Begriff und Einordnung
Divestiture bezeichnet die rechtlich geregelte Abgabe von Unternehmensteilen, Vermögensgegenständen oder Beteiligungen durch ein Unternehmen. Ziel ist die Trennung und Übertragung eines Geschäfts, einer Sparte oder einzelner Assets auf einen Erwerber oder in eine eigenständige Einheit. Im Deutschen wird häufig von Veräußerung, Desinvestition, Abspaltung oder Ausgliederung gesprochen. Divestitures sind ein Teilbereich von Unternehmens- und Kapitalmaßnahmen und können freiwillig erfolgen oder auf behördlichen Vorgaben beruhen.
Divestitures unterscheiden sich von allgemeinen Unternehmensverkäufen durch ihren Fokus auf die Ausgliederung abgegrenzter Teile des Unternehmens (Carve-out). Sie kommen in unterschiedlichen Konstellationen vor: als Reaktion auf Wettbewerbsauflagen, zur Fokussierung des Geschäftsportfolios, zur Finanzierung, zur Reduktion von Risiken oder im Zuge von Umstrukturierungen.
Rechtliche Einordnung und Ziele
Rechtlich ist die Divestiture ein Bündel von Maßnahmen aus dem Gesellschafts-, Vertrags-, Arbeits-, Wettbewerbs-, Kapitalmarkt-, Datenschutz- und Regulierungsrecht. Je nach Ausgestaltung können zusätzliche Bereiche betroffen sein, etwa das Immobilien-, Energie-, Finanz- oder Gesundheitsrecht.
Typische Ziele sind die Umsetzung behördlicher Auflagen im Fusionskontrollverfahren, die Schaffung wettbewerblicher Strukturen (strukturelle Abhilfen), die Entflechtung von Märkten, die Konzentration auf Kerngeschäfte sowie die Erhöhung der Transparenz durch eigenständige Organisations- und Finanzstrukturen.
Formen der Divestiture
Share Deal
Übertragung von Anteilen an einer Gesellschaft, die den zu veräußernden Geschäftsbereich hält. Rechtlich stehen die Verfügungen über Gesellschaftsanteile, Zustimmungs- und Kontrollrechte sowie Beschränkungen in Gesellschaftsverträgen im Vordergrund.
Asset Deal
Übertragung einzelner Vermögenswerte und Verträge (z. B. Maschinen, IP, Lagerbestände, Kundenverträge). Rechtlich sind Identifikation, Zuordnung, Übertragbarkeit, Zustimmungserfordernisse und die Kontinuität von Vertragsbeziehungen maßgeblich.
Carve-out
Vorbereitende organisatorische und rechtliche Abspaltung eines Geschäftsbereichs in eine eigenständige Einheit. Dies umfasst die Zuordnung von Personal, Verträgen, IT, IP und Lizenzen sowie die Einrichtung eigenständiger Steuerungs- und Reportingstrukturen.
Spin-off, Split-off, Split-up
Abtrennung eines Geschäfts und Verteilung der Anteile an die bisherigen Anteilseigner (Spin-off), Tausch von Anteilen (Split-off) oder vollständige Aufteilung in mehrere Gesellschaften (Split-up). Diese Maßnahmen sind gesellschaftsrechtlich geprägt und können kapitalmarktrechtliche Pflichten auslösen.
Carve-out IPO
Börseneinführung des ausgegliederten Geschäftsbereichs. Relevanz erlangen dabei Prospektpflichten, Corporate Governance, Insider- und Ad-hoc-Themen sowie die fortlaufende Publizität.
Verfahrensablauf und Vertragsstruktur
Vorbereitung und Abgrenzung (Separation)
Zentral ist die rechtliche Abgrenzung des zu veräußernden Geschäfts: Zuordnung von Vermögenswerten und Schulden, Klärung von Eigentumsverhältnissen, Übertragbarkeit von Lizenzen, Genehmigungen und Verträgen. In regulierten Sektoren sind branchenspezifische Zulassungen und Aufsichten zu berücksichtigen. Datenräume und Vertraulichkeitsvereinbarungen regeln den Informationszugang in der Prüfung des Erwerbers.
Kauf- oder Übertragungsvertrag
Der Vertrag definiert Gegenstand, Kaufpreismechanik (z. B. Closing Accounts oder Locked Box), Zusicherungen (Warranties), Freistellungen (Indemnities), Haftungsbegrenzungen, Bedingungen (Conditions Precedent), Long-Stop-Termine, Rücktrittsrechte, Übergangsleistungen und Zuständigkeitsregelungen. Bei behördlich angeordneten Veräußerungen können zusätzliche Anforderungen bestehen, etwa zur Eignung des Erwerbers und zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit des veräußerten Geschäfts.
Vollzug (Signing und Closing)
Zwischen Vertragsunterzeichnung und Vollzug liegen regelmäßig Freigaben von Wettbewerbs- und Investitionsbehörden, sektorale Genehmigungen, Drittzustimmungen (Change-of-Control-Klauseln, Übertragungsverbote), Gremienzustimmungen sowie gegebenenfalls Registrierungen. Während der Zwischenphase gelten häufig Stillhalte- und Integrationsverbote (Gun-Jumping-Verbot) sowie Hold-Separate-Verpflichtungen zur eigenständigen Fortführung des Geschäfts.
