Begriff und Bedeutung der eigenwirtschaftlichen Verrichtung
Die eigenwirtschaftliche Verrichtung ist ein zentrales Rechtskonzept, das insbesondere im Zusammenhang mit der Abgrenzung zwischen privatem Handeln und dem Handeln im Rahmen einer – vor allem dienstlichen – Tätigkeit von Bedeutung ist. Dieser Begriff spielt unter anderem im Strafrecht, im Beamtenrecht, im Sozialversicherungsrecht sowie im öffentlichen Dienstrecht eine maßgebliche Rolle. Die eigenwirtschaftliche Verrichtung beschreibt eine Handlung, die ausschließlich privaten Zwecken dient und nicht im Zusammenhang mit der Erfüllung dienstlicher, arbeitsrechtlicher oder anderweitiger fremder Interessen erfolgt.
Definition und Systematische Einordnung
Grundlegende Definition
Eine eigenwirtschaftliche Verrichtung ist jede Handlung, die primär den persönlichen, wirtschaftlichen, familiären oder privaten Interessen des Handelnden dient. Sie steht im Gegensatz zu Verrichtungen, die im Rahmen von fremdbestimmten Tätigkeiten, wie etwa der Ausübung des Berufs, erfolgen. Das Kriterium der Eigenwirtschaftlichkeit spielt vor allem bei der Beurteilung von Unfällen und Haftungsfragen im Sozialversicherungsrecht und im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis eine herausragende Rolle.
Abgrenzung zu anderen Verrichtungen
Die eigenwirtschaftliche Verrichtung ist abzugrenzen von:
- Betriebsbedingter (dienstlicher) Verrichtung: Handlungen, die im Interesse des Arbeitgebers bzw. zum Zwecke der Erfüllung arbeitsvertraglicher oder dienstlicher Aufgaben ausgeführt werden.
- Gemischt motivierter Verrichtung: Handlungen, bei denen eigenwirtschaftliche und betriebliche/dienstliche Interessen miteinander vermischt sind. In solchen Fällen ist eine Abwägung der überwiegenden Beweggründe vorzunehmen.
Relevanz im Sozialversicherungsrecht
Gesetzliche Grundlagen
Die eigenwirtschaftliche Verrichtung hat vor allem im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) erhebliche praktische Bedeutung. Gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII sind Unfälle auf dem Weg zur oder von der Arbeitsstätte (Wegeunfälle) sowie während der Ausübung einer versicherten Tätigkeit grundsätzlich vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst. Hiervon ausgenommen sind jedoch Unfälle während eigenwirtschaftlicher Verrichtungen.
Typische Beispiele für eigenwirtschaftliche Verrichtungen im Sinne der Unfallversicherung:
- Das Essen und Trinken aus rein privaten Gründen
- Toilettengänge
- Das private Telefonieren am Arbeitsplatz ohne dienstlichen Zusammenhang
- Das Lesen privater Nachrichten während der Arbeitszeit
Titelgebende Verrichtungen sind nur dann versichert, wenn sie im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Besteht der innere Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit nicht mehr, handelt es sich um eine eigenwirtschaftliche Verrichtung.
Die Wegeunfallproblematik
Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erstreckt sich regelmäßig nicht auf Wege, die aus eigenwirtschaftlichen Gründen unternommen werden, auch wenn sie im räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit der eigentlichen Berufsausübung stehen. Abweichungen hiervon sind im Einzelfall möglich, zum Beispiel bei sogenannten unfallversicherten Zwischenwegen (z. B. das Halten zum Tanken auf dem Weg zur Arbeitsstätte).
