Begriff und Bedeutung der Aufschiebenden Einreden
Definition
Aufschiebende Einreden sind im deutschen Zivilrecht rechtliche Verteidigungsmittel, mit denen der Schuldner die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs vorübergehend verhindern kann. Sie bewirken, dass der Gläubiger zwar einen fälligen Anspruch besitzt, dessen Durchsetzung jedoch zeitweise gehindert ist. Der Anspruch bleibt bestehen, kann aber zunächst nicht gerichtlich durchgesetzt werden. Wird die Einrede aufgehoben oder entfällt ihr Grund, ist der Gläubiger wieder zur Durchsetzung seines Anspruchs berechtigt.
Einordung im Rechtssystem
Aufschiebende Einreden gehören, ebenso wie auflösende Einreden, zu den sogenannten Einreden im weiteren Sinne. Sie unterscheiden sich von Einwendungen, da letztere die Entstehung oder den Bestand eines Anspruchs betreffen, während Einreden die Durchsetzbarkeit, also die Klagbarkeit eines bereits entstandenen Anspruchs, betreffen. Im Gegensatz zu auflösenden Einreden, die den Anspruch endgültig vernichten, hemmen aufschiebende Einreden die Geltendmachung nur vorübergehend.
Regelungsstruktur und Rechtsgrundlagen
Gesetzliche Verankerung
Zu den wichtigsten gesetzlichen Grundlagen der aufschiebenden Einreden gehören insbesondere folgende Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB):
- § 273 BGB (Zurückbehaltungsrecht)
- § 320 BGB (Einrede des nicht erfüllten Vertrages)
- § 438 Abs. 4, § 634a Abs. 4 BGB (Einreden während der Verjährung)
- Weitere spezielle Einreden wie z. B. § 771 ZPO (Drittwiderspruchsklage) im Zivilprozessrecht
Viele außergesetzliche Tatbestände allgemeiner und besonderer Art sind ebenso anerkannt, sofern das zugrunde liegende Schuldverhältnis dies gebietet.
Unterscheidung von Einreden
Die zentrale Unterscheidung erfolgt zwischen aufschiebenden und auflösenden Einreden. Während aufschiebende Einreden die zeitweilige Hemmung der Anspruchsdurchsetzung zur Folge haben, führen auflösende Einreden zu einer endgültigen Vereitelung des Anspruchs (beispielsweise Einrede der Verjährung nach § 214 BGB).
Wesentliche Arten der Aufschiebenden Einreden
Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB)
Das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB ist die klassische Ausprägung einer aufschiebenden Einrede. Der Schuldner kann die ihm obliegende Leistung so lange verweigern, wie der Gläubiger eine ihm zustehende Gegenleistung nicht erbringt. Typische Anwendungsfälle ergeben sich im Rahmen von gegenseitigen Verträgen, wenn etwa ein Werkunternehmer die Abnahme der Werkleistung verlangen kann, solange der Besteller die vereinbarte Vergütung verweigert.
Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB)
Ebenfalls von besonderer Bedeutung ist die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß § 320 BGB. Sie erlaubt es einer Vertragspartei, ihre Leistung zu verweigern, solange die jeweils andere Partei die geschuldete Gegenleistung nicht erbringt. Im Unterschied zum Zurückbehaltungsrecht bezieht sich diese Einrede ausschließlich auf synallagmatische Verträge, also solche, bei denen Leistung und Gegenleistung in einem gegenseitigen Verhältnis stehen.
Zurückbehaltungsrecht bei Miet- und Pachtverhältnissen
In bestimmten Dauerschuldverhältnissen, wie etwa im Miet- oder Pachtrecht, bestehen spezifische Regelungen zum Zurückbehaltungsrecht (z. B. § 320 BGB i.V.m. § 556b Abs. 2 BGB für Miete). Der Mieter kann zum Beispiel die Zahlung der Miete verweigern, solange Mängel an der Mietsache bestehen und der Vermieter diese Mängel trotz Anzeige nicht beseitigt hat.
Wirkungen der Aufschiebenden Einreden
Temporärer Hindernisgrund
Die Wirkung der aufschiebenden Einrede besteht darin, dass sie die Klagbarkeit und Vollstreckbarkeit des Anspruchs temporär ausschließt. Der Anspruch „ruht“ sozusagen hinsichtlich seiner Durchsetzbarkeit. Sobald der Grund für die Einrede wegfällt, kann der Gläubiger die Leitung wieder einfordern.
Keine endgültige Vernichtung des Anspruchs
Wesentlich ist, dass die aufschiebende Einrede den Anspruch nicht vernichtet, sondern dessen gerichtliche Geltendmachung nur hinauszögert. Der Schuldner ist erst dann zur Leistung verpflichtet, wenn die Einrede nicht mehr besteht oder auf sie verzichtet wird.
