Legal Lexikon

Aufgebotseinrede


Begriff und Grundlagen der Aufgebotseinrede

Die Aufgebotseinrede ist ein Begriff aus dem deutschen Zivilprozessrecht sowie dem Zwangsvollstreckungsrecht. Sie bezeichnet das Recht eines Schuldners, einem Gläubiger entgegenzuhalten, dass dieser seinen Anspruch nur im Wege des gerichtlichen Aufgebotsverfahrens durchsetzen kann. Dabei wirkt die Einrede als prozessuales Verteidigungsmittel, welches die Befriedigung des Gläubigers bis zum Abschluss des entsprechenden Aufgebotsverfahrens hemmt. Die Aufgebotseinrede spielt insbesondere bei Ansprüchen eine Rolle, die dem Schuldner gegenüber einer unbestimmten Gruppe von Berechtigten zustehen, wie etwa bei Forderungen aus Inhaber- oder Orderpapieren oder im Kontext von Nachlassabwicklungen.

Rechtliche Einordnung der Aufgebotseinrede

Historische Entwicklung

Die Wurzeln der Aufgebotseinrede reichen bis in das 19. Jahrhundert zurück und hängen eng mit der Entwicklung der modernen Zwangsvollstreckung sowie der Absicherung des Schuldners vor mehrfacher Inanspruchnahme zusammen. Im Zuge der rechtlichen Kodifikationen im 19. und 20. Jahrhundert wurde die Einrede durch gesetzliche Regelungen in das deutsche Zivilrecht integriert.

Gesetzliche Grundlagen

Die Aufgebotseinrede findet sich in mehreren Gesetzen des deutschen Rechts:

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

– Besondere Bedeutung erhält sie im Zusammenhang mit § 372 BGB („Hinterlegung bei mehreren Berechtigten“). Wenn wegen einer Forderung mehrere Personen als Gläubiger in Betracht kommen und unklar ist, wem die Forderung zusteht, kann der Schuldner die Leistung verweigern, bis durch ein gerichtliches Aufgebotsverfahren geklärt wurde, wem die Forderung tatsächlich zusteht.

  • Gesetz über das Aufgebotsverfahren (AufgebG)

– Das Aufgebotsgesetz regelt das Verfahren zur Ausschließung unbekannter und ungewisser Rechte an bestimmten Gegenständen beziehungsweise Forderungen.

  • Zivilprozessordnung (ZPO)

– In § 1179a Abs. 2 Satz 2 BGB in Verbindung mit Verweisungen in der ZPO kommen im Hinblick auf Hypotheken ähnliche Regelungen zur Anwendung.

Auch im Zusammenhang mit §§ 987 ff. ZPO (Vollstreckungsverfahren) und weiteren spezialgesetzlichen Regelungen spielt die Aufgebotseinrede eine Rolle.

Funktion und Zweck der Aufgebotseinrede

Schutz des Schuldners

Das Hauptanliegen der Aufgebotseinrede ist der Schutz des Schuldners vor dem Risiko doppelter Inanspruchnahme bei ungewisser Gläubigerstellung. Diese Situation tritt ein, wenn mehrere Parteien Rechte an einem Anspruch geltend machen oder die Inhaberschaft zweifelhaft ist. Durch Erhebung der Einrede kann der Schuldner verlangen, dass der Gläubiger erst im Wege eines gerichtlichen Aufgebotsverfahrens seine Berechtigung nachweist.

Voraussetzungen für die Geltendmachung

Die Aufgebotseinrede kann nur unter bestimmten Voraussetzungen erhoben werden:

  1. Ungewissheit der Gläubigerstellung

– Es muss objektiv zweifelhaft sein, wem der Anspruch tatsächlich zusteht.

  1. Rechtsgrundlage für das Aufgebotsverfahren

– Die geltend gemachte Forderung muss nach Gesetz mittels eines Aufgebotsverfahrens geklärt werden können.

  1. Berufung auf die Einrede im Prozess

– Der Schuldner muss sich im laufenden Prozess ausdrücklich auf das Recht zur Erhebung der Aufgebotseinrede berufen.

Rechtsfolgen der Einrede

Solange das Aufgebotsverfahren nicht durchgeführt oder abgeschlossen ist, besteht das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners fort. Der Gläubiger ist verpflichtet, das Verfahren einzuleiten, wenn er auf die Leistung bestehen will. Erst nach Durchführung des Verfahrens und gegebenenfalls nach rechtskräftiger Entscheidung kann eine Befriedigung des Gläubigers erfolgen.

Anwendungsbereiche der Aufgebotseinrede

Wechsel- und Scheckrecht

Im Wechsel- und Scheckrecht kann der Schuldner mit der Aufgebotseinrede agieren, beispielsweise wenn mehrere Personen als Inhaber auftreten oder Zweifel an der Inhaberschaft bestehen. In diesen Fällen sieht das Gesetz ausdrücklich die Möglichkeit vor, die Leistung bis zur Entscheidung des Aufgebotsverfahrens zu verweigern.

