Rechtslage und Begriffserklärung: Bürgerenergiegesellschaften
Definition und Abgrenzung
Bürgerenergiegesellschaften sind gesellschaftsrechtlich organisierte Zusammenschlüsse natürlicher Personen, deren Ziel die gemeinschaftliche Planung, Finanzierung, Errichtung und der Betrieb von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien ist. Sie stellen ein zentrales Instrument der Energiewende dar und fördern eine dezentrale Energieversorgung unter Mitwirkung der lokalen Bevölkerung.
Das Rechtsinstitut der Bürgerenergiegesellschaften ist insbesondere im Kontext des deutschen Energierechts bedeutend. Der Begriff ist gesetzlich verankert, vor allem im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2023. Dort wird der Begriff zur Förderung von Projekten im Bereich Windenergie sowie Photovoltaik präzisiert und mit spezifischen rechtlichen Privilegien und Anforderungen verbunden.
Gesetzliche Grundlagen
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)
Der zentrale Bezugsrahmen für Bürgerenergiegesellschaften ist das EEG, insbesondere § 3 Nr. 15 EEG 2023, der eine Legaldefinition bereitstellt. Nach dem EEG liegt eine Bürgerenergiegesellschaft vor, wenn einer oder mehrere Bürger, mindestens aber 50 natürliche Personen mit Stimmrecht, Gesellschafter sind. Darüber hinaus dürfen keine Unternehmen mit maßgeblicher wirtschaftlicher oder organisatorischer Kontrolle beteiligt sein, sofern diese nicht selbst die Kriterien für Bürgergesellschaften erfüllen.
Weitere Rechtsquellen
Je nach Gesellschaftsform und Anlagentyp kommen zusätzlich Regelungen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), Handelsgesetzbuch (HGB), dem Gesellschaftsrecht (insb. GmbHG, GenG, PartGG), sowie das Energierecht (EnWG) und das Genehmigungsrecht (BImSchG, BauGB) zur Anwendung.
Gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung
Zulässige Gesellschaftsformen
Bürgerenergiegesellschaften können insbesondere in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), einer eingetragenen Genossenschaft (eG) oder einer Kommanditgesellschaft (KG) gegründet werden. Für alle Rechtsformen gilt, dass die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich Teilhabe und Stimmrechten den gesetzlichen Anforderungen des EEG entsprechen müssen.
Beteiligungen und Stimmrechtsverteilung
Der Gesetzgeber verlangt für die Einstufung als Bürgerenergiegesellschaft im Regelfall eine Mehrheit natürlich persönlicher Beteiligung (> 50 % der Stimmrechte). Darüber hinaus müssen in bestimmten Fällen die Stimmrechte gleichmäßig auf alle Beteiligten verteilt sein („one man, one vote“-Prinzip), vor allem bei Genossenschaften.
Spezielle rechtliche Anforderungen
Projektgröße und regionale Verankerung
Bürgerenergiegesellschaften müssen häufig regionale Bezüge aufweisen: Die Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder muss im Umkreis der jeweiligen Anlage leben (regionaler Bezug im Sinne des EEG). Auch dürfen natürliche Personen nur bis zu einem bestimmten Prozentsatz Anteile halten, um Übernahmen durch große Investoren zu verhindern.
Ausschreibungs- und Förderbedingungen
Bürgerenergiegesellschaften genießen im Rahmen des EEG bei bestimmten Ausschreibungsverfahren Privilegien. Windenergieprojekte von Bürgerenergiegesellschaften, die den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, sind etwa von der Pflicht zur Vorlage einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung während der Ausschreibung befreit (sog. „Genehmigungsfiktion“). Zusätzlich profitieren sie von einer verlängerten Realisierungsfrist und Sonderregelungen bei Zuschlags- sowie Förderbedingungen.
Haftungsfragen und Compliance
Gesellschaftsrechtliche Haftung
Je nach gewählter Rechtsform bestehen unterschiedliche Haftungsregime: Bei der GbR haften die Gesellschafter gesamtschuldnerisch und unbeschränkt, bei der GmbH oder eG ist die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Compliance-Strukturen, wie Geschäftsordnungen und interne Kontrollsysteme, sind bei wachsenden Projektgrößen geboten.
Sicherstellung der gesetzlichen Zuverlässigkeit
Insbesondere im Kontext der Ausschreibungen ist erforderlich, dass die Bürgerenergiegesellschaften den Nachweis ihrer Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen rechtzeitig und vollständig erbringen, um Sanktionen und den Verlust von Privilegien zu vermeiden.
Steuerrechtliche Rahmenbedingungen
Ertrags-, Körperschaft- und Gewerbesteuer
Die steuerliche Behandlung hängt von der gewählten Gesellschaftsform und der Art sowie dem Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit ab. Gewinne aus dem Betrieb von Anlagen unterliegen grundsätzlich der Ertrags- und ggf. Gewerbesteuer. Genossenschaften und GmbHs sind körperschaftsteuerpflichtig. Steuerliche Förderungen oder Ausnahmen bestehen für Bürgerenergiegesellschaften im Gesetz nicht explizit, jedoch können allgemeine Regelungen im EEG, StromStG und in entsprechenden Richtlinien zur Anwendung kommen.
Energiewirtschaftsrechtliche Aspekte
Netzanschluss und Einspeisung
Bürgerenergiegesellschaften unterliegen den allgemeinen Anforderungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG). Sie haben einen gesetzlichen Anspruch auf diskriminierungsfreien Netzanschluss und können ihren Strom vorrangig in das öffentliche Versorgungsnetz einspeisen. Die Vergütung erfolgt auf Basis der in Ausschreibungen oder nach EEG festgelegten Fördersätze.
Mitbestimmung und Transparenz
Die rechtlichen Anforderungen an Transparenz, Mitbestimmung und Geschäftsführung sind bei Bürgerenergiegesellschaften besonders ausgeprägt. Sie müssen der demokratischen Kontrolle durch die Mitglieder Rechnung tragen und regelmäßig Bericht erstatten.
Datenschutz und Informationspflichten
Die Beteiligung vieler einzelner Bürger und die Führung einer Vielzahl personenbezogener Daten bedingen die strikte Einhaltung des Datenschutzrechts (insbesondere DSGVO, BDSG). Bürgerenergiegesellschaften sind Verantwortliche im Sinne der DSGVO und müssen geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz der Daten vorsehen.
Zusammenfassung
Bürgerenergiegesellschaften sind ein gesetzlich geregeltes Instrument zur Förderung der Bürgerbeteiligung im Sektor Erneuerbare Energien. Sie zeichnen sich durch spezifische gesellschaftsrechtliche, energiewirtschaftliche und steuerliche Anforderungen aus und profitieren von einem besonderen Status in einschlägigen Förder- und Ausschreibungsverfahren. Die rechtliche Ausgestaltung verlangt die Einhaltung detaillierter Vorgaben zur Zusammensetzung, Mitbestimmung und regionalen Verankerung, sodass sie einen wesentlichen Beitrag zur Akzeptanz und Umsetzung der Energiewende leisten.
Häufig gestellte Fragen
Welche haftungsrechtlichen Besonderheiten gelten für Mitglieder einer Bürgerenergiegesellschaft?
Mitglieder von Bürgerenergiegesellschaften haften grundsätzlich entsprechend der gewählten Rechtsform der Gesellschaft. Entscheiden sich die Gründer etwa für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder die eingetragene Genossenschaft (eG), besteht lediglich eine Haftung mit dem Gesellschaftsvermögen; eine persönliche Haftung der Mitglieder ist hier weitestgehend ausgeschlossen. Bei anderen Rechtsformen, wie der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder der offenen Handelsgesellschaft (OHG), haften die Gesellschafter dagegen grundsätzlich auch mit ihrem Privatvermögen, sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist. Besonderheiten können sich darüber hinaus durch gesetzliche Vorschriften wie § 42 Absatz 1 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2023 ergeben, wonach Bürgerenergiegesellschaften bestimmte Voraussetzungen – unter anderem hinsichtlich des Sitzes, der Stimmrechte und der Mitgliederstruktur – erfüllen müssen, um Privilegien in Anspruch nehmen zu können. Verstöße gegen diese Vorschriften können zur Aberkennung des Status und zu Rückforderungsansprüchen führen, was wiederum haftungsrechtliche Konsequenzen für die handelnden Organe, insbesondere Vorstände oder Geschäftsführer, nach sich ziehen kann.
Welche gesellschaftsrechtlichen Strukturen sind für Bürgerenergiegesellschaften zulässig?
Gesetzlich zulässig und in der Praxis anerkannt sind für Bürgerenergiegesellschaften insbesondere die Rechtsformen der eingetragenen Genossenschaft (eG), der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), der Unternehmergesellschaft (UG), der Aktiengesellschaft (AG) sowie der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Die Wahl der Rechtsform ist von entscheidender Bedeutung, da sie unmittelbare Auswirkungen auf Haftung, Mitbestimmung, Kapitalausstattung und Geschäftsführung hat. Bürgerenergiegesellschaften müssen gemäß § 42 EEG 2023 zudem spezifische Anforderungen erfüllen, um als solche anerkannt zu werden, wie etwa eine Begrenzung auf maximal 500 natürliche Personen als stimmberechtigte Mitglieder, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im näheren Umkreis des Energieprojekts sowie eine Stimmrechtsgewichtung, die keine Dominanz einzelner Mitglieder zulässt. Bei der Genossenschaft wird der Förderzweck betont und jedes Mitglied hat unabhängig von seinem Kapitalanteil grundsätzlich eine Stimme (§ 43 GenG). Bei der GmbH können die jeweiligen Gesellschaftsverträge die Stimmrechtsausübung begrenzen, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen.
Welche ordnungsrechtlichen Genehmigungspflichten bestehen für Projekte von Bürgerenergiegesellschaften?
Für die Errichtung und den Betrieb von Energieanlagen durch Bürgerenergiegesellschaften gelten dieselben ordnungsrechtlichen Genehmigungspflichten wie für andere Marktakteure. Maßgeblich ist hier vor allem das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), das insbesondere bei Windenergieanlagen oder größeren Photovoltaik-Freiflächenanlagen greift. Ergänzt wird dies durch Bauplanungsrecht (Baugesetzbuch, BauGB), Bauordnungsrecht der Länder sowie gegebenenfalls wasserrechtliche und naturschutzrechtliche Vorgaben. Bürgerenergiegesellschaften profitieren im Rahmen des EEG und der sogenannten „besonderen Ausschreibungsbedingungen für Bürgerenergiegesellschaften“ davon, dass sie bereits mit der Gebotsabgabe bei EEG-Ausschreibungen keine vollständige immissionsschutzrechtliche Genehmigung, sondern lediglich die Anzeige des Genehmigungsantrags nachweisen müssen (§ 36g EEG 2023). Nach Zuschlag ist die Genehmigung jedoch zeitnah nachzureichen, um Vergütungsansprüche nicht zu verlieren.
Welche steuerrechtlichen Anforderungen ergeben sich für Bürgerenergiegesellschaften?
Bürgerenergiegesellschaften unterliegen unterschiedlichen steuerlichen Pflichten, abhängig von ihrer Rechtsform und Tätigkeit. Allgemein relevant sind Einkommens- bzw. Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer sowie Umsatzsteuer. Bei Genossenschaften ist zusätzlich zu beachten, dass nur der ideelle Bereich, d. h. der satzungsgemäße Förderzweck, steuerbegünstigt ist, während wirtschaftliche Geschäftstätigkeiten der vollen Besteuerung unterliegen. Gewinne aus dem Betrieb von Photovoltaik-, Windkraft- oder Biogasanlagen sind regelmäßig als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren. Bei Überschreitung bestimmter Umsatzgrenzen entfällt die Kleinunternehmerregelung, sodass Umsatzsteuer erhoben werden muss (§ 19 UStG). Zudem sind steuerliche Fördermöglichkeiten und Abschreibungsmodelle im Rahmen der jeweiligen Projektfinanzierung zu beachten. Die genossenschaftliche Rückvergütung oder Ausschüttung von Gewinnen an die Mitglieder ist einkommensteuerpflichtig.
Welche Besonderheiten gelten bei der Vergabe von Stromlieferverträgen (PPA) durch Bürgerenergiegesellschaften?
Bei der Vergabe von Stromlieferverträgen – sogenannten Power Purchase Agreements (PPA) – sind Bürgerenergiegesellschaften wie andere Marktteilnehmer an die einschlägigen vertragsrechtlichen Bestimmungen, wie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), gebunden. Es gelten besondere Transparenzpflichten, insbesondere im Hinblick auf die Zusammensetzung der Mitglieder und die Vermeidung von Interessenkonflikten, z. B. bei der Auswahl von Abnehmern innerhalb des gesellschaftlichen Umfelds („related parties“). Bei der Ausschreibung von Strommengen müssen gegebenenfalls vergaberechtliche Regelungen berücksichtigt werden, wenn öffentliche Fördermittel involviert sind oder die Gesellschaft öffentliche Aufträge vergibt. Im Rahmen von EEG-Anlagen enden die gesetzlichen Vergütungen nach 20 Jahren, sodass Bürgerenergiegesellschaften bereits im Vorfeld vertragliche Regelungen zur Nachvermarktung des Stroms treffen müssen; hier spielt die Gestaltung von PPA insbesondere hinsichtlich Preisgleitklauseln, Abnahmeverpflichtungen und Haftungsregeln eine große Rolle. Die Vertragsgestaltung sollte frühzeitig juristisch abgesichert werden.
Welche datenschutzrechtlichen Verpflichtungen treffen Bürgerenergiegesellschaften?
Bürgerenergiegesellschaften verarbeiten regelmäßig personenbezogene Daten ihrer Mitglieder, etwa zur Verwaltung der Mitgliederlisten, für Abstimmungen und Auszahlungen. Sie müssen die Vorgaben der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) einhalten. Dies betrifft unter anderem die Pflicht zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten, sofern mehr als 20 Personen ständig mit der Verarbeitung personenbezogener Daten befasst sind, die Dokumentationspflichten (Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten) sowie die Einhaltung der Betroffenenrechte (Auskunft, Berichtigung, Löschung). Bei der Durchführung von Versammlungen oder Abstimmungen mittels elektronischer Kommunikationsmittel sind besondere technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz der Daten zu treffen. Darüber hinaus sind Einwilligungen zur Datenverarbeitung zu dokumentieren und ein rechtskonformer Umgang mit den Kontaktdaten sowie möglichen Veröffentlichungen (z. B. auf der Website) sicherzustellen.
Wie wirkt sich das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) auf die rechtliche Stellung von Bürgerenergiegesellschaften aus?
Das EEG räumt Bürgerenergiegesellschaften im Rahmen von Ausschreibungen für Windenergie- und Photovoltaikanlagen diverse Privilegien ein (§§ 3 Nr. 15, 36g ff. EEG 2023). Dazu zählen insbesondere Erleichterungen bei der Zulassung zu Ausschreibungen und flexiblere Genehmigungsanforderungen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Gesellschaft bestimmte Kriterien einhält, wie etwa die Mehrzahl der stimmberechtigten Mitglieder als natürliche Personen mit regionalem Bezug, eine Begrenzung der Stimmen einzelner Mitglieder und eine maximale installierte Leistung pro Projekt. Die Einhaltung dieser Merkmale ist nicht nur für den Zugang zu Förderungen entscheidend, sondern auch für die Rechtssicherheit sämtlicher Vertrags- und Förderbeziehungen. Ein Verstoß gegen die Anforderungen kann zur Unwirksamkeit des Gebots, zum Verlust von Förderansprüchen und zu Rückforderungsansprüchen führen, was weitreichende rechtliche und wirtschaftliche Folgen nach sich zieht.