Relevanz im Beamten- und öffentlichen Dienstrecht
Dienstunfall und eigenwirtschaftliche Verrichtung
Nach den Beamtengesetzen der Länder sowie nach dem Bundesbeamtengesetz sind Unfälle als Dienstunfall anerkannt, wenn sie im ursächlichen Zusammenhang mit dem Dienst stehen. Eigenwirtschaftliche Verrichtungen stellen nach der Rechtsprechung keine dienstlich verursachten Handlungen dar, weshalb Unfälle während solcher Handlungen grundsätzlich nicht als Dienstunfall gewertet werden.
Abgrenzung durch Rechtsprechung
Die Rechtsprechung entwickelt zur Bestimmung, ob eine eigenwirtschaftliche Verrichtung vorliegt, regelmäßig den Begriff des „inneren Zusammenhangs“ mit dem Dienst. Maßgeblich ist, ob die Tätigkeit objektiv ihrer Art nach mit dem Dienst zusammenhängt oder ganz überwiegend privaten Interessen dient.
Bedeutung im Haftungsrecht und weiteren Rechtsbereichen
Eigenwirtschaftliche Verrichtungen spielen auch im Haftungsrecht eine Rolle, insbesondere bei der sogenannten Amtshaftung (§ 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG). Ist ein schädigendes Verhalten auf eine eigenwirtschaftliche Verrichtung zurückzuführen, entfällt die Staatshaftung, da kein Handeln „in Ausübung eines öffentlichen Amtes“ vorliegt.
Im Arbeitsrecht können eigenwirtschaftliche Verrichtungen im Kontext von Schadensersatzansprüchen Relevanz entfalten, etwa wenn ein Arbeitnehmer bei eigener, nicht dienstlicher Handlung einen Schaden verursacht.
Rechtsprechung und Praxisbeispiele
Rechtsprechung zur Abgrenzung
Die sozialgerichtliche und verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat zahlreiche Fallgruppen entwickelt, um die Abgrenzung zwischen eigenwirtschaftlicher und betrieblicher/dienstlicher Verrichtung zu definieren. Entscheidendes Kriterium ist die objektivierte Zweckrichtung der konkreten Handlung im Zeitpunkt der Vornahme.
Beispiele aus der Rechtsprechung:
- BVerwG, Urteil vom 27.10.2011 (2 C 4.10): Das Beantworten privater Telefonanrufe während der Dienstzeit kann eine eigenwirtschaftliche Verrichtung sein und lässt den Zusammenhang mit dem Dienst entfallen.
- BSG, Urteil vom 5.7.2016 (B 2 U 19/14 R): Ein von einem Arbeitnehmer unternommener Umweg aus privater Motivation auf dem Arbeitsweg kann den Versicherungsschutz der Unfallversicherung entfallen lassen.
Zusammenfassung und Ausblick
Die eigenwirtschaftliche Verrichtung ist ein rechtlicher Begriff, der vielfältige Abgrenzungs- sowie Zurechnungsprobleme nach sich zieht. Die genaue Einordnung dieser Handlungen ist in vielen Rechtsbereichen von entscheidender Bedeutung, etwa hinsichtlich der Unfall- und Haftungsregelungen im Sozialversicherungsrecht, öffentlichen Dienstrecht und allgemeinen Haftungsrecht. Maßgebend sind stets die Beweggründe und die tatsächlichen Umstände der Handlung, wobei die Gerichte eine umfassende Einzelfallprüfung vornehmen. Zukünftige Entwicklungen und Digitalisierung der Arbeitswelt stellen neue Herausforderungen für die praktische und rechtliche Auslegung des Begriffs eigenwirtschaftliche Verrichtung dar.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Auswirkungen hat die Einstufung einer Tätigkeit als eigenwirtschaftliche Verrichtung?
