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Europäische Wirtschaftgemeinschaft (EWG)

Begriff und Einordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)

Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) war eine seit 1958 bestehende, eigenständige Gemeinschaftsorganisation in Europa mit dem Ziel, einen Gemeinsamen Markt zu schaffen und die wirtschaftliche Integration ihrer Mitgliedstaaten zu vertiefen. Sie wurde durch einen völkerrechtlichen Gründungsvertrag ins Leben gerufen und besaß eigene Rechtspersönlichkeit. 1993 wurde sie in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt; mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Jahr 2009 gingen die Gemeinschaftsstrukturen in der Europäischen Union (EU) auf. Das frühere EWG-Recht bildet einen wesentlichen Teil des heutigen Unionsrechts und prägte die Entwicklung des Binnenmarktes, der Grundfreiheiten und der gemeinsamen Politikfelder.

Historische Entwicklung

Gründung und Zielsetzung

Die EWG entstand vor dem Hintergrund des Wiederaufbaus in Europa und der Absicht, wirtschaftliche Verflechtung als Grundlage für Frieden und Wohlstand zu nutzen. Zentrale Zielsetzungen waren der Abbau von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen, die Einführung eines Gemeinsamen Zolltarifs gegenüber Drittstaaten, die Sicherung eines unverfälschten Wettbewerbs sowie die schrittweise Annäherung wirtschaftspolitischer Maßnahmen.

Erweiterungen und Politikfelder

Die EWG begann mit sechs Mitgliedstaaten und erweiterte sich in mehreren Beitrittsrunden. Gleichzeitig wurden gemeinsame Politiken aufgebaut, darunter die Landwirtschafts-, Handels- und Wettbewerbspolitik. Mit der Zeit kamen Förderinstrumente für strukturschwächere Regionen und der Ausbau des Sozialfonds hinzu.

Umbenennung und Integration in die EU

1993 wurde die EWG in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt, um die über die Wirtschaft hinausgehende Integration abzubilden. 2009 übernahm die EU die Rechtspersönlichkeit, die EG wurde in die EU-Struktur integriert. Rechtlich bedeutet dies, dass frühere EWG- und EG-Rechtsakte als Teil des geltenden Unionsrechts fortwirken, soweit sie nicht aufgehoben oder ersetzt wurden.

Rechtliche Struktur der EWG

Rechtspersönlichkeit und Zuständigkeiten

Die EWG war eine supranationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie konnte internationale Übereinkünfte schließen, Rechte erwerben und Verpflichtungen eingehen. Ihre Zuständigkeiten waren auf wirtschaftliche Integration ausgerichtet und durch den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung geprägt: Die Gemeinschaft handelte nur in den Bereichen, die ihr durch den Gründungsvertrag übertragen waren.

Institutionelles Gefüge

Die EWG verfügte über ein institutionelles System, das im Kern aus einer Exekutive, einem Ministerrat, einer parlamentarischen Vertretung und einem Gerichtssystem bestand. Diese Institutionen erließen, gestalteten und kontrollierten das Gemeinschaftsrecht sowie dessen Durchführung in den Mitgliedstaaten. Das Zusammenspiel der Organe sicherte die Balance zwischen gemeinschaftlicher Handlungsfähigkeit und mitgliedstaatlicher Mitwirkung.

Rechtsakte und Rechtsquellen

Die EWG bediente sich verschiedener Rechtsakte, um den Gemeinsamen Markt zu verwirklichen und Politikbereiche zu harmonisieren.

Verordnungen

Verordnungen hatten allgemeine Geltung, waren in allen Teilen verbindlich und galten unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Sie dienten insbesondere dort, wo einheitliche Regeln ohne nationale Umsetzungsakte erforderlich waren, etwa beim gemeinsamen Außenzoll oder in der Agrarpolitik.

Richtlinien

Richtlinien verpflichteten die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels, überließen jedoch die Form und Mittel der Umsetzung dem nationalen Recht. Sie wurden genutzt, um Mindeststandards und schrittweise Harmonisierung in Bereichen mit nationalen Besonderheiten zu erreichen.

Entscheidungen, Empfehlungen, Stellungnahmen

Entscheidungen richteten sich an bestimmte Adressaten und waren verbindlich. Empfehlungen und Stellungnahmen hatten keinen verbindlichen Charakter, entfalteten aber politisches Gewicht und Orientierungskraft.

Grundprinzipien des EWG-Rechts

Binnenmarkt und Grundfreiheiten

Die EWG legte die Grundlagen für den heutigen Binnenmarkt. Kernelemente waren die vier Grundfreiheiten: freier Warenverkehr, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit und freier Kapitalverkehr. Diese Freiheiten zielten auf den Abbau staatlicher und nichttarifärer Hemmnisse und auf die Gleichbehandlung von in- und ausländischen Marktteilnehmern.

