Legal Lexikon

Beschaffungsrisiko


Begriff und rechtliche Einordnung des Beschaffungsrisikos

Das Beschaffungsrisiko ist ein zentraler Begriff im deutschen Schuldrecht und beschreibt das Risiko, ob und in welchem Umfang ein Schuldner – insbesondere im Rahmen von Kauf-, Werk- oder Lieferverträgen – in der Lage ist, die geschuldete Leistung zu beschaffen und zu erbringen. Die rechtliche Behandlung des Beschaffungsrisikos ist maßgeblich für zentrale Fragen der Haftung, des Annahmeverzugs und der Leistungsstörungen im deutschen Zivilrecht.

Beschaffungsrisiko im Schuldrecht

Schuldverhältnisse und Zuweisung des Beschaffungsrisikos

Das Beschaffungsrisiko betrifft primär Gattungsschulden (§ 243 BGB) und in besonderen Konstellationen auch Stückschulden. Bei Gattungsschulden hat der Schuldner nach § 243 Abs. 1 BGB eine Sache mittlerer Art und Güte zu liefern; das Beschaffungsrisiko bleibt grundsätzlich beim Schuldner, soweit die Beschaffung nicht völlig unmöglich ist.

Im Gegensatz dazu ist bei der individuellen Stückschuld das Risiko auf ein bestimmtes, individuell gekennzeichnetes Stück bezogen. Nach Eintritt der Unmöglichkeit (§ 275 BGB) entfällt dann regelmäßig auch die Leistungspflicht des Schuldners.

Besondere Regelungen bei Gattungsschulden

Im Regelfall trägt der Schuldner bei Gattungsschulden das Beschaffungsrisiko so lange, wie die Gattung noch existiert und die Beschaffung nicht rechtlich oder tatsächlich unmöglich geworden ist („Vorratsschuld“ und „absolutes Fixgeschäft“ sind hiervon abzugrenzen). Nur in den vom Gesetz oder Vertrag vorgesehenen Ausnahmefällen kann das Risiko auf den Gläubiger übergehen.

Beispiel: Vorratsschuld

Ist die Leistung auf einen bestimmten Vorrat begrenzt (§ 243 Abs. 2 BGB – Vorratsschuld), beschränkt sich das Beschaffungsrisiko auf den vorhandenen Vorrat. Geht der Vorrat unter, tritt Unmöglichkeit ein und es entfällt regelmäßig die Leistungspflicht.

Verhältnis zu Leistungsgefahr und Preisgefahr

Das Beschaffungsrisiko ist von der Leistungs- und Preisgefahr zu unterscheiden:

  • Leistungsgefahr bezeichnet, wer im Fall des Untergangs der Leistung das Risiko trägt, die Leistung weiterhin erbringen zu müssen.
  • Preisgefahr betrifft die Frage, ob trotz Nichterbringung der Leistung der Kaufpreis entrichtet werden muss (§ 326 BGB, § 446 BGB).

Das Beschaffungsrisiko regelt primär, ob der Schuldner sich im Beschaffungsprozess entlasten kann oder haftet.

Gesetzliche Regelungen zum Beschaffungsrisiko

Grundsatz: Schuldner trägt das Risiko

Gemäß § 276 BGB ist der Schuldner grundsätzlich für Vorsatz und Fahrlässigkeit verantwortlich und hat das Beschaffungsrisiko in Bezug auf Gattungsschulden zu tragen, solange die Leistung objektiv möglich bleibt. Kann der Schuldner die Sache am Markt noch erwerben, muss er sie auch beschaffen, unabhängig davon, ob dies aufwendiger oder teurer ist als ursprünglich angenommen.

Ausnahme: Beschränkung durch Vertrag

Das Beschaffungsrisiko kann vertraglich eingeschränkt oder erweitert werden. Insbesondere werden bei der Vereinbarung einer Vorratsschuld oder eines Konkretisierungstatbestands (im Sinne von § 243 Abs. 2 BGB) die Risiken unterschiedlich zugeordnet. Auch bei absoluten Fixgeschäften kann das Beschaffungsrisiko durch Zeitablauf oder Terminklausel entfallen.

