Begriff und Grundlagen der öffentlichen Ausschreibung
Die öffentliche Ausschreibung ist ein zentrales Element des Vergaberechts und bezeichnet ein förmliches Verfahren, in dem öffentliche Auftraggeber zur Vergabe von Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen aufrufen. Sie ist das „reguläre“ Vergabeverfahren im deutschen und europäischen Recht, das auf die Sicherstellung eines transparenten, wettbewerblichen und nichtdiskriminierenden Beschaffungsprozesses für staatliche Bedarfe abzielt. Die öffentliche Ausschreibung zeichnet sich durch die uneingeschränkte Zugänglichkeit für alle interessierten Unternehmen aus.
Rechtsgrundlagen der öffentlichen Ausschreibung
Nationales Vergaberecht
Im deutschen Recht ist die öffentliche Ausschreibung insbesondere durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie die Vergabeverordnung (VgV) und die Sektorenverordnung (SektVO) geregelt. Für den Bereich der öffentlichen Bauaufträge sind zudem die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) relevant. Die einzelnen Regelungen konkretisieren die Anforderungen, Abläufe und Grundsätze der öffentlichen Ausschreibung.
Europäisches Vergaberecht
Die öffentliche Ausschreibung ist im europäischen Recht insbesondere durch die EU-Vergaberichtlinien, namentlich Richtlinie 2014/24/EU für öffentliche Aufträge und Richtlinie 2014/25/EU für Aufträge aus den Sektoren Wasser, Energie, Verkehr und Postdienste, harmonisiert. Diese Vorschriften werden in den Mitgliedstaaten durch Umsetzung in nationales Recht angewendet und prägen auch das deutsche Vergaberecht nachhaltig.
Grundsätze der öffentlichen Ausschreibung
Wesentliche Prinzipien sind Transparenz, Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und das Gebot eines fairen Wettbewerbs. Öffentliche Auftraggeber dürfen keine sachlich ungerechtfertigten Anforderungen stellen oder Unternehmen diskriminieren. Das Verfahren dient der effizienten Mittelverwendung durch die öffentliche Hand und soll Korruption und Vetternwirtschaft vorbeugen.
Ablauf der öffentlichen Ausschreibung
Einleitung der Ausschreibung
Die öffentliche Ausschreibung beginnt mit der öffentlichen Bekanntmachung des Vergabeverfahrens. Öffentliche Auftraggeber veröffentlichen Ausschreibungen in einschlägigen Vergabeportalen, zum Beispiel im Bundesanzeiger, im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (TED) oder weiteren branchenspezifischen Plattformen.
Ausschreibungsunterlagen
Die Vergabeunterlagen bestehen in der Regel aus einer Leistungsbeschreibung, Vertragsbedingungen, Teilnahmebedingungen und Formblättern für die Angebotsabgabe. Sämtliche interessierten Unternehmen haben Anspruch auf die vollständigen und rechtzeitig bereitgestellten Unterlagen.
Angebotsabgabe und Angebotsfrist
Unternehmen reichen innerhalb einer in der Bekanntmachung festgesetzten Frist ihre Angebote in schriftlicher oder, wie zunehmend üblich, elektronischer Form ein. Die Frist richtet sich nach der Komplexität des Auftrags und ist beispielsweise in § 15 VgV geregelt.
Angebotsöffnung und Wertung
Nach Ablauf der Angebotsfrist erfolgt die förmliche Öffnung der Angebote. Der öffentliche Auftraggeber prüft die Angebote auf Vollständigkeit, Zulässigkeit und Anforderungen aus den Vergabeunterlagen. Anschließend werden die Angebote anhand objektiver Kriterien – insbesondere des wirtschaftlich günstigsten Angebots – bewertet.
Zuschlagserteilung und Nachprüfung
Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Die unterlegenen Bieter sind spätestens mit der Zuschlagserteilung zu unterrichten. Zusätzlich besteht für Vergabeverfahren oberhalb bestimmter Schwellenwerte die Möglichkeit, Nachprüfungsverfahren bei den Vergabekammern nach §§ 155 ff. GWB einzuleiten.
Arten und Anwendungsbereiche der öffentlichen Ausschreibung
Verpflichtende und fakultative Anwendung
Öffentliche Ausschreibungen sind für öffentliche Auftraggeber nach Maßgabe von GWB, VgV, VOB/A und weiteren einschlägigen Regelwerken vorrangig vorgeschrieben. Nur im Falle berechtigter Ausnahmetatbestände (z.B. Dringlichkeit, fehlender Wettbewerb, Geheimhaltung) dürfen andere Vergabearten wie beschränkte Ausschreibung oder freihändige Vergabe angewandt werden.