Anwendungsvorrang und unmittelbare Wirkung

Im Rahmen der EWG entwickelten sich Grundsätze, die die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherten. Dazu zählen der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber entgegenstehendem nationalen Recht sowie die unmittelbare Wirkung bestimmter Bestimmungen, sofern sie inhaltlich hinreichend klar und unbedingt sind. Diese Prinzipien stellten eine einheitliche und effektive Geltung des Gemeinschaftsrechts sicher.

Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung

Das Diskriminierungsverbot, insbesondere aufgrund der Staatsangehörigkeit, war ein tragendes Prinzip. Es zielte darauf ab, gleiche Wettbewerbsbedingungen und die freie Teilhabe am Gemeinsamen Markt zu gewährleisten.

Wettbewerbsordnung und Beihilfenkontrolle

Die EWG etablierte eine Wettbewerbsordnung mit Regeln gegen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen. Zudem unterlag die Gewährung öffentlicher Beihilfen einer Kontrolle, um Verfälschungen des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt entgegenzuwirken.

Politikbereiche und Instrumente

Gemeinsamer Zolltarif und Außenhandel

Die EWG schuf eine Zollunion: Zölle und mengenmäßige Beschränkungen im Binnenhandel wurden abgebaut, nach außen galt ein gemeinsamer Zolltarif. Die Gemeinschaft übernahm schrittweise die handelspolitische Vertretung nach außen und schloss internationale Abkommen im Bereich des Warenhandels.

Gemeinsame Agrarpolitik

Ein zentrales, früh ausgeprägtes Politikfeld war die Agrarpolitik. Über marktordnende Instrumente, Preisstützungen und spätere Reformen zielte sie auf Versorgungssicherheit, Produktivitätssteigerung und stabile landwirtschaftliche Einkommen. Die Finanzierung erfolgte aus dem Gemeinschaftshaushalt.

Sozial- und Kohäsionspolitik

Zur Abfederung wirtschaftlicher Ungleichgewichte wurden Förderinstrumente geschaffen. Der Sozialfonds unterstützte Beschäftigung und Qualifizierung, Struktur- und Regionalmaßnahmen stärkten die Angleichung der Lebensverhältnisse.

Verbraucher- und Gesundheitsschutz

Anfänglich begrenzte Kompetenzen wurden schrittweise ausgebaut, oft durch Mindestharmonisierung über Richtlinien. Ziel war die Beseitigung technischer Handelshemmnisse und die Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus ohne Zersplitterung des Binnenmarkts.

Durchsetzung und Rechtsschutz

Vertragsverletzungsverfahren

Zur Sicherung der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts konnten Verfahren gegen Mitgliedstaaten eingeleitet werden, wenn Pflichten aus dem EWG-Recht nicht eingehalten wurden. Diese Durchsetzungsmechanismen stärkten die Verbindlichkeit gemeinschaftlicher Normen.

Vorlageverfahren nationaler Gerichte

Gerichte der Mitgliedstaaten konnten Fragen zur Auslegung oder Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts vorlegen. Dieses kooperative System diente der einheitlichen Rechtsanwendung und förderte den Dialog zwischen nationalen Gerichten und den Gemeinschaftsorganen.

Kontrolle staatlicher Beihilfen und Wettbewerbsdurchsetzung

Die Überwachung staatlicher Beihilfen und die Bekämpfung wettbewerbswidriger Praktiken erfolgten auf Gemeinschaftsebene. Entscheidungen konnten Verpflichtungen auferlegen, Maßnahmen untersagen oder Rückforderungen auslösen, um faire Wettbewerbsbedingungen zu sichern.

Finanzierung und Haushalt

Eigenmittel und Beiträge

Die EWG finanzierte sich aus Eigenmitteln wie Zolleinnahmen und Abgaben im Rahmen gemeinsamer Politiken sowie aus mitgliedstaatlichen Beiträgen, die später auch an wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anknüpften. Dies ermöglichte eine unabhängige Finanzierung gemeinschaftlicher Aufgaben.

Haushaltsverfahren und Kontrolle

Haushaltsplanung und -kontrolle folgten einem geregelten Verfahren mit Beteiligung der Institutionen. Prüfmechanismen sollten Wirtschaftlichkeit, Ordnungsmäßigkeit und Transparenz sicherstellen.

