Begriff und rechtliche Einordnung der Aufenthaltsbestimmung
Der Begriff Aufenthaltsbestimmung bezeichnet im deutschen Recht die Befugnis, den gewöhnlichen Aufenthaltsort einer Person zu bestimmen. Er besitzt zentrale Bedeutung vor allem im Familienrecht, insbesondere im Zusammenhang mit dem Sorgerecht für minderjährige Kinder, aber auch im Betreuungsrecht und im Bereich der Freiheitsentziehung. Die Aufenthaltsbestimmung ist regelmäßig eng mit Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht und das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verbunden.
Aufenthaltsbestimmungsrecht
Das sogenannte Aufenthaltsbestimmungsrecht ist ein Teilaspekt der Personensorge gemäß § 1631 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Es umfasst die rechtliche Befugnis, darüber zu entscheiden, wo sich das Kind oder – im Rahmen des Betreuungsrechts – der betreute Erwachsene tatsächlich und rechtlich aufhält.
Aufenthaltsbestimmung bei Minderjährigen
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht über minderjährige Kinder wird grundsätzlich von den sorgeberechtigten Eltern gemeinschaftlich ausgeübt (§ 1627 BGB). Es beinhaltet das Recht, den dauerhaften und vorübergehenden Wohn- und Aufenthaltsort zu bestimmen, beispielsweise in Bezug auf den Lebensmittelpunkt, den Wechsel zwischen elterlichen Haushalten (Umzug), Urlaubsreisen und das Verbringen der Kinder in Heimen oder Pflegefamilien.
Streit über die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts
Kommt es zwischen gemeinsam sorgeberechtigten Eltern zum Streit über die Aufenthaltsbestimmung, regelt § 1628 BGB, dass das Familiengericht einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis in einer Angelegenheit allein übertragen kann. In Einzelfällen kann das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht gemäß § 1671 Abs. 1 BGB einem Elternteil allein übertragen, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Dies ist von erheblicher praktischer Bedeutung im Rahmen von Trennungen oder bei Uneinigkeit bezüglich eines Umzugs.
Aufenthaltsbestimmung im Betreuungsrecht
Im Betreuungsrecht (§§ 1906 ff. BGB) spielt die Aufenthaltsbestimmung eine wichtige Rolle bei volljährigen Personen, die wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können. Wird ein Betreuer bestellt, kann das Gericht dem Betreuer das Recht zur Aufenthaltsbestimmung übertragen. Dies erlaubt beispielsweise die Entscheidung über einen Wohnungswechsel, einen Umzug in ein Pflegeheim oder erforderlichenfalls das Verhindern eines bestimmten Aufenthalts.
Verhältnis zu anderen Rechtsbegriffen
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist Teil der Personensorge und zu unterscheiden von der allgemeinen Vertretungsmacht oder Vermögenssorge.
Unterschied zur elterlichen Sorge
Während die elterliche Sorge gemäß § 1626 Abs. 1 BGB die Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes sowie die Vertretung umfasst, fokussiert das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die tatsächliche Wahl des Aufenthaltsortes und damit auf einen fundamentalen Aspekt der Ausübung elterlicher Fürsorge.
Abgrenzung von Besuchs- und Umgangsrecht
Das Umgangsrecht (§ 1684 BGB) bezeichnet das Recht des Kindes und der Eltern auf gegenseitigen Umgang. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht hingegen legt fest, bei wem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat. Entscheidungen über alltägliche Aufenthalte, kurzfristige Ortswechsel oder den Urlaub fallen allerdings unter Ausübung des Umgangsrechts und nicht zwangsläufig unter das Aufenthaltsbestimmungsrecht.
Rechtliche Bedeutung und Praxisrelevanz der Aufenthaltsbestimmung
Kindeswohl und gerichtliche Entscheidungsmaßstäbe
Bei gerichtlichen Entscheidungen über die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts steht das Kindeswohl (§ 1697a BGB) im Mittelpunkt. Maßgeblich sind Aspekte wie Bindungen des Kindes, Fördermöglichkeiten, Kontinuität der Erziehung, Erziehungsfähigkeit der Elternteile, die Wünsche des Kindes und familiäre Bindungen. Die Entscheidung für einen dauerhaften Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltsortes, insbesondere ins Ausland, unterliegt strengen Anforderungen zum Wohl des Kindes.
Gerichtliches Verfahren
Über Angelegenheiten der Aufenthaltsbestimmung entscheidet das Familiengericht im selbständigen Verfahren (§ 151 Nr. 1 FamFG). Das Gericht kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht einem Elternteil ganz oder teilweise entziehen und auf den anderen Elternteil übertragen, wenn und soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist (§ 1671 BGB). Dabei werden in der Praxis häufig auch Gutachten zur Ermittlung des Kindeswohls herangezogen.