Übergangsregelungen
Transitional Services Agreements (TSA) sichern für einen Übergangszeitraum Dienstleistungen wie IT, Logistik, HR oder Finanzen. Lizenz- und Markenregelungen, Liefer- und Bezugsverträge, Zugang zu Immobilien und die Nutzung von Daten werden befristet geordnet. Wettbewerbs- und kundenschutzbezogene Nebenabreden (z. B. Wettbewerbsverbote, Abwerbeverbote) unterliegen inhaltlichen und zeitlichen Grenzen.
Wettbewerbs- und Fusionskontrollrecht
Behördlich angeordnete Veräußerungen
Im Rahmen von Fusionskontrollen können Behörden Divestitures als strukturelle Abhilfen verlangen, um wettbewerbliche Bedenken auszuräumen. Typische Elemente sind die Definition eines eigenständig lebensfähigen Veräußerungspakets, Vorgaben zur Käuferqualität (Unabhängigkeit, finanzielle Tragfähigkeit), Fristen, Treuhänder (Monitoring und Divestiture Trustee), Upfront-Buyer- oder Fix-it-First-Konzepte und detaillierte Hold-Separate-Vorgaben.
Freiwillige Veräußerungen mit Anmeldepflicht
Abhängig von Umsatz- oder Transaktionsschwellen können Anmeldepflichten bestehen. Bis zur Freigabe gilt ein Vollzugsverbot. Vereinbarungen, die faktisch vorzeitige Integrationsmaßnahmen darstellen, sind unzulässig. Bei Überschneidungen mit mehreren Jurisdiktionen sind parallele Verfahren und potenziell abweichende Auflagen möglich.
Arbeitsrecht und Mitbestimmung
Betriebsübergang und Kontinuität
Beim Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils gehen Arbeitsverhältnisse grundsätzlich mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über. Informations- und Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen sind zu beachten. In internationalen Konstellationen können unterschiedliche nationale Regelungen zur Unterrichtung und Beteiligung gelten.
Gremienzuständigkeiten
Auf Ebene der Gesellschaft können Zustimmungserfordernisse von Organen bestehen. Mitbestimmungsstrukturen können sich durch Abspaltungen und Verschiebungen von Belegschaften verändern. Kollektivrechtliche Vereinbarungen (Betriebsvereinbarungen, Tarifbindungen) sind in der Trennung und Überleitung zu berücksichtigen.
Datenschutz und Informationssicherheit
Im Rahmen der Prüfung und Übertragung werden personenbezogene und vertrauliche Daten verarbeitet. Zulässigkeit, Zweckbindung, Datenminimierung, Schutzmaßnahmen, besondere Kategorien von Daten, internationale Übermittlungen und Löschkonzepte sind rechtlich zu klären. Typisch sind abgestufte Informationskonzepte mit Anonymisierung oder Pseudonymisierung sowie strenge Zugriffs- und Vertraulichkeitsregeln.
Geistiges Eigentum und Technologie
Marken, Designs, Patente, Urheberrechte, Software und Datenbanken sind zuordnungs- und übertragungsfähig auszugestalten. Bei Technologie-Carve-outs spielen Quellcode-Zugänge, Lizenzketten, Open-Source-Compliance, Escrow-Vereinbarungen und Schnittstellenregelungen eine Rolle. Lizenz-Backs und Übergangsrechte sichern den Geschäftsbetrieb beider Seiten nach dem Vollzug.
Verträge mit Dritten
Viele Verträge enthalten Abtretungsverbote oder Change-of-Control-Klauseln. Zustimmungen von Kunden, Lieferanten, Vermietern, Lizenzgebern oder Kooperationspartnern können erforderlich sein. Rahmen- und Serviceverträge werden häufig aufgespalten oder dupliziert, um den Weiterbetrieb beider Unternehmensteile zu ermöglichen.
Finanzierung, Sicherheiten und Kapitalmarktrecht
Finanzierungsverträge und Anleihebedingungen können Veräußerungsbeschränkungen, Zustimmungserfordernisse oder Verwendungsvorgaben für Erlöse enthalten. Sicherheitenpakete sind anzupassen oder neu zu bestellen. Bei Emittenten mit Börsennotierung sind Publizitätspflichten, Insider-Themen, Stabilisierungs- und Rückkaufregeln sowie Mitteilungspflichten zu beachten.
Steuer- und Rechnungslegung
Divestitures berühren Bewertungen, Ergebnisabgrenzungen, latente Steuern, Verlustvorträge, Übertragungs- und Transaktionssteuern. Bei Abspaltungen und Ausgliederungen sind handels- und steuerbilanziell die Abbildung des abgespaltenen Geschäfts, Intercompany-Beziehungen und die Abgrenzung von Erfolgen zu berücksichtigen. Bei grenzüberschreitenden Vorgängen können mehrere Steuerjurisdiktionen betroffen sein.