Mitgliedschaftsrecht

Beitritt und Assoziierung

Die EWG stand europäischen Staaten offen, die die mitgliedschaftlichen Pflichten übernehmen konnten. Beitritte erfolgten durch völkerrechtliche Verträge. Daneben bestanden assoziierte Beziehungen zu Drittstaaten, die abgestufte Integrationsformen ermöglichten.

Austritt und Ausschluss

Der Gründungsrahmen der EWG sah keine ausdrückliche Austrittsklausel vor. Ein formalisierter Mechanismus zur Beendigung der Mitgliedschaft entwickelte sich erst später im Rahmen der Europäischen Union. Ausschlussmechanismen waren nicht als reguläres Instrument der EWG angelegt.

Fortgeltung und heutige Relevanz

EWG-Recht als Teil des Unionsrechts

Normen aus der EWG-Zeit sind, soweit inhaltlich fortgeltend, in das Unionsrecht übergegangen. Zahlreiche Rechtsakte wurden konsolidiert, geändert oder ersetzt. Historische Bezeichnungen wie „EWG-Verordnung“ finden sich daher weiterhin in Übergangs- oder Konsolidierungskontexten.

Begriffliche Verwendung in Praxis und Lehre

In Praxis und Lehre wird der Begriff EWG genutzt, um die Entwicklungsstufe der europäischen Integration bis zur Umbenennung 1993 zu bezeichnen. Rechtliche Analysen greifen auf diese Begriffsbildung zurück, wenn es um die Entstehung des Binnenmarktes, die Entwicklung der Grundfreiheiten und die Ausgestaltung der supranationalen Ordnung geht.

Häufig gestellte Fragen (Rechtlicher Kontext)

Was war die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in rechtlicher Hinsicht?

Die EWG war eine eigenständige, völkerrechtlich gegründete Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit, deren Hauptzweck die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes und die wirtschaftliche Integration ihrer Mitgliedstaaten war. Sie verfügte über eigene Organe, Entscheidungsverfahren und Rechtsakte, die in den Mitgliedstaaten wirkten.

Worin unterscheiden sich EWG, EG und EU?

Die EWG war die ursprüngliche Wirtschaftsgemeinschaft. 1993 wurde sie in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt, um die über die Wirtschaft hinausgehende Integration abzubilden. Seit 2009 besitzt die Europäische Union die Rechtspersönlichkeit; die EG-Strukturen gingen in der EU auf. Inhaltlich setzt die EU das frühere Gemeinschaftsrecht fort und erweitert es.

Welche Rechtsakte erließ die EWG und wie wirkten sie?

Die EWG erließ Verordnungen (allgemeinverbindlich und unmittelbar anwendbar), Richtlinien (verbindlich hinsichtlich des Ziels, mit nationaler Umsetzung) sowie Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen. Diese Rechtsakte schufen einheitliche Regeln und harmonisierten nationale Rechtsordnungen.

Hatte die EWG eigene internationale Handlungsfähigkeit?

Ja. Die EWG besaß eigene Rechtspersönlichkeit und konnte internationale Übereinkünfte schließen, insbesondere im Bereich des Außenhandels und der gemeinsamen Politiken. Diese Abkommen wurden der Gemeinschaft zugerechnet und galten in ihrem Rechtsraum.

Gab es eine Austrittsklausel aus der EWG?

Eine ausdrückliche Austrittsklausel war im Gründungsrahmen der EWG nicht vorgesehen. Ein formalisiertes Austrittsverfahren wurde erst später im Rahmen der Europäischen Union etabliert. Vorherige Beendigungen der Mitgliedschaft waren nicht normtypisch geregelt.

Welche Bedeutung haben EWG-Rechtsakte heute?

Zahlreiche EWG-Rechtsakte wirken fort, wurden konsolidiert oder durch Unionsrecht ersetzt. In der Rechtsanwendung begegnen weiterhin ältere Bezeichnungen, wenn historische Fassungen, Übergangsbestimmungen oder fortgeltende Normstrukturen betroffen sind.

Wie wurde die Einhaltung des EWG-Rechts durchgesetzt?

Die Durchsetzung erfolgte über Verfahren gegen Mitgliedstaaten bei Pflichtverstößen, über die Kontrolle staatlicher Beihilfen und die Anwendung von Wettbewerbsregeln. Nationale Gerichte wirkten durch Vorlagefragen an der einheitlichen Auslegung mit.

Welche Rolle spielten die Grundfreiheiten in der EWG?

Die Grundfreiheiten waren Kern der Integration: Sie sicherten den freien Verkehr von Waren, Arbeitnehmern, Dienstleistungen und Kapital. Sie bildeten die Grundlage für den Abbau von Handelshemmnissen und die Gleichbehandlung im Gemeinsamen Markt.