Zwangsmaßnahmen und Freiheitsentziehung
Die Aufenthaltsbestimmung kann unter Umständen Maßnahmen mit Freiheitsentziehungskomponenten beinhalten, etwa bei Unterbringung eines Kindes oder einer betreuten Person in einer Einrichtung. Solche Maßnahmen unterliegen besonderen Voraussetzungen (§ 1631b BGB für minderjährige Kinder bzw. § 1906 ff. BGB für betreute Erwachsene) und grundsätzlich einer richterlichen Genehmigung, um Grundrechtseingriffe zu legitimieren.
Aufenthaltsbestimmungsrecht im internationalen Kontext
Im grenzüberschreitenden Zusammenhang (z. B. bei Umzügen ins Ausland) greifen internationale Regelungen wie das Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) sowie europäische Verordnungen. Ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland kann nach deutschem und internationalem Recht nur mit Zustimmung beider Sorgeberechtigter erfolgen oder der Zustimmung des Gerichts bedürfen.
Internationales Familienrecht
Kommt es zu einer internationalen Kindesentführung infolge unbefugter Aufenthaltsbestimmung, kann das betroffene Elternteil die Rückführung des Kindes gemäß den entsprechenden internationalen Regelungen beanspruchen. Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Aufenthaltsbestimmungsrecht werden insbesondere durch die Brüssel-IIb-Verordnung im EU-Bereich geregelt.
Zusammenfassung
Die Aufenthaltsbestimmung ist ein zentrales Instrument des deutschen Familien- und Betreuungsrechts. Sie regelt maßgeblich, wo sich eine Person – insbesondere ein minderjähriges Kind oder ein betreuter Erwachsener – gewöhnlich aufhalten darf. Streitigkeiten werden vorrangig unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls entschieden, wobei das Gericht im Einzelfall das Aufenthaltsbestimmungsrecht einem Elternteil oder einem Betreuer übertragen kann. Im internationalen Kontext sind umfangreiche Vorschriften zum Schutz der betroffenen Personen und der elterlichen Rechte zu beachten. Die Aufenthaltsbestimmung steht somit an einer Schnittstelle zwischen Selbstbestimmung, staatlichem Schutzauftrag und individuellen Freiheitsrechten und ist von großer praktischer Bedeutung im Familien- und Betreuungsrecht.
Häufig gestellte Fragen
Wer entscheidet im Streitfall über das Aufenthaltsbestimmungsrecht?
Im Streitfall entscheiden in Deutschland grundsätzlich die Familiengerichte über das Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teilbereich der elterlichen Sorge gemäß § 1627 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Liegt zwischen den Eltern keine Einigung hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes vor – beispielsweise nach Trennung oder Scheidung – kann jeder Elternteil einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts stellen. Das Gericht prüft indessen stets, welches Kindeswohlinteresse ausschlaggebend ist. Hierzu wird in der Regel das Jugendamt angehört und vom Gericht eine Kindesanhörung (§ 159 FamFG) durchgeführt. Häufig werden darüber hinaus sachverständige Gutachten eingeholt, um die Bindung des Kindes zu den Eltern, seine schulische und soziale Integration sowie weitere relevante Aspekte umfassend zu beleuchten. Das Gericht spricht gemäß § 1671 BGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht ganz oder teilweise einem Elternteil zu oder belässt es bei der gemeinsamen Ausübung, sofern dies dem Kindeswohl nicht widerspricht.
Kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht auch an Dritte übertragen werden?
In Ausnahmefällen besteht die Möglichkeit, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf eine andere Person als die Eltern, etwa Großeltern oder Pflegeeltern, zu übertragen. Dies setzt voraus, dass gravierende Gründe gegen eine Aufenthaltsbestimmung durch die Eltern sprechen und die Übertragung eindeutig dem Kindeswohl entspricht (§ 1688 BGB). Die Entscheidung hierzu trifft das Familiengericht auf Antrag, nachdem es sowohl Eltern als auch die betroffene dritte Person und gegebenenfalls das Jugendamt angehört hat. Relevant ist dies insbesondere in Situationen, in denen Eltern dauerhaft nicht in der Lage sind, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auszuüben, etwa aufgrund von Krankheit, Tod oder gerichtlichem Entzug des Sorgerechts.
Was versteht man unter einer einstweiligen Anordnung beim Aufenthaltsbestimmungsrecht?