Forderungen aus Inhaber- und Orderpapieren

Bei Inhaberpapieren wie Schuldverschreibungen oder Sparbüchern kommt es häufig vor, dass das Papier abhandenkommt und der rechtmäßige Inhaber nicht feststeht. In diesem Zusammenhang ermöglicht die Aufgebotseinrede dem Schuldner, die Leistung bis zur Vorlage des Aufgebotsbeschlusses zu verweigern.

Nachlassabwicklung und Erbfolge

Im Zusammenhang mit der Erbschaftsabwicklung kann der Schuldner gegen Ansprüche vermeintlicher Erben die Aufgebotseinrede erheben, um zu verhindern, dass mehrere Erben auf denselben Nachlassgegenstand zugreifen können.

Hypotheken und Grundpfandrechte

Das Grundbuchrecht sieht entsprechende Regelungen für den Fall vor, dass der Berechtigte aus einer Grundschuld oder Hypothek nicht feststeht (beispielsweise bei Verlust des Hypothekenbriefes).

Verfahrensfragen und prozessuale Bedeutung

Prozessuale Geltendmachung

Die Aufgebotseinrede ist eine prozessuale Einrede. Sie muss im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens ausdrücklich geltend gemacht werden. Unterbleibt dies, kann sie nicht mehr nachträglich erhoben werden. Die Einrede unterbricht den Prozess in der Regel nicht, sondern hemmt lediglich die Erfüllungspflicht bis zur Entscheidung im Aufgebotsverfahren.

Auswirkungen auf die Vollstreckung

Wird die Aufgebotseinrede im Rahmen der Zwangsvollstreckung erhoben, kann der Schuldner damit unter Umständen die Vollstreckung abwenden, solange das gerichtliche Aufgebotsverfahren andauert.

Abgrenzung zu anderen Einreden und Rechtsinstituten

Unterschied zur Hinterlegungseinrede

Während die Hinterlegungseinrede dem Schuldner das Recht gibt, die geschuldete Leistung bei Gericht zu hinterlegen, um sich von seiner Verpflichtung zu befreien, schützt die Aufgebotseinrede lediglich davor, an einen vermeintlichen Nichtberechtigten leisten zu müssen.

Unterscheidung von anderen Leistungsverweigerungsrechten

Die Aufgebotseinrede hat einen spezifischen Anwendungsbereich im Aufgebotsverfahren. Klassische Leistungsverweigerungsrechte wie die Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§ 320 BGB) oder Zurückbehaltungsrechte (§ 273 BGB) unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Rechtsfolgen.

Zusammenfassung

Die Aufgebotseinrede stellt ein bedeutendes Verteidigungsmittel des Schuldners dar, das insbesondere in Situationen rechtlichen Zweifels über die Gläubigerstellung Anwendung findet. Sie dient der Rechtssicherheit und schützt den Schuldner vor mehrfacher Inanspruchnahme. Die Einrede ist eng verknüpft mit dem gerichtlichen Aufgebotsverfahren, kann in verschiedenen Rechtsgebieten geltend gemacht werden und hat eine weitreichende prozessuale Bedeutung. Die Kenntnis der Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Aufgebotseinrede ist wesentlich für die praktische Durchsetzung und Abwehr von Ansprüchen bei ungesicherter Gläubigerstellung.

Häufig gestellte Fragen

Wie und in welchen gerichtlichen Verfahren kann die Aufgebotseinrede geltend gemacht werden?

Die Aufgebotseinrede kann grundsätzlich in allen gerichtlichen Verfahren erhoben werden, in denen Ansprüche aus Inhaber- oder Orderurkunden (z.B. Wechsel, Schecks, Sparbücher) geltend gemacht werden, deren Verlust oder Vernichtung behauptet wird und für die das Gesetz das Aufgebotsverfahren zulässt. Die Einrede ist insbesondere im ordentlichen zivilprozessualen Erkenntnisverfahren relevant, vor allem bei der Geltendmachung von Forderungen aus abhanden gekommenen oder zerstörten Wertpapieren. Sie kann sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Verfahren vorgebracht werden. Die Erhebung erfolgt spätestens im Prozess in Form einer Einrede des Beklagten, z.B. durch Klageerwiderung oder in der mündlichen Verhandlung. Wichtig ist, dass die Einrede ausdrücklich erhoben wird; ein bloßes Bestreiten des Anspruchs genügt in der Regel nicht.

Welche Rechtsfolgen hat die erfolgreiche Erhebung der Aufgebotseinrede im Zivilprozess?

Wird die Aufgebotseinrede erfolgreich erhoben, führt dies dazu, dass dem Anspruch des Klägers aus der betreffenden Urkunde die Einrede entgegensteht, solange das gesetzliche Aufgebotsverfahren nicht durchgeführt und ein Ausschlussurteil (Amortisationstitel) vorgelegt wird. Das Gericht darf dem Kläger die behauptete Forderung aus der Urkunde nicht zusprechen. In der Praxis bedeutet dies, dass der Kläger den Prozess nicht gewinnen kann, solange er nicht nachweist, dass die Urkunde für kraftlos erklärt wurde. Die Klage wird in der Regel als derzeit unbegründet (nicht als endgültig unbegründet) abgewiesen, da dem Kläger nach ordnungsgemäßer Amortisation ein erneuter Klageweg offensteht.

