Begriff und Rechtsgrundlagen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) war eine supranationale Organisation, die 1957 durch den Vertrag von Rom gegründet wurde. Ihr Ziel war die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes und die Förderung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes zwischen den Mitgliedstaaten. Die EWG zählt zu den bedeutenden Grundlagen der heutigen Europäischen Union (EU). Von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Begriffs EWG ist sowohl die historische Entwicklung als auch die umfassende rechtliche Ausgestaltung der Gemeinschaft im Rahmen ihres Bestehens.
Rechtsquellen und Rechtsnatur
Vertrag von Rom
Der am 25. März 1957 unterzeichnete und am 1. Januar 1958 in Kraft getretene Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) bildete die rechtliche Grundlage der EWG. Der Vertrag wurde später als EG-Vertrag (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) bezeichnet.
Völkerrechtliche Organisation
Die EWG war eine eigenständige völkerrechtliche Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit. Ihre Rechtsbefugnisse überstiegen die einer typischen zwischenstaatlichen Organisation, da sie den Mitgliedstaaten hoheitliche Kompetenzen entzog und auf die Gemeinschaft übertrug.
Gründungsmitglieder und Institutionen
Gründungsmitglieder
Die EWG wurde von sechs Staaten gegründet: Belgien, Deutschland (damalige Bundesrepublik Deutschland), Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Erweiterungen folgten im Laufe der Jahre.
Organe und Aufbau
Die EWG verfügte über ursprünglich vier Hauptorgane:
- Die Kommission (Exekutive der Gemeinschaft)
- Der Rat der Minister (Vertretung der Mitgliedstaaten)
- Die Parlamentarische Versammlung (später Europäisches Parlament)
- Der Gerichtshof (EuGH)
Diese Organe verfügten über unterschiedliche Kompetenzen zur Wahrnehmung der gemeinschaftlichen Aufgaben. Der Aufbau der EWG entspricht im Wesentlichen den Strukturen der heutigen Europäischen Union.
Zielsetzung und Aufgaben
Gemeinsamer Markt
Das zentrale Ziel der EWG war die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes. Dieser umfasste:
- Warenverkehrsfreiheit
- Dienstleistungsfreiheit
- Kapitalverkehrsfreiheit
- Personenfreizügigkeit
Rechtlich setzte dies den Abbau von Handelshemmnissen und Diskriminierungsverboten zwischen den Mitgliedstaaten voraus. Dazu gehörten die Abschaffung von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen sowie die Schaffung gemeinsamer Marktordnungen.
Wettbewerb und Wirtschaftspolitik
Ein weiteres wesentliches Ziel war die Sicherung eines unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt. Die EWG verfügte hierfür über eigene Vorschriften und Instrumente des Kartellrechts (Art. 85 ff. EWG-Vertrag), Regelungen zu staatlichen Beihilfen (Art. 92 ff. EWG-Vertrag) und gemeinsamen Politiken, unter anderem in der Landwirtschaft (GAP).
Sozial-, Regional- und Außenhandelspolitik
Ergänzend richtete die EWG Maßnahmen auf den sozialen Ausgleich, regionale Entwicklung und die Gestaltung gemeinsamer Außenhandelsbeziehungen aus. Dies erfolgte beispielsweise mittels Koordinierung der Sozialpolitik und Schaffung eines gemeinsamen Außenzolls.
Rechtswirkungen und Gemeinschaftsrecht
Anwendungsvorrang und Unmittelbare Wirkung
Im Rahmen ihrer Zuständigkeiten entwickelte die EWG ein autonomes Gemeinschaftsrecht. Wesentliche Grundsätze:
- Anwendungsvorrang: Gemeinschaftsrecht hat Vorrang vor nationalem Recht der Mitgliedstaaten, soweit Kompetenzbereiche betroffen sind.
- Unmittelbare Wirkung: Bestimmte Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts können unmittelbare Rechte und Pflichten für natürliche und juristische Personen begründen. Dies bestätigte der Europäische Gerichtshof in grundlegenden Entscheidungen (z. B. Rs. 26/62 – Van Gend & Loos).