Eine einstweilige Anordnung (§§ 49 ff. FamFG) ist ein vorläufiger gerichtlicher Beschluss, der zur kurzfristigen Regelung des Aufenthalts eines Kindes getroffen werden kann, wenn eine dringliche Situation vorliegt – etwa wenn der Verdacht besteht, dass ein Elternteil das Kind ins Ausland oder an einen unbekannten Ort verbringen könnte. Das Familiengericht kann auf Antrag oder von Amts wegen eine einstweilige Anordnung erlassen, sofern ein sogenannter Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) und ein Anordnungsanspruch (materielle Erfolgsaussicht) glaubhaft gemacht werden. Die einstweilige Anordnung gilt bis zur abschließenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren, wobei das Gericht in beiden Fällen stets das Kindeswohl prüft und weitere Ermittlungen in Form von Anhörungen und Einholung von Gutachten durchführen kann.
Welche Auswirkungen hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf das Umgangsrecht?
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht bezieht sich ausschließlich darauf, bei welchem Elternteil oder an welchem Ort ein minderjähriges Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das Umgangsrecht, das beiden Elternteilen nach § 1684 BGB grundsätzlich zusteht, bleibt hiervon unberührt. Selbst wenn ein Elternteil das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht innehat, darf der andere Elternteil weiterhin Umgang mit dem Kind haben, es sei denn, das Gericht stellt fest, dass der Umgang dem Kindeswohl schadet und schließt diesen daher aus oder beschränkt ihn. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht kann jedoch faktisch Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Umgangs, beispielsweise bei weiter entfernten Wohnorten oder einem geplanten Umzug ins Ausland, haben.
Gibt es Unterschiede zwischen alleinigem und gemeinsamem Aufenthaltsbestimmungsrecht?
Ja, diese Unterschiede sind rechtlich deutlich definiert: Haben beide Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht gemeinsam (gemeinsame elterliche Sorge), müssen sie sich über den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes einvernehmlich einigen. Unstimmigkeiten werden, sofern keine Einigung erreicht wird, durch das Familiengericht im Antragswege geklärt. Liegt das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht bei einem Elternteil – etwa nach gerichtlicher Entscheidung oder infolge einer Sorgerechtsregelung -, kann dieser Elternteil eigenständig über den Aufenthaltsort entscheiden; der andere Elternteil muss informiert werden, hat aber keine Entscheidungsbefugnis mehr. Dem Ziel des § 1671 BGB entsprechend wird ein alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht vor allem dann übertragen, wenn eine Kooperation der Eltern nicht möglich ist und dies zum Wohl des Kindes erforderlich erscheint.
Was sind die rechtlichen Konsequenzen bei Verstößen gegen das Aufenthaltsbestimmungsrecht?
Verstößt ein Elternteil gegen das bestehende Aufenthaltsbestimmungsrecht – etwa indem er das Kind entgegen einer gerichtlichen Anordnung an einen anderen Ort verbringt oder dem anderen Elternteil den Umgang verweigert -, können schwerwiegende rechtliche Konsequenzen folgen. Denkbar sind zivilrechtliche Maßnahmen wie Ordnungsgeld, Ordnungshaft (§ 89 FamFG) oder die zwangsweise Herausgabe des Kindes nach § 88 FamFG. Bei grenzüberschreitender Kindesentziehung kommen zusätzlich internationale Vorschriften (insbesondere das Haager Kindesentführungsübereinkommen – HKÜ) zum Tragen. In besonders gravierenden Fällen kann sogar ein Umgangsausschluss, eine Änderung des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder als äußerste Maßnahme der Entzug der elterlichen Sorge durch das Gericht erfolgen.
Welche Rolle spielt das Jugendamt beim Aufenthaltsbestimmungsrecht?
Das Jugendamt agiert als neutral beratende und unterstützende Instanz im Verfahren um das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Es wird vom Familiengericht regelmäßig beteiligt und gibt nach § 50 SGB VIII eine fachliche Stellungnahme zum Kindeswohl ab. Das Jugendamt berät und begleitet Eltern sowie Kinder bereits im Vorfeld formeller Anträge und steht insbesondere im Rahmen von Trennungs- oder Scheidungssituationen zur Verfügung. Während des Gerichtsverfahrens wirkt es an der Kindesanhörung mit und kann auch Unterstützungsmaßnahmen, wie die Erarbeitung eines Umgangskonzepts oder Vermittlung von Mediation, anbieten. In äußerst kritischen Fällen, in denen eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls droht, ist das Jugendamt sogar verpflichtet, selbst einen Antrag auf Sorgerechtsentzug beim Familiengericht zu stellen.