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Deemed

Begriff und Grundprinzip von „Deemed“

„Deemed“ (deutsch: „gilt als“, „als gegeben angesehen“, „fingiert“) bezeichnet in Rechtstexten eine Anordnung, nach der ein bestimmter Zustand, eine Eigenschaft oder ein Ereignis rechtlich so behandelt wird, als ob es tatsächlich vorläge – unabhängig davon, ob dies in der Realität der Fall ist. Der Begriff etabliert damit eine rechtliche Gleichstellung durch Anordnung, nicht durch Tatsachenfeststellung. Ziel ist es, Lücken zu schließen, Abläufe zu vereinfachen, Fristen zu steuern oder Rechtsfolgen klar zuzuordnen.

Abgrenzung: Fiktion, Vermutung und „Deemed“

Rechtliche Fiktion („gilt als“)

Eine Fiktion ordnet unwiderlegbar an, dass etwas als gegeben zu behandeln ist. Sie ersetzt die Wirklichkeit durch eine rechtliche Setzung. Formulierungen wie „gilt als“ oder im Englischen „shall be deemed“ deuten regelmäßig auf eine Fiktion hin, deren Reichweite sich aus dem jeweiligen Kontext ergibt.

Gesetzliche Vermutung

Eine Vermutung nimmt einen Umstand als wahrscheinlich an, lässt aber den Gegenbeweis zu („widerlegliche Vermutung“). Wird in Texten „deemed unless the contrary is proved“ oder eine ähnliche Einschränkung verwendet, nähert sich „deemed“ der Vermutung an. Ohne solche Einschränkung liegt meist eine Fiktion vor.

Typische Anwendungsfelder

Steuerrecht

„Deemed“-Regelungen ordnen etwa an, dass Einkünfte, Zuflüsse, Wohnsitzmerkmale oder Transaktionen als vorhanden gelten. Das betrifft u. a. die Zurechnung von Einnahmen, den Zeitpunkt des Zuflusses oder die Einordnung bestimmter Zahlungen. Dadurch werden Steuerfolgen klar ausgelöst, auch wenn der tatsächliche Vorgang komplex oder grenzüberschreitend ist.

Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht

Häufig wird festgelegt, dass Personen oder Unternehmen als verbunden, beherrschend oder beteiligt gelten, um Transparenz, Stimmrechtszurechnung oder Meldepflichten sicherzustellen. Ebenso können Corporate-Governance-Regeln den Eintritt bestimmter Organwirkungen fingieren.

Vertrags- und AGB-Recht

Im Privatrecht wird oft bestimmt, dass Erklärungen als zugegangen, Angebote als angenommen oder Leistungen als erbracht gelten, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Solche Regelungen sollen Rechtssicherheit schaffen, etwa bei digitaler Kommunikation oder standardisierten Abläufen.

Verwaltungs- und Regulierungsrecht

Verfahrenstechnisch wird teilweise eine Genehmigung, Zustimmung oder Anzeige als erfolgt behandelt, wenn eine Behörde nicht innerhalb einer Frist reagiert („deemed approval“/„deemed consent“). Dies strukturiert Verwaltungsprozesse und verhindert Stillstand.

Prozess- und Verfahrensrecht

Für Zustellungen oder Fristläufe wird angeordnet, dass Dokumente als zugegangen gelten, sobald bestimmte Ereignisse eingetreten sind (z. B. Aufgabe zur Post, Bereitstellung in einem elektronischen System). Damit wird der Beginn von Rechtsbehelfsfristen klar definiert.

Arbeits- und Sozialrecht

In Kollektiv- oder Individualarbeitsverhältnissen kann die Wirksamkeit bestimmter Erklärungen fingiert werden, ebenso die Einordnung eines Beschäftigtenstatus oder der Beginn von Ansprüchen, um Schutzmechanismen oder Meldewege zu ordnen.

Wirkungen und Reichweite

Rechtsfolgen

„Deemed“-Anordnungen lösen dieselben Rechtsfolgen aus, als läge der bezeichnete Tatbestand tatsächlich vor. Das betrifft Entstehung, Umfang und Durchsetzbarkeit von Rechten und Pflichten.

Zeitliche Aspekte

Häufig bezieht sich „deemed“ auf Zeitpunkte: Ein Ereignis gilt als an einem bestimmten Tag eingetreten. Dies steuert Fristen, Verjährung, Bewertungsstichtage und Meldezeiträume.

Territorialität und Internationalität

In grenzüberschreitenden Sachverhalten ordnet „deemed“ zu, welchem Staat oder welcher Rechtsordnung ein Vorgang zugerechnet wird. Kollisionsfragen können entstehen, wenn verschiedene Rechtsordnungen abweichende Fiktionen vorsehen.