Wer ist zur Geltendmachung der Aufgebotseinrede berechtigt und wen trifft die Beweislast?

Zur Erhebung der Aufgebotseinrede ist grundsätzlich der Schuldner der jeweiligen Urkunde berechtigt, also insbesondere der Aussteller oder Bezogene, z.B. der Scheck- oder Wechselverpflichtete. Auch andere Personen, die ein rechtliches Interesse haben, können sich auf die Einrede berufen, sofern sie auf die Herausgabe oder Erfüllung in Anspruch genommen werden. Die Beweislast für den Verlust, die Vernichtung oder das Abhandenkommen der Urkunde trifft jedoch grundsätzlich denjenigen, der die Rechte aus der Urkunde geltend macht (Kläger). Der Einwendende muss lediglich den Einwand des Nichtvorliegens der Urkunde geltend machen; der Nachweis, dass keine missbräuchliche Geltendmachung vorliegt, ist hingegen Sache des Anspruchstellers.

Verlieren Gläubiger durch die Aufgebotseinrede dauerhaft ihre Ansprüche?

Nein, die Ansprüche des Gläubigers aus der Urkunde werden durch die Erhebung der Aufgebotseinrede nicht dauerhaft vernichtet. Die Einrede hat lediglich eine aufschiebende Wirkung: Der Anspruch ist während des Bestehens der Urkunde und bis zu deren Kraftloserklärung nicht durchsetzbar. Nach erfolgreichem Abschluss des Aufgebotsverfahrens und Vorlage des Ausschlussurteils lebt der Anspruch wieder auf und kann erneut gerichtlich geltend gemacht werden. Sofern die Forderung nicht zwischenzeitlich durch Verjährung oder sonstige rechtliche Hindernisse erloschen ist, bleibt der materielle Anspruch erhalten.

Welche Formerfordernisse bestehen für die Erhebung der Aufgebotseinrede?

Das Gesetz stellt keine besonderen Formerfordernisse für die Erhebung der Aufgebotseinrede auf – sie muss nicht ausdrücklich als „Aufgebotseinrede“ bezeichnet werden, sondern kann sinngemäß und inhaltlich erhoben werden. Entscheidend ist, dass für das Gericht erkennbar ist, dass die Geltendmachung eines Anspruchs aus einer Urkunde mit dem Hinweis verweigert wird, dass dem Gegner die Urkunde fehlt und ein Aufgebotsverfahren durchzuführen ist. Empfehlenswert ist jedoch eine ausdrückliche und detaillierte Erhebung im Schriftsatz beziehungsweise in der Verhandlung, um Streitigkeiten über die Erhebung zu vermeiden.

Ist die Aufgebotseinrede auch bei elektronischen Wertpapieren oder in rein digitalisierter Form anwendbar?

Die klassische Aufgebotseinrede bezieht sich auf Wertpapiere in Urkundenform, die verloren oder vernichtet werden können. Im Kontext von elektronischen Wertpapieren oder digitalen Schuldverschreibungen, wie sie etwa nach dem Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) möglich sind, ist die Anwendbarkeit der Aufgebotseinrede rechtlich bislang beschränkt oder umstritten, da hier ein Verlust der physischen Urkunde nicht mehr möglich ist. Die jeweiligen spezialgesetzlichen Regelungen enthalten regelmäßig eigene Verfahren zum Umgang mit Fehlern, Verlusten oder unberechtigten Löschungen, so dass die klassische Aufgebotseinrede hierfür keine oder bestenfalls eine eingeschränkte Rolle spielt. Nach derzeitiger Rechtslage erfolgt der Ausschluss oder die Amortisation bei elektronischen Wertpapieren nach den hierfür vorgesehenen digitalen Verfahren.

Kann die Erhebung der Aufgebotseinrede präkludiert oder verwirkt werden?

Grundsätzlich handelt es sich bei der Aufgebotseinrede um eine sogenannte dauernde (perpetuelle) Einrede, die in jeder Lage des Verfahrens und selbst noch im Berufungs- oder Revisionsverfahren geltend gemacht werden kann, solange über den Anspruch noch nicht rechtskräftig entschieden wurde. Eine Präklusion, also ein Ausschluss wegen verspäteter Geltendmachung, tritt in der Regel nicht ein. Lediglich im Ausnahmefall kann sie nach den allgemeinen Regeln der Verwirkung ausgeschlossen sein, etwa wenn der Schuldner den Anspruchsteller treuwidrig in dessen Vertrauen darauf bestärkt hat, auf die Einrede zu verzichten. Solche Konstellationen sind jedoch selten und bedürfen einer sorgfältigen Einzelfallprüfung.