Branchen und Auftraggeber
Anwendungsbereich der öffentlichen Ausschreibung sind typischerweise Bauaufträge, Lieferleistungen und Dienstleistungen, die durch Bund, Länder, Kommunen oder andere öffentliche Institutionen vergeben werden. Auch Unternehmen in Sektoren wie Wasser, Energie oder Verkehr unterliegen – teils modifiziert – den Regeln der öffentlichen Ausschreibung.
Schwellenwerte und Verfahren
Maßgeblich ist, ob der geschätzte Auftragswert bestimmte europarechtlich festgelegte Schwellenwerte überschreitet. Oberhalb der Schwellenwerte gilt das EU-weite Vergaberecht, unterhalb kommt das nationale Vergaberecht zur Anwendung, wobei ebenfalls ein transparenter Wettbewerbsprozess zu gewährleisten ist.
Rechtsschutz und Nachprüfung im Vergabeverfahren
Nachprüfungsverfahren
Für Vergabeverfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte können Unternehmen die Überprüfung der Vergabe durch Vergabekammern und Vergabesenate beantragen. Rechtsschutz besteht insbesondere bei Verstößen gegen die Verfahrensregeln, Diskriminierung und anderen Rechtsverletzungen im Ausschreibungsverfahren.
Auskunfts- und Informationsrechte
Unterlegene Bieter haben Anspruch auf Information über die Ablehnungsgründe sowie die Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebots, soweit dies keine geheimhaltungsbedürftigen Informationen betrifft (§ 134 GWB).
Bedeutung, Ziele und Rechtsfolgen der öffentlichen Ausschreibung
Die öffentliche Ausschreibung gewährleistet die effiziente, sparsame und korruptionsfreie Mittelverwendung durch die öffentliche Hand. Sie bietet Unternehmen die Chance, sich an öffentlichen Aufträgen zu beteiligen und sichert einen fairen Wettbewerb. Verstöße gegen die zwingenden Vorgaben können zur Unwirksamkeit der Vergabe, Schadensersatzansprüchen oder rechtlichen Sanktionen führen.
Literaturhinweise und weiterführende Informationen
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
Vergabeverordnung (VgV)
Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A)
EU-Vergaberichtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU
* Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz – Vergaberecht
Hinweis: Der vorliegende Text dient der allgemeinen Information innerhalb eines Rechtslexikons und berücksichtigt nicht alle denkbaren Besonderheiten des Einzelfalls. Für eine individuelle Beurteilung empfiehlt sich die Konsultation der jeweils aktuellen Rechtslage und der maßgeblichen Regelungen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rechtsgrundlagen gelten für öffentliche Ausschreibungen in Deutschland?
Öffentliche Ausschreibungen in Deutschland unterliegen einem komplexen Geflecht aus nationalen und europäischen Rechtsvorschriften. Die maßgeblichen Regelwerke sind primär das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), insbesondere der 4. Teil, sowie die Vergabeverordnung (VgV), die Sektorenverordnung (SektVO), die Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) und die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) beziehungsweise die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A). Bei Vergaben, die EU-Schwellenwerte überschreiten, ist zudem das europäische Vergaberecht, insbesondere die Richtlinien 2014/24/EU (klassische Vergabe) und 2014/25/EU (Sektoren), zu beachten. Weitere einschlägige Quellen können spezifische Vorschriften etwa für den Bereich Verteidigung oder IT-Aufträge sein. Die Rechtsgrundlagen regeln insbesondere Transparenz, Gleichbehandlung, Wettbewerbsgrundsätze sowie das Recht auf effektiven Rechtsschutz.
Wer ist zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung verpflichtet?
Zur Durchführung öffentlicher Ausschreibungen sind sogenannte öffentliche Auftraggeber verpflichtet. Dies sind in erster Linie Gebietskörperschaften wie Bund, Länder, Gemeinden sowie deren rechtlich unselbstständige Einrichtungen und Eigenbetriebe. Darüber hinaus fallen auch juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie bestimmte Organisationen, die überwiegend im Allgemeininteresse tätig und überwiegend öffentlich finanziert sind, unter diese Verpflichtung, sofern die Auftragssumme den jeweiligen Schwellenwert übersteigt. Auch private Institutionen können im Einzelfall vergaberechtlich als öffentliche Auftraggeber gelten, etwa wenn sie staatliche Fördermittel verwenden und damit Aufgaben der öffentlichen Hand übernehmen.
Welche Pflichten haben öffentliche Auftraggeber im Ausschreibungsverfahren?