Höhere Gewalt und Unmöglichkeit

Führt ein Fall höherer Gewalt oder eine objektive, rechtliche oder faktische Unmöglichkeit dazu, dass die Beschaffung endgültig ausgeschlossen ist, entfällt das Beschaffungsrisiko (§ 275 BGB). Bis dahin verbleibt es beim Schuldner.

Auswirkung beim Handelskauf

Bei Handelskauf (§§ 373 ff. HGB) und internationalen Verträgen kann das Beschaffungsrisiko je nach vereinbarter Lieferklausel (z. B. Incoterms) und nach ausländischem Recht (z. B. UN-Kaufrecht/CISG) unterschiedlich ausgestaltet sein. Die nationale und internationale Vertragsgestaltung kann hierzu abweichende Regelungen vorsehen, welche im Einzelfall zu prüfen sind.

Bedeutung für Haftung und Schadensersatz

Kommt der Schuldner seiner Beschaffungspflicht schuldhaft nicht nach, kann der Gläubiger Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen (§§ 280, 281 BGB). Voraussetzung ist, dass das Beschaffungsrisiko beim Schuldner lag und diesem zumindest Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Leistet der Schuldner nicht rechtzeitig oder gar nicht und lag das Risiko seiner Sphäre, so ist er gegenüber dem Gläubiger grundsätzlich schadensersatzpflichtig. Dies gilt ebenso für mangelhafte Beschaffung bei einer zugesicherten Beschaffenheit oder bei Garantien.

Beschaffungsrisiko bei Verbraucherverträgen

Speziell bei Verbraucherverträgen (B2C) ist der Schutzgedanke des Verbrauchers maßgeblich. Hier wird das Beschaffungsrisiko im Zweifel weitgehend dem Unternehmer zugeordnet (§ 475 BGB), es sei denn, im Einzelfall liegt eine Ausnahme (z. B. Einzelstücke, Ausverkaufsware, ordnungsgemäße Konkretisierung) vor.

Abgrenzungen und Praxisbeispiele

Abgrenzung zu Lieferung „ab Werk“ und „auf Abruf“

Klauseln wie „Lieferung ab Werk“ oder „Lieferung auf Abruf“ können das Beschaffungsrisiko beeinflussen: In solchen Fällen kann etwa bei vereinbarter Abruflieferung nach Vertragsschluss das Risiko differenziert werden, etwa wenn die Leistung trotz Nachbeschaffungsmöglichkeit unmöglich wird.

Praxisbeispiel: Gescheiterte Nachbeschaffung

Hat ein Händler ein Standardprodukt bestellt und dessen Zulieferer fällt aus, muss der Händler sich grundsätzlich um jeden anderen verfügbaren Beschaffungsweg bemühen – auch zu höheren Preisen. Kann er objektiv keine Ware mehr am Markt beschaffen, trägt er das Risiko nicht und ist von der Leistungspflicht befreit.

Literaturhinweise, Rechtsprechung und Quellen

Das Beschaffungsrisiko ist Gegenstand umfangreicher Literatur und höchstrichterlicher Rechtsprechung. Zentrale Fundstellen finden sich insbesondere in den Kommentaren zum BGB (beispielsweise MüKo, Palandt, BeckOGK) sowie im Urteilskorpus des Bundesgerichtshofs.

Zusammenfassend ist das Beschaffungsrisiko ein im Schuldrecht bedeutsamer Begriff mit weitreichender Relevanz für die Leistungs-, Haftungs- und Gefahrverteilung zwischen den Vertragsparteien. Die individuelle Vertragsgestaltung, der Leistungsgegenstand sowie die jeweilige Parteistellung sind entscheidend für die rechtliche Zuweisung des Beschaffungsrisikos.

Häufig gestellte Fragen

Wer trägt das Beschaffungsrisiko im Rahmen eines Kaufvertrags nach deutschem Recht?