Auslegung und Grenzen

Zweckbindung und enge Auslegung

„Deemed“-Regelungen sind zweckbezogen. Sie werden in der Regel nicht über ihren erkennbaren Anwendungsbereich hinaus ausgedehnt. Maßgeblich sind Wortlaut, Systematik und Schutzzweck der Norm.

Verhältnis zu Tatsachen und Beweis

Eine Fiktion verdrängt tatsächliche Abläufe innerhalb ihres Anwendungsbereichs. Bei vermutungsnahen Formulierungen kann ein Gegenbeweis möglich sein, wenn der Text dies vorsieht. Entscheidend ist die konkrete Formulierung und die Struktur der Norm.

Vorrang spezieller Regelungen

Wo der Gesetz- oder Verordnungsgeber eine spezielle „deemed“-Anordnung trifft, geht sie regelmäßig allgemeinen Grundsätzen vor. Mehrere Fiktionen sind kontextbezogen zueinander abzugrenzen.

Formulierungen und Sprachgebrauch

Typische Wendungen

Englische Rechtstexte verwenden häufig „shall be deemed“, „is deemed“, „is to be treated as“. Deutsche Fassungen nutzen „gilt als“ oder „werden so behandelt, als ob“. Präzisierungen wie „es sei denn, …“ können die Fiktion einschränken.

Systemnähe in verschiedenen Rechtsordnungen

Der Begriff ist besonders in Rechtsordnungen mit englischer Gesetzessprache verbreitet, findet sich aber in Übersetzungen und im unionsrechtlichen Sprachgebrauch wieder. Die dogmatische Funktion entspricht der rechtlichen Fiktion im deutschsprachigen Rechtskreis.

Risiken und Streitpunkte

Kollisions- und Abgrenzungsprobleme

Kollisionen entstehen, wenn mehrere „deemed“-Anordnungen denselben Sachverhalt unterschiedlich erfassen. Abgrenzungen betreffen unter anderem Zuständigkeiten, Meldepflichten und materielle Rechtsfolgen.

Transparenz und Vorhersehbarkeit

Fiktionen erhöhen Vorhersehbarkeit, können aber in Einzelfällen zu Ergebnissen führen, die von der tatsächlichen Lage abweichen. Dies kann insbesondere bei Fristen, Zurechnungen und Qualifikationen relevant sein.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet „deemed“ in Rechtstexten konkret?

„Deemed“ ordnet an, dass ein Umstand rechtlich so behandelt wird, als läge er tatsächlich vor. Dadurch werden Rechtsfolgen ausgelöst, ohne dass der reale Eintritt des Umstands erforderlich ist.

Worin unterscheidet sich „deemed“ von einer gesetzlichen Vermutung?

„Deemed“ wirkt regelmäßig als Fiktion und ist dann nicht widerlegbar. Eine gesetzliche Vermutung lässt den Gegenbeweis zu. Enthält der Text eine Öffnungsklausel („es sei denn, das Gegenteil wird nachgewiesen“), nähert sich „deemed“ der Vermutung an.

Welche Rolle spielt „deemed receipt“ oder „gilt als zugegangen“ für Fristen?

Wird der Zugang von Erklärungen fingiert, beginnen Fristen ab dem fingierten Zeitpunkt zu laufen. Damit wird der Startpunkt rechtssicher festgelegt, auch wenn der tatsächliche Zugang später erfolgt.

Kann eine „deemed“-Anordnung widerlegt werden?

Nur wenn der Text dies vorsieht. Eine reine Fiktion ist nicht widerlegbar. Bei vermutungsnahen Formulierungen kann ein Gegenbeweis möglich sein; dies hängt von der konkreten Normstruktur ab.

Wie wird „deemed“ im Deutschen wiedergegeben?

Üblich sind „gilt als“ oder „wird so behandelt, als ob“. Beide drücken eine rechtliche Gleichstellung aus und entsprechen der Funktion der Fiktion.

Welche Bedeutung hat „deemed“ im Steuerrecht?

Es steuert insbesondere Zurechnung, Zeitpunkt und Qualifikation von Sachverhalten, etwa bei Einkünften, Wohnsitzzuordnungen oder Transaktionen. Dadurch werden steuerliche Folgen klar ausgelöst und administrativ handhabbar.

Ist „deemed consent“ eine wirksame Einwilligung?

„Deemed consent“ fingiert eine Einwilligung unter festgelegten Voraussetzungen, etwa bei ausbleibendem Widerspruch und transparenter Information. Ob und in welchem Umfang dies anerkannt ist, ergibt sich aus der jeweiligen Rechtsordnung und der konkreten Regelung.