Begriff und Allgemeine Definition des Erlassvertrags
Ein Erlassvertrag ist im deutschen Zivilrecht ein schuldrechtlicher Vertrag, durch den der Gläubiger dem Schuldner mit dessen Zustimmung die ihm zustehende Forderung ganz oder teilweise erlässt (§ 397 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Der Erlassvertrag führt zum Erlöschen des betreffenden Schuldverhältnisses und hat regelmäßig eine bedeutende Rolle im Rahmen der Schuldentilgung oder bei außergerichtlichen Einigungen.
Der Erlassvertrag zählt zu den sogenannten Verfügungsgeschäften, da er unmittelbar auf die Änderung, Übertragung, Belastung oder Aufhebung eines Rechtes gerichtet ist. Anders als das Verpflichtungsgeschäft, das erst zur Entstehung einer Forderung führt, zielt der Erlassvertrag auf deren Beendigung ab.
Gesetzliche Grundlagen des Erlassvertrags
Der gesetzliche Rahmen für den Erlassvertrag findet sich vornehmlich in § 397 BGB. Dort heißt es:
(1) Erlischt das Schuldverhältnis durch Vertrag, so wird vermutet, dass die Forderung erlassen ist.
(2) Die Vorschriften über die Leistung an Erfüllungs Statt und erfüllungshalber finden entsprechende Anwendung.
Zusätzlich zu § 397 BGB können vereinzelt weitere Vorschriften Bedeutung erlangen, insbesondere bei Spezialkonstellationen oder im Zusammenhang mit anderen schuldrechtlichen Verträgen.
Voraussetzungen und Vertragsschluss
Übereinstimmende Willenserklärungen
Voraussetzung für das Wirksamwerden eines Erlassvertrags ist gemäß § 397 Abs. 1 BGB das Vorliegen zweier übereinstimmender Willenserklärungen von Gläubiger und Schuldner (Einigung, sog. Konsensualvertrag). Der Gläubiger erklärt, dass er auf seine Forderung verzichtet, der Schuldner stimmt diesem Forderungsverzicht zu.
Zugang und Annahme
Der Erlassvertrag kommt erst mit Annahme durch den Schuldner zustande. Einseitige Willenserklärungen, wie insbesondere bloße Verzichtserklärungen ohne Annahme durch den Schuldner, sind keine Erlassverträge im Sinne des Gesetzes.
Formvorschriften
Für den Erlassvertrag gilt grundsätzlich Formfreiheit. Sofern jedoch die zugrunde liegende Forderung einer besonderen Form bedarf (zum Beispiel notarielle Beurkundung), muss auch der Erlassvertrag diese Form wahren. Zudem können aus anderen Rechtsvorschriften oder aus dem Inhalt des Vertrags selbst besondere Formerfordernisse folgen.
Rechtswirkungen und Rechtsfolgen
Erlöschen der Forderung
Durch den wirksam geschlossenen Erlassvertrag erlischt das Schuldverhältnis vollständig oder – bei teilweisem Erlass – in entsprechendem Umfang. Mit Wegfall der Forderung verliert der Gläubiger jeglichen Anspruch gegen den Schuldner bezüglich des ursprünglich bestehenden Anspruchsgegenstands.
Wirkung auf Sicherheiten und Nebenrechte
Mit dem Erlöschen der Hauptforderung erlöschen grundsätzlich auch sämtliche akzessorischen Sicherheiten und Nebenrechte (z. B. Bürgschaften, Hypotheken, Pfandrechte; vgl. § 401 BGB analog und § 1252 BGB). Bestehen hingegen Sicherheiten, die selbständig (nicht akzessorisch) ausgestaltet sind, bleiben diese unberührt, soweit nichts anderes vereinbart wurde.