Rechtsquellen des EWG-Rechts
Die wichtigsten Rechtsquellen waren:
- Primärrecht: Verträge und deren Änderungsakte (insbesondere der EWG-Vertrag)
- Sekundärrecht: Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse
- Allgemeine Rechtsgrundsätze: Von der Rechtsprechung fortentwickelt
Durchsetzung des EWG-Rechts
Die Durchsetzung des EWG-Rechts erfolgte sowohl durch die Organe der Gemeinschaft als auch durch die Gerichte der Mitgliedstaaten. Der Gerichtshof spielte eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Gemeinschaftsrechtsordnung, etwa durch die Schaffung eigenständiger Klagearten (z. B. Vertragsverletzungsverfahren).
Entwicklung und Transformation zur Europäischen Union
Revisionen und Verträge
Der EWG-Vertrag wurde im Laufe der Zeit mehrfach überarbeitet (z. B. durch die Einheitliche Europäische Akte 1987, Vertrag von Maastricht 1992, Vertrag von Amsterdam 1997). Mit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht (1993) wurde die EWG zur Europäischen Gemeinschaft (EG) umbenannt. Innerhalb der neuen Säulenstruktur war die EG die bedeutendste Säule der Europäischen Union.
Aufgehen in der Europäischen Union
Mit dem Vertrag von Lissabon (2009) wurden die EG und ihre Institutionen vollständig in die EU integriert. Die EWG als eigenständige Organisation existiert seither nicht mehr fort, ihre Rechtsakte und Strukturen gingen in die heutige EU über. Die Rechtsprechung und zahlreiche Rechtsgrundsätze wirken jedoch bis heute fort.
Bedeutung des Begriffs im heutigen Recht
Obwohl die EWG als eigenständige Organisation nicht mehr existiert, bleiben ihr Begriff und ihre rechtlichen Grundlagen von historischer und systematischer Bedeutung. Das EWG-Recht ist nach wie vor im Rahmen des EU-Rechts (sogenannten Acquis communautaire) relevant, etwa bei der Auslegung primärrechtlicher Grundsätze, der Entwicklung der Grundfreiheiten oder der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.
Literaturverweise und Weiterführendes
- Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV), 1957
- Vertrag von Maastricht, 1992
- Vertrag von Amsterdam, 1997
- Vertrag von Lissabon, 2007
- Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (u.a. Rs. 26/62 Van Gend & Loos)
- Kommentar: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union
- Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK-Kommentar
Zusammenfassung:
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ist als Ausgangspunkt des europäischen Einigungsprozesses von zentraler Bedeutung für die Entstehung des Gemeinsamen Marktes und die Entwicklung einer eigenständigen supranationalen Rechtsordnung in Europa. Ihre Rechtsgrundlagen, Strukturen und Grundsätze prägen das heutige Unionsrecht nachhaltig fort.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Grundlagen regelten die Gründung und Funktionsweise der EWG?
Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wurden primär durch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, bekannt als Vertrag von Rom vom 25. März 1957, geschaffen. Dieser Vertrag bildete den Rechtsrahmen für die Organisation, die Institutionen, die Entscheidungsverfahren und die Grundfreiheiten der EWG. Der Vertrag definierte u.a. die Ziele der Wirtschaftsintegration, die Bildung eines gemeinsamen Marktes und schuf explizite Mechanismen zur Schaffung einer Zollunion sowie zur Angleichung der Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik. Neben dem Vertrag von Rom kamen im Laufe der Zeit weitere Verträge und Änderungsprotokolle (z.B. die Einheitliche Europäische Akte und der Vertrag von Maastricht) hinzu, die die ursprünglichen Rechtsnormen der EWG weiterentwickelten oder anpassten. Die Auslegung und Anwendung dieser Gesetze wurde durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) überwacht, der die endgültige rechtliche Autorität zu gemeinschaftsrechtlichen Fragen besaß.
Wie wurde das Verhältnis zwischen dem EWG-Recht und nationalem Recht geregelt?
Das Verhältnis zwischen EWG-Recht und nationalem Recht war rechtlich durch das Prinzip des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts bestimmt. Das heißt, das EWG-Recht ging im Kollisionsfall dem nationalen Recht vor und konnte nationalstaatliche Regelungen verdrängen, sofern diese mit den Gemeinschaftsvorgaben unvereinbar waren. Dieses Prinzip wurde in bahnbrechenden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere im Fall Costa/ENEL (1964), ausdrücklich festgelegt. Die Mitgliedstaaten waren somit verpflichtet, nationales Recht, das den EWG-Verordnungen und Richtlinien widerspricht, außer Anwendung zu lassen oder entsprechend anzupassen. Darüber hinaus gewährleistete das Prinzip der unmittelbaren Wirkung, dass gewisse Bestimmungen des EWG-Vertrages direkt von den Bürgerinnen und Bürgern vor nationalen Gerichten geltend gemacht werden konnten.
