Begriff und rechtliche Einordnung der Faktischen Gesellschaft
Die faktische Gesellschaft ist ein Begriff aus dem Gesellschaftsrecht. Er bezeichnet eine Gesellschaft, die aufgrund tatsächlichen Zusammenwirkens der Beteiligten entsteht, ohne dass ein Gesellschaftsvertrag wirksam geschlossen oder gesetzliche Gründungserfordernisse vollständig erfüllt wurden. Die faktische Gesellschaft wird häufig auch als „Gesellschaft bürgerlichen Rechts de facto“, „gesellschaftsähnliche Gemeinschaft“ oder „Nichtrechtsfähige Gesellschaft“ bezeichnet. Die rechtliche Behandlung der faktischen Gesellschaft ist maßgeblich durch die Rechtsprechung und die Lehre geprägt, da sie im Gesetz nicht ausdrücklich normiert ist.
Allgemeines zur faktischen Gesellschaft
Die Entstehung einer faktischen Gesellschaft erfolgt durch das tatsächliche Handeln der Beteiligten, das hinreichend deutlich auf ein gemeinsames Gesellschaftsziel und eine kooperative Zusammenarbeit gerichtet ist. Entscheidend sind nicht formale Willenserklärungen, sondern das tatsächliche gemeinsame Tätigwerden. Im Kern handelt es sich um eine Gesellschaft, die mangels Wirksamkeit oder Existenz eines Gesellschaftsvertrags dennoch gesellschaftsrechtlich relevante Bindungen zwischen den Beteiligten erzeugt.
Voraussetzungen der faktischen Gesellschaft
Gemeinsamer Zweck
Ein wesentliches Element ist das Vorliegen eines gemeinsamen Zwecks, der durch die Zusammenarbeit der Beteiligten gefördert werden soll. Dies kann ein wirtschaftliches, ideelles oder sonstiges Interesse sein, das nach außen als gesellschaftliche Verbindung erkennbar ist.
Beitragspflichten
Wie bei anderen Gesellschaftsformen ist auch bei der faktischen Gesellschaft die gemeinsame Verpflichtung zur Förderung des Gesellschaftszwecks durch Beiträge – etwa in Form von Geld, Sachleistungen oder Arbeit – ein konstituierendes Merkmal.
Gebrauch des Gesellschaftsvermögens
Beteiligte einer faktischen Gesellschaft agieren gemeinsam am Geschäftsvermögen oder unterhalten gemeinsam Anlagen, Einrichtungen oder Geschäftsräume. Das gemeinsame Handeln, Teilen von Risiken und Gewinnen steht im Vordergrund.
Fehlen eines wirksamen Gesellschaftsvertrags
Charakteristisch ist das Fehlen eines rechtlich wirksamen oder vollständig geschlossenen Gesellschaftsvertrages, etwa aufgrund von Formverstößen oder fehlender Einigung über wesentliche Vertragsbestandteile. Die Gesellschaft wird allein durch die gelebte Praxis begründet.
Abgrenzung zu anderen Gesellschaftsformen
Die faktische Gesellschaft ist insbesondere von folgenden Rechtsformen abzugrenzen:
BGB-Gesellschaft (Gesellschaft bürgerlichen Rechts)
Im Unterschied zur klassischen BGB-Gesellschaft nach §§ 705 ff. BGB fehlt der faktischen Gesellschaft häufig ein formell wirksamer Gesellschaftsvertrag. Gleichwohl finden auf die faktische Gesellschaft weite Teile des für BGB-Gesellschaften geltenden Rechts Anwendung.
Innengesellschaft
Bei der Innengesellschaft bleibt das Gesellschaftsverhältnis nach außen inaktiv, wohingegen die faktische Gesellschaft oft mit Außenwirkungen verbunden ist, insbesondere wenn Dritte an den Handlungen der Gesellschaft beteiligt werden.
