Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Rechtsbegriffe (allgemein)»Europäische Einigung

Europäische Einigung


Begriff und Entwicklung der Europäischen Einigung

Die Europäische Einigung bezeichnet einen historischen, politischen und vor allem rechtlichen Prozess, durch den europäische Staaten, insbesondere in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, eine immer engere Zusammenarbeit anstrebten und supranationale Strukturen schufen. Ziel der Europäischen Einigung ist die dauerhafte Sicherung von Frieden, die wirtschaftliche und politische Integration sowie die Schaffung eines gemeinsamen Rechtsraums in Europa.

Im rechtlichen Sinne umfasst die Europäische Einigung die Entstehung, Fortentwicklung und Ausgestaltung zwischenstaatlicher und überstaatlicher Institutionen, insbesondere der Europäischen Union (EU), und deren Vorläuferorganisationen, auf der Grundlage multilateraler Verträge sowie des sogenannten Unionsrechts. Der Begriff bezeichnet sowohl den rechtlichen Rahmen des Integrationsprozesses als auch dessen Inhalte und Auswirkungen auf das innerstaatliche und internationale Recht.

Historische Grundlagen und völkerrechtliche Rahmenbedingungen

Die Entwicklung der Europäischen Einigung im Völkerrecht

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs formierten sich erste Initiativen zur wirtschaftlichen und politischen Integration Europas. Zu den Grundlagen zählen vor allem die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Pariser Vertrag 1951), der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, Römische Verträge 1957) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG, ebenfalls 1957). Diese Organisationen wurden im Verlauf der Zeit zur Europäischen Union zusammengeführt.

Die Verträge, welche die einzelnen Entwicklungsschritte prägten, sind völkerrechtliche Abkommen, in denen sich die beteiligten Staaten zur Zusammenarbeit und zur Abgabe von Souveränitätsrechten verpflichten. Wesentliche Vertragswerke sind insbesondere:

  • Vertrag von Paris 1951 (EGKS)
  • Römische Verträge 1957 (EWG/EAG)
  • Einheitliche Europäische Akte 1986
  • Vertrag von Maastricht 1992 (Vertrag über die Europäische Union, EUV)
  • Vertrag von Amsterdam 1997
  • Vertrag von Nizza 2001
  • Vertrag von Lissabon 2007 (in Kraft seit 2009)

Diese Verträge legen sowohl institutionelle Strukturen als auch Entscheidungsmechanismen und Zuständigkeiten fest und bilden das Fundament für die rechtliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten.

Die Übergabe von Hoheitsrechten

Eine Besonderheit der Europäischen Einigung stellt die Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten auf supranationale Institutionen dar. Die Mitgliedstaaten verzichten im Rahmen des EU-Rechts teilweise auf eigene Reglungsbefugnisse und unterwerfen sich gemeinsamen Vorschriften, etwa im Bereich des Binnenmarktes oder der Währungsunion.

Die rechtliche Grundlage dieser Übertragung bildet das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung: Die Organe der EU können nur in jenen Bereichen eigenständig handeln, in denen ihnen durch die Mitgliedstaaten ausdrücklich Kompetenzen übertragen wurden (Art. 5 EUV).

Rechtsordnung der Europäischen Union als Ausdruck der Europäischen Einigung

Supranationalität und Rechtsquellen

Die Europäische Einigung unterscheidet sich von herkömmlicher, lediglich zwischenstaatlicher Zusammenarbeit durch den supranationalen Charakter der Europäischen Union. Das bedeutet, dass Unionsrecht in bestimmten Fällen Vorrang vor nationalem Recht hat und unmittelbare Wirkung entfalten kann.

Die wichtigsten Rechtsquellen der Europäischen Union, als Herzstück der Europäischen Einigung, sind:

  • Primärrecht: Die Gründungsverträge der EU (insbesondere EUV und AEUV) sowie ergänzende Protokolle und Grundrechtecharta.
  • Sekundärrecht: Verträge, Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse und Empfehlungen, die von den Organen der EU erlassen werden.
  • Tertiärrecht: Weitere Rechtsakte oder Einzelmaßnahmen auf Grundlage der Verträge.

Wirkungen des Unionsrechts

Das Unionsrecht ist unmittelbar anwendbar, wenn eine Bestimmung hinreichend klar, präzise und unbedingt ist (sog. „direkte Wirkung”). Nach dem Grundsatz des Vorrangs geht Unionsrecht in kollidierenden Fällen nationalem Recht vor („Vorrang des Unionsrechts”). Dies wurde von den Gerichten der Mitgliedstaaten und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wiederholt bestätigt.

Kompetenzen und Verfahrensmechanismen

Die EU verfügt über ausschließliche, geteilte und unterstützende Kompetenzen, die im AEUV (Art. 2-6) geregelt sind. Der Legitimationsrahmen für Rechtssetzung und die Kontrolle liegt bei den wichtigsten Organen:

  • Europäischer Rat: Gibt politische Leitlinien vor.
  • Rat der Europäischen Union und Europäisches Parlament: Gemeinsame Gesetzgebung.
  • Europäische Kommission: Initiativrecht und Überwachung der Umsetzung.
  • Gerichtshof der Europäischen Union: Auslegung und Sicherstellung der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts.