Welche Institutionen verfügten über rechtsetzende Kompetenzen innerhalb des EWG-Rechts?
Die entscheidenden Institutionen mit rechtsetzenden Kompetenzen in der EWG waren der Ministerrat (Rat der EWG), die Kommission und das Europäische Parlament, wobei der Ministerrat maßgeblich die Gesetzgebungshoheit innehatte. Die Kommission hatte das Initiativrecht für Gesetzesvorschläge und überwachte die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts. Das Parlament hatte zu Beginn lediglich eine beratende Funktion, welche im Laufe der Jahre und durch Vertragsänderungen gestärkt wurde. Der Europäische Gerichtshof diente als rechtsprechendes Organ und garantierte die Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Daneben bestanden weitere beratende und ausführende Organe wie der Wirtschafts- und Sozialausschuss.
Welche zentralen Rechtsakte konnte die EWG im Rahmen ihrer Kompetenzen erlassen?
Innerhalb ihres Kompetenzrahmens konnte die EWG verschiedene Arten von Rechtsakten erlassen, nämlich Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen. Verordnungen wirkten unmittelbar in allen Mitgliedstaaten und galten, ohne dass sie in nationales Recht umgesetzt werden mussten. Richtlinien hingegen mussten von den Mitgliedstaaten innerhalb einer festgelegten Frist umgesetzt werden und ließen dabei einen gewissen Spielraum bezüglich der Form und Mittel. Entscheidungen waren für die jeweils genannten Adressaten (Mitgliedstaaten, Unternehmen oder Einzelpersonen) verbindlich. Empfehlungen und Stellungnahmen waren rechtlich unverbindlich, konnten aber vor allem aus politischer Sicht eine Lenkwirkung entfalten.
Wie wurde die Einhaltung des EWG-Rechts durch die Mitgliedstaaten überwacht und gesichert?
Die Überwachung und Sicherstellung der Einhaltung des EWG-Rechts oblag insbesondere der Kommission, welche das Recht und die Pflicht hatte, bei Verstößen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einzuleiten. Dieses Verfahren konnte bis vor den Europäischen Gerichtshof geführt werden, der über die Feststellung einer Vertragsverletzung entschied und gegebenenfalls Maßnahmen zur Behebung der Rechtsverletzung anordnete. Im Laufe der Zeit wurden die Sanktionsmöglichkeiten erweitert, sodass im Wiederholungsfall sogar finanzielle Sanktionen gegen den betreffenden Staat verhängt werden konnten.
Inwiefern war der Schutz der Grundrechte im EWG-Recht verankert?
Der ursprüngliche EWG-Vertrag enthielt keine explizite Grundrechtscharta. Der Schutz der Grundrechte entwickelte sich in den ersten Jahrzehnten vor allem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der anerkannte, dass die Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze in die Gemeinschaftsrechtsordnung einbezogen sind. Dies wurde einerseits aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten, andererseits aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hergeleitet. Später wurden Grundrechte zunehmend in den Vertragstexten berücksichtigt und schließlich durch die Grundrechtecharta der Europäischen Union kodifiziert, auch wenn Letzteres erst mit der Nachfolgeorganisation EU Bedeutung erlangte.
Welche Mechanismen zur Streitbeilegung existierten innerhalb des EWG-Rechts?
Streitigkeiten im Rahmen des EWG-Rechts wurden vorrangig durch das Vorabentscheidungsverfahren (Art. 177 EWG-Vertrag, heute Art. 267 AEUV) und durch Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof beigelegt. Das Vorabentscheidungsverfahren erlaubte es nationalen Gerichten, Fragen zur Auslegung oder Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts an den EuGH zur Entscheidung vorzulegen, wodurch eine einheitliche Rechtsanwendung innerhalb der Mitgliedstaaten sichergestellt wurde. Daneben konnten auch direkte Klagen zwischen Mitgliedstaaten, gegen Organe der Gemeinschaft oder in speziellen Fällen von natürlichen und juristischen Personen erhoben werden. Der EuGH stellte so das zentrale Organ zur Streitbeilegung dar.