichtet, diesen Konsolidierungspfad einzuhalten. Im Falle der Nichteinhaltung müssen automatische Korrekturmechanismen greifen, die die Einhaltung der Defizitziele sicherstellen. Zudem sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, jährliche Berichte über ihre Haushaltslage an die Europäische Kommission und den Europäischen Rat zu übermitteln.

Wie erfolgt die rechtliche Kontrolle der Einhaltung des Fiskalpakts?

Die Überwachung der Einhaltung der im Fiskalpakt festgeschriebenen Vorschriften erfolgt sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. National sind die Staaten verpflichtet, unabhängige Überwachungsinstitutionen mit der Haushaltsüberwachung zu betrauen; diese prüfen, ob die mittelfristigen Haushaltsziele erreicht werden und die Fiskalregeln ordnungsgemäß umgesetzt sind. Auf europäischer Ebene überprüft die Europäische Kommission regelmäßig die Einhaltung der Vorgaben im Rahmen des europäischen Semesters und kann gegebenenfalls Empfehlungen an die einzelnen Mitgliedstaaten aussprechen. Sollte ein Land die Schuldenbremse verletzen, kann ein oder mehrere Vertragsstaaten den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anrufen. Der EuGH kann feststellen, dass ein Staat die Bestimmungen nicht korrekt in nationales Recht umgesetzt hat und im Falle einer anhaltenden Missachtung eine einmalige Geldbuße bis zu 0,1 % des BIP verhängen.

Welche Rolle spielt das nationale Verfassungsrecht bei der Umsetzung des Fiskalpakts?

Die Umsetzung des Fiskalpakts erfordert, dass die haushaltsrechtlichen Vorgaben – insbesondere die Schuldenbremse – möglichst dauerhaft, also vorzugsweise auf Verfassungsrang, im nationalen Recht verankert werden. Dies erhöht den rechtlichen Bindungsgrad und erschwert eine spätere Lockerung oder Umgehung der Fiskalregeln durch bloße einfache Gesetzgebung. In vielen Vertragsstaaten, darunter Deutschland, erfolgte die Umsetzung deshalb durch eine Änderung des Grundgesetzes beziehungsweise der jeweiligen Verfassung. Dies stellt sicher, dass die Fiskalregeln zu einem integralen und rechtlich besonders abgesicherten Bestandteil des nationalen Haushaltsrechts werden und nur unter erschwerten Voraussetzungen geändert werden können.

In welchem Verhältnis steht der Fiskalpakt zum EU-Primärrecht?

Der Fiskalpakt ist als völkerrechtlicher Vertrag ausgestaltet und steht daher formell außerhalb des eigentlichen EU-Primärrechts (wie den EU-Verträgen). Dennoch bezieht er sich direkt auf Mechanismen und Zielsetzungen des Unionsrechts, etwa die haushaltspolitische Überwachung im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Die im Fiskalpakt enthaltenen Regeln gelten nur für die Vertragsstaaten und begründen im Verhältnis zu den übrigen EU-Mitgliedsstaaten keine unmittelbaren Rechte und Pflichten im Unionsrechtssinne. Die Übergangsregelungen sehen aber vor, dass die Vorschriften des Fiskalpakts bei Gelegenheit der nächsten umfassenden Vertragsreform in das EU-Primärrecht überführt werden sollen, wodurch eine stärkere Verbindlichkeit im unionsrechtlichen Kontext entstehen würde.

Welche rechtlichen Sanktionen drohen bei Verstößen gegen den Fiskalpakt?

Verstöße gegen die Verpflichtungen aus dem Fiskalpakt können rechtlich sanktioniert werden: Zunächst sieht der Fiskalpakt selbst Mechanismen vor, mit denen Verstöße festgestellt und behoben werden sollen; hierzu zählen die Einrichtung automatischer Korrekturmechanismen auf nationaler Ebene sowie die laufende Überwachung durch unabhängige Institutionen. Kommt es zu einer wiederholten Nichtbeachtung der fiskalischen Disziplin – etwa wenn ein Staat die erforderlichen Rechtsvorschriften nicht ordnungsgemäß national umsetzt – kann nach Art. 8 des Fiskalpakts der Europäische Gerichtshof angerufen werden. Dieser kann bei andauernder Verletzung eine einmalige Geldbuße von bis zu 0,1 % des Bruttoinlandsprodukts verhängen, deren Ertrag dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zufließt.

Wie werden Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des Fiskalpakts rechtlich gelöst?

Zwischenstaatliche Streitigkeiten über Auslegung und Anwendung des Fiskalpakts werden durch ein klar geregeltes Streitbeilegungsverfahren beigelegt. Gemäß Artikel 8 des Vertrags kann jeder Vertragsstaat, der die dauerhafte Festschreibung der Schuldenbremse im nationalen Recht eines anderen Mitgliedstaats für unzureichend hält, den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorlegen. Der EuGH entscheidet im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens verbindlich und kann entsprechende Anordnungen oder Sanktionen erlassen. Bei anderen Auslegungsfragen ist, je nach Vertragsmaterie, eine multilaterale Abstimmung oder die Berufung auf Schiedsmechanismen vorgesehen. Die Urteile und Rechtsauffassungen des EuGH sind für die Vertragsstaaten bindend und durchsetzbar.