Gelegenheitsgesellschaft
Gelegenheitsgesellschaften entstehen aus spontanen, einmaligen Kooperationen, ohne die auf Dauer angelegte Zusammenarbeit, die für eine faktische Gesellschaft typisch ist.
Rechtsfolgen der faktischen Gesellschaft
Rechtsbeziehungen unter den Gesellschaftern
Auch ohne formellen Vertrag entstehen unter den Beteiligten rechtliche Bindungen. Es gelten analoge Regelungen der BGB-Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf die gemeinschaftliche Vermögensbindung, Haftung sowie die Pflichten der Gesellschafter.
Geschäftsführung und Vertretung
Die Grundsätze zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft sind auf faktische Gesellschaften übertragbar. Die Beteiligten können dementsprechend im Innen- wie im Außenverhältnis handeln, soweit das gemeinsame Ziel betroffen ist.
Haftung
Für Verbindlichkeiten der faktischen Gesellschaft haften die Gesellschafter grundsätzlich gesamtschuldnerisch (§ 421 BGB analog). Die Begründung liegt darin, dass die Haftungsgrundsätze der BGB-Gesellschaft Anwendung finden, sobald die Handelnden wie Gesellschafter zusammenwirken.
Vermögensbindung und Auseinandersetzung
Das von den Beteiligten eingebrachte oder während der Zusammenarbeit erworbene Vermögen steht ihnen gemeinschaftlich zu. Im Falle der Auflösung der faktischen Gesellschaft erfolgt eine Auseinandersetzung, bei der das Vermögen nach den Grundsätzen über die BGB-Gesellschaft zu verteilen ist.
Steuerliche Behandlung
Faktische Gesellschaften werden steuerlich grundsätzlich wie rechtsgeschäftlich begründete Personengesellschaften behandelt. Es greifen die Regelungen zur Mitunternehmerschaft sowie entsprechende Besteuerungsgrundsätze je nach Gesellschaftszweck.
Typische Anwendungsfälle und Erscheinungsformen
Unternehmensgründung ohne wirksamen Vertrag
Wird ein Unternehmen durch mehrere Personen gemeinschaftlich betrieben, ohne dass ein Gesellschaftsvertrag schriftlich fixiert oder die Gründungsvorschriften formell eingehalten wurden, liegt regelmäßig eine faktische Gesellschaft vor.
Immobilien- und Bauprojekte
Gemeinsames Handeln zweier Bauherren beim Erwerb, der Bebauung und der Vermarktung von Grundstücken in wechselseitigem Interesse kann eine faktische Gesellschaft begründen, auch ohne schriftliche Vereinbarung.
Freiberufliche Kooperationen
Mehrere freiberuflich Tätige, die gemeinschaftliche Projekte realisieren und dabei Ressourcen, Honorare oder Vermögen gemeinschaftlich verwalten, bilden oftmals eine faktische Gesellschaft.
Bedeutung in der Praxis und rechtliche Risiken
Die faktische Gesellschaft besitzt erhebliche praktische Relevanz, da durch fehlende formelle Übereinkünfte rechtliche Unsicherheiten entstehen, etwa bei Haftungsfragen und Vermögensverteilungen. Beteiligte sollten sich der solidarischen Haftung und der komplexen Auseinandersetzungsregeln bewusst sein, die häufig zu Streitfällen führen.
Rechtsprechung und Literatur
Die Rechtsprechung behandelt die faktische Gesellschaft überwiegend analog zur BGB-Gesellschaft. Entscheidende Urteile, etwa des Bundesgerichtshofs, präzisieren Einzelfragen insbesondere zu Haftung und Auseinandersetzung. Die Fachliteratur beschreibt die faktische Gesellschaft als Ausdruck des Grundsatzes der Privatautonomie und als Instrument zur „Vertragsbindung ohne Vertrag“.
