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Derivate


Begriff und rechtliche Einordnung von Derivaten

Derivate sind Finanzinstrumente, deren Wert sich von der Entwicklung anderer Basiswerte (sog. Underlyings) ableitet. Diese Basiswerte können unter anderem Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Zinssätze, Währungen oder auch Indizes sein. Derivate werden am Kapitalmarkt sowohl zur Absicherung von Preisrisiken (Hedging) als auch zur Spekulation oder Arbitrage eingesetzt. Die rechtlichen Grundlagen und Besonderheiten von Derivaten sind vielfältig und werden im Folgenden umfassend dargestellt.

Formen und Arten von Derivaten

Unterscheidung nach Rechtsnatur

Aus rechtlicher Sicht können Derivate in verschiedene Gruppen unterteilt werden. Die wichtigsten Differenzierungen sind:

Unbedingte Termingeschäfte

Hierzu zählen insbesondere:

  • Futures: Standardisierte Verträge, die an Terminbörsen gehandelt werden und eine unbedingte Verpflichtung zum Kauf oder Verkauf eines Basiswerts zu einem festgelegten Termin beinhalten.
  • Forwards: Nicht standardisierte, außerbörslich (over-the-counter, OTC) vereinbarte Termingeschäfte, die individuell zwischen den Vertragspartnern ausgestaltet werden.

Bedingte Termingeschäfte (Optionsgeschäfte)

Dazu zählen insbesondere:

  • Optionen: Das Recht (aber nicht die Pflicht), einen zugrunde liegenden Basiswert zu einem vorher bestimmten Ausübungszeitpunkt (bzw. während eines bestimmten Zeitraums) zu einem festgelegten Preis zu kaufen (Call) oder zu verkaufen (Put).

Swaps

Hierbei handelt es sich um gegenseitige Vereinbarungen zum Austausch von Zahlungsströmen, etwa in Form von Zins- oder Währungsswaps.

Gesetzliche Grundlagen und regulatorische Rahmenbedingungen

Zivilrechtliche Einordnung

Derivateverträge sind in der Regel als schuldrechtliche Verträge gemäß § 311 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu qualifizieren. In Deutschland bestehen keine speziellen Vorschriften für Derivatgeschäfte im BGB, sodass die allgemeinen schuldrechtlichen Regeln zur Anwendung kommen, etwa bezüglich Vertragsschluss, Leistung, Rücktritt, Schadensersatz und Verjährung.

Bei Termingeschäften können jedoch Besonderheiten hinsichtlich der Zulässigkeit nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften bestehen. Insbesondere ist die Frage der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) sowie von potentiellen Glückspielcharakteristika (§ 762 BGB) zu prüfen. Nach gefestigter Rechtsprechung fällt die überwiegende Mehrzahl der Derivatgeschäfte jedoch nicht unter das Glücksspielverbot, da sie wirtschaftlich motiviert und anerkannten Marktstandards folgend abgeschlossen werden.

Aufsichtsrechtliche Einordnung

Wertpapierhandelsrecht

Maßgebliche Vorschriften für das Handeln mit Derivaten finden sich insbesondere im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) sowie in der europäischen „Markets in Financial Instruments Directive“ (MiFID II) und der dazugehörigen Verordnung (MiFIR). Für den Handel und Vertrieb von Derivaten bestehen umfassende Anzeige-, Melde- und Dokumentationspflichten.

Derivate als Finanzinstrumente

Nach § 2 Abs. 2 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) zählen Derivate zu den Finanzinstrumenten. Dies umfasst unter anderem Optionen, Futures, Swaps sowie alle auf verschiedene Vermögenswerte bezogenen Termingeschäfte. Derivative Finanzinstrumente unterliegen somit den Regeln der Finanzmarktaufsicht und erfordern – je nach Ausgestaltung und Handelsumgebung – entsprechende Zulassungen und Erlaubnisse nach dem Kreditwesengesetz (KWG).

Prospektpflicht

Der Vertrieb von Derivaten unterfällt unter bestimmten Voraussetzungen der Prospektpflicht gemäß Wertpapierprospektgesetz (WpPG). Ziel dieser Regelung ist es, Anleger vor Risiken und inhaltlicher Intransparenz zu schützen.

Marktinfrastruktur und Clearing

Mit Einführung der europäischen EMIR-Verordnung („European Market Infrastructure Regulation“) wurde ein zentraler Clearingmechanismus sowie umfangreiche Melde-, Sicherheiten- und Risikomanagementpflichten für außerbörslich gehandelte Derivate (OTC-Derivate) etabliert. Insbesondere größere Marktteilnehmer („Finanzielle Gegenparteien“ und „Zentrale Gegenparteien“) unterliegen klar definierten Pflichten zur Handelsüberwachung und zur Risikominimierung.

Verbraucherschutz und Anlegerschutz

Informations- und Aufklärungspflichten

Beim Vertrieb von Derivaten trifft den Anbieter – sofern der Vertragspartner ein Verbraucher oder Privatanleger ist – eine erhöhte Informations- und Beratungspflicht. Dies beinhaltet die erforderliche Risikoaufklärung über die Funktionsweise, atypische Marktrisiken sowie die Verlustmöglichkeiten der jeweiligen Derivatkonstellation.