Rechtsfolgen der Europäischen Einigung in den Mitgliedstaaten

Transformation und Anwendung des Unionsrechts

Die Europäische Einigung zieht weitreichende rechtliche Folgen für die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nach sich. Während EU-Verordnungen unmittelbar gelten, müssen Richtlinien grundsätzlich in nationales Recht umgesetzt werden. Mit ihren Wirkungen prägt die Europäische Einigung sowohl das öffentliche Recht (z.B. im Verfassungs-, Verwaltungs-, Steuer- oder Wettbewerbsrecht) als auch das Privatrecht (z.B. im Verbraucherrecht, Gesellschaftsrecht oder Arbeitsrecht).

Kontrolle und Rechtsschutz

Der Europäische Gerichtshof sichert die Einheit und Kohärenz des Unionsrechts durch Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV), Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 ff. AEUV) sowie durch Individualklagen. Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen besitzen Klagebefugnisse vor dem Gericht der Europäischen Union und Gerichtshof, sofern sie unmittelbar und individuell betroffen sind.

Sonderformen der Integration und Ausnahmen

Opt-Outs und verstärkte Zusammenarbeit

Da nicht alle Mitgliedstaaten in gleichem Maße an der Integrationsdimension teilnehmen, existieren institutionalisierte Ausnahmen („Opt-Out”-Regelungen) etwa im Bereich der Währungsunion (Euro), des Schengen-Abkommens oder des Bereichs Justiz und Inneres. Darüber hinaus ermöglicht der Mechanismus der „verstärkten Zusammenarbeit” (Art. 20 EUV; Art. 326 ff. AEUV) interessierten Staaten, in Teilbereichen schneller gemeinsam voranzuschreiten.

Differenzierte Integrationsmuster

Das Prinzip der sogenannten „differenzierten Integration” ist ein rechtlich abgesichertes Element der Europäischen Einigung und hebt sich bewusst von einer starren Gleichbehandlung aller Mitgliedstaaten ab. Dies spiegelt die Vielfalt rechtlicher, wirtschaftlicher und politischer Ausgangslagen in Europa wider.

Rechtliche Bedeutung im internationalen Kontext

Die rechtlichen Auswirkungen der Europäischen Einigung beschränken sich nicht auf die Mitgliedstaaten, sondern betreffen auch Drittstaaten, insbesondere durch Assoziierungsabkommen, Freihandelszonen (z. B. EWR) und Außenvertretungsrechte der Europäischen Union. Die EU ist in bestimmten Bereichen völkerrechtlich eigenständige Vertragspartei und genießt internationale Rechtspersönlichkeit (Art. 47 EUV).

Literatur und weiterführende Informationen

Weitere tiefergehende Informationen zur Europäischen Einigung finden sich insbesondere in den offiziellen EU-Dokumenten, der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie in den einschlägigen wissenschaftlichen Kommentaren zu den EU-Verträgen.


Die umfassende rechtliche Betrachtung der Europäischen Einigung zeigt deren zentrale Bedeutung als komplexes Konstrukt zwischenstaatlicher und supranationaler Integration, das über die Jahre ein einzigartiges System des europäischen Rechts geschaffen hat.

Häufig gestellte Fragen

Wie erfolgt der Beitritt eines Staates zur Europäischen Union aus rechtlicher Sicht?

Der Beitritt eines Staates zur Europäischen Union (EU) ist im Vertrag über die Europäische Union (EUV), insbesondere in Art. 49 EUV, geregelt. Ein beitrittswilliger Staat muss zunächst die sogenannten Kopenhagener Kriterien erfüllen, die sich auf stabile Institutionen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie eine funktionierende Marktwirtschaft und die Übernahme des EU-Rechts (Acquis communautaire) beziehen. Die förmliche Beitrittsanfrage wird beim Rat der Europäischen Union eingereicht, der dann die Europäische Kommission um Stellungnahme bittet. Nach einer positiven Bewertung beginnen Beitrittsverhandlungen, die in einzelne Kapitel unterteilt sind und inhaltlich sämtliche EU-Politikbereiche abdecken müssen. Nach Abschluss der Verhandlungen müssen sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat einstimmig dem Beitritt zustimmen. Abschließend wird ein Beitrittsvertrag ausgehandelt, der von allen EU-Mitgliedstaaten und dem Beitrittsstaat ratifiziert werden muss, in der Regel nach Maßgabe ihrer jeweiligen verfassungsrechtlichen Anforderungen. Erst nach Abschluss dieses mehrstufigen Prozesses wird der Staat offiziell Mitglied der EU.

Wie wird das Verhältnis zwischen Europäischem Recht und nationalem Recht geregelt?

