Begriff und rechtlicher Hintergrund des Brexit
Der Begriff Brexit beschreibt den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (UK) aus der Europäischen Union (EU). Die Bezeichnung setzt sich aus den Wörtern „Britain“ und „Exit“ zusammen. Der Brexit ist ein bedeutendes rechtliches, politisches und wirtschaftliches Ereignis, das sowohl die britische als auch die EU-Rechtsordnung in wesentlichen Bereichen beeinflusste. Die rechtliche Komplexität des Phänomens Brexit resultiert aus der Verbindung völkerrechtlicher Mechanics, unionsrechtlicher Vorgaben und nationaler Umsetzungen.
Rechtsgrundlagen: Art. 50 EU-Vertrag und das Austrittsverfahren
Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union (EUV)
Der rechtliche Rahmen für den Austritt eines Mitgliedstaates aus der Europäischen Union ist erstmals mit dem Vertrag von Lissabon (2009) in den Vertrag über die Europäische Union aufgenommen worden. Artikel 50 EUV regelt den Austritt eines Mitgliedstaates und bestimmt ein spezifisches Verfahren:
- Mitteilungspflicht: Ein Mitgliedstaat, der auszutreten beabsichtigt, teilt dem Europäischen Rat seine Absicht mit.
- Verhandlungsrahmen: Die Union handelt daraufhin ein Abkommen aus, in dem die Einzelheiten des Austritts und die zukünftigen Beziehungen geregelt werden.
- Zwei-Jahres-Frist: Das austrittswillige Land scheidet zwei Jahre nach der Mitteilung aus der EU aus, es sei denn, diese Frist wird einvernehmlich verlängert.
- Vertragsrechtliche Konsequenzen: Nach dem Austritt finden die EU-Verträge auf das ausscheidende Land keine Anwendung mehr.
Der Brexit war der erste Anwendungsfall dieses Artikels und diente als Präzedenzfall für zukünftige Austritte.
Völkerrechtliche Dimensionen
Der Austritt eines Staates aus einem völkerrechtlichen Vertrag ist grundsätzlich durch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) geregelt. Da der EUV jedoch eine spezifische Austrittsklausel enthält, hat diese Vorrang vor den allgemeinen Bestimmungen des Völkerrechts.
Das Austrittsabkommen und seine rechtlichen Implikationen
Struktur und Inhalt des Austrittsabkommens
Das am 24. Januar 2020 ratifizierte Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union regelte zentrale Fragen des Austritts:
- Bürgerrechte: Rechtsstellung von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich und umgekehrt.
- Finanzielle Ausgleichsregelungen: Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs gegenüber noch offenen Zahlungen zum EU-Haushalt („Brexit Bill“).
- Übergangszeitraum: Bis zum 31. Dezember 2020 blieb das EU-Recht trotz formellen Austritts im Vereinigten Königreich weitgehend anwendbar, um einen geordneten Übergang zu ermöglichen.
- Nordirland-Protokoll: Spezielle Regelungen zur Grenzfrage zwischen Nordirland (UK) und Irland (EU), um das Karfreitagsabkommen zu schützen und eine „harte“ Grenze zu vermeiden
Rechtliche Verbindlichkeit und Verpflichtungen
Das Austrittsabkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Es ist verbindlich und unterliegt nach EU-Seite der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hinsichtlich seines Anwendungsbereichs zu Bürgerrechten und finanziellen Verpflichtungen.
Die Folgeabkommen: Handels- und Kooperationsabkommen
Handels- und Kooperationsabkommen (TCA)
Zum 1. Januar 2021 trat das „Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich“ (TCA) in Kraft. Dieses regelt die zukünftigen Beziehungen, insbesondere hinsichtlich:
- Waren- und Dienstleistungsverkehr: Zölle, Ursprungsregeln, technische Standards, Zulassungen.
- Fischerei: Übergangsweise Zugang zu Fanggebieten.
- Zusammenarbeit in Justiz, Sicherheit und Polizei
- Level-Playing-Field-Klauseln: Sicherung gleicher Wettbewerbsbedingungen.
Die Anwendung des Unionsrechts wurde damit entscheidend beschränkt; das Vereinigte Königreich ist Drittstaat gemäß EU-Verträgen.
Auswirkungen auf das Unionsrecht
Anpassung des EU-Sekundärrechts
Die maßgeblichen Anpassungen betrafen primär das Recht der Freizügigkeit, den Binnenmarkt und die mitgliedsstaatlichen Kompetenzen. Mit dem Austritt verlor das Vereinigte Königreich sämtliche EU-Mitgliedschaftsrechte und -pflichten, etwa Stimmrechte im Ministerrat, Sitze im Europäischen Parlament und den Zugang zu EU-Agenturen.
Sonderfälle und Übergangsregelungen
- Gewährleistung bestehender Rechte: Bürgerrechte, pensionsrechtliche Ansprüche und erworbene Sozialversicherungszeiten sind explizit geschützt.
- Grenzregelungen: Das sogenannte „Nordirland-Protokoll“ sorgt für fortgesetzte Regelung einheitlicher Warenkontrollen auf der irischen Insel.
Nationale Umsetzung: Das EU (Withdrawal) Act
Rechtslage im Vereinigten Königreich
Das „European Union (Withdrawal) Act 2018″ stellte die rechtliche Grundlage für den Brexit im Vereinigten Königreich dar. Es überführte bestehendes EU-Recht in nationales Recht („Retained EU Law“), ermöglichte Anpassungen und regelte das Verhältnis britischer Gesetze zu weiterhin geltenden EU-Regeln während des Übergangszeitraums.
Auswirkungen auf das Internationale Privatrecht und Wirtschaftsrecht
Anerkennung und Vollstreckung
Durch den Austritt verlor das Vereinigte Königreich die automatische Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf Basis diverser EU-Verordnungen (z. B. Brüssel Ia, Rom I und II). Dies machte eine individuelle Regelung per bi- oder multilateraler Abkommen notwendig.
Zoll- und Umsatzsteuerrecht
Mit Ablauf des Übergangszeitraums wurde das Vereinigte Königreich in Zoll- und Umsatzsteuerfragen zum Drittland. Dies hat weitreichende Bedeutung für Warenverkehr, Ursprungsregeln, Steuersätze sowie die Dokumentation und Anmeldung von Waren.
Fazit
Der Begriff Brexit bezeichnet nicht nur den Vorgang des britischen EU-Austritts, sondern steht für eine umfassende rechtliche Neuregelung zahlreicher Sachverhalte. Die rechtlichen Auswirkungen betreffen Vertragsrecht, internationales Recht, Europarecht, nationales Recht und zahlreiche Teilbereiche wie Aufenthaltsrecht, Steuerrecht und wirtschaftliche Kooperationen. Das Beispiel Großbritannien und der Brexit-Mechanismus gemäß Art. 50 EUV liefern langanhaltende Orientierungsrahmen für das mögliche Austrittsverfahren weiterer Staaten aus der Europäischen Union.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Regelungen gelten nach dem Brexit für bestehende Verträge zwischen Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich und der EU?
Nach dem Brexit bleiben bestehende Verträge zwischen Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich (UK) und der Europäischen Union (EU) grundsätzlich gültig, da zivilrechtliche Vertragsverhältnisse nicht automatisch durch den Austritt eines Staates aus der EU beendet werden. Es besteht jedoch erheblicher Anpassungsbedarf bei der Vertragsauslegung und -beendigung, insbesondere in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarungen, die Anwendung von UN-Kaufrecht (CISG) und die Durchsetzbarkeit von Urteilen. Die im Vertrag gewählte Rechtsordnung (Rechtswahlklausel) bleibt grundsätzlich wirksam, solange sie nicht ausdrücklich an EU-Mitgliedstaaten gebunden ist. Neue Risiken ergeben sich aus möglichen Zollkontrollen, Handelsbarrieren, Lieferverzögerungen sowie aus Unsicherheiten bezüglich Datenschutzbestimmungen und Produktstandards, da UK nicht mehr dem harmonisierten Binnenmarkt angehört. Unternehmen sollten bestehende Verträge hinsichtlich Force-Majeure-Klauseln, Zollklauseln, Anpassungspflichten und Kündigungsrechten analysieren und gegebenenfalls anpassen.
Wie wirken sich der Brexit auf den Datenschutz und die Übermittlung personenbezogener Daten zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich aus?
Seit dem 1. Januar 2021 gilt das Vereinigte Königreich datenschutzrechtlich als „Drittland“ im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Die Übermittlung personenbezogener Daten aus der EU nach UK ist seit dem 28. Juni 2021 durch einen sogenannten Angemessenheitsbeschluss der Europäischen Kommission rechtlich abgesichert. Dadurch wird das Datenschutzniveau in UK als dem in der EU gleichwertig anerkannt. Fehlt dieser Beschluss künftig, müssen Unternehmen zusätzliche datenschutzrechtliche Maßnahmen wie Standardvertragsklauseln oder Binding Corporate Rules implementieren. Zudem sind UK-Unternehmen nicht mehr unmittelbar an die DSGVO gebunden, sondern müssen ihre Verarbeitungsvorgänge an das britische Datenschutzrecht anpassen, das allerdings bislang inhaltlich stark an der DSGVO orientiert ist.
Welche Auswirkungen hat der Brexit auf die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen zwischen dem Vereinigten Königreich und den EU-Mitgliedstaaten?
Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs entfiel die automatische gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen nach der Brüssel Ia-Verordnung und dem Europäischen Vollstreckungstitel. Das UK ist dem Haager Übereinkommen von 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen beigetreten, sodass Urteile, die auf exklusiven Gerichtsstandsvereinbarungen beruhen, weiterhin anerkannt und vollstreckt werden. Liegt jedoch keine solche Vereinbarung vor, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung nach nationalem Recht des jeweiligen Drittstaates, was zu Verzögerungen und Unsicherheiten führen kann. Europäische Unternehmen sollten daher in neuen Verträgen die zuständigen Gerichte und Vollstreckungsregelungen explizit regeln.
Welche rechtlichen Folgen ergeben sich für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und Aufenthaltsrechte zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU?
Mit dem Brexit endete die gegenseitige Arbeitnehmerfreizügigkeit zwischen UK und der EU. Für britische Staatsangehörige, die sich bereits vor dem 31. Dezember 2020 in einem EU-Staat aufgehalten haben, und umgekehrt, gelten Übergangsregelungen nach dem Austrittsabkommen: Sie behalten ihre Rechte auf Aufenthalt, Arbeit und Sozialleistungen, sofern sie sich registriert und rechtzeitig entsprechende Anträge gestellt haben. Für neue Zuwanderer gilt das nationale Aufenthaltsrecht des jeweiligen Staates. Großbritannien hat darüber hinaus ein punktebasiertes Einwanderungssystem eingeführt, das den Zugang zum britischen Arbeitsmarkt für EU-Bürger erheblich erschwert. Für die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen gelten nun separate Regelungen.
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten seit dem Brexit beim Warenverkehr und bei Zollformalitäten zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich?
Seit dem 1. Januar 2021 ist das Vereinigte Königreich zollrechtlich ein Drittland. Trotz des abgeschlossenen Partnerschaftsabkommens, das weitgehend Zollfreiheit für Ursprungswaren vorsieht, müssen bei jeder Warenlieferung Zollanmeldungen abgegeben und Ursprungsnachweise erbracht werden. Unternehmen sind verpflichtet, Ex- und Importdokumente sowie gegebenenfalls Zollbewilligungen bereitzuhalten. Die Einfuhrumsatzsteuer und weitere regulatorische Prüfungen (etwa bei Pflanzen, Tieren oder bestimmten technischen Produkten) unterliegen nun dem nationalen Recht. Sofern die Ursprungsregeln nicht eingehalten werden, fallen reguläre Zölle an. Auch die Produkthaftung und CE-Kennzeichnung unterliegen nach dem Brexit zusätzlichen landesspezifischen Anforderungen.
Wie hat sich der rechtliche Schutz von geistigem Eigentum (Marken, Patente, Designs) im Zusammenhang mit dem Brexit verändert?
Mit dem Brexit endete die gleichzeitige Geltung von Unionsmarken, Gemeinschaftsgeschmacksmustern und bestimmten EU-Patentrechten im Vereinigten Königreich. Zum Abschluss der Übergangsphase hat UK für alle zu diesem Zeitpunkt im Vereinigten Königreich registrierten Unionsmarken und Gemeinschaftsgeschmacksmuster gleichwertige nationale Rechte geschaffen und automatisch im britischen Register eingetragen. Für internationale Registrierungen wurde eine vergleichbare Lösung gefunden. Neue EU-geprüfte Rechte nach dem 1. Januar 2021 haben im Vereinigten Königreich keine Wirkung mehr; hierfür muss ein separates Schutzrecht im UK beantragt werden. Patente nach dem Europäischen Patentübereinkommen sind davon nicht betroffen, da dieses nicht Teil des EU-Rechts ist.
Welche Änderungen gibt es in Hinblick auf die Anerkennung von Berufsqualifikationen für EU-Bürger im Vereinigten Königreich sowie für Briten in der EU?
Nach dem Brexit wird die automatische Anerkennung von Berufsqualifikationen, wie sie im Rahmen der EU-Direktive 2005/36/EG vorgesehen war, nicht mehr angewendet. Beide Seiten treffen Regelungen zur gegenseitigen Anerkennung künftig nur noch im Rahmen bilateraler oder nationaler Vorschriften. Das bedeutet, dass EU-Bürger für die Anerkennung ihrer Berufsqualifikation im Vereinigten Königreich und umgekehrt ein gesondertes Anerkennungsverfahren durchlaufen müssen, das von der jeweiligen zuständigen Behörde des Landes geregelt wird. Für bestimmte Sektoren können Vereinfachungen durch spezifische Abkommen geschaffen werden, jedoch ist dies nicht mehr der Regelfall, sodass potenziell längere Anerkennungsverfahren und erhöhte Nachweispflichten zu erwarten sind.