Die Zuordnung einer Handlung zur eigenwirtschaftlichen Verrichtung hat im rechtlichen Kontext insbesondere im Bereich des Handlungs- und Haftungsrechts sowie bei Sozialleistungen (z.B. Unfallversicherung) erhebliche Konsequenzen. Wird eine Tätigkeit als eigenwirtschaftliche Verrichtung gewertet, handelt es sich rechtlich um einen persönlichen Lebensvorgang, der nicht unmittelbar mit der beruflichen Tätigkeit oder sonstigen versicherten Tätigkeiten zusammenhängt. Dies bedeutet beispielsweise, dass Unfälle, die sich während einer solchen Verrichtung ereignen, grundsätzlich nicht als Arbeitsunfälle im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt werden. Ein Arbeitnehmer, der während seiner Arbeitspause einem eigenwirtschaftlichen Bedürfnis nachgeht (z.B. Nahrungsaufnahme, Gang zur Toilette), befindet sich für die Dauer dieser Verrichtung außerhalb des versicherten Schutzbereichs der gesetzlichen Unfallversicherung. Gleiches gilt im Miet- und Nachbarschaftsrecht, wenn beispielsweise Schäden durch eigenwirtschaftliches Verhalten entstehen, und Prüffragen zur Zurechnung beziehungsweise Haftung relevant werden.
Wie wird im Arbeitsrecht die Abgrenzung zur betriebsbedingten Tätigkeit vorgenommen?
Im Arbeitsrecht erfolgt die Abgrenzung einer eigenwirtschaftlichen Verrichtung von einer betriebsbedingten Tätigkeit grundsätzlich anhand des objektiven Zusammenhangs zu den arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichten. Eine Handlung ist dann eigenwirtschaftlich, wenn sie vornehmlich privaten, also den persönlichen Lebensinteressen des Beschäftigten dient und nicht im unmittelbaren Interesse des Arbeitgebers ausgeführt wird. Die Rechtsprechung prüft in diesen Fällen genau, ob der sachliche Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit unterbrochen wurde. Sobald dieses Kriterium der Eigenwirtschaftlichkeit erfüllt ist, entfällt die arbeitsschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für daraus resultierende Schäden oder Unfälle, es sei denn, die betrieblichen Belange überwiegen ausnahmsweise.
Welche Rolle spielt die eigenwirtschaftliche Verrichtung im Haftungsrecht?
Im Haftungsrecht spielt die eigenwirtschaftliche Verrichtung eine zentrale Rolle, wenn es um die Feststellung der Verantwortlichkeit für Schadensereignisse geht. Die Einordnung einer Tätigkeit als eigenwirtschaftlich kann dazu führen, dass eine deliktische Haftung gemäß § 823 BGB ausschließlich beim Handelnden verbleibt, weil sie ausschließlich seiner Sphäre zugeordnet wird. Ebenso kann die Zurechnung eines schuldhaften Verhaltens zum Arbeitgeber oder einer Dritten Person entfallen, da nur für pflichtwidriges Verhalten im Rahmen betrieblicher oder übertragener Tätigkeiten gehaftet wird. Gerade im Rahmen von Verrichtungsgehilfenhaftung (§ 831 BGB) ist entscheidend, ob das schädigende Ereignis während einer eigenwirtschaftlichen Verrichtung oder in Ausführung des übertragenen Geschäfts erfolgte.
Wie werden Wege zu und von eigenwirtschaftlichen Verrichtungen rechtlich bewertet?
Rechtlich differenzieren insbesondere Unfallversicherung und Sozialgerichte sehr genau zwischen dem eigentlichen Weg zu, während und nach einer eigenwirtschaftlichen Verrichtung. Dabei gilt: Der unmittelbare Weg zu einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit (z.B. Kantine, Waschraum) ist regelmäßig nicht mehr unfallversichert, während betriebsbedingte Wege (z.B. zu einem dienstlichen Termin) versichert bleiben. Eine Besonderheit gilt, wenn die Wege zur Verrichtung in engem betrieblichen Zusammenhang stehen oder durch dienstliche Erfordernisse motiviert sind; dann kann unter Umständen der Schutz ausgedehnt werden. Maßgeblich ist stets der konkrete Einzelfall, der unter Berücksichtigung des jeweiligen Versicherungs- und Haftungsregimes zu beurteilen ist.