Rückforderungsansprüche
Erfolgt der Erlass irrtümlich oder unter Anfechtbarkeitstatbeständen, kann – bei wirksamer Anfechtung – der ursprüngliche Rechtszustand wiederhergestellt und gegebenenfalls Rückgewähr verlangt werden. Die einschlägigen Vorschriften der §§ 119 ff. BGB über Willensmängel finden auch auf Erlassverträge Anwendung.
Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten
Unterschied zum Verzicht
Der Erlassvertrag ist vom einseitigen Forderungsverzicht (§ 397 BGB, aber auch analoge Anwendung bei bestimmten Gestaltungsrechten) zu unterscheiden. Während der Verzicht ohne Zustimmung des Schuldners wirksam ist, bedarf es beim Erlassvertrag stets einer Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner.
Unterschied zu Erfüllung und Leistung an Erfüllungs Statt
Die Erfüllung (§ 362 BGB) führt zur Tilgung der Schuld durch Bewirken der geschuldeten Leistung, der Erlassvertrag hingegen durch eine Einigung über den Wegfall der Forderung selbst. Bei der Leistung an Erfüllungs Statt (§ 364 BGB) wird eine andere als die geschuldete Leistung erbracht und als Tilgung vereinbart.
Besonderheiten und Sonderformen
Teilweise Erlassvereinbarung
Es besteht die Möglichkeit, einen teilweisen Erlass zu vereinbaren. Dies hat zur Folge, dass die betreffende Forderung nur in dem Umfang erlischt, wie der Erlassvertrag dies bestimmt.
Bedingter oder befristeter Erlass
Ein Erlass kann aufschiebend bedingt oder befristet vereinbart werden. Die Wirkung tritt dann ein, wenn die vereinbarte Bedingung eintritt oder der bestimmte Zeitpunkt erreicht wird.
Zusammenhang mit Vergleichen
Im Rahmen von Vergleichen (§ 779 BGB) kann ein Erlassvertrag als Teil der getroffenen Vereinbarung fungieren, wenn mindestens auf einen Teil der Forderungen verzichtet wird. In diesem Zusammenhang wird der Erlassvertrag oftmals modular eingesetzt.
Anwendungsbeispiele und Praxisrelevanz
Außergerichtliche Einigung im Zivilprozess
Erlassverträge finden häufig im Rahmen außergerichtlicher Einigungen Anwendung, um langwierige Verfahren zu vermeiden und Streitigkeiten pragmatisch zu lösen.
Restrukturierungen und Insolvenzen
Im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen oder insolvenzrechtlichen Verfahren werden Erlassverträge zur Schuldbereinigung und zur Befreiung von Verbindlichkeiten genutzt.
Schenkungsrechtliche Bezüge
Der Erlass einer Forderung kann unter Umständen auch als Schenkung (§ 516 BGB) qualifiziert werden, insbesondere wenn keine Gegenleistung erfolgt und eine entsprechende Schenkungsabsicht vorliegt. In solchen Fällen können zusätzlich schenkungsrechtliche Voraussetzungen – beispielsweise hinsichtlich Formerfordernissen – relevant werden.
Grenzen und Unwirksamkeit
Sittenwidrigkeit und Gesetzesverstoß
Wie jeder schuldrechtliche Vertrag kann auch ein Erlassvertrag dann nichtig sein, wenn er gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten (§§ 134, 138 BGB) verstößt.
Anfechtung und Rückabwicklung
Wird ein Erlassvertrag durch Täuschung, Drohung oder Irrtum erwirkt, kann er gemäß §§ 119 ff., 123 BGB angefochten werden. Ist die Anfechtung erfolgreich, lebt die ursprüngliche Forderung wieder auf.
Internationale Aspekte und Kollisionsrecht
Im internationalen Rechtsverkehr bestimmt sich die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf den Erlassvertrag grundsätzlich nach den allgemeinen kollisionsrechtlichen Vorschriften, insbesondere nach der Rom I-Verordnung (VO (EG) Nr. 593/2008). Für Schuldverhältnisse mit Auslandsberührung ist das maßgebliche Recht zu bestimmen, um Wirksamkeit und Form des Erlassvertrags rechtssicher zu beurteilen.