Abgrenzung zur Gesellschaft des bürgerlichen Rechts im Sinne des BGB
Eine strenge dogmatische Trennung ist aus praktischen Gründen kaum möglich, da beide Gesellschaftsformen in ihrer Wirkung weitgehend identisch behandelt werden. Die faktische Gesellschaft stellt eine „Gesellschaft ohne Vertrag“, jedoch mit gesellschaftsrechtlicher Bindung zwischen den Beteiligten dar.
Fazit
Die faktische Gesellschaft ist ein zentrales Begriffs- und Rechtsinstitut zur Erfassung gesellschaftlicher Zusammenschlüsse ohne formellen oder wirksamen Vertrag. Ihre rechtliche Beurteilung orientiert sich an den Vorschriften der BGB-Gesellschaft. Sie ist relevant für Streitfragen zur Haftung, Vermögenszuordnung und Auseinandersetzung und erfordert von den Beteiligten besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich ihrer konkreten Zusammenarbeit und der damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für das Vorliegen einer faktischen Gesellschaft erfüllt sein?
Eine faktische Gesellschaft setzt voraus, dass zwischen den Beteiligten ein tatsächlicher Zusammenschluss vorliegt, der auf die Förderung eines gemeinsamen Zwecks durch gemeinsames Wirken gerichtet ist. Im Gegensatz zur formell gegründeten Gesellschaft fehlt bei der faktischen Gesellschaft ein Gesellschaftsvertrag in Schrift- oder Textform; es genügt bereits eine konkludente oder gar stillschweigende Übereinkunft. Wesentlich ist, dass sich aus dem gemeinsamen Verhalten und dem Auftreten nach außen gegenüber Dritten eine Gesellschaft erkennen lässt. Die Rechtsprechung stellt hierfür insbesondere auf das gemeinsame Wirken, das Teilen von Gewinn und Verlust sowie die Zusammenarbeit bei der Finanzierung und Durchführung des Gesellschaftszwecks ab. Erforderlich ist dabei keine Absicht, eine Gesellschaft zu gründen, sondern lediglich das tatsächliche Verhalten, das objektiv den Willen zur gemeinschaftlichen Zweckerreichung dokumentiert.
Wie wird eine faktische Gesellschaft rechtlich behandelt, wenn sie nicht im Handelsregister eingetragen ist?
Eine faktische Gesellschaft wird als sogenannte Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) angesehen, soweit sie nicht den Status einer Handelsgesellschaft erlangt und keiner zwingenden Registerpublizität unterliegt. Auch ohne Eintragung ins Handelsregister gelten für sie die Vorschriften über die GbR gemäß §§ 705 ff. BGB. Die fehlende Eintragung führt dazu, dass die Gesellschaft nach außen hin nicht als juristische Person auftreten kann und rechtlich keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Die Gesellschafter haften somit für Verbindlichkeiten der Gesellschaft grundsätzlich unmittelbar und gesamtschuldnerisch mit ihrem Privatvermögen gemäß § 421 BGB i.V.m. § 128 HGB analog, sofern keine abweichenden vertraglichen Regelungen bestehen.
Welche Rechte und Pflichten ergeben sich für die Gesellschafter einer faktischen Gesellschaft?
Die Rechte und Pflichten der Gesellschafter einer faktischen Gesellschaft richten sich primär nach den gesetzlichen Regelungen für die GbR, sofern keine speziellen Absprachen bestehen. Im Mittelpunkt steht die Treuepflicht gegenüber den Mitgesellschaftern, die Pflicht zur Förderung des gemeinsamen Gesellschaftszwecks und das Verbot, dem Zweck zuwiderlaufende Handlungen vorzunehmen. Weiterhin haben Gesellschafter Anspruch auf Mitverwaltung sowie auf Einsicht in die gesellschaftsbezogenen Unterlagen und Bücher. Hinsichtlich der Haftung gilt, dass jeder Gesellschafter persönlich, unbeschränkt und gesamtschuldnerisch für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet. Gewinne und Verluste werden nach Köpfen verteilt, sofern keine anderweitige Absprache getroffen wurde.