Haftung und Schadensersatz

Fehlerhafte Beratung oder mangelhafte Aufklärung kann zu Schadensersatzansprüchen des Anlegers gegen den Anbieter führen. Die Rechtsprechung hat hier strenge Anforderungen an die Aufklärungsintensität formuliert, insbesondere bei komplexen Produkten und strukturierten Derivaten.

Steuerliche Behandlung von Derivaten

Die Besteuerung von Derivaten erfolgt gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Einkommensteuergesetzes (EStG). Gewinne aus dem Handel mit Derivaten werden in der Regel als Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 EStG qualifiziert und unterliegen der Abgeltungssteuer. Wichtige Besonderheiten ergeben sich aus der Abgrenzung zur privaten Vermögensverwaltung, Verlustverrechnung und der Frage nach gewerbsmäßigem Handel mit Derivaten.

Insolvenzsicherung und Gläubigerschutz

Bei Insolvenz des Vertragspartners besteht das Risiko, dass offene Positionen aus Derivatgeschäften nicht mehr erfüllt werden können. Die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Insolvenzsicherung werden in Deutschland insbesondere durch die Insolvenzsicherungsregeln im Insolvenzordnung (InsO) sowie ergänzende Sonderregelungen im Wertpapierhandelsgesetz und EMIR abgedeckt.

Internationale Aspekte

Die rechtliche Behandlung von Derivaten unterliegt auch international verschiedenen Regulierungsregimen. In der Europäischen Union gelten insbesondere die MiFID II- und EMIR-Regelwerke, in den USA sind es Regularien wie der Dodd-Frank Act. Vertragsparteien aus unterschiedlichen Jurisdiktionen sollten daher internationale zivil- und aufsichtsrechtliche Abweichungen im Rahmen der Vertragserstellung berücksichtigen.

Fazit

Derivate sind rechtlich anspruchsvolle und komplexe Finanzinstrumente, die im Zentrum multinationaler Kapitalmärkte stehen. Die rechtliche Beurteilung umfasst zivilrechtliche, aufsichtsrechtliche, steuerliche sowie insolvenzrechtliche Aspekte und erfordert eine sorgfältige Analyse der jeweils einschlägigen gesetzlichen und regulatorischen Vorschriften. Besonderes Augenmerk kommt dem Anlegerschutz, der Markttransparenz sowie der Risikosteuerung und -minderung zu.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten für den Abschluss von Derivategeschäften?

In Deutschland unterliegen Derivategeschäfte, je nach Ausgestaltung, unterschiedlichen rechtlichen Regelungen. Grundsätzlich werden sie in der Regel als besondere Form von Finanzinstrumenten gemäß § 2 Abs. 3 WpHG (Wertpapierhandelsgesetz) klassifiziert und unterliegen daher den damit verbundenen aufsichtsrechtlichen Vorschriften. Besonders relevant sind hierbei das BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), das WpHG, das KWG (Kreditwesengesetz) sowie EU-Rechtsakte wie die EMIR-Verordnung (European Market Infrastructure Regulation) und MiFIR/MiFID II. Diese Vorschriften regulieren u. a. die Zulässigkeit, Transparenz, Dokumentationspflichten und Meldepflichten von Derivategeschäften. Daneben können aufsichtsrechtliche Anforderungen an die Vertragspartner (insbesondere Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsunternehmen) bestehen, beispielsweise bezüglich der Zulassung und Eigenkapitalunterlegung. Für Verbraucher gelten außerdem besondere Schutzvorschriften, die vor inadäquaten Risiken und unzureichender Aufklärung schützen sollen.

Welche typischen Vertragstypen werden bei Derivaten rechtlich verwendet?

Bei Derivatgeschäften werden typischerweise Rahmenverträge wie der ISDA Master Agreement (International Swaps and Derivatives Association) auf internationaler Ebene oder der deutsche Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte (DRV) verwendet. Diese Verträge regeln die grundlegenden Rechte und Pflichten der Vertragsparteien, darunter Zahlungs- und Lieferverpflichtungen, Sicherheitenstellungen (z. B. Collateral Management), Vorgehen bei Vertragsstörungen (Default) und Abwicklungsmechanismen. Sie enthalten häufig standardisierte Klauseln zu Aufrechnungen, Zahlungen, Vertragskündigungen (Close-out Netting) und streitigen Rechtsfragen. Die genaue Vertragsgestaltung kann je nach Art und Umfang des Geschäfts sowie den beteiligten Parteien variieren, wobei Anpassungen (sog. Schedules) üblich sind, um spezifische regulatorische oder individuelle Anforderungen zu berücksichtigen.

Wie ist die rechtliche Wirksamkeit von Derivateverträgen zu beurteilen, insbesondere in Bezug auf das Spekulationsverbot?