Zusammenfassung
Der Erlassvertrag ist ein zentrales und praxisrelevantes Institut des deutschen Schuldrechts, durch das Forderungen einvernehmlich zwischen Gläubiger und Schuldner ganz oder teilweise aufgehoben werden können. Die rechtlichen Voraussetzungen, die sich aus § 397 BGB und weiteren Bestimmungen ergeben, bedingen besondere Aufmerksamkeit bei Vertragsgestaltung und -abwicklung. Seine praxisnahe Bedeutung erstreckt sich von alltäglichen Einigungen bis hin zu komplexen unternehmerischen Restrukturierungen und insolvenzrechtlichen Lösungen. Eine sorgfältige Beachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen und Abgrenzungen zu anderen Instituten ist unerlässlich, um die beabsichtigten Wirkungen zuverlässig zu erreichen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Formerfordernisse gelten für den Abschluss eines Erlassvertrags?
Für den Abschluss eines Erlassvertrags (§ 397 BGB) sieht das Gesetz grundsätzlich keine besondere Form vor. Das bedeutet, dass ein Erlassvertrag formlos, also auch mündlich oder konkludent, geschlossen werden kann. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn das zugrunde liegende Schuldverhältnis seinerseits einer bestimmten Form bedarf (z.B. bei einer Grundstücksveräußerung gemäß § 311b BGB), oder wenn für den Erlassvertrag selbst eine besondere Form vereinbart wurde. In der Praxis sollte aus Gründen der Beweisbarkeit jedoch in den meisten Fällen eine schriftliche Fixierung erfolgen, da die Partei, die sich auf den Erlass beruft, diesen nachweisen muss. Insbesondere bei größeren Forderungen oder bei mehreren Beteiligten wird die Schriftform gewählt. Darüber hinaus sollten auch gesellschaftsrechtliche oder steuerliche Auswirkungen bedacht werden, die je nach Einzelfall und Sachverhalt zusätzlich formelle Vorgaben auslösen können.
Wer ist berechtigt, einen Erlassvertrag abzuschließen?
Einen Erlassvertrag können grundsätzlich nur die Parteien des bestehenden Schuldverhältnisses schließen, das heißt der Gläubiger und der Schuldner der betroffenen Forderung. Bestehen auf einer oder beiden Seiten Vertretungsverhältnisse, so müssen die entsprechenden Vertretungsregeln eingehalten werden (z.B. Vertretungsmacht bei juristischen Personen oder bei Minderjährigen). Ist die Forderung gepfändet oder abgetreten, kann gegebenenfalls ausschließlich der Pfändungsgläubiger oder der neue Forderungsinhaber auf die Forderung verzichten. Besonderheiten ergeben sich außerdem, wenn die Forderung der Insolvenzmasse unterliegt; in diesem Fall ist der Insolvenzverwalter zur Verfügung über die Forderung berechtigt. Schließlich darf ein Erlassvertrag nicht gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstoßen, andernfalls wäre er wegen Sittenwidrigkeit oder Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz nichtig.
Welche Wirkungen entfaltet ein Erlassvertrag im Hinblick auf Nebenforderungen und Sicherheiten?
Der Erlassvertrag bezieht sich in erster Linie auf die Hauptforderung. Nebenforderungen wie Zinsen, Vertragsstrafen oder Kosten werden in der Regel ebenfalls erlassen, es sei denn, im Vertrag wird ausdrücklich eine abweichende Regelung getroffen. Ebenso erlöschen grundsätzlich Sicherheiten, die für die Hauptforderung bestellt wurden, weil deren Bestehen an die Hauptforderung gebunden ist (Akzessorietät). Das betrifft sowohl Bürgschaften als auch dingliche Sicherheiten wie Hypotheken oder Pfandrechte. Allerdings kann abweichend vereinbart werden, dass bestimmte Nebenrechte oder Sicherheiten erhalten bleiben. Die Reichweite des Erlasses sollte daher eindeutig geregelt werden, um Missverständnisse oder nachträgliche Streitigkeiten zu vermeiden.