Öffentliche Auftraggeber unterliegen im Ausschreibungsverfahren zahlreichen Pflichten. Sie müssen insbesondere die Grundsätze der Transparenz, Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung und des Wettbewerbs wahren. Dazu gehört die Pflicht, den Beschaffungsbedarf und die Verfahrensart objektiv zu begründen und die Ausschreibung sowie alle wesentlichen Informationen klar und vollständig zu veröffentlichen (z. B. über die Plattform TED bei EU-weiten Ausschreibungen). Sie sind außerdem verpflichtet, Bieterfragen zeitnah zu beantworten, Vergabeunterlagen vollständig bereitzustellen und das Verfahren streng nach den gesetzlichen Vorgaben zu dokumentieren. Schließlich müssen sie eine nachvollziehbare Zuschlagsentscheidung treffen und unterlegenen Bietern entsprechende Informationen zur Verfügung stellen (Informations- und Wartepflicht, insbesondere nach § 134 GWB).
Unter welchen Voraussetzungen kann ein Bieter vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden?
Ein Ausschluss eines Bieters vom Vergabeverfahren ist nur unter gesetzlich bestimmten Voraussetzungen zulässig. Zwingende Ausschlussgründe sind in § 123 GWB geregelt (z. B. rechtskräftige Verurteilung wegen bestimmter Straftaten wie Korruption oder Betrug). Fakultative Ausschlussgründe nach § 124 GWB ermöglichen einen Ausschluss etwa wegen schwerwiegender Verfehlungen, Verstoßes gegen arbeitsrechtliche oder umweltbezogene Verpflichtungen, unzureichender Zuverlässigkeit oder der Abgabe unzutreffender Angaben. Ein Ausschluss muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen und ist zu begründen sowie zu dokumentieren. Bei einer Selbstreinigung nach § 125 GWB kann ein zunächst ausgeschlossener Bieter unter Umständen wieder zugelassen werden, sofern er angemessene Maßnahmen nachweist.
Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Bieter bei fehlerhaften Ausschreibungen?
Bieter, die der Ansicht sind, dass ein Vergabeverfahren fehlerhaft durchgeführt wurde oder ihre Rechte verletzt wurden, haben umfangreiche Rechtsschutzmöglichkeiten. Bei EU-weiten Vergaben steht ihnen das Nachprüfungsverfahren gemäß §§ 155 ff. GWB offen. Hierbei können sie vor der zuständigen Vergabekammer Rügen erheben und eine umfangreiche Prüfung des Verfahrens verlangen. Voraussetzung ist in der Regel eine vorherige Rüge des Verstoßes beim Auftraggeber. Im Unter-schwellenbereich ist der Rechtsschutz eingeschränkter und erfolgt meist über die Zivilgerichte oder durch Beschwerden bei Aufsichtsbehörden. Bei festgestellten Verstößen kann die Aufhebung oder Wiederholung von Verfahrensabschnitten angeordnet werden. Zudem bestehen nach Zuschlagerteilung zivilrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz unter engen Voraussetzungen.
Wie ist die Wertung und Auswahl der Angebote rechtlich geregelt?
Die Wertung der Angebote erfolgt in mehrstufigen Verfahren, die im Detail gesetzlich vorgegeben sind. Zunächst werden die Angebote auf Vollständigkeit und formaljuristische Richtigkeit geprüft (formelle Prüfung). Im Anschluss erfolgt die Prüfung der Eignung, Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit der Angebotspreise. Angebote, die die Vergabebedingungen nicht erfüllen, sind auszuschließen. Für die Auswahl des wirtschaftlichsten Angebotes, das nicht zwingend das billigste sein muss, sind vorher festgelegte und veröffentlichte Zuschlagskriterien maßgeblich (§ 127 GWB, §§ 58 ff. VgV). Das Wertungsverfahren, die Kriterien und die Bewertungsmethode sind vom Auftraggeber transparent darzulegen und nachvollziehbar zu dokumentieren.
Welche Dokumentationspflichten bestehen im Vergabeverfahren?
Die Dokumentation ist im Vergaberecht ein zentrales Instrument zur Nachvollziehbarkeit des gesamten Verfahrensablaufs. Sie muss gemäß § 8 VgV (bzw. § 20 VOB/A) alle wesentlichen Entscheidungen und deren Begründungen in den verschiedenen Verfahrensstufen enthalten – angefangen bei der Festlegung des Beschaffungsbedarfs über die Auswahl der Verfahrensart, die Auftragsbekanntmachung, die Wiedergabe der Bieterkommunikation bis hin zur Zuschlagsentscheidung und Abschluss des Verfahrens. Die Dokumentation sichert nicht nur die Transparenz und Kontrollmöglichkeit, sondern ist auch Grundlage für die eventuelle Nachprüfung und gerichtliche Kontrolle. Die Aufbewahrungsfristen betragen in der Regel mindestens fünf Jahre nach Abschluss des Vergabeverfahrens.