Welche Beendigungstatbestände bestehen im Rahmen einer faktischen Gesellschaft?
Die faktische Gesellschaft kann wie eine formelle Personengesellschaft durch verschiedene Tatbestände enden. Dazu gehören insbesondere die Erreichung oder das Unmöglichwerden des Gesellschaftszwecks, die Kündigung eines Gesellschafters, das Ausscheiden eines Gesellschafters (z. B. durch Tod oder Insolvenz) oder die gerichtliche Auflösung wegen wichtiger Gründe. Im Falle der Auflösung ist die Gesellschaft analog den Regelungen der §§ 730 ff. BGB abzuwickeln. Das Vermögen ist zu liquidieren, bestehende Verpflichtungen sind zu erfüllen und etwaige Überschüsse nach Abzug der Verbindlichkeiten an die Gesellschafter zu verteilen. Auch im Rahmen der Abwicklung bestehen die Treue- und Mitwirkungspflichten der Gesellschafter fort.
Welche Besonderheiten bestehen bei der Haftung gegenüber Dritten?
Die Haftung der Gesellschafter einer faktischen Gesellschaft gegenüber Dritten orientiert sich im Wesentlichen an der gesetzlichen Regelung für die GbR. Da die Gesellschaft selbst keine eigenständige Rechtspersönlichkeit hat, sind stets die einzelnen Gesellschafter Adressaten möglicher Ansprüche. Eine Besonderheit ist, dass Dritte auch dann Ansprüche gegen alle Gesellschafter geltend machen können, wenn sie nur mit einzelnen Gesellschaftern in Vertragsbeziehungen getreten sind, sofern das Handeln diesen als Handeln der Gesellschaft zugerechnet werden kann. Die gesamtschuldnerische Haftung erstreckt sich auch auf Altverbindlichkeiten nach Eintritt in die Gesellschaft. Dies bedeutet, dass neue Gesellschafter für bestehende Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, soweit diese eine Kontinuität der faktischen Gesellschaft anerkennen oder fördern.
Wie erfolgt die Beweisführung für das Vorliegen einer faktischen Gesellschaft im Streitfall?
Die Beweislast für das Bestehen einer faktischen Gesellschaft liegt bei demjenigen, der sich darauf beruft, also etwa bei einem Gesellschafter, der Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis geltend macht, oder bei einem Dritten, der die Gesellschaft in Anspruch nehmen möchte. Das Vorliegen einer faktischen Gesellschaft ist anhand objektiver Kriterien von gemeinsamen Handeln, der Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks, der Mitwirkung an Finanzierungsfragen sowie einer bestimmten Organisation nachzuweisen. Die Gerichte prüfen alle relevanten Umstände des Einzelfalls, einschließlich Zeugenaussagen, geschäftlichen Schriftwechsels, finanzieller Verflechtungen und gemeinsamer Auftritte nach außen. Die Anforderungen an den Nachweis sind streng, jedoch genügt eine schlüssige Darlegung der gesellschaftsrechtlichen Zusammenarbeit.
Welche steuerlichen Pflichten ergeben sich bei einer faktischen Gesellschaft?
Auch eine faktische Gesellschaft unterliegt prinzipiell denselben steuerlichen Pflichten wie eine formell gegründete GbR. Die Gesellschaft selbst unterliegt nicht der Einkommensteuer, da sie steuerlich transparent behandelt wird; vielmehr werden die Erträge den Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligungsquote steuerlich zugerechnet. Die Gesellschaft kann jedoch umsatzsteuerpflichtig sein und ist verpflichtet, Umsatzsteuererklärungen abzugeben. Ebenso können Verpflichtungen zur Anmeldung beim Finanzamt, zur laufenden Buchführung und zur Abgabe von Steuererklärungen für die einzelnen Gesellschafter bestehen. Die Mitwirkungspflichten und die Mitteilung gemeinschaftlicher Einkünfte sind ausdrücklich zu beachten, um steuerlichen Nachteilen oder Sanktionen vorzubeugen.