Die Wirksamkeit von Derivateverträgen unterliegt in Deutschland bestimmten gesetzlichen Schranken, insbesondere dem sog. Spekulationsverbot nach § 762 BGB. Historisch galten Wetten und spekulative Geschäfte, bei denen keine reale Verpflichtung zur Lieferung oder Abnahme des Basiswerts besteht, als nicht einklagbar. Allerdings wurde die Anwendung dieses Paragrafen auf Derivatgeschäfte durch die Rechtsprechung sukzessive eingeschränkt. Nach der aktuellen Rechtslage, insbesondere hochwertigen Marktteilnehmern und im Rahmen lizenzierter Handelsteilnehmer oder Börsengeschäfte, gilt das Spekulationsverbot gem. § 762 Abs. 2 BGB grundsätzlich nicht mehr. Dennoch kann die Wirksamkeit von außerbörslichen (OTC-)Derivaten im Einzelfall dann problematisch sein, wenn sie gegen gesetzliche Verbote wie das Verbot des Glücksspiels, Wuchers oder die guten Sitten verstoßen.

Welche Pflichten zur Dokumentation und Meldung bestehen bei Derivatgeschäften?

Für Derivatgeschäfte gelten umfangreiche Dokumentations- und Meldepflichten, die sowohl aus nationalen als auch aus europäischen Rechtsquellen resultieren. Nach der EMIR-Verordnung sind nahezu alle Marktteilnehmer verpflichtet, außerbörsliche Derivategeschäfte unverzüglich (meist innerhalb von 24 Stunden) an ein Transaktionsregister zu melden. Hierdurch soll Transparenz am Markt geschaffen und das Risiko systemischer Krisen reduziert werden. Daneben bestehen Pflichten zur Dokumentation der Geschäfte, der Risikosteuerung und der eingesetzten Sicherheiten. Auch das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) sieht Melde- und Aufzeichnungspflichten vor. Bei Verstößen gegen diese Pflichten drohen Bußgelder und aufsichtsrechtliche Sanktionen.

Welche Besonderheiten gelten bei Insolvenz einer Vertragspartei im Hinblick auf bestehende Derivateverträge?

Im Insolvenzfall einer Vertragspartei sind besondere Vorschriften bezüglich der Abwicklung von Derivateverträgen zu beachten. Typischerweise sehen die einschlägigen Rahmenverträge (wie ISDA oder DRV) sog. Aufrechnungs- und Close-out Netting-Klauseln vor, die im Insolvenzfall eine Verrechnung aller gegenseitigen Forderungen ermöglichen und das Gesamtrisiko reduzieren. Die Durchsetzbarkeit dieser Klauseln war in der Vergangenheit umstritten, ist jedoch durch § 104 InsO (Insolvenzordnung) für Finanztermingeschäfte explizit bejaht, was bedeutet, dass solche Netting-Vereinbarungen auch im Insolvenzfall Bestand haben. Allerdings müssen bestimmte Formerfordernisse und Veröffentlichungs- bzw. Registerpflichten eingehalten werden, damit die Wirksamkeit nicht gefährdet wird.

Welche Verantwortlichkeiten und Haftungsrisiken bestehen bei Beratungsfehlern im Zusammenhang mit Derivatgeschäften?

Bei Derivategeschäften kann eine beratende Partei (z. B. Bank oder Finanzdienstleister) umfangreichen Haftungsrisiken ausgesetzt sein, wenn sie ihre Informations- und Aufklärungspflichten verletzt. Insbesondere müssen die Risiken, Vertragskonditionen und Funktionsweisen des jeweiligen Derivats detailliert und adressatengerecht erläutert werden. Die Rechtsprechung fordert hier nicht nur die Übergabe von Informationsmaterialien, sondern eine anleger- und objektgerechte Beratung. Beratungsfehler können zu Schadensersatzansprüchen führen; dies gilt insbesondere für Fälle, in denen das Geschäft nicht zu den Kenntnissen, Erfahrungen oder Anlagezielen des Kunden passt (Stichwort: appropriateness test nach MiFID II).

Wie wird der grenzüberschreitende Handel mit Derivaten rechtlich behandelt?

Der grenzüberschreitende Handel mit Derivaten bringt zahlreiche rechtliche Herausforderungen mit sich. Maßgeblich ist zum einen das anwendbare Recht (Rechtswahlklausel), zum anderen die Anerkennung und Durchsetzbarkeit von Vertragsklauseln (z. B. Netting, Collateral) im jeweiligen ausländischen Rechtsraum. Hinzu kommen regulatorische Fragen, etwa bei der Erfüllung der EMIR-Meldepflichten durch Drittstaaten oder der Anerkennung von Clearingstellen. Im Zweifel müssen beteiligte Parteien prüfen, ob ihre Verträge ausländisches Recht und lokale Regulierungen einhalten, vor allem mit Blick auf Sanktionen, Lizenzpflichten oder etwaige Verbote bestimmter Finanzinstrumente. Die Beratung durch international erfahrene Fachanwälte ist hier dringend zu empfehlen.