Legal Lexikon

Beschaffungsschuld

Begriff und Einordnung der Beschaffungsschuld

Die Beschaffungsschuld ist eine vertragliche Pflicht, bei der der Schuldner nicht einen individuell bestimmten Gegenstand schuldet, sondern die Pflicht übernimmt, eine Sache einer bestimmten Art oder Ware aus dem allgemeinen Markt zu beschaffen und zu liefern. Im Mittelpunkt steht die Frage, wer das Risiko trägt, dass der eigene Lieferant ausfällt oder die ursprünglich geplante Bezugsquelle versagt. Die Beschaffungsschuld ordnet dieses Risiko grundsätzlich dem Schuldner zu, solange eine Beschaffung am Markt tatsächlich möglich und zumutbar ist.

Definition

Unter einer Beschaffungsschuld versteht man eine Verpflichtung, bei der der Schuldner die Leistung nicht aus einem bereits vorhandenen, festgelegten Bestand schuldet, sondern sich die geschuldete Ware oder Leistung erst besorgen muss. Der Schwerpunkt liegt daher auf der Marktverfügbarkeit und der Reichweite der Beschaffungspflicht: Der Schuldner darf sich nicht darauf beschränken, die Leistung ausschließlich aus einer einzigen Quelle zu beziehen, wenn andere geeignete Bezugsquellen vorhanden sind.

Abgrenzung

Beschaffungsschuld versus Stückschuld

Bei der Stückschuld ist ein individueller, einzigartiger Gegenstand geschuldet (etwa ein bestimmtes Gemälde). Geht dieser unter, entfällt die Leistungspflicht. Bei der Beschaffungsschuld ist die Leistung auf die Beschaffung eines Gegenstands einer bestimmten Art gerichtet; fällt eine Quelle aus, muss grundsätzlich anderweitig beschafft werden.

Beschaffungsschuld versus Gattungsschuld

Die Gattungsschuld verpflichtet zur Lieferung eines Gegenstands mittlerer Art und Güte aus einer Gattung (etwa „100 kg Weizen der Qualität X“). Die Beschaffungsschuld ist regelmäßig eine Ausprägung der Gattungsschuld, bei der die Pflicht, die Sache aus dem Markt zu besorgen, besonders deutlich im Vordergrund steht. Während bei jeder Gattungsschuld die Auswahl und Trennung der Ware entscheidend ist, betont die Beschaffungsschuld die Verantwortung für die Wahl geeigneter Bezugsquellen.

Beschaffungsschuld versus Vorratsschuld

Die Vorratsschuld beschränkt die Leistungspflicht auf einen bestimmten Bestand (etwa „Lieferung aus dem eigenen Lager“). Ist dieser Bestand ohne Verschulden erschöpft, kann die Leistungspflicht entfallen. Bei der Beschaffungsschuld genügt der Hinweis auf einen erschöpften Eigenbestand nicht; der Schuldner muss grundsätzlich am Markt beschaffen, sofern dies möglich und zumutbar ist. Vertragsklauseln können eine Beschaffungsschuld in eine Vorratsschuld verengen.

Entstehung und Auslegung im Vertrag

Ob eine Beschaffungsschuld vorliegt, ergibt sich aus dem Vertrag und dessen Auslegung. Maßgeblich sind Wortlaut, Systematik, Geschäftsmodell und die Interessenlage beider Parteien.

Typische Anwendungsfälle

  • Lieferverträge über standardisierte Waren, die üblicherweise am Markt beschafft werden.
  • Rahmenverträge mit laufenden Abrufen standardisierter Produkte.
  • Handelsgeschäfte, bei denen der Verkäufer kein eigenes Lager hält und üblicherweise bei Dritten einkauft.

Vertragsklauseln und Risikoverlagerung

Die vertragliche Gestaltung kann das Beschaffungsrisiko verschieben. Klauseln, die die Lieferung von einer Selbstbelieferung abhängig machen oder die Leistungspflicht auf einen bestimmten Bestand begrenzen, nähern die Verpflichtung einer Vorratsschuld an. Dagegen sprechen Zusagen zur gesicherten Verfügbarkeit oder zur Lieferung „in jedem Fall“ für eine weitgehende Beschaffungspflicht.