Kann der Erlass einer Forderung angefochten werden?
Der Erlass einer Forderung kann grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Anfechtungsrechts (§§ 119 ff. BGB) angefochten werden, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Dies ist etwa der Fall, wenn der Gläubiger beim Abschluss des Erlassvertrags einem Irrtum über eine wesentliche Eigenschaft erlag, er arglistig getäuscht oder widerrechtlich bedroht wurde. In einem solchen Fall wird der Erlassvertrag rückwirkend (ex tunc) unwirksam und die ursprüngliche Forderung lebt wieder auf. Zusätzlich kann der Erlassvertrag im Insolvenzfall unter bestimmten Voraussetzungen nach den Anfechtungsvorschriften der Insolvenzordnung (z.B. §§ 129 ff. InsO) vom Insolvenzverwalter angefochten werden, insbesondere wenn der Erlass in der kritischen Zeit vor Insolvenzantragstellung erfolgte und Gläubiger benachteiligt wurden.
Ist eine teilweise Erlassung einer Forderung durch einen Erlassvertrag möglich?
Ja, eine Forderung kann durch einen Erlassvertrag auch nur teilweise erlassen werden, soweit dies ausdrücklich vereinbart wird („Teil-Erlass“ bzw. „Teilerlassvertrag“). In diesem Fall wird die Forderung lediglich in der vereinbarten Höhe reduziert, der Restbestand bleibt bestehen. Solche Vereinbarungen sind besonders in Sanierungs- oder Vergleichssituationen praxisrelevant, etwa wenn ein Schuldner mehreren Gläubigern einen prozentualen Erlass anbietet. Auch für den Teil-Erlass gelten keine besonderen Formerfordernisse. Die Wirkung beschränkt sich auf den vereinbarten Teil; Nebenforderungen und Sicherheiten erlöschen insoweit, wie sie auf den erlassenen Teil der Forderung entfallen.
Wie wirkt sich ein Erlassvertrag auf Gesamtschuldner aus?
Im Falle einer Gesamtschuld (§§ 421 ff. BGB) wirkt der Erlass einer Forderung durch den Gläubiger gegenüber einem der Gesamtschuldner grundsätzlich auf alle Schuldner, es sei denn, der Gläubiger erklärt ausdrücklich, dass der Erlass nur gegenüber dem betreffenden Schuldner gelten soll (§ 423 BGB). Erlässt der Gläubiger beispielsweise einem von drei Gesamtschuldnern die Schuld, so profitieren auch die übrigen davon, sofern keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde. Daneben besteht für die Gesamtschuldner ein Gesamtschuldnerausgleichsrecht untereinander, wodurch der von der Forderung befreite Schuldner nach bestimmten Regeln gegenüber den übrigen Schuldnern ausgleichspflichtig werden kann.
Kann ein Erlassvertrag rückgängig gemacht werden?
Ein abgeschlossener Erlassvertrag kann nicht einseitig vom Gläubiger oder Schuldner widerrufen werden; er ist verbindlich. Ein Rückgängigmachen ist nur mit Zustimmung aller Vertragsparteien möglich, indem der Erlassvertrag durch einen neuen entsprechenden Vertrag aufgehoben wird. Daneben ist eine Rückgängigmachung im Wege der Anfechtung, bei Vorliegen entsprechender Gründe (Irrtum, Täuschung, Drohung) möglich – dann wirkt die Anfechtung rückwirkend und die Forderung lebt wieder auf. Zudem kommt die Rückforderung des erlassenen Betrags nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 BGB) in Betracht, etwa wenn die Voraussetzungen des Erlasses im Nachhinein entfallen (z.B. bei auflösend bedingten Erlassverträgen).