Grenzüberschreitende Divestitures
International können zusätzlich Investitionskontrollprüfungen, Außenwirtschafts-, Sanktions- und Exportkontrollvorgaben, Währungs- und Registrierungsanforderungen relevant sein. Unterschiede in Arbeits-, Datenschutz-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht erfordern eine aufeinander abgestimmte Struktur. Parallel laufende Freigaben und unterschiedliche Vollzugsbedingungen sind üblich.
Compliance, Haftung und Streitbeilegung
Vertragliche Zusicherungen decken häufig Finanzen, Eigentum, Verträge, Genehmigungen, IP, Datenschutz, Umwelt und Compliance-Bereiche ab. Haftungsregime umfassen Freistellungen, Haftungsobergrenzen, Ausschlüsse, Verjährungsfristen, Escrow-Lösungen, Kaufpreisanpassungen und Versicherungen für Gewährleistungen. Gerichtsstands- oder Schiedsvereinbarungen sowie Rechtswahlklauseln regeln die Streitbeilegung.
Regulierte Branchen und öffentlicher Sektor
Im Finanz-, Energie-, Verkehrs-, Telekommunikations-, Medien- und Gesundheitssektor bestehen besondere Zulassungen, Eignungsanforderungen und Kontinuitätsauflagen. Konzessionen, Netzzugänge, Systemrelevanz oder Versorgungssicherheit prägen die rechtliche Ausgestaltung. Im öffentlichen Sektor treten vergabe- und haushaltsrechtliche Vorgaben hinzu.
Begriffsabgrenzung und verwandte Instrumente
Divestiture grenzt sich ab von Outsourcing (Dienstleistungsverlagerung ohne Eigentumsübertragungen), Liquidation (Abwicklung), Privatisierung (Überführung öffentlicher in private Trägerschaft) sowie von reinen Portfolioverkäufen ohne strukturelle Abspaltung. Verwandte Formen sind Management-Buy-out/Buy-in, Joint-Venture-Begründungen mit Einbringung von Geschäftsbereichen und Rückbeteiligungen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Divestiture
Was bedeutet Divestiture im rechtlichen Sinne?
Divestiture ist die rechtlich geregelte Abgabe von Unternehmensteilen, Vermögenswerten oder Beteiligungen. Sie umfasst die Abgrenzung des Veräußerungsgegenstands, die Übertragung von Rechten und Pflichten, notwendige Zustimmungen, behördliche Freigaben sowie vertragliche Regelungen zu Haftung, Übergang und Übergangsleistungen.
Welche rechtlichen Formen der Divestiture sind üblich?
Üblich sind Share Deals (Anteilsübertragungen), Asset Deals (Übertragung einzelner Vermögenswerte und Verträge), Carve-outs (Abspaltung in eigenständige Einheiten), Spin-offs und Carve-out-IPOs. Die Form bestimmt die erforderlichen Zustimmungen, Genehmigungen und Übertragungsmechanismen.
Wann können Wettbewerbsbehörden eine Divestiture verlangen?
Im Rahmen von Zusammenschlussvorhaben können Behörden zur Beseitigung wettbewerblicher Bedenken strukturelle Abhilfen anordnen. Dies beinhaltet ein abgegrenztes Veräußerungspaket, Vorgaben zur Käuferqualität, Fristen, Hold-Separate-Verpflichtungen sowie die Bestellung von Treuhändern zur Überwachung und Durchsetzung.
Welche Zustimmungserfordernisse kommen in Betracht?
Je nach Struktur können Zustimmungen von Gesellschaftern, Aufsichtsorganen, Kreditgebern, Vertragspartnern mit Change-of-Control- oder Abtretungsbeschränkungen, Vermietern, Lizenzgebern sowie Genehmigungen von Wettbewerbs-, Investitions- und Sektoraufsichtsbehörden erforderlich sein.
Wie wirkt sich eine Divestiture auf Beschäftigte aus?
Beim Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils gehen Arbeitsverhältnisse in der Regel mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über. Informations- und Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen sind zu beachten. Kollektivrechtliche Regelungen können fortgelten oder neu zuordnen sein.
Welche Anforderungen gelten für Daten und Geheimhaltung?
Personenbezogene und vertrauliche Informationen unterliegen Zweckbindung, Datensparsamkeit, Sicherheitsmaßnahmen und gegebenenfalls Vorgaben für internationale Datenübermittlungen. Due-Diligence-Prozesse nutzen häufig abgestufte Informationskonzepte, Vertraulichkeitsvereinbarungen und kontrollierte Datenräume.
Welche Grenzen gelten für Wettbewerbsverbote nach einer Veräußerung?
Wettbewerbsverbote und Abwerbebeschränkungen sind als Nebenabreden anerkannt, sofern sie in sachlichem Umfang, räumlicher Reichweite und zeitlicher Dauer auf den Schutz des übertragenen Geschäfts ausgerichtet und verhältnismäßig ausgestaltet sind. Eine überschießende Beschränkung ist unzulässig.