Erhebung der Einrede
Die Einrede muss vom Schuldner geltend gemacht werden („Einrede muss erhoben werden“). Sie wirkt nicht automatisch, sondern bedarf eines ausdrücklichen oder zumindest schlüssigen Vorbringens im Prozess oder im außergerichtlichen Verfahren.
Grenzen und Ausschluss der Einrede
Vertraglicher und gesetzlicher Ausschluss
Der Ausschluss der Einrede kann durch Gesetz oder durch Parteivereinbarung stattfinden. Es ist rechtlich zulässig, auf Einreden zu verzichten oder sie in Verträgen einzuschränken; dies ist in der Praxis jedoch wegen möglicher Benachteiligungen einer Vertragspartei regelmäßig von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beschränkt.
Kein Rückwirkungsmechanismus
Die Geltendmachung einer aufschiebenden Einrede wirkt stets ex nunc (ab jetzt), nicht rückwirkend. Wurde ein Anspruch bereits vor Erhebung der Einrede erfüllt, kann die Einrede nachträglich nicht mehr geltend gemacht werden.
Abgrenzung zu Auflösenden Einreden
Rechtliche Wirkung
Anders als aufschiebende Einreden lösen auflösende Einreden das Schuldverhältnis endgültig auf. Beispiele sind die Einrede der Verjährung (§ 214 BGB), Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) sowie die Einrede der laesio enormis. Die Unterscheidung ist für Rechtsfolgen, insbesondere im Hinblick auf die Befriedigung des Gläubigers und die potenziellen Rückforderungen, von Bedeutung.
Bedeutung in der Rechtspraxis
Sicherungs- und Schutzfunktion
Aufschiebende Einreden dienen dem Schutz des Schuldners vor einer vorzeitigen oder ungerechtfertigten Inanspruchnahme. Sie verschaffen dem Schuldner eine rechtlich abgesicherte Position, bis der Gläubiger seinerseits bestimmte Bedingungen erfüllt.
Bedeutung im Zivilprozess
Im gerichtlichen Verfahren müssen aufschiebende Einreden als sogenannte „prozessuale Verteidigungsmittel“ aktiv erhoben werden. Sie unterliegen gegebenenfalls den Regeln zur Präklusion (Ausschluss verspäteten Vorbringens) und können im Rahmen der Anspruchsprüfung entscheidend sein.
Übersicht bedeutender Fälle und Besonderheiten
Anwendung auf internationale Schuldverhältnisse
Im internationalen Privatrecht können aufschiebende Einreden auch länderübergreifend an Bedeutung gewinnen, insbesondere wenn deutsches Recht aufgrund einer Rechtswahl Anwendung findet.
Besonderheiten im Handelsrecht
Im Handelsrecht können bestimmte Kauf- und Lieferverträge abweichende Regelungen vereinbaren oder gesetzliche Einreden erweitert oder modifiziert werden, etwa im Rahmen von Handelsklauseln wie „Zug um Zug“ oder im Zusammenhang mit Zahlungs- und Lieferbedingungen.
Zusammenfassung
Aufschiebende Einreden sind ein zentrales Instrument des deutschen Zivilrechts zur temporären Abwehr der Durchsetzbarkeit von Ansprüchen. Ihre rechtliche Ausgestaltung und Wirkung ist durch zahlreiche gesetzliche Vorschriften geregelt und dient insbesondere dem Interessenausgleich zwischen Gläubiger und Schuldner. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen hemmen, ohne diese endgültig zunichte zu machen. Die Geltendmachung und der ordnungsgemäße Umgang mit aufschiebenden Einreden sind für die Anspruchsdurchsetzung und Abwehr im Rechtsverkehr von erheblicher Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Wann kann eine aufschiebende Einrede im Zivilrecht geltend gemacht werden?
Eine aufschiebende Einrede kann im Zivilrecht immer dann geltend gemacht werden, wenn dem Anspruchsgestellten (Schuldner) aufgrund gesetzlicher Vorschriften ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht, bis eine bestimmte Bedingung eingetreten ist oder eine Vorleistung durch den Anspruchsteller erbracht wurde. Typische Fälle sind §§ 273 und 320 BGB: Nach § 273 BGB kann der Schuldner die ihm obliegende Leistung verweigern, solange ihm gegen den Gläubiger ein fälliger Gegenanspruch zusteht, der mit diesem rechtlich zusammenhängt (Zurückbehaltungsrecht). § 320 BGB erlaubt dem Schuldner im gegenseitigen Vertrag, seine eigene Leistung zurückzuhalten, bis die Gegenleistung bewirkt wird (Einrede des nicht erfüllten Vertrags). Das Geltendmachen dieser Einreden erfordert nicht zwingend eine besondere Form, muss aber spätestens im Prozess vorgebracht werden (vgl. § 296 ZPO), da sie ansonsten präkludiert sein können. Die Einrede wirkt „aufschiebend“, das heißt, der Anspruch bleibt dem Grund nach bestehen, ist jedoch vorübergehend nicht durchsetzbar.