Welche Beweislastregeln gelten bei Streitigkeiten über die Einordnung von Verrichtungen?
Im Streitfall trägt grundsätzlich der Anspruchsteller (meist der Geschädigte bzw. Versicherte) die Beweislast dafür, dass eine schädigende Handlung nicht eigenwirtschaftlich, sondern betrieblich oder im Rahmen einer versicherten Tätigkeit vorgenommen wurde. Der Nachweis erfordert eine substantiierte Darlegung zum unmittelbaren Zusammenhang mit der jeweiligen Schutz- oder Haftungsnorm. Gerichte bewerten die vorgelegten Umstände (z.B. Zeugen, Ablaufprotokolle, objektive Indizien) unter Würdigung der Gesamtumstände und leiten daraus ab, welchem Bereich (eigenwirtschaftlich/betrieblich) die Verrichtung zuzuordnen ist. Zweifel gehen zulasten des Anspruchstellers.
Gibt es Unterschiede im öffentlichen Dienst im Umgang mit eigenwirtschaftlichen Verrichtungen?
Auch im öffentlichen Dienst ist der Begriff der eigenwirtschaftlichen Verrichtung rechtlich relevant – v.a. im Beamtenrecht und bei der Unfallfürsorge. Die Grundsätze entsprechen weitgehend denen im allgemeinen Arbeits- und Sozialrecht. Besondere dienstrechtliche Vorschriften können allerdings weitergehende Vorgaben enthalten, etwa spezifische Unfallfürsorgevorschriften für Beamte, in denen explizite Ausnahmen vom Ausschluss der Eigenwirtschaftlichkeit definiert sein können. Dennoch bleibt die Kernregel bestehen: Auch für Beamte sind Unfälle während der eigenwirtschaftlichen Verrichtung grundsätzlich nicht im Rahmen der Dienstunfallfürsorge geschützt.
Welche Schnittstellen zu anderen Rechtsgebieten bestehen hinsichtlich der eigenwirtschaftlichen Verrichtung?
Rechtsgebietsübergreifend spielt die Beurteilung der Eigenwirtschaftlichkeit unter anderem in folgenden Bereichen eine Rolle: Arbeitsrecht (z.B. Haftung, Arbeitsschutz), Sozialrecht (Unfallversicherung, Krankenversicherung), Haftungs- und Deliktsrecht sowie teilweise im Strafrecht (z.B. bei Fahrlässigkeitsdelikten unter Überschneidung privater und dienstlicher Handlungen). Ebenso relevant sind mietrechtliche Fragestellungen, z.B. beim Gebrauch der Mietsache zu eigenen Zwecken oder dem Nachweis von Eigenschäden. Die jeweils einschlägige Normierung verweist auf die objektive Zweckbestimmung der Handlung und deren Kontext.
Können eigenwirtschaftliche Verrichtungen im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung oder Personalvertretung eine Rolle spielen?
Ja, eigenwirtschaftliche Verrichtungen können auch im Kontext betrieblicher Mitbestimmungsrechte sowie im Personalvertretungsrecht relevant werden, insbesondere wenn sie Gegenstand betrieblicher Regelungen oder betriebsverfassungsrechtlicher Maßnahmen (z.B. Pausenregelungen, Nutzung von Sozialräumen) sind. Die Abgrenzung, welche Tätigkeiten einen betrieblichen Bezug aufweisen und daher der Mitbestimmung unterliegen, ist dabei regelmäßig mit der Frage verbunden, ob es sich um betriebliche Interessen oder um die private Sphäre der Belegschaftsmitglieder handelt. In manchen Fällen ist die Reichweite betrieblicher Einflussnahme durch kollektivrechtliche Normen explizit beschränkt, sobald eindeutig eigenwirtschaftliche Handlungen betroffen sind.