Das Verhältnis zwischen europäischem und nationalem Recht wird vorrangig durch zwei Grundsätze bestimmt: den Anwendungsvorrang und die unmittelbare Geltung des EU-Rechts. Der Anwendungsvorrang besagt, dass Unionsrecht in Fällen eines Konflikts grundsätzlich vor nationalem Recht Anwendung findet, selbst vor Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten, soweit es um die Umsetzung von EU-Rechten und -Pflichten geht. Die unmittelbare Geltung ermöglicht es Einzelpersonen, sich vor nationalen Gerichten auf bestimmtes EU-Recht direkt zu berufen, sofern es hinreichend bestimmt und unbedingt ist. Diese Grundsätze sind nicht ausdrücklich in den europäischen Verträgen geregelt, sondern wurden vor allem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entwickelt. Die nationale Umsetzung des EU-Rechts erfolgt durch Transformations- oder Geltungsanweisungen in den Mitgliedstaaten, doch im Falle eines Konflikts ist das EU-Recht gemäß dem Anwendungsvorrang anzuwenden.

Wie funktioniert das ordentliche Gesetzgebungsverfahren innerhalb der EU?

Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ist das zentrale Verfahren zur Gesetzgebung in der EU und ist primär in Art. 294 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelt. Es sieht die gleichberechtigte Mitwirkung des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union vor (sogenanntes Mitentscheidungsverfahren). Der Gesetzgebungsprozess beginnt mit einem Vorschlag der Europäischen Kommission, der sowohl an das Parlament als auch an den Rat gerichtet wird. Nach der ersten Lesung kann das Parlament Änderungsvorschläge machen, welche der Rat akzeptieren oder ablehnen kann. Kommt es zu keiner Einigung, folgt eine zweite Lesung; eine fortbestehende Uneinigkeit führt zur Einberufung eines Vermittlungsausschusses. Erst nach Einigung im Vermittlungsausschuss und einer dritten Lesung in beiden Organen kann das Gesetz verabschiedet werden. Die Einzelheiten des Verfahrens, einschließlich Fristen, Anhörungsrechte und Abstimmungsmodalitäten, sind detailliert im AEUV geregelt.

Welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der europäischen Einigung?

Der Europäische Gerichtshof mit Sitz in Luxemburg ist das oberste rechtsprechende Organ der EU, dessen Aufgabe es ist, die einheitliche Auslegung und Anwendung des EU-Rechts sicherzustellen. Seine Zuständigkeiten umfassen u.a. Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten, Nichtigkeitsklagen, Untätigkeitsklagen, Vorabentscheidungsersuchen nationaler Gerichte und Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Gerichts der EU. Die Vorabentscheidungsverfahren nehmen eine besondere Rolle ein, da sie die Zusammenarbeit zwischen nationalen Gerichten und dem EuGH fördern und so eine einheitliche Rechtsanwendung in allen Mitgliedstaaten gewährleisten. Damit ist der EuGH ein zentraler Akteur für die Rechtsangleichung innerhalb der Union und trägt wesentlich zum Integrationsprozess bei.

Wie ist die Rechtssetzungskompetenz zwischen der EU und den Mitgliedstaaten aufgeteilt?

Die Kompetenzverteilung innerhalb der EU ist in den Art. 2-6 AEUV festgelegt und unterscheidet zwischen ausschließlichen, geteilten und unterstützenden Kompetenzen. Ausschließliche Zuständigkeiten liegen ausschließlich bei der EU und betreffen etwa die Zollunion oder die Wettbewerbsregeln für den Binnenmarkt. Bei geteilten Zuständigkeiten (z.B. Binnenmarkt, Verbraucher- oder Umweltpolitik) können sowohl EU als auch Mitgliedstaaten gesetzgeberisch tätig werden, wobei das Recht der EU im Kollisionsfall Vorrang hat. Unterstützende Kompetenzen (z.B. Bildung, Kultur) erlauben der EU nur Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der nationalen Politik. Entscheidend ist der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung aus Art. 5 EUV: Die EU darf nur innerhalb der ihr durch die Verträge übertragenen Zuständigkeiten tätig werden.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen für Staaten, sich aus der Europäischen Union zurückzuziehen?

Ein Austritt aus der EU ist seit dem Vertrag von Lissabon durch Art. 50 EUV ausdrücklich geregelt. Dieser Artikel sieht vor, dass jeder Mitgliedstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorgaben beschließen kann, aus der Union auszutreten. Es muss eine Austrittserklärung beim Europäischen Rat eingereicht werden, woraufhin Verhandlungen über einen Austrittsvertrag beginnen, der die Modalitäten des Austritts sowie das Verhältnis zwischen dem ausscheidenden Staat und der EU regelt. Der Austrittsvertrag wird üblicherweise vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments abgeschlossen. Sollte kein Vertrag zustande kommen, endet die Mitgliedschaft automatisch zwei Jahre nach der Austrittserklärung, sofern sich der Europäische Rat und der austretende Staat nicht einstimmig auf eine Verlängerung einigen.