Begriff und Funktion der Consideration
Consideration ist ein Grundpfeiler des Vertragsrechts in Rechtsordnungen, die auf dem Common Law beruhen. Der Begriff bezeichnet den rechtlich anerkannten Gegenwert, der im Zuge eines Versprechens versprochen oder erbracht wird. Vereinfacht ausgedrückt: Ein Vertrag ist in diesen Systemen grundsätzlich nur dann verbindlich, wenn für ein Versprechen etwas im Austausch steht. Dieses „Etwas“ kann ein Tun, ein Unterlassen oder ein Gegenversprechen sein. Die Consideration grenzt durch den Austauschcharakter verbindliche Verträge von bloßen Gefälligkeits- oder Schenkungszusagen ab.
Zweck der Consideration ist es, den vertraglichen Bindungswillen durch einen erkennbaren Austausch zu dokumentieren, opportunistische Bindungen ohne Gegenleistung zu verhindern und eine faire Zuordnung von Risiken und Lasten im Vertragsgefüge zu unterstützen.
Wesentliche Elemente der Consideration
Gegenseitigkeit des Austauschs
Consideration setzt einen Austausch voraus: Ein Versprechen wird als Gegenleistung für die Zusage oder Leistung der anderen Seite gemacht. Dieses „Bargain“-Prinzip erfordert einen Bezug zwischen Versprechen und Gegenwert. Fehlt dieser Bezug, liegt regelmäßig keine wirksame Consideration vor.
Rechtliche Anerkennung: ausreichend, nicht notwendig „angemessen“
Die Consideration muss rechtlich „hinreichend“, aber nicht wirtschaftlich „angemessen“ sein. Gerichte bewerten grundsätzlich nicht, ob der vereinbarte Gegenwert „fair“ oder „gleichwertig“ ist. Ein nomineller Betrag kann genügen, sofern er ernst gemeint ist und nicht nur zum Schein vereinbart wurde. Reine Scheinleistungen werden nicht anerkannt.
Mögliche Ausprägungen der Consideration
- Leistung: Zahlung von Geld, Lieferung von Waren, Erbringung von Dienstleistungen.
- Unterlassen: Verzicht auf ein Recht oder das Unterlassen einer Handlung (z. B. Nichtgeltendmachung eines Anspruchs), sofern der Verzicht ernsthaft und rechtlich bedeutsam ist.
- Versprechen: Ein bindendes Gegenversprechen, etwa künftig zu liefern oder eine bestimmte Handlung vorzunehmen.
Illusorische Versprechen und Unbestimmtheit
Versprechen, die im Belieben einer Partei stehen oder keine inhaltliche Bindung erzeugen, gelten als „illusorisch“ und sind keine taugliche Consideration. Zudem scheitern Versprechen, die zu unbestimmt sind, um rechtliche Bindungswirkung zu entfalten.
Vergangene Leistung („past consideration“)
Eine bereits in der Vergangenheit erbrachte Leistung ist grundsätzlich keine Consideration für ein später abgegebenes Versprechen, da der Austauschbezug fehlt. Ausnahmen kommen nur in eng umgrenzten Fällen in Betracht, etwa wenn die Leistung auf Anforderung erbracht wurde und beide Seiten dabei stillschweigend von einer späteren Vergütung ausgingen.
Vorbestehende Pflicht („pre-existing duty“)
Die Erfüllung oder Zusage der Erfüllung einer bereits bestehenden rechtlichen Pflicht stellt in der Regel keine neue Consideration dar, weil kein zusätzlicher Gegenwert geschaffen wird. Ein Mehr an Pflichten, zusätzliche Belastungen oder ein qualitativ anderer Beitrag können dagegen eine neue Consideration begründen. Ob und in welchem Umfang praktische Vorteile hierfür genügen, wird in den Rechtsordnungen unterschiedlich bewertet.