Im deutschen Recht wird das Beschaffungsrisiko im Rahmen eines Kaufvertrags grundsätzlich vom Verkäufer getragen. Gemäß § 275 Absatz 1 BGB hat der Verkäufer die Pflicht zur Lieferung der vereinbarten Ware. Ist die Ware nur der Gattung nach bestimmt (Gattungsschuld), schuldet der Verkäufer, solange die gesamte Gattung nicht untergegangen ist, weiterhin die Lieferung. Erst wenn die gesamte Gattung untergeht oder die Beschaffung unmöglich wird, kann sich der Verkäufer auf Unmöglichkeit berufen. Ist nur ein Stück bestimmt (Stückschuld), besteht das Risiko bereits mit Unterzeichnung des Vertrags, dass das konkrete Stück nachträglich nicht mehr beschafft werden kann. Bei einem sogenannten kongruenten Deckungsgeschäft, etwa bei Handelsgeschäften, kann das Beschaffungsrisiko durch vertragliche Regelungen, z. B. Vereinbarung eines echten Fixgeschäfts, verschoben werden. Fehlt eine solche Regelung, bleibt das Risiko grundsätzlich beim Verkäufer, wobei Ausnahmen insbesondere im Rahmen der Holschuld, Bringschuld oder Schickschuld nach den Liefervereinbarungen oder den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) vertraglich denkbar sind. Es ist daher unerlässlich, dass Verkäufer bei Vertragsabschluss ihre Beschaffungsmöglichkeiten realistisch einschätzen und gegebenenfalls vertragliche Haftungsbeschränkungen oder besondere Regelungen zur Gefahrtragung vereinbaren.

Kann das Beschaffungsrisiko vertraglich auf den Käufer übertragen werden?

Das deutsche Recht erlaubt es, das Beschaffungsrisiko ganz oder teilweise auf den Käufer zu übertragen, sofern dies ausdrücklich und wirksam im Vertrag geregelt wird. Solche Vereinbarungen betreffen etwa sogenannte „Kaufe wie besehen“- oder „Ab-Werk“-Geschäfte, bei denen der Käufer ausdrücklich das Risiko trägt, dass die Ware zum Zeitpunkt der Abholung oder Lieferung verfügbar ist. Im Handelsrecht können derartige Klauseln durch individuelle Vereinbarung oder durch die Verwendung von Incoterms (wie EXW, FCA oder FOB) umgesetzt werden. In jedem Fall muss eine solche Übertragung des Beschaffungsrisikos klar und unmissverständlich zwischen den Parteien vereinbart werden; eine pauschale Überwälzung über AGB ist vor allem im B2C-Bereich (Verbraucher) häufig unwirksam (§ 307 BGB). Außerdem darf die Vereinbarung nicht gegen zwingende gesetzliche Vorschriften, insbesondere aus dem Bereich des Verbraucherschutzes, verstoßen. So ist etwa beim Verbrauchsgüterkauf nach § 474 BGB eine solche Übertragung nur sehr eingeschränkt möglich.

Welche rechtlichen Folgen ergeben sich, wenn das Beschaffungsrisiko realisiert wird?

Wird das Beschaffungsrisiko verwirklicht, das heißt kann der Verkäufer die geschuldete Ware endgültig nicht beschaffen, hat dies unterschiedliche rechtliche Konsequenzen. Grundsätzlich tritt gemäß § 275 BGB Unmöglichkeit der Leistung ein, was dazu führt, dass der Verkäufer von seiner Leistungspflicht befreit wird. Im Gegenzug entfällt die Gegenleistungspflicht des Käufers (§ 326 BGB). Ist der Verkäufer allerdings für die Unmöglichkeit verantwortlich, kann der Käufer nach § 280 Abs. 1 und Abs. 3 BGB Schadensersatz verlangen. Bei kaufmännischen Fixgeschäften kann der Käufer zudem vom Vertrag zurücktreten und/oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen (§ 376 HGB). Wurde das Risiko auf den Käufer übertragen, trägt dieser die Folgen der Unmöglichkeit in der Regel selbst und kann keine weiteren Ansprüche gegen den Verkäufer geltend machen. Eine sorgfältige Prüfung der vertraglichen Risikoverteilung ist daher bei Eintritt eines Beschaffungsausfalls unverzichtbar.

Wie wirken sich höhere Gewalt (Force Majeure) oder staatliche Restriktionen auf das Beschaffungsrisiko aus?

