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Erwerbsgenossenschaften


Begriff und rechtliche Grundlagen der Erwerbsgenossenschaften

Definition der Erwerbsgenossenschaft

Die Erwerbsgenossenschaft ist eine besondere Form der eingetragenen Genossenschaft im deutschen Recht, deren Hauptzweck die wirtschaftliche Förderung ihrer Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb ist. Im Gegensatz zu anderen Vereinigungstypen wie Vereinen oder Kapitalgesellschaften verfolgt sie primär das Ziel, ihren Mitgliedern einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen. Der Zusammenschluss erfolgt insbesondere zur Erzielung eines gemeinschaftlichen Erwerbs oder einer gemeinsamen Wirtschaft durch kooperative Selbsthilfe.

Historische Entwicklung

Erwerbsgenossenschaften entstanden im 19. Jahrhundert im Zuge der sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen der Industrialisierung. Sie entwickelten sich aus der Idee der Selbsthilfe und fanden in Deutschland unter anderem durch die Werke von Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen weite Verbreitung. Der Gesetzgeber hat mit dem Genossenschaftsgesetz (GenG) erstmals 1867 einen umfassenden rechtlichen Rahmen geschaffen, der ständige Anpassungen und Reformen erfuhr.

Rechtsform und rechtliche Einordnung

Eintragung und Rechtsfähigkeit

Die Erwerbsgenossenschaft ist gemäß § 17 GenG eine rechtsfähige Körperschaft des privaten Rechts. Die Rechtsfähigkeit erlangt sie durch die Eintragung in das Genossenschaftsregister. Bis zur Eintragung haftet sie wie eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Erst mit der Eintragung ist die Genossenschaft Trägerin von Rechten und Pflichten.

Abgrenzung zu anderen Gesellschaftsformen

Erwerbsgenossenschaften unterscheiden sich von Kapitalgesellschaften wie der GmbH oder AG durch ihre Mitgliederorientierung („Personengesellschaftselemente“) und den Förderauftrag. Anders als eine GbR oder OHG besitzen sie eine strikte Trennung von Mitglieder- und Gesellschaftsvermögen sowie eine ausgeprägte demokratische Struktur („ein Mitglied – eine Stimme“).

Zweck und Tätigkeit

Der gesetzlich vorgegebene Zweck von Erwerbsgenossenschaften ist die wirtschaftliche Förderung ihrer Mitglieder, insbesondere zur Sicherung oder Verbesserung deren Erwerbstätigkeit, Absatz- oder Bezugsbedingungen (vgl. § 1 Abs. 1 GenG). Die Genossenschaft kann dabei sämtliche wirtschaftlichen Tätigkeiten ausüben, sofern sie zum Erreichen des Förderzwecks erforderlich sind.

Mitgliedschaft, Rechte und Pflichten

Erwerb und Beendigung der Mitgliedschaft

Mitglied kann jede natürliche oder juristische Person sowie eine Personengesellschaft werden. Der Beitritt erfolgt durch Aufnahmebeschluss und Eintragung ins Mitgliederverzeichnis. Die Mitgliedschaft endet durch Kündigung, Ausschluss, Tod (bei natürlichen Personen) oder Auflösung der juristischen Person.

Rechte der Mitglieder

  • Teilnahmerecht an der Generalversammlung: Jedes Mitglied hat Rede-, Antrags- und Stimmrecht.
  • Wahlrecht: Mitglieder wirken an der Wahl von Vorstand und Aufsichtsrat mit.
  • Informationsrecht: Mitglieder können Einsicht in die Jahresabschlüsse und Protokolle der Versammlungen nehmen.
  • Anspruch auf Überschussbeteiligung: Im Erfolgsfall können Mitglieder am Jahresüberschuss beteiligt werden (sog. Dividende).