Wie unterscheidet sich eine aufschiebende Einrede von einer dauernden Einrede?
Im Gegensatz zu dauernden Einreden, die das Bestehen des Anspruchs dauerhaft verhindern oder ausschließen (z.B. Einrede der Verjährung nach § 214 BGB, Einrede der Nichtigkeit), bewirkt eine aufschiebende Einrede nur eine zeitweise Suspendierung der Durchsetzbarkeit. Das bedeutet, dass der Anspruch zwar weiterhin besteht und nach Wegfall des Einredefaktors – also z.B. nach Erfüllung der Gegenleistung – auch durchgesetzt werden kann. Ein aufschiebendes Recht führt deshalb nicht zur endgültigen Abweisung der Klage, sondern lediglich zu deren Abweisung als „derzeit unbegründet“. Wird die Einrede im Prozess nicht länger erhoben, kann das Gericht wieder zur Entscheidung in der Hauptsache kommen.
Welche Bedeutung haben aufschiebende Einreden im Gerichtsverfahren?
Im Gerichtsverfahren (insbesondere im Zivilprozess) handelt es sich bei aufschiebenden Einreden um sogenannte „prozessuale Einreden“, die als Verteidigungsmittel vom Beklagten erhoben werden müssen. Sie bewirken, dass ein Anspruch zwar dem Grunde nach besteht, jedoch nicht vollstreckt bzw. zur Zeit nicht durchgesetzt werden kann. Das Gericht prüft insoweit nicht nur, ob der Anspruch an sich besteht, sondern auch, ob prozessuale oder materiell-rechtliche Einreden entgegenstehen. Werden aufschiebende Einreden erfolgreich vorgebracht, endet das Verfahren zumeist mit einer Feststellung, dass der Anspruch zur Zeit unbegründet ist, nicht aber mit einer endgültigen Abweisung. Maßgeblich ist zudem, dass die Einrede ausdrücklich erhoben werden muss; das Gericht berücksichtigt sie nicht von Amts wegen.
Welche typischen Beispiele für aufschiebende Einreden gibt es im deutschen Recht?
Zu den typischen Beispielen für aufschiebende Einreden zählen insbesondere die Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§ 320 BGB), das Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB), die Einrede des nichterfüllten gegenseitigen Vertrags bei Werkverträgen (§ 641 Abs. 3 BGB), sowie die Einrede der Stundung (§ 205 BGB). Auch im Mietrecht (§ 556b Abs. 2 BGB – Zurückbehaltungsrecht des Mieters bei Mängeln) und Kaufrecht (§ 320 BGB analog) treten aufschiebende Einreden regelmäßig auf. Gemeinsam ist diesen Einreden, dass sie jeweils ein Leistungsverweigerungsrecht begründen, das bis zum Eintritt bestimmter Voraussetzungen besteht.
Welche Rechtsfolgen hat die Geltendmachung einer aufschiebenden Einrede?
Wird eine aufschiebende Einrede erfolgreich geltend gemacht, ruht die Durchsetzbarkeit des Anspruchs bis zur Beseitigung des Einredefaktors. Das heißt, der Gläubiger kann seine Leistung nicht verlangen oder klageweise durchsetzen, solange die Einredevoraussetzungen fortbestehen. Nach Wegfall des Einredefaktors lebt die Durchsetzbarkeit des Anspruchs jedoch wieder auf, ohne dass es einer besonderen Geltendmachung bedarf. Die Einrede wirkt also nicht rechtsvernichtend, sondern ausschließlich rechtshemmend (suspendierend).
Kann eine aufschiebende Einrede auch rückwirkend erhoben werden?
Ja, eine aufschiebende Einrede kann grundsätzlich auch noch im laufenden Rechtsstreit nachträglich geltend gemacht werden, sofern das Gericht noch nicht zur abschließenden Entscheidung gekommen ist und die klageabweisende Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist. Sie entfaltet jedoch immer nur Wirkung für die Gegenwart und Zukunft; der Anspruch bleibt insoweit „ruhend“. Sollte der Einredefaktor bereits vor der Geltendmachung entfallen sein, ist die Erhebung wirkungslos. Die prozessuale Zulässigkeit richtet sich nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung, insbesondere § 296 ZPO (Verspätung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln).
Welche Beweislast besteht im Falle der Geltendmachung einer aufschiebenden Einrede?
Im Grundsatz trägt derjenige, der sich auf eine aufschiebende Einrede beruft, auch die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die das Einredefundament bilden. Im Rahmen des § 320 BGB muss beispielsweise der Schuldner nachweisen, dass der Gläubiger die vereinbarte Gegenleistung nicht erbracht hat. Ebenso müssen beim Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB der Bestand und die Fälligkeit des Gegenanspruchs vom Einredeführenden substantiiert dargelegt und, falls bestritten, bewiesen werden. Erst beim Wegfall der Einrede (etwa Erfüllung der Gegenleistung) obliegt dem Anspruchsteller der Gegenbeweis.