Höhere Gewalt und staatliche Einschränkungen, etwa Exportverbote oder Lieferstopps, können das Beschaffungsrisiko erheblich beeinflussen. Im deutschen Recht gelten Ereignisse höherer Gewalt als rechtlicher Hinderungsgrund für die Leistungspflicht, sofern sie vertraglich als Risikoausschluss vereinbart wurden (Force-Majeure-Klausel). Fehlt eine solche Regelung, greift § 275 BGB (Leistungsverweigerungsrecht bei Unmöglichkeit) nur, wenn die Leistung für jedermann unmöglich ist und nicht ausschließlich für den konkreten Verkäufer. Für Lieferantenrisiken, die auf höhere Gewalt oder behördliche Maßnahmen zurückgehen, ist eine entsprechende vertragliche Absicherung unerlässlich, da ansonsten der Verkäufer nach allgemeinen Grundsätzen weiterhin das Risiko trägt. Im internationalen Handel sollten speziell formulierte Force-Majeure-Klauseln die Tatbestände, Rechtsfolgen und Meldepflichten regeln, um vor Haftung geschützt zu sein.

Welche Bedeutung haben Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) für das Beschaffungsrisiko?

AGB spielen eine zentrale Rolle bei der Zuweisung des Beschaffungsrisikos im Geschäftsverkehr, insbesondere im Business-to-Business-Bereich. Durch AGB können Anbieter wirksam das Beschaffungsrisiko modifizieren, zum Beispiel über Klauseln zur Selbstbelieferungsvorbehalt („Lieferung nur solange der Vorrat reicht“ oder „Lieferung vorbehaltlich rechtzeitiger Selbstbelieferung“). Diese Klauseln sind nach § 308 und § 309 BGB jedoch im B2C-Geschäft strengeren Wirksamkeitskontrollen unterworfen und häufig unwirksam, wenn sie die Kunden unangemessen benachteiligen oder unklar formuliert sind. Im B2B-Bereich werden solche Klauseln eher akzeptiert, sofern der Kunde vor Vertragsabschluss ausdrücklich auf sie hingewiesen und sie transparent gefasst sind. Die Wirksamkeit von Beschaffungsrisiko-Klauseln in AGB hängt letztlich immer von deren konkreter Ausgestaltung und dem jeweiligen Anwendungsbereich ab.

Welche Beweislastregeln gelten bei Streitigkeiten um das Beschaffungsrisiko?

Kommt es zu einem Rechtsstreit über die Frage, wer das Beschaffungsrisiko trägt, obliegt dem Verkäufer grundsätzlich die Beweislast dafür, dass er trotz aller zumutbaren Anstrengungen die Ware endgültig nicht beschaffen konnte (sogenannte „endgültige Unmöglichkeit“). Der Verkäufer muss dabei den Nachweis führen, dass er alle Bezugsmöglichkeiten ausgeschöpft und sämtliche zumutbaren Ersatzbeschaffungsversuche unternommen hat. Im Falle vertraglicher Risikoverlagerung auf den Käufer kehrt sich die Beweislast um; dann trägt der Käufer die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Verkäufer das Risiko übernommen beziehungsweise nicht ausreichend ausgeschlossen hat. Im Streitfall sind insbesondere die vertraglichen Regelungen, die Korrespondenz zwischen den Parteien und gegebenenfalls Einkaufsnachweise für den Nachweis heranzuziehen.

Gibt es branchenspezifische gesetzliche Besonderheiten beim Beschaffungsrisiko?

Im deutschen Recht bestehen für einzelne Branchen besondere Vorschriften, die das Beschaffungsrisiko beeinflussen können. Beispielsweise finden im Handelsrecht (§§ 373 ff. HGB) spezielle Regelungen Anwendung, etwa das Fixgeschäft, das bei bestimmter Fristbindung oder Termingeschäften das Risiko und die Rechtsfolgen bei Nichtbelieferung modifiziert. Im Bauvertragsrecht oder bei Werkverträgen wird das Beschaffungsrisiko wiederum anhand der jeweils vertraglich vereinbarten Stoffe oder Bauteile sowie nach den Sonderregeln des Werkvertragsrechts (§§ 631 ff. BGB) beurteilt. Bei internationalen Kaufverträgen gemäß UN-Kaufrecht (CISG) können zudem andere Maßstäbe für die Risikoverteilung gelten, was eine genaue Prüfung der einschlägigen Normen und Vertragsklauseln erforderlich macht. In regulierten Industrien wie Pharmazie, Rüstung oder Energieversorgung bestehen zudem oft spezialgesetzliche Regelungen, die unmittelbaren Einfluss auf das Beschaffungsrisiko haben können.