Besondere Konstellationen
Vertragsänderungen
Für die Änderung eines bestehenden Vertrags wird in traditionellen Ausprägungen des Common Law regelmäßig eine neue Consideration verlangt, wenn die Änderung zusätzliche Rechte oder Vorteile verschiebt. Moderne Entwicklungen erkennen in bestimmten Bereichen Änderungen auch ohne neuen Gegenwert an, sofern sie einvernehmlich getroffen werden und bestimmten Anforderungen genügen. Die Ausgestaltung ist je nach Rechtsordnung nicht einheitlich.
Vergleich, Erlass und Ratenvereinbarungen
Bei der Beilegung von Streitigkeiten (Vergleich) kann der Verzicht auf die Durchsetzung eines Anspruchs eine wirksame Consideration sein, wenn der Anspruch zumindest vertretbar erscheint und der Verzicht ernsthaft gemeint ist. Ähnliches gilt für Vereinbarungen mit mehreren Gläubigern, bei denen Teilzahlungen und wechselseitige Zugeständnisse den erforderlichen Gegenwert liefern können.
Drittbegünstigung und Leistung durch Dritte
Consideration kann in einigen Rechtsordnungen auch von einer dritten Person erbracht werden, sofern der Austauschbezug zum Versprechen besteht. Gleichzeitig wirkt in vielen Common-Law-Systemen der Grundsatz, dass grundsätzlich nur Parteien, die am Austausch beteiligt sind, vertragliche Ansprüche geltend machen können (Privity). Dieser Grundsatz wurde in mehreren Ländern teilweise modifiziert, etwa durch spezielle Regelungen zugunsten Dritter.
Unentgeltliche Versprechen und Schenkung
Ein einseitiges, unentgeltliches Versprechen ist ohne Consideration regelmäßig nicht einklagbar. Der Unterschied zur Schenkung liegt darin, dass eine Schenkung gerade keine Gegenleistung erfordert. In verschiedenen Rechtsordnungen können allerdings besondere Formvorschriften dazu führen, dass bestimmte unentgeltliche Versprechen auch ohne Consideration verbindlich sind.
Formverträge und Deeds
Bestimmte besonders formalisierte Urkunden (häufig als „Deed“ bezeichnet) können ohne Consideration verbindlich sein. Sie erfordern typischerweise besondere Formelemente und dienen dazu, die Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit der Verpflichtung zu dokumentieren. Der genaue Anwendungsbereich variiert zwischen den Rechtsordnungen.
Abgrenzungen und verwandte Konzepte
Promissory Estoppel
Promissory Estoppel ist ein verwandtes Konzept, das in bestimmten Fällen die Durchsetzung eines Vertrauens auf ein Versprechen ermöglicht, obwohl eine klassische Consideration fehlt. Es setzt ein schutzwürdiges Vertrauen und eine daraus resultierende Benachteiligung voraus. Der Anwendungsbereich ist begrenzt und unterscheidet sich von Land zu Land. Häufig dient Promissory Estoppel eher als Einwendung oder Korrektiv denn als allgemeiner Ersatz für Consideration.
Unterschied zum Zivilrecht
In vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen gibt es das Erfordernis der Consideration in dieser Form nicht. Dort steht die Übereinstimmung der Willenserklärungen und der Bindungswille im Mittelpunkt; unentgeltliche Versprechen können je nach System und Formvorschriften ebenfalls verbindlich sein. Der Vergleich zeigt, dass Consideration vor allem ein Strukturmerkmal des Common Law ist, während Zivilrechtsordnungen auf andere Mechanismen zur Abgrenzung verbindlicher Versprechen zurückgreifen.
Praktische Bedeutung und typische Prüfungsfragen
- Liegt ein Austauschverhältnis vor, in dem das Versprechen als Gegenleistung für eine Leistung, ein Unterlassen oder ein Gegenversprechen abgegeben wurde?
- Ist der Gegenwert rechtlich hinreichend, auch wenn er wirtschaftlich möglicherweise ungleichwertig ist?
- Handelt es sich um ein bloßes Scheinversprechen oder ist die Zusage inhaltlich zu unbestimmt?
- Betreffen die Leistungen eine bereits bestehende Pflicht oder eine vergangene Handlung ohne Austauschbezug?
- Wurde ein Vertrag geändert und erfordert die Änderung eine neue Consideration?
- Sind besondere Formen wie Deeds einschlägig, die ohne Consideration Bindung erzeugen können?
- Sind Dritte beteiligt, und wie wirkt sich dies auf die Durchsetzbarkeit aus?
Beispiele zur Veranschaulichung
- Einseitiges Versprechen ohne Gegenleistung: A sagt B zu, ohne Gegenleistung 1.000 Euro zu zahlen. Ohne besondere Form bleibt das Versprechen regelmäßig unverbindlich, da die Consideration fehlt.
- Austausch von Versprechen: A verpflichtet sich, Ware zu liefern; B verpflichtet sich zur Zahlung. Beiderseitige Versprechen bilden die Consideration.
- Unterlassen als Gegenwert: B verzichtet darauf, einen vertretbaren Anspruch gegen A gerichtlich geltend zu machen. Der Verzicht kann Consideration für As Zahlungsversprechen sein.
- Vergangene Leistung: B reparierte As Gerät letzte Woche ohne Absprache. A verspricht später, dafür zu zahlen. Ohne Zusammenhang zum ursprünglichen Auftrag fehlt normalerweise die Consideration.
- Vertragsänderung: Die Parteien einigen sich auf einen höheren Preis bei gleichen Pflichten der anderen Seite. In klassischen Ansätzen ist dafür regelmäßig neue Consideration erforderlich; moderne Ausnahmen sind kontextabhängig.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet Consideration im Vertragsrecht des Common Law?
Consideration ist der rechtlich anerkannte Gegenwert, der im Austausch für ein Versprechen gegeben wird. Sie kann in einer Leistung, einem Unterlassen oder einem Gegenversprechen bestehen und dient dazu, verbindliche Verträge von bloßen Gefälligkeits- oder Schenkungszusagen abzugrenzen.
Welche Formen kann Consideration annehmen?
Sie kann Geldzahlungen, Lieferungen, Dienstleistungen, das Unterlassen einer Handlung oder ein bindendes Gegenversprechen umfassen. Entscheidend ist der Austauschbezug: Der Gegenwert muss als Gegenleistung für das Versprechen gewährt werden.
Reicht ein symbolischer Betrag als Consideration aus?
Ja, sofern er ernsthaft vereinbart ist. Consideration muss rechtlich hinreichend, aber nicht wirtschaftlich angemessen sein. Scheinvereinbarungen oder nur zum Anschein gewählte Beträge werden jedoch nicht anerkannt.
Warum ist eine vergangene Leistung in der Regel keine Consideration?
Weil der notwendige Austauschbezug fehlt. Die Leistung wurde bereits erbracht, bevor das spätere Versprechen abgegeben wurde. Nur in eng begrenzten Ausnahmen kann eine frühere, auf Anforderung erbrachte Leistung als Consideration genügen.
Ist eine Vertragsänderung ohne neue Consideration wirksam?
Traditionell verlangt das Common Law bei Vertragsänderungen eine neue Consideration, wenn sich die vertraglichen Vorteile ändern. Moderne Tendenzen erkennen in bestimmten Bereichen Änderungen auch ohne neuen Gegenwert an. Die Einzelheiten unterscheiden sich je nach Rechtsordnung und Kontext.
Wie verhält sich Promissory Estoppel zur Consideration?
Promissory Estoppel kann in besonderen Situationen Vertrauen auf ein Versprechen schützen, obwohl eine klassische Consideration fehlt. Es ist jedoch kein allgemeiner Ersatz für Consideration und wird in den Rechtsordnungen in Reichweite und Funktion unterschiedlich gehandhabt.
Gibt es im Zivilrecht ein Pendant zur Consideration?
Ein unmittelbares Pendant existiert meist nicht. Zivilrechtsordnungen stützen die Bindungswirkung primär auf übereinstimmende Erklärungen und Bindungswillen; unentgeltliche Versprechen können, abhängig von Formvorschriften, ebenfalls verbindlich sein. Der Abgrenzungsmechanismus unterscheidet sich damit grundlegend vom Common-Law-Ansatz.