Pflichten der Mitglieder

  • Leistung der Einlagesumme: Jedes Mitglied ist verpflichtet, einen nach der Satzung festgelegten Geschäftsanteil zu übernehmen.
  • Nachschusspflicht: Je nach Satzung kann eine beschränkte oder unbeschränkte Nachschusspflicht im Insolvenzfall bestehen (§ 22 GenG).
  • Treuepflicht: Mitglieder müssen die Genossenschaft und deren Zweck fördern.

Organe der Erwerbsgenossenschaft

Generalversammlung

Die Generalversammlung ist das oberste Beschlussorgan und trifft alle wesentlichen Entscheidungen, etwa zur Gewinnverwendung, Satzungsänderung oder Auflösung der Genossenschaft.

Vorstand

Der Vorstand leitet die Geschäfte der Genossenschaft in eigener Verantwortung und vertritt sie nach außen. Die Bestellung und Abberufung des Vorstands erfolgen durch den Aufsichtsrat (§ 24, § 27 GenG).

Aufsichtsrat

Der Aufsichtsrat überwacht die Tätigkeit des Vorstands und ist Vermittlungsstelle bei Konflikten. In kleinen Genossenschaften kann der Aufsichtsrat unter bestimmten Voraussetzungen entfallen (§ 36 GenG).

Haftung und Insolvenz

Haftung der Mitglieder

Regelmäßig haftet das einzelne Mitglied nur mit der übernommenen Einlage (beschränkte Haftung). Weitergehende Haftung, etwa Nachschusspflichten, sind satzungsmäßig möglich. Im Insolvenzfall haftet grundsätzlich das Genossenschaftsvermögen.

Insolvenz und Liquidation

Im Falle der Insolvenz gelten die Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO). Die Auflösung der Erwerbsgenossenschaft erfolgt durch Beschluss der Generalversammlung, durch Zeitablauf oder durch gerichtliche Entscheidung bei bestimmten Verstößen gegen das Gesetz oder die Satzung.

Prüfungswesen und Kontrolle

Pflichtprüfung

Erwerbsgenossenschaften unterliegen der Pflicht zur regelmäßigen Prüfung nach § 53 Abs. 1 GenG. Die Prüfung dient der Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung.

Prüfungsverbände

Die vorgeschriebenen Prüfungen werden durch zugelassene Prüfungsverbände durchgeführt. Eine Mitgliedschaft in einem Prüfungsverband ist obligatorisch (§ 54 GenG). Ziel ist die Sicherstellung ordnungsgemäßer Geschäftsführung und der Schutz des Genossenschaftsvermögens.

Besteuerung der Erwerbsgenossenschaft

Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer

Als Kapitalgesellschaft unterliegt die Erwerbsgenossenschaft der Körperschaftsteuer sowie regelmäßig der Gewerbesteuer. Besonderheiten bestehen beim Ausweis und der Besteuerung der genossenschaftlichen Rückvergütung.

Umsatzsteuerrechtliche Behandlung

Die Erwerbsgenossenschaft gilt umsatzsteuerrechtlich als Unternehmer. Umsätze an Nichtmitglieder sind steuerpflichtig; Umsätze an Mitglieder sind grundsätzlich ebenso steuerbar und steuerpflichtig.

Auflösung und Beendigung

Die Auflösung der Erwerbsgenossenschaft bedarf eines Beschlusses durch die Generalversammlung mit qualifizierter Mehrheit, es sei denn, die Satzung sieht andere Regelungen vor. Alternativ kann die Auflösung auch durch Eintritt eines in der Satzung bestimmten Ereignisses oder auflösendes Zeitmoment erfolgen. Nach der Auflösung folgt die Liquidation durch die bestellten Liquidatoren.

Literatur

  • Genossenschaftsgesetz (GenG)
  • H. Schulze-Delitzsch: Genossenschaftswesen in Deutschland
  • H.-J. Bärwald: Genossenschaftsrecht, Lehrbuch

Hinweis: Dieser Beitrag stellt eine allgemeine Darstellung dar und ersetzt keine qualifizierte Rechtsberatung im Einzelfall.

Häufig gestellte Fragen

Welche grundlegenden rechtlichen Vorschriften regeln die Gründung von Erwerbsgenossenschaften in Deutschland?

Die Gründung von Erwerbsgenossenschaften in Deutschland ist im Genossenschaftsgesetz (GenG) geregelt. Zur Gründung ist grundsätzlich ein schriftlicher Genossenschaftsvertrag (Satzung) erforderlich, der bestimmte Mindestangaben wie den Zweck der Genossenschaft, die Firma, den Sitz und den Geschäftsanteil enthalten muss (§ 6 GenG). Eine Erwerbsgenossenschaft kann nur gegründet werden, wenn sich mindestens drei Gründungsmitglieder (natürliche oder juristische Personen) zusammenschließen (§ 4 GenG). Die Gründung bedarf der notariellen Beurkundung nicht, allerdings ist die Eintragung in das Genossenschaftsregister beim zuständigen Amtsgericht zwingend vorgeschrieben und wirkt konstitutiv, das heißt, die Genossenschaft entsteht rechtlich erst mit der Eintragung (§ 11 GenG). Ebenfalls erforderlich ist die Feststellung durch einen Prüfungsverband gemäß § 11 Abs. 2 GenG. Zu den weiteren Gründungsvoraussetzungen gehören die Aufstellung eines Gründungsberichts und die Durchführung einer Gründungsprüfung durch einen anerkannten genossenschaftlichen Prüfungsverband. Nach dem Prüfungsvermerk und erfolgreicher Eintragung erhält die Erwerbsgenossenschaft ihre volle Rechtsfähigkeit.

Welche Pflichten ergeben sich für Mitglieder einer Erwerbsgenossenschaft aus rechtlicher Sicht?

Mitglieder einer Erwerbsgenossenschaft sind verpflichtet, die in der Satzung festgelegten Geschäftsanteile zu übernehmen und darauf gemäß § 7 und § 15 GenG Einlagen zu leisten. Die Haftung richtet sich nach der Satzung, wobei die Haftung grundsätzlich auf das Geschäftsvermögen der Genossenschaft beschränkt ist, sofern durch die Satzung keine Nachschusspflicht gemäß § 22 GenG geregelt wurde. Mitglieder sind außerdem zur aktiven Mitwirkung in der Generalversammlung verpflichtet, in der grundlegende Entscheidungen wie Satzungsänderungen, Feststellung des Jahresabschlusses und Bestellung der Organe getroffen werden (§ 43 GenG). Darüber hinaus haben sie Mitwirkungspflichten bei der Bestellung von Vorständen und Aufsichtsräten sowie etwaigen Prüfungen durch den Prüfungsverband. Bei Pflichtverstößen kann der Ausschluss aus der Genossenschaft gemäß § 68 GenG erfolgen.

Wie ist die Haftung der Genossenschaft und ihrer Mitglieder rechtlich ausgestaltet?

Die Haftung der Erwerbsgenossenschaft ist in erster Linie auf das Vermögen der Genossenschaft beschränkt (§ 17 GenG). Gläubiger können also grundsätzlich nur auf das Geschäftsvermögen zugreifen. Eine persönliche Haftung der Mitglieder besteht regelmäßig nicht, außer die Satzung sieht eine Nachschusspflicht vor (§ 22 GenG). Dann haften die Mitglieder im Fall der Insolvenz oder Liquidation bis zur Höhe der jeweiligen Nachschusspflicht. Die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder haften nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts insbesondere bei Pflichtverletzungen (§ 34 GenG) und können gegebenenfalls auch persönlich in Anspruch genommen werden, sofern grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz nachgewiesen wird.

Welche rechtlichen Anforderungen müssen die Organe einer Erwerbsgenossenschaft erfüllen?

Die Organe der Erwerbsgenossenschaft-Vorstand, Aufsichtsrat (bei mehr als 20 Mitgliedern zwingend, § 9 GenG) und Generalversammlung-unterliegen gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich ihrer Zusammensetzung, Bestellung und Abberufung. Der Vorstand vertritt die Genossenschaft gerichtlich und außergerichtlich (§ 24 GenG) und muss aus mindestens zwei natürlichen Personen bestehen (§ 24 Abs. 2 GenG; Ausnahmen für kleine Genossenschaften möglich). Für die Bestellung und Überwachung des Vorstands ist, sofern ein Aufsichtsrat besteht, dieser zuständig. Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen (§ 38 GenG). Das Mindestquorum und die Amtszeiten sind in der Satzung zu regeln, ebenso wie die Zuständigkeiten der Generalversammlung. Die Geschäftsführung und die satzungsgemäßen Organe unterliegen den Sorgfalts- und Treuepflichten auf Basis der §§ 24 ff., 36 ff. und 43 GenG.

Welche rechtlichen Besonderheiten gelten für die Aufnahme und den Ausschluss von Mitgliedern?

Die Aufnahme von Mitgliedern richtet sich nach den Bestimmungen der Satzung (§ 15 GenG). Diese muss klare Regelungen zu den Voraussetzungen und zum Verfahren der Mitgliedschaft enthalten, da die Aufnahme auf Antrag durch Beschluss des Vorstands erfolgt. Der Ausschluss eines Mitglieds ist nur aus wichtigen, in der Satzung näher zu definierenden Gründen möglich (§ 68 GenG), wie etwa schuldhafte Verletzung von Pflichten oder Schädigung der Genossenschaft. Das ausgeschlossene Mitglied kann gegen die Entscheidung Beschwerde erheben (internes Rechtsmittel) und – in Einzelfällen – auch den Rechtsweg beschreiten. Beim Ausscheiden eines Mitglieds besteht ein Anspruch auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens (§ 73 GenG).

Welche Prüfungs- und Offenlegungspflichten bestehen für Erwerbsgenossenschaften?

Erwerbsgenossenschaften sind nach § 53 GenG zur regelmäßigen Prüfung durch einen genossenschaftlichen Prüfungsverband verpflichtet. Die Prüfung umfasst sowohl die wirtschaftlichen Verhältnisse als auch die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung; sie ist mindestens alle zwei Jahre durchzuführen (§ 54 GenG). Weiterhin bestehen Offenlegungspflichten nach dem Handelsgesetzbuch (HGB), insbesondere die Pflicht zur Aufstellung eines Jahresabschlusses (samt Lagebericht bei größeren Genossenschaften) sowie zur Offenlegung beim Bundesanzeiger (§ 325 HGB in Verbindung mit § 336 HGB). Die Einhaltung dieser Prüfungspflichten sichert die Transparenz und schützt die Mitglieder- und Gläubigerinteressen.

Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen kann eine Erwerbsgenossenschaft aufgelöst werden?

Eine Erwerbsgenossenschaft kann durch Beschluss der Generalversammlung (§ 76 GenG), durch Ablauf der in der Satzung bestimmten Zeit, durch gerichtliche Entscheidung oder durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst werden. Die Liquidation erfolgt nach den Vorschriften des Genossenschaftsgesetzes (§§ 78 ff. GenG) durch Liquidatoren, welche die laufenden Geschäfte abwickeln, Forderungen eintreiben, Verbindlichkeiten begleichen und das verbleibende Vermögen nach Maßgabe der Satzung an die Mitglieder verteilen. Nach Abschluss der Liquidation ist die Genossenschaft im Genossenschaftsregister zu löschen (§ 93 GenG). Besondere Vorschriften gelten im Insolvenzfall, wobei das Insolvenzrecht (§§ 11 ff. InsO) Anwendung findet.