Pflichten und Risiken der Parteien

Umfang der Beschaffungspflicht

Der Schuldner hat die Pflicht, sich um die Leistung ernsthaft und marktüblich zu bemühen. Dazu gehört regelmäßig die Auswahl geeigneter Lieferanten, das Einholen von Angeboten und gegebenenfalls der Rückgriff auf alternative Bezugsquellen, wenn die ursprünglich vorgesehene Quelle ausfällt. Die Pflicht ist nicht grenzenlos; sie endet dort, wo die Beschaffung objektiv unmöglich wird oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln erreichbar wäre.

Beschaffungsrisiko und Marktverfügbarkeit

Das Ausfallrisiko einzelner Lieferanten liegt regelmäßig beim Schuldner. Solange die Ware am Markt verfügbar ist, bleibt die Leistungspflicht bestehen. Erst wenn die Ware am relevanten Markt insgesamt nicht mehr beschafft werden kann oder außergewöhnliche Hindernisse vorliegen, die die Beschaffung faktisch ausschließen, kann die Leistungspflicht entfallen.

Preis- und Kostensteigerungen

Übliche Preis- oder Kostensteigerungen gehören grundsätzlich zum Beschaffungsrisiko des Schuldners. Allein ein höherer Einkaufspreis befreit regelmäßig nicht von der Leistungspflicht. Ausnahmefälle können bei extremen, nicht beherrschbaren Verschiebungen denkbar sein, wenn die Beschaffung dadurch in einem atypischen, unzumutbaren Ausmaß erschwert würde. Die Beurteilung hängt von den Umständen des Einzelfalls und der vertraglichen Risikoverteilung ab.

Mitwirkungs- und Informationspflichten

Beide Parteien treffen Nebenpflichten, die die Durchführung der Beschaffung unterstützen, etwa zur rechtzeitigen Mitteilung relevanter Informationen, zur Abnahmebereitschaft oder zur Klarstellung der Spezifikation. Störungen bei diesen Mitwirkungshandlungen können Auswirkungen auf Fristen, Verantwortlichkeiten und die Zurechnung von Verzögerungen haben.

Leistungsstörungen bei der Beschaffungsschuld

Verzug: Voraussetzungen und Folgen

Bleibt die Leistung trotz Fälligkeit und Mahnung aus, kann Lieferverzug vorliegen. Bei Fix- oder Termingeschäften kann Verzug ohne Mahnung eintreten, wenn die Leistungszeit kalendermäßig bestimmt und wesentlich ist. Folgen können unter anderem Anspruch auf Ersatz eines Verzögerungsschadens oder das Recht zur Lösung vom Vertrag sein, jeweils abhängig von weiteren Voraussetzungen.

Unmöglichkeit: Wann endet die Leistungspflicht?

Von Unmöglichkeit spricht man, wenn die Leistung dauerhaft nicht mehr erbracht werden kann. Bei Beschaffungsschuld ist maßgeblich, ob die Ware am Markt generell nicht mehr beschafft werden kann. Fällt nur eine Quelle aus, genügt dies nicht. Tritt Unmöglichkeit ohne Verantwortlichkeit des Schuldners ein, entfällt die Leistungspflicht; etwaige Gegenleistungen sind regelmäßig zurückzugewähren. Bei zu vertretender Unmöglichkeit können Ersatzansprüche in Betracht kommen.

Konkretisierung und Gefahrübergang

Bei Gattungs- und Beschaffungsschulden kann sich die Verpflichtung durch Konkretisierung auf eine bestimmte Sache verengen. Dies geschieht, wenn der Schuldner das seinerseits Erforderliche getan hat, etwa die Ware ordnungsgemäß ausgesondert, verpackt und versendet oder zur Abholung bereitgestellt hat. Ab diesem Zeitpunkt können Risikofragen anders zu beurteilen sein. Die konkreten Voraussetzungen richten sich nach der vereinbarten Art der Leistung (Versendung, Hol- oder Bringschuld).

Rechtsfolgen bei Nichtleistung

Schadensersatz und Ersatz vergeblicher Aufwendungen

Kommt es zu einer Pflichtverletzung, etwa durch schuldhaften Verzug oder schuldhaft herbeigeführte Unmöglichkeit, können Ansprüche auf Ersatz des daraus entstehenden Schadens bestehen. Dazu zählen auch vergebliche Aufwendungen, die im Vertrauen auf ordnungsgemäße Leistung gemacht wurden. Die Höhe und Reichweite richten sich nach konkretem Schaden, Zurechnung und Kausalität.

Rückabwicklung und Sicherheiten

Fällt die Leistungspflicht weg, sind bereits empfangene Leistungen regelmäßig zurückzugewähren. Das betrifft insbesondere Anzahlungen oder Vorleistungen. Bestehende Sicherheiten sind entsprechend anzupassen oder herauszugeben, soweit der Sicherungszweck entfällt.

Praxisnahe Beispiele

Beispiel 1: Lieferant fällt aus

Ein Händler verspricht die Lieferung einer standardisierten Ware. Sein Stamm-Lieferant storniert. Die Ware ist bei anderen Anbietern verfügbar. Der Händler bleibt grundsätzlich zur Beschaffung verpflichtet und kann sich nicht auf den Ausfall der einen Bezugsquelle berufen.

Beispiel 2: Weltweite Produktionsumstellung

Ein Produkt wird weltweit aus dem Programm genommen und ist am Markt nicht mehr erhältlich. Hier kann eine dauerhafte Unmöglichkeit vorliegen, die die Leistungspflicht entfallen lässt. Bereits erhaltene Gegenleistungen sind regelmäßig zu erstatten.

Beispiel 3: Saisonware mit Fixtermin

Für eine Veranstaltung wird Ware zu einem bestimmten Termin zugesagt. Erfolgt keine rechtzeitige Beschaffung, kann bereits das Ausbleiben der Terminsleistung zu Verzug führen. Nach Fristablauf kann die Leistung ihren Zweck verlieren; Ansprüche richten sich nach der vertraglichen Einordnung und den weiteren Voraussetzungen von Verzug und Unmöglichkeit.

Häufig gestellte Fragen zur Beschaffungsschuld

Was bedeutet Beschaffungsschuld einfach erklärt?

Eine Beschaffungsschuld liegt vor, wenn der Schuldner die versprochene Ware nicht aus einem festen Bestand liefern muss, sondern sie am Markt besorgen und liefern soll. Fällt eine Bezugsquelle aus, muss grundsätzlich anderweitig beschafft werden, solange dies möglich und zumutbar ist.

Trägt der Verkäufer das Risiko, wenn sein Lieferant nicht liefert?

In der Regel ja. Bei Beschaffungsschuld trägt der Verkäufer das Risiko des Ausfalls einzelner Lieferanten. Er bleibt zur Leistung verpflichtet, sofern die Ware am Markt erhältlich ist. Nur wenn eine Beschaffung generell nicht mehr möglich ist, kann die Leistungspflicht entfallen.

Reicht es aus, wenn der Schuldner nur bei einem Lieferanten anfragt?

Das kommt auf Marktstruktur und Vertrag an. Beschaffungsschuld verlangt ein ernsthaftes, marktübliches Bemühen. Beschränkt sich der Schuldner ohne Not auf eine Bezugsquelle, kann das unzureichend sein, wenn andere Quellen zur Verfügung stehen.

Wann liegt Unmöglichkeit bei einer Beschaffungsschuld vor?

Unmöglichkeit liegt vor, wenn die Leistung dauerhaft nicht erbracht werden kann. Bei Beschaffungsschuld ist dies der Fall, wenn die Ware am relevanten Markt nicht mehr beschafft werden kann. Der bloße Ausfall eines Lieferanten genügt nicht.

Was passiert, wenn die Beschaffung deutlich teurer wird als geplant?

Normale Preissteigerungen fallen grundsätzlich in das Beschaffungsrisiko des Schuldners. Nur außergewöhnliche, extreme Kostensteigerungen können ausnahmsweise dazu führen, dass die Beschaffung unzumutbar wird. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls und die vertragliche Risikoverteilung.

Welche Rolle spielen Selbstbelieferungsvorbehalte?

Solche Klauseln können die Pflicht zur Beschaffung einschränken, indem die Leistung von der eigenen Belieferung abhängig gemacht wird. Dadurch nähert sich die Verpflichtung einer Vorratsschuld an. Die konkrete Wirkung ergibt sich aus Wortlaut, Einordnung und dem übrigen Vertragsinhalt.

Worin besteht der Unterschied zur Vorratsschuld?

Bei der Vorratsschuld schuldet der Schuldner die Leistung nur aus einem bestimmten Bestand. Ist dieser ohne sein Verschulden erschöpft, kann die Leistungspflicht entfallen. Bei der Beschaffungsschuld muss der Schuldner dagegen grundsätzlich auch außerhalb des eigenen Bestands am Markt beschaffen, sofern